Der Schatten in uns
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Der Schatten in uns

Die subversive Lebenskraft

Verena Kast

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Der Schatten in uns

Die subversive Lebenskraft

Verena Kast

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"Wo Licht ist, ist auch Schatten", heißt es. Ebenso verhĂ€lt es sich mit der menschlichen Persönlichkeit: Wir stellen bestimmte Seiten von uns ins Licht, wĂ€hrend andere Persönlichkeitsaspekte ins Unbewusste verdrĂ€ngt werden. Der Schatten ist das, was ein Mensch nicht sein will, aber gleichwohl ist, und er wird oft auf andere projiziert – z.B. auf Fremde oder Asylantinnen und Asylanten – und dort bekĂ€mpft. Der Schatten kann aber auch positiv sein und verborgene FĂ€higkeiten und Potenziale enthalten. In diesem Standardwerk zum Schattenkonzept C. G. Jungs zeigt die renommierte Jung'sche Analytikerin und Psychotherapeutin Verena Kast: Wenn wir bereit sind, fĂŒr unsere dunklen Seiten die Verantwortung zu ĂŒbernehmen, wird der Schatten zu einer Kraft, die uns menschlicher und lebendiger macht.

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Information

Publisher
Patmos Verlag
Year
2016
ISBN
9783843607391

Modelle von Schattenakzeptanz

Schattenakzeptanz im Mythos

Mythen sind zunĂ€chst Selbst- und Weltdeutungen einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten Zeit, und sie haben den Sinn, das Individuum mit seinen typisch menschlichen Problemen in eine Gruppe und oft auch in den Kosmos einzubinden und Leben verstehbar zu machen. Als Ausdruck des kollektiven Unbewussten sind sie aber auch Modelle fĂŒr Welt- und Selbstdeutung in bestimmten existentiellen Situationen, die fĂŒr alle Menschen GĂŒltigkeit haben. Mythen sind ErzĂ€hlungen, die auch uns heutige Menschen ansprechen, die unsere Phantasie herausfordern und uns anregen, die darin anklingenden, auch fĂŒr uns aktuellen Probleme in ihrem Spiegel zu sehen.
Mythen sind genauso Erfahrungssysteme, wie es die Wissenschaften sind: Sie verwenden aber andere Bilder der Wirklichkeit, und gerade das interessiert, denn diese Bilder sind farbig, berĂŒhren die Emotionen, bilden einen gemeinsamen Vorstellungsraum. Sie sind darĂŒber hinaus auch Modelle von Weltdeutung. Wenn der Umgang mit dem Schatten wirklich ein kollektives Problem ist, auch ein archetypisches Problem, dann muss sich in den Mythen und MĂ€rchen der Umgang vieler Menschen mit dem Schatten niedergeschlagen haben. Und damit könnten sie Modelle sein, die wir auf den heutigen Umgang mit dem Schatten zumindest teilweise ĂŒbertragen können. Dass dies tatsĂ€chlich der Fall ist, werde ich nun am sumerischen Mythos von Inanna und Ereschkigal aufzuzeigen versuchen.
Inanna und Ereschkigal65
Es handelt sich um einen Mythos, der etwa 2500 vor Christus in Sumer, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, dem heutigen sĂŒdlichen Irak, aufgezeichnet worden ist. Inanna und Ereschkigal sind Schattenschwestern. Als Morgen- und Abendstern, als Göttin des Himmels und Göttin der ErdoberflĂ€che ist Inanna die Göttin des Lebens, des Tages, der Oberwelt. Sie ist aber auch Königin aller LĂ€nder, hat also eine große Macht, und sie hat eine innere Verbindung zum Gott der GewĂ€sser, der List und der Weisheit: Enki. Sie gilt weiter als eine Göttin der Liebe, der Schönheit, des Muts und der Entschlossenheit. Sie ist zudem sehr streitbar: Ihr Wagen wird von sieben Löwen gezogen, ein Symbol fĂŒr eine machtvolle Dynamik, die sie zieht.
