Das Oktoberfest
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Das Oktoberfest

Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists

Sylvia Krauss-Meyl

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  1. 144 pages
  2. German
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Das Oktoberfest

Zwei Jahrhunderte Spiegel des Zeitgeists

Sylvia Krauss-Meyl

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Bier, Brez'n und Gaudi - aber bei Weitem nicht nur das: Das Oktoberfest ist von seiner historischen Wirkung her viel mehr als nur das grĂ¶ĂŸte Volksfest der Welt. "Die Wiesn" war seit ihrer GrĂŒndung im Jahr 1810 in jeder Entwicklungsphase Spiegel und ProjektionsflĂ€che des jeweiligen Zeitgeistes. Das Fest diente als politisches Instrument zur UmSetzung programmatisch-ideologischer ZielSetzungen und als Motor des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts. Als zentrale Veranstaltung begleitete es die Geschichte Bayerns: vom Beginn der Monarchie durch alle ihre Herrschaftsepochen, ĂŒber ihr Ende hinaus und bis zum heutigen Tag - mit seinen weltweiten Globalisierungsfaktoren und bayerischen IdentitĂ€tsmerkmalen.

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Informations

Éditeur
Pustet, F
Année
2015
ISBN
9783791760513
Édition
1

Zwischen ReichsgrĂŒndung und Sturz der Monarchie

Mit der deutschen ReichsgrĂŒndung, die auf den deutsch-französischen Krieg von 1870 folgte, und die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser im Januar 1871 wandelte sich die politische Situation Bayerns grundlegend. Preußen ĂŒbernahm die FĂŒhrungsrolle im neuen Deutschen Kaiserreich und bestimmte kĂŒnftig den politischen Kurs. Das Königreich Bayern war fortan nur mehr einer der sechsundzwanzig deutschen Bundesstaaten. Es bĂŒĂŸte durch die neue Reichsverfassung seine SouverĂ€nitĂ€t ein, wenngleich seine staatliche Einheit gewahrt blieb und so genannte „Reservatrechte“ seine Autonomie in einigen Bereichen der inneren Verwaltung, beim MilitĂ€rwesen und bei diplomatischen Vertretungen im Ausland weiterhin garantierten.
Doch ließ sich nicht verhindern, dass in den folgenden Jahrzehnten durch das Übergewicht der Reichspolitik die bayerische NationalitĂ€t verstĂ€rkt in den Hintergrund trat und sich Bayern fĂŒr gesamtdeutsche EinflĂŒsse öffnete.
Diese Entwicklung verÀnderte auch den Charakter des Oktoberfests, das, bisher Spiegelbild vorwiegend innerbayerischer VorgÀnge, nun auch die deutsche Reichspolitik reflektierte.
Zum zentralen außenpolitischen Programmpunkt des Kaiserreiches stieg die imperialistische Kolonialpolitik auf. Nach der Entlassung des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815–1898) im Jahr 1890, der den KolonialplĂ€nen zurĂŒckhaltend gegenĂŒbergestanden hatte, forcierte der 1888 auf den Thron gestiegene junge Kaiser Wilhelm II. (1859–1941) eine expansive Außenpolitik, mit der er Deutschland „Weltgeltung“ und einen „Platz an der Sonne“ sichern wollte.
Innenpolitisch war das Kaiserreich eine Zeit der Hochindustrialisierung, des technischen Fortschritts und des Durchbruchs zur modernen Industriegesellschaft mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Diese inneren und Ă€ußeren Entwicklungsfaktoren entfalteten sich deutschlandweit und schlugen sich auch auf dem Oktoberfest nieder.

