Das Oktoberfest
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Das Oktoberfest

Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists

Sylvia Krauss-Meyl

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Das Oktoberfest

Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists

Sylvia Krauss-Meyl

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Bier, Brez'n und Gaudi - aber bei Weitem nicht nur das: Das Oktoberfest ist von seiner historischen Wirkung her viel mehr als nur das größte Volksfest der Welt. "Die Wiesn" war seit ihrer Gründung im Jahr 1810 in jeder Entwicklungsphase Spiegel und Projektionsfläche des jeweiligen Zeitgeistes. Das Fest diente als politisches Instrument zur UmSetzung programmatisch-ideologischer ZielSetzungen und als Motor des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts. Als zentrale Veranstaltung begleitete es die Geschichte Bayerns: vom Beginn der Monarchie durch alle ihre Herrschaftsepochen, über ihr Ende hinaus und bis zum heutigen Tag - mit seinen weltweiten Globalisierungsfaktoren und bayerischen Identitätsmerkmalen.

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Information

Publisher
Pustet, F
Year
2015
ISBN
9783791760513

Zwischen Reichsgründung und Sturz der Monarchie

Mit der deutschen Reichsgründung, die auf den deutsch-französischen Krieg von 1870 folgte, und die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Januar 1871 wandelte sich die politische Situation Bayerns grundlegend. Preußen übernahm die Führungsrolle im neuen Deutschen Kaiserreich und bestimmte künftig den politischen Kurs. Das Königreich Bayern war fortan nur mehr einer der sechsundzwanzig deutschen Bundesstaaten. Es büßte durch die neue Reichsverfassung seine Souveränität ein, wenngleich seine staatliche Einheit gewahrt blieb und so genannte „Reservatrechte“ seine Autonomie in einigen Bereichen der inneren Verwaltung, beim Militärwesen und bei diplomatischen Vertretungen im Ausland weiterhin garantierten.
Doch ließ sich nicht verhindern, dass in den folgenden Jahrzehnten durch das Übergewicht der Reichspolitik die bayerische Nationalität verstärkt in den Hintergrund trat und sich Bayern für gesamtdeutsche Einflüsse öffnete.
Diese Entwicklung veränderte auch den Charakter des Oktoberfests, das, bisher Spiegelbild vorwiegend innerbayerischer Vorgänge, nun auch die deutsche Reichspolitik reflektierte.
Zum zentralen außenpolitischen Programmpunkt des Kaiserreiches stieg die imperialistische Kolonialpolitik auf. Nach der Entlassung des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815–1898) im Jahr 1890, der den Kolonialplänen zurückhaltend gegenübergestanden hatte, forcierte der 1888 auf den Thron gestiegene junge Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) eine expansive Außenpolitik, mit der er Deutschland „Weltgeltung“ und einen „Platz an der Sonne“ sichern wollte.
Innenpolitisch war das Kaiserreich eine Zeit der Hochindustrialisierung, des technischen Fortschritts und des Durchbruchs zur modernen Industriegesellschaft mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Diese inneren und äußeren Entwicklungsfaktoren entfalteten sich deutschlandweit und schlugen sich auch auf dem Oktoberfest nieder.