Sie ist es auch, die die Heilige Hochzeit mit Dumuzi, dem Schafhirtenkönig von Uruk, feiert. Die Heilige Hochzeit ist immer ein Symbol dafĂŒr, dass Himmel und Erde zusammenkommen, sich vermĂ€hlen, und dass dadurch der ewige Fortgang der Schöpfung gewĂ€hrleistet ist.66 Die Heilige Hochzeit können wir auf verschiedenen Ebenen verstehen: als Vegetationsmythos, aber auch als Symbol fĂŒr die Verbindung von GegensĂ€tzen in Liebe, die schöpferisches Leben ermöglicht. So wird von Inanna berichtet, dass sie fĂŒr die Heilige Hochzeit mit Dumuzi gebadet und gesalbt, ihr Schoß fĂŒr den Schoß des Königs bereitet wird. Sie preist sich selber als wunderschön und ruft begierig Dumuzi herbei.
Inannas Schattenschwester ist Ereschkigal; aus Ereschkigals Sicht ist natĂŒrlich Inanna die Schattenschwester. Ereschkigal ist die Göttin der Unterwelt, des Todes und der Dunkelheit – der fĂŒr die Lebenden verbotenen Welt. Sie hat »Todesaugen«, entscheidet ĂŒber Leben und Tod. Es zeichnet sie eine elementare Energie aus: Tage- und nĂ€chtelang schlĂ€ft sie mit einem Mann, ohne dass sie befriedigt ist; wo Inanna lustvoll ist, ist Ereschkigal gierig. Die eine garantiert die Fruchtbarkeit, die andere den Tod. Im Mythos erscheint Ereschkigal als deprimiert-zornig, einsam, ohnmĂ€chtig in ihrer großen Macht.
Der Mythos enthĂ€lt verschiedene mythische Geschichten ĂŒber Inanna. Ich konzentriere mich auf den Teil, der die Akzeptanz des Schattens zum Thema hat:
Inanna wendet ihr Ohr der Welt unter der Erde zu. Sie hört etwas, spitzt die Ohren – etwas ruft, und sie hört hin. So beginnt die Auseinandersetzung mit dem Schatten: Etwas ruft, und wir hören hin. Es kann um einen »Schattentraum« gehen, der uns beunruhigt oder einfach nicht mehr aus dem Sinne geht; es kann sein, dass uns jemand auf eine Schattenseite hin anspricht oder dass wir selber spĂŒren, dass etwas in unserem Leben unstimmig ist.
Inanna hört, verlĂ€sst den Himmel, verlĂ€sst den Lebensraum Erde und steigt hinab in die Tiefe. Lange und ausfĂŒhrlich wird im Mythos beschrieben, was alles sie verlĂ€sst – und dadurch werden ihr Machtbereich und ihr Reichtum sichtbar. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in der Auseinandersetzung mit dem Schatten: Wir besinnen uns zunĂ€chst auf die Sonnenseiten, auf die Kompetenzen, auf das, was schon gelungen ist. Um uns mit den Schattenseiten wirklich zu konfrontieren, brauchen wir alle KrĂ€fte, die uns zur VerfĂŒgung stehen, mĂŒssen wir uns noch einmal bewusst werden darĂŒber, welche Kompetenzen und welche Schönheit wir bereits erworben haben.