Vom menschenscheuen MĂ€rchenkönig zum volkstĂŒmlichen Prinzregenten

Ludwig II. (1845–1886), der seinem frĂŒh verstorbenen Vater 1864 auf dem Thron folgte, war der erste Bayernkönig, der die Möglichkeiten, die das Fest fĂŒr die Inszenierung von politischen Konzepten und Herrschaftsvorstellungen bot, nicht nutzte. Er teilte weder das VerantwortungsgefĂŒhl noch die WertschĂ€tzung seiner VorgĂ€nger fĂŒr das Volksfest und besuchte es bis zum Jahr 1874 nur sporadisch, danach ĂŒberhaupt nicht mehr. Es gab in seiner Regierungszeit auch keine offiziellen OktoberfestumzĂŒge. Ludwigs Interessen lagen weit entfernt vom volkstĂŒmlichen Geschehen auf dem Festplatz und distanzierten sich immer mehr von den Anliegen seiner Untertanen.
Dass wĂ€hrend seiner Regierungszeit der Hauptsonntag des Oktoberfests vom Oktober in den September vorverlegt wurde, wurde zwar mit dem schlechten Wetter begrĂŒndet, das die Organisatoren viele Jahre hintereinander zum vorzeitigen Abbruch des Festes gezwungen hatte. Doch konnte man diesen Schritt 1872 nun leichter als frĂŒher vollziehen, da von dem desinteressierten König kein Protest zu erwarten war, den 12. Oktober als Höhepunkt aufzugeben, der als Hochzeitsdatum seiner Großeltern und als Namens- und Sterbetag seines Urgroßvaters jahrzehntelang eine hohe symbolische Wirkung gehabt hatte. Die Erinnerung an diese UrsprĂŒnge blieb im Fortbestand des Namens „Oktoberfest“ lebendig.
Das Fest besaß inzwischen so viel StabilitĂ€t, dass es sich trotz der mangelnden Protektion des Königs dynamisch weiterentwickelte. Die ReichsgrĂŒndung als politischer und die Industrialisierung als wirtschaftlicher Faktor schufen neue Grundlagen fĂŒr die Modernisierung des Festes und stellten Weichen fĂŒr seine spĂ€tere Ausrichtung hin zum Massenkonsum.
Unter Prinzregent Luitpold (1821–1912), der nach dem tragischen Tod Ludwigs 1886 das Staatsruder ĂŒbernehmen musste, da Ludwigs Bruder und Nachfolger König Otto (1848–1916) regierungsunfĂ€hig war, konnte sich das Oktoberfest noch einmal in höfischer Gunst sonnen. WĂ€hrend Luitpolds Regentschaft erlebte der monarchisch-patriotische Grundcharakter des Fests seine letzte Glanzzeit, bevor die bayerische Monarchie mit dem Ende des Ersten Weltkriegs unterging. Mit ernstem Pflichtbewusstsein, unprĂ€tentiöser Lebensart und bescheidenem Auftreten gewann Luitpold die Zuneigung der Bevölkerung. So konnte er den Prestigeverlust der Monarchie nach der EntmĂŒndigung Ludwigs II. sowie Schuldzuweisungen wegen dessen mysteriösen Todes und Vorhaltungen bezĂŒglich seiner RegentschaftsĂŒbernahme ĂŒberzeugend entkrĂ€ften. Luitpold verkörperte die konservativen, bayerisch-patriotischen ZĂŒge des Königtums und stand in der bewegten Phase des industriellen Aufbruchs als glaubwĂŒrdiges Gegengewicht im Strom der Zeit. Dass er bis kurz vor seinem Tod das Oktoberfest regelmĂ€ĂŸig mit seiner Anwesenheit beehrte und auf dem Festplatz als volksnahe, leutselige Vaterfigur auftrat, machte das Fest zu einem Ort, an dem altbayerische Idylle und historisches Bewusstsein noch erfahrbar waren.

Die Reichspolitik bemÀchtigt sich des bayerischen Fests

Nach der ReichsgrĂŒndung 1870/71 war ein Abflauen des patriotischen Elans auf dem Oktoberfest festzustellen. Deutsch-nationale Strömungen erreichten das Volksfest und es wurden Forderungen laut, das bayerische in ein deutsches Nationalfest umzugestalten mit der BegrĂŒndung, „dass das Oktoberfest dauernd nur prosperieren wird, wenn es in Verbindung mit einer Erinnerungsfeier an die frĂŒheren und die in den Jahren 1870 und 1871 erkĂ€mpften Siege und mit der dadurch redlich errungenen Einheit Deutschlands, dieser großen, lange gehegten und von so vielen Edlen angestrebten Idee gebracht wird“. Die MĂŒnchner Festorganisatoren empfanden dieses Berliner Ansinnen als Bedrohung des bayerischen Festcharakters und lehnten es strikt ab. Schließlich einigte man sich auf ein harmloses ZugestĂ€ndnis, indem man 1876 das herkömmliche Adlerschießen durch ein Schießen auf eine „Reichsadlerscheibe“ ersetzte, die an einem kĂŒnstlichen Gebirgsfelsen befestigt war. Wurde das Ziel getroffen, stieg ein Reichsadler empor, wĂ€hrend seitwĂ€rts gleichzeitig ein blauweißer Herold hervor trat, der einen Freudenschuss abgab. Mit dieser symbolischen Geste sollten die Reichsinteressen gewĂŒrdigt werden, das bayerische Wesen des Oktoberfests jedoch weiterhin Geltung behalten.
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Abb. 10:
Prinzreget Luitpold (1821–1912) trifft auf dem Oktoberfest ein. – Undatierte Postkarte.
Wenngleich sich der deutschnationale Kurs der Reichsspitze auf der Theresienwiese nicht endgĂŒltig gegen den bayerischen Patriotismus durchsetzen konnte, so bekam doch die Reichspolitik hier eine Plattform, um ihre Interessen und Ziele zu prĂ€sentieren. Vor allem Imperialismus und Kolonialismus fanden Eingang auf dem Oktoberfest und spiegelten sich in dem bunten GetĂŒmmel exotischer Völkerschauen.
Sie wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in den europĂ€ischen KolonialmĂ€chten populĂ€r. Auf JahrmĂ€rkten und Volksfesten, in Ausstellungen oder im Zirkus stellte man Ureinwohner außereuropĂ€ischer LĂ€nder vor einem Massenpublikum zur Schau. Diese neue Attraktion war vorbereitet worden durch die Expeditionsreisen Alexander von Humboldts (1769–1859) und wissenschaftliche Publikationen von Naturforschern. Die Faszination des Fremden, UrsprĂŒnglichen erfasste die Menschen und