Vom menschenscheuen Märchenkönig zum volkstümlichen Prinzregenten

Ludwig II. (1845–1886), der seinem früh verstorbenen Vater 1864 auf dem Thron folgte, war der erste Bayernkönig, der die Möglichkeiten, die das Fest für die Inszenierung von politischen Konzepten und Herrschaftsvorstellungen bot, nicht nutzte. Er teilte weder das Verantwortungsgefühl noch die Wertschätzung seiner Vorgänger für das Volksfest und besuchte es bis zum Jahr 1874 nur sporadisch, danach überhaupt nicht mehr. Es gab in seiner Regierungszeit auch keine offiziellen Oktoberfestumzüge. Ludwigs Interessen lagen weit entfernt vom volkstümlichen Geschehen auf dem Festplatz und distanzierten sich immer mehr von den Anliegen seiner Untertanen.
Dass während seiner Regierungszeit der Hauptsonntag des Oktoberfests vom Oktober in den September vorverlegt wurde, wurde zwar mit dem schlechten Wetter begründet, das die Organisatoren viele Jahre hintereinander zum vorzeitigen Abbruch des Festes gezwungen hatte. Doch konnte man diesen Schritt 1872 nun leichter als früher vollziehen, da von dem desinteressierten König kein Protest zu erwarten war, den 12. Oktober als Höhepunkt aufzugeben, der als Hochzeitsdatum seiner Großeltern und als Namens- und Sterbetag seines Urgroßvaters jahrzehntelang eine hohe symbolische Wirkung gehabt hatte. Die Erinnerung an diese Ursprünge blieb im Fortbestand des Namens „Oktoberfest“ lebendig.
Das Fest besaß inzwischen so viel Stabilität, dass es sich trotz der mangelnden Protektion des Königs dynamisch weiterentwickelte. Die Reichsgründung als politischer und die Industrialisierung als wirtschaftlicher Faktor schufen neue Grundlagen für die Modernisierung des Festes und stellten Weichen für seine spätere Ausrichtung hin zum Massenkonsum.
Unter Prinzregent Luitpold (1821–1912), der nach dem tragischen Tod Ludwigs 1886 das Staatsruder übernehmen musste, da Ludwigs Bruder und Nachfolger König Otto (1848–1916) regierungsunfähig war, konnte sich das Oktoberfest noch einmal in höfischer Gunst sonnen. Während Luitpolds Regentschaft erlebte der monarchisch-patriotische Grundcharakter des Fests seine letzte Glanzzeit, bevor die bayerische Monarchie mit dem Ende des Ersten Weltkriegs unterging. Mit ernstem Pflichtbewusstsein, unprätentiöser Lebensart und bescheidenem Auftreten gewann Luitpold die Zuneigung der Bevölkerung. So konnte er den Prestigeverlust der Monarchie nach der Entmündigung Ludwigs II. sowie Schuldzuweisungen wegen dessen mysteriösen Todes und Vorhaltungen bezüglich seiner Regentschaftsübernahme überzeugend entkräften. Luitpold verkörperte die konservativen, bayerisch-patriotischen Züge des Königtums und stand in der bewegten Phase des industriellen Aufbruchs als glaubwürdiges Gegengewicht im Strom der Zeit. Dass er bis kurz vor seinem Tod das Oktoberfest regelmäßig mit seiner Anwesenheit beehrte und auf dem Festplatz als volksnahe, leutselige Vaterfigur auftrat, machte das Fest zu einem Ort, an dem altbayerische Idylle und historisches Bewusstsein noch erfahrbar waren.