Dass Inanna sich mit allem schmĂŒckt, was sie hat – den sieben heiligen KrĂ€ften –, ist ein Symbol dafĂŒr. Da ist zum einen die Krone der wilden Steppe, die sie mit der Erde verbindet, dann ein Messrohr und eine Messleine, Symbole fĂŒr das richtige Maß, Lapislazuliperlen als Symbol fĂŒr den Himmel mit den Sternen, ovale Doppelsteine, die von der Eiform her Fruchtbarkeit und die Möglichkeit zur Wiedergeburt symbolisieren, ein goldener Armreif als Ausdruck der Bindung an die Sonne und das Solare. Dann trĂ€gt sie weiter eine »Mann-komm-komm-Brustplatte«, wahrscheinlich eine alte Form von BĂŒstenhalter, der VerfĂŒhrungskunst, erotische Potenz, aber wohl auch Wehrhaftigkeit andeutet. Dazu kommt eine »Er-soll-kommen-Augenfarbe«, die vermutlich den sinnlichen erotischen Blick darstellt, und vor allem zieht sie das vornehme Gewand der Königin an. Die Persona, die sie hier zeigt, ist beeindruckend.
Inanna hört also den Anruf von unten, folgt ihm aber nicht gleich, sondern umgibt sich mit den heiligen KrĂ€ften, bevor sie den unheiligen Bereich betritt. Sie besinnt sich zunĂ€chst auf ihren Reichtum und trĂ€gt den auch bewusst zur Schau. Übertragen auf eine alltĂ€glichere Schattenkonfrontation: Zuerst erfolgt die Selbstbesinnung in einem akzeptierenden, positiven Sinn: Alles, was unseren Selbstwert stĂ€rkt oder gestĂ€rkt hat in der Vergangenheit, wird ins Bewusstsein geholt.
Inanna unternimmt aber noch mehr: Bevor sie in die Unterwelt hinabsteigt, instruiert sie die Priesterin Ninschubur. Diese bleibt in der Oberwelt; wenn Inanna nach drei Tagen nicht zurĂŒckkommt, soll Ninschubur die Götter bitten, Inanna zu helfen, und diese gibt auch genaue Anweisung, wie man ihr helfen kann: Sie rechnet damit, dass dieser Abstieg in die Unterwelt ein schwieriger sein könnte.
Bei der Schattenbegegnung geht es nicht nur darum, uns alle KrĂ€fte, die wir besitzen, alle Lebensmöglichkeiten, alle Zeichen des gelingenden Lebens noch einmal zu vergegenwĂ€rtigen, sondern es geht auch darum, einen Teil von uns, der diese Schattenkonfrontation nicht nötig hat, zurĂŒckzulassen. Das heißt, es geht darum, uns nicht ganz und gar verschatten zu lassen. Und es geht darum, Vorkehrungen zu treffen, damit wir nicht fĂŒr immer im Schattenbereich verbleiben, uns nicht ganz und gar identifizieren mit diesem Bereich, der im Mythos der Todesbereich ist.
Was kann das heißen? Und wie geht dieser Abstieg vor sich?
Inanna gelangt an das Tor der Unterwelt, sie will das Tor auf­drĂŒcken, sie ruft, sie schreit. Inanna ist eine ungeduldige Göttin, fordernd, impulsiv und herrisch. »TorhĂŒter, öffne die TĂŒr!« Der TorhĂŒter – Neti – fragt zurĂŒck: »Du, wer bist du?« Bevor das Tor geöffnet wird, wird die Frage nach ihrer IdentitĂ€t gestellt. Inannas Antwort: »Ich bin der Abendstern auf der Reise zum Morgen.« Mit diesem Bild, das Abend, Nacht und Morgen miteinander verbindet, also den Durchgang durch die Nacht zum Morgen hin, sagt sie, dass sie die ist, die Wandlung sucht. – Das ist im Moment ihre IdentitĂ€t.
Sind wir mit Schatten konfrontiert, dann ist es sehr wichtig, dass die Frage nach der IdentitĂ€t an uns gestellt wird, gerade auch dann, wenn, wie hier im Mythos, der Ă€ußere Machtbereich zusammenschrumpft, keine Beziehungen mehr da sind, die tragen, die Insignien der Macht weggenommen werden. Dass Inanna sich als Stern sieht, der die natĂŒrliche Wandlung sucht, ist ihre IdentitĂ€t. Schattenakzeptanz heißt auch, Wandlung zu suchen, Wandlung zu akzeptieren. Neti, der TorhĂŒter, aber sagt: »Das ist ein Land, das keine RĂŒckkehr kennt.« Das heißt: Es gibt keine Wandlungsmöglichkeit, nur Tod. – Oder ist es die Idee, dass es sich um eine existentielle Lebenssituation handelt, durch die man »hindurch« muss, wo es keine ungewandelte RĂŒckkehr gibt?