Die Reichspolitik bemächtigt sich des bayerischen Fests

Nach der Reichsgründung 1870/71 war ein Abflauen des patriotischen Elans auf dem Oktoberfest festzustellen. Deutsch-nationale Strömungen erreichten das Volksfest und es wurden Forderungen laut, das bayerische in ein deutsches Nationalfest umzugestalten mit der Begründung, „dass das Oktoberfest dauernd nur prosperieren wird, wenn es in Verbindung mit einer Erinnerungsfeier an die früheren und die in den Jahren 1870 und 1871 erkämpften Siege und mit der dadurch redlich errungenen Einheit Deutschlands, dieser großen, lange gehegten und von so vielen Edlen angestrebten Idee gebracht wird“. Die Münchner Festorganisatoren empfanden dieses Berliner Ansinnen als Bedrohung des bayerischen Festcharakters und lehnten es strikt ab. Schließlich einigte man sich auf ein harmloses Zugeständnis, indem man 1876 das herkömmliche Adlerschießen durch ein Schießen auf eine „Reichsadlerscheibe“ ersetzte, die an einem künstlichen Gebirgsfelsen befestigt war. Wurde das Ziel getroffen, stieg ein Reichsadler empor, während seitwärts gleichzeitig ein blauweißer Herold hervor trat, der einen Freudenschuss abgab. Mit dieser symbolischen Geste sollten die Reichsinteressen gewürdigt werden, das bayerische Wesen des Oktoberfests jedoch weiterhin Geltung behalten.
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Abb. 10:
Prinzreget Luitpold (1821–1912) trifft auf dem Oktoberfest ein. – Undatierte Postkarte.
Wenngleich sich der deutschnationale Kurs der Reichsspitze auf der Theresienwiese nicht endgültig gegen den bayerischen Patriotismus durchsetzen konnte, so bekam doch die Reichspolitik hier eine Plattform, um ihre Interessen und Ziele zu präsentieren. Vor allem Imperialismus und Kolonialismus fanden Eingang auf dem Oktoberfest und spiegelten sich in dem bunten Getümmel exotischer Völkerschauen.
Sie wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in den europäischen Kolonialmächten populär. Auf Jahrmärkten und Volksfesten, in Ausstellungen oder im Zirkus stellte man Ureinwohner außereuropäischer Länder vor einem Massenpublikum zur Schau. Diese neue Attraktion war vorbereitet worden durch die Expeditionsreisen Alexander von Humboldts (1769–1859) und wissenschaftliche Publikationen von Naturforschern. Die Faszination des Fremden, Ursprünglichen erfasste die Menschen und weckte ihre Neugier. Da die Möglichkeit zu reisen nur Wenigen vorbehalten war, wurde die Welt ins eigene Land geholt.

Kolonialismus
Als Beginn des neuzeitlichen Kolonialismus gelten die spanischen und portugiesischen Landnahmen in Afrika und Südamerika gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Breitere Stoßkraft gewann der Kolonialismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europäischen Großmächte systematisch begannen, ihre Herrschaft auf außereuropäische Überseegebiete in Afrika und Asien auszuweiten und weite Teile der Welt unter sich aufzuteilen. Gegenüber diesem Trend setzte die deutsche Kolonialpolitik erst verspätetet ein, als Reichskanzler Otto von Bismarck ab 1884 afrikanische Gebiete zu deutschen „Schutzgebieten“ und einige Zeit später zu Kolonien erklärte. Nach seinem Ausscheiden als Kanzler 1890 entwickelte sich der Imperialismus unter Kaiser Wilhelm II. zu einer prestigeträchtigen und machtpolitischen Stoßrichtung. Die deutsche Außenpolitik strebte danach, ihren politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und strategischen Einfluss als Kolonialmacht zu steigern. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entzogen die Siegermächte Deutschland seinen gesamten Kolonialbesitz und unterstellten ihn dem Völkerbund, der ihn als Mandatsgebiete an die Siegermächte weitergab.
Hinter dem Interesse an fremden Völkern stand in der Zeit des Imperialismus und der kolonialen Expansion aber auch die Vorstellung vom missionarischen Sendungsbewusstsein und Überlegenheitsgefühl der weißen Rasse. Die von dem französischen Schriftsteller Arthur de Gobineau (1816–1882) begründete Rassentheorie sowie der Sozialdarwinismus mit der Lehre von der natürlichen Auslese und dem Überlebenskampf als Grundform menschlicher Beziehungen waren populär. Dieses Denken wurde durch die öffentlichen Zurschaustellungen der exotischen „Wilden“ gefördert. Es entstand ein lukrativer Markt, der mit „anthropologisch-zoologischen Ausstellungen“ die Erwartungen aller Bevölkerungsschichten erfüllte – von der naiven Sensationslust über das wissenschaftliche Informationsbedürfnis bis zum rassistischen Fanatismus.
In Deutschland fasste das neue Gewerbe Fuß, als nach der Reichsgründung eine Reichs-Wandergewerbeordnung erlassen wurde, die überregionale Großveranstaltungen zuließ. Nun konnten Veranstaltungskünstler erstmals deutschlandweit tätig werden. Carl Hagenbeck (1844–1913), Tierhändler und Zoodirektor aus Hamburg, ergriff die Gunst der Stunde: Er verfolgte mit seinen Präsentationen von Ureinwohnern der deutschen Kolonien die erklärte Absicht, zur Volksbildung beizutragen und „die deutschen Kolonialinteressen“ zu unterstützen.
Ab 1875 organisierte er Völkerschauen in ganz Deutschland, deren „Schauobjekte“ er in der Regel aus Südostasien oder Afrika anwarb. Ab 1879 erschien Hagenbeck auf dem Oktoberfest, das zum zentralen Ort für völkerkundliche Vorführungen in Bayern wurde. Hier wurde einer breiten Öffentlichkeit die Kolonialpolitik der Reichsregierung nahegebracht, ihr Interesse an den neuen „Untertanen“ aus Übersee geweckt und ebenso Lehrreiches wie fremdländisch Irritierendes über sie vermittelt. Hier wurde schließlich auch die Bevölkerung auf die weltanschauliche Linie der Reichspolitik eingestimmt und für ihre politischen Expansionsziele gewonnen.
Hagenbeck eröffnete die Serie an Vorführungen außereuropäischer Völkerstämme mit seiner aus 30 Personen bestehenden „Nubierkarawane“. Das staunende Münchner Publikum, zu dem sich auch der Hof und die Spitzen der Gesellschaft gesellten, musterte die Eingeborenen hinter einer Absperrung wie wilde Tiere. Als 1910 eine Abordnung der pazifischen Inselgruppe Samoa im Zuge ihrer Deutschland-Tournee auf dem Oktoberfest erschien, stattete Prinzregent Luitpold der Schau einen längeren Besuch ab, ließ sich Fürst Tamasese und seine Gemahlin vorstellen und tauschte mit ihnen Geschenke aus. Luitpold erhielt eine samoasische Königsmatte und einen Fächer und ließ sich die Tätowierung der Samoaner erläutern.
Obgleich 1901 die deutsche Regierung Völkerschauen mit Angehörigen der Kolonialvölker verbot, wurde die beliebte Tradition Hagenbecks in München weitergeführt, und zwar von dem Oktoberfest-Unternehmer Carl Gabriel (1857–1931), der nun mit Riesenvölkerschauen aufwartete. 1890 organisierte er eine „Beduinenkarawane“, 1901 das „Sudanesendorf“, 1904 die „Tunesen“, 1906 „Wild-Afrika“, 1910 „Samoa in München“ oder 1930 die „Lippennegerinnen“, von deren Gesängen das Münchner Völkerkundemuseum Schallplattenaufnahmen anfertigen ließ.
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Abb. 11:
Beduinen präsentieren sich in einheimischer Tracht auf der Festwiese vor Bavaria und Ruhmeshalle vor dem Münchner bürgerlichen Publikum, das hinter einer Absperrung steht.
Neben den Völkerschauen hatten auch Abnormitätenschauen mit missgebildeten Menschen und zoologische Darbietungen mit Tieren, die in Europa noch wenig bekannt waren, beispielsweise Bären, Kamele oder Affen, großen Zulauf. Die zoologischen Schauen hielten sich so lange, bis 1911 der Münchner Tierpark Hellabrunn eröffnet wurde. Obwohl die Völkerschauen in der Weimarer Epoche nur eine schwache Renaissance erlebten, gab es sie vereinzelt bis in die 1930er-Jahre hinein. 1931 fand die letzte Ausstellung „Kanaken der Südsee“ von John Hagenbeck (1866–1940), dem Halbbruder Carl Hagenbecks, auf dem Münchner Oktoberfest statt.
Dieser Einfluss des Reiches, vornehmlich seine Kolonialpolitik, löste als Gegenbewegung eine historisch-nostalgische Rückbesinnung auf die bayerischen Entwicklungslinien des Oktoberfestes aus. Festzüge, die zwischen 1853 und 1894 nicht stattgefunden hatten, wurden neu belebt, wobei die Teilnehmer in der Prinzregentenzeit seltener in Tracht, sondern bevorzugt in historischen Kostümen aufmarschierten. Das Hauptaugenmerk lag auf der Nachstellung geschichtlicher, meist mittelalterlicher Ereignisse. Veranstaltet wurden die Züge von privaten Organisationen, wie der Armbrustschützengilde „Winzerer Fähndl“, die 1895, 1896 und 1898 Umzüge zum Oktoberfest mit historischen Bezügen und Verkleidungen durchführten.