Neti fragt Inanna nun nach dem Grunde ihres Kommens, und Inanna sagt, der Himmelsstier – der Mann der Ereschkigal – sei durch Gilgamesch und Enkidu getötet worden, zu dessen BegrĂ€bnis wolle sie kommen. Sie kommt also, weil eine alte Ordnung zerstört worden ist. Schattenakzeptanz oder das ZurĂŒckholen des VerdrĂ€ngten wird in unserem Leben dann wesentlich, wenn eine alte Ordnung nicht mehr trĂ€gt. Aber auch die umgekehrte Sichtweise gilt: Eine alte Ordnung trĂ€gt nicht mehr, weil zu viel an Mensch­lichem verschattet worden ist, zu viel an Lebendigem verdrĂ€ngt worden ist.
Ereschkigal erfĂ€hrt von der Ankunft Inannas an einem der sieben Tore zur Unterwelt. Sie hat kein Interesse an diesem Besuch und schĂ€umt vor Wut, dass Inanna kommt, und dann auch noch in ihrer ganzen Herrlichkeit. Sie gibt Neti den Auftrag, Inanna jeweils bei einem Tor eintreten zu lassen, sie festzuhalten und sie auszuziehen. Und Neti befolgt den Befehl der Ereschkigal. Den sieben Toren der Unterwelt entsprechen die sieben heiligen KrĂ€fte der Inanna; bei jedem Tor muss sie eine der sieben KrĂ€fte abgeben. NatĂŒrlich ist sie Ă€ußerst böse darĂŒber. Neti weist sie rituell darauf hin, dass die heiligen BrĂ€uche vollzogen werden mĂŒssen. »Still Inanna! Heilige BrĂ€uche mĂŒssen vollzogen werden, widersprich ihnen nicht.«67
Ein Attribut oder Symbol der heiligen KrÀfte nach dem anderen wird ihr abgenommen, bis sie ganz nackt und tief gebeugt vor ihrer Schwester steht. Diese steigt vom hölzernen Thron, und Inanna setzt sich darauf.
Das ist eine bildhafte Beschreibung des Weges der Schattenkonfrontation: StĂŒck um StĂŒck mĂŒssen Aspekte der Persona, aber auch Symbole fĂŒr geglĂŒcktes Leben abgelegt werden, bis man nackt und gebeugt ist, und dann findet ein Rollentausch statt: Inanna nimmt den Platz von Ereschkigal ein, sie ist nun identifiziert mit ihrer dunklen Schwester, der Todesgöttin – wir haben es mit einer Schattenidentifikation zu tun. Aber noch nicht genug: Die Richter der Unterwelt starren sie an mit dem Todesblick, und Inanna stirbt, ist nur noch ein faulendes StĂŒck Fleisch. Wirkliche – letzte – Schattenkonfrontation heißt, dass die alte Persönlichkeit tot ist. Das hat Inanna vorhergesehen und deshalb Ninschubur orientiert.
Ninschubur klagt, als Inanna nach drei Tagen und drei NĂ€chten nicht zurĂŒckkommt, sie sucht, wie Inanna angeordnet hatte, Hilfe und findet diese bei Enki, dem Gott der Weisheit, des Wassers und der List. Dieser erschafft zwei Wesen aus dem Lehm unter seinen FingernĂ€geln. Offenbar war auch Enki einmal in der Unterwelt, denn der Lehm stammt aus dem Reich der Ereschkigal. Enki schafft aus dem Lehm zwei Wesen: Galaturra und Kurgarra. Diese werden mit der Pflanze des Lebens und dem Wasser des Lebens in die Unterwelt geschickt. FĂŒr diese »Wesen« sind die Tore kein Hindernis, sie schlĂŒpfen durch den TĂŒrspalt.