„Winzerer Fähndl“
Als 1887 in Bad Tölz ein Kriegerdenkmal zur Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg von 1870 errichtet werden sollte, griff man aufgrund des Vorschlags des Münchner Geschichtsprofessors Johann Nepomuk Sepp (1816–1909) auf den aus Bad Tölz stammenden Landsknecht Kaspar Winzerer zurück, der 1525 auf kaiserlicher Seite in der Schlacht von Pavia gekämpft hatte, bei der der französische König Franz I. (1494–1547) in Gefangenschaft geraten war. Dieses Ereignis wurde nun in Parallele gesetzt mit der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. (1808–1873) in der Schlacht von Sedan im September 1870. Die Feierlichkeiten zur Einweihung des Denkmals am 26. Juni 1887 fanden in Gegenwart von Prinzregent Luitpold statt. Tausende von Kriegsveteranen und Schützen zogen in einem Huldigungszug an ihm vorüber. Den Schluss des Zuges bildete eine historisch originalgetreue Abbildung der ehemaligen Landsknechte unter der Leitung Kaspar Winzerers. Am selben Tag noch gründete diese Gruppe spontan eine „Hauptmannschaft Winzerer Fähndl“ zu dem Zweck „der Pflege alten deutschen Sinnes und Wesens und alter deutscher Sitten sowie um bereit zu sein, falls aus Anlaß patriotischer Festlichkeiten wegen Veranstaltung eines historischen altertümlichen Aufzuges an sie herangetreten würde“. Die Vereinigung führte künftig historische Kostümfeste und Umzüge auf. Sie suchte 1891 Anschluss an die Nürnberger Stahlbogen-Schützen-Gesellschaft „Schneppergraben“, um das Armbrustschießen zu praktizieren. 1895 konstituierte sich die „Armbrustschützengilde Winzerer Fähndl“, die im selben Jahr zum ersten Mal einen Festzug zum Münchner Oktoberfest organisierte und dort ein großes Armbrustschießen veranstaltete. Dieses entwickelte sich zu einer der großen Festtraditionen.
Der neue Festumzug behauptete sich dauerhaft und begründete die bis heute fortbestehende Tradition des Trachten- und Schützenumzugs am ersten Wiesnsonntag. Neben seinem historisierenden Charakter offenbarte der neue Zug schon bald einen Trend zum modernen Folklorestil mit kommerziellem Hintergrund, der von den städtischen Behörden nach anfänglicher Skepsis als Werbemaßnahme für das Oktoberfest begrüßt und gefördert wurde.

Industrialisierung und Technik verändern das Gesicht des Festes

Schon seit der Jahrhundertmitte hatten sich verstärkt moderne Strömungen wie Technisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung des Oktoberfestbetriebs bemächtigt. Sie führten zu einem Modernisierungsschub und bereiteten den Boden für die spätere Entwicklung des Oktoberfests zu einer Massenveranstaltung. Als wesentliche Voraussetzung dafür ist der einheitliche deutsche Rechts- und Verkehrsraum zu nennen, der im Zuge der Reichseinheit seit 1870/71 entstanden war. Viele Schaustellerbetriebe durchzogen von nun an das Reich von Volksfest zu Volksfest. Die Organisation und Durchführung des Vergnügungsbetriebs wurde ve...

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