In der Unterwelt hat sich derweil viel getan: Dadurch, dass Inanna in die Unterwelt eingedrungen ist, wird sie von Ereschkigal gleichsam verschlungen. Und diese ist jetzt am GebĂ€ren – Tod und Wiedergeburt werden hier dargestellt. Gerade die Schattenidentifikation, die den Tod des alten Ichs bedeutet, ermöglicht die Wiedergeburt.
Ereschkigal ist bei diesem GebĂ€ren einsam, hilflos, ihren Schmerzen ausgeliefert – und plötzlich sind Galaturra und Kurgarra da, und sie sind empathisch, mitfĂŒhlend. Schreit Ereschkigal: »Mein Leib, o mein Herz!«, dann antworten diese Wesen mit: »Unsere Gebieterin. Du bist in Sorge. Dein armer Leib, o dein armes Herz.« Diese Wesen sind empathisch mit Ereschkigal als leidendem Menschen, empathisch auch mit ihr als verschattetem Menschen. Ereschkigal verĂ€ndert sich durch diese Empathie. Sie fragt: »Wer weint zusammen mit mir, wer stöhnt zusammen mit mir?« Sie ist nicht mehr allein, nicht mehr – zusammen mit der ganzen Unterwelt – abgespalten von den anderen, sie kann teilhaben an anderen Wesen. Und sie will diese Wesen beschenken. Galaturra und Kurgarra sind aber instruiert: Sie dĂŒrfen nichts essen, sie dĂŒrfen nichts trinken in der Unterwelt, und als Belohnung sollen sie sich das tote StĂŒck Fleisch, Inanna, geben lassen. Ereschkigal gibt ihnen das tote Fleisch, sie bedecken es mit der Pflanze des Lebens, sie betrĂ€ufeln es mit dem Wasser, das Leben spendet – Inanna erwacht, steht auf. Ereschkigal sagt: »Bringt eure Königin weg.«
Inanna muss aber einen Ersatz fĂŒr sich stellen, sie muss jemanden finden, der sie in der Unterwelt vertritt. Am Ende einer langen Geschichte wird Dumuzi, ihr Mann, mit dem sie die Heilige Hochzeit gefeiert hat, in die Unterwelt geschickt. Er hatte von ihrer Reise in die Unterwelt keine Kenntnis genommen, braucht also noch eine Konfrontation mit diesem Lebensbereich. Es wird gesagt, dass Inanna ihn mit »Todesaugen« anstarrt – sie hat jetzt die Augen der Ereschkigal, das ist die VerĂ€nderung durch die Schattenkonfrontation, die an ihr sichtbar wird. Inanna weiß jetzt um den Tod, um die VergĂ€nglichkeit alles Irdischen, mit »Todesaugen« kann sie aber auch unterscheiden zwischen Sein und Schein, weiß, dass alles einen Schatten hat.
Auch die Verbindung zu Ereschkigal ist nun offen, die Unterwelt wird nicht wieder abgespalten, die Verbindung mit dem Schatten ist gewĂ€hrleistet. Jeweils ein halbes Jahr ist Dumuzi in der Unterwelt, seine Schwester Geschtinanna anerbietet sich, ihn dort jeweils die andere HĂ€lfte des Jahres zu vertreten. Verstehen wir Ereschkigal als destruktiven, wohl auch depressiven Schatten der strahlenden Inanna, dann kann dieser destruktive Schatten nun kreativ werden, Neues gebĂ€ren. Und Inanna ist nicht mehr nur die strahlende Himmelsgöttin, sie weiß jetzt um den Tod.
Wir können diesen Mythos natĂŒrlich auch anders verstehen, andere Aspekte betrachten. Wir können ihn als Vegetationsmythos sehen, als Mythos des Mondes in seinen verschiedenen Phasen, als Menstruationsmythos68 oder aber als Wandlungsmyth...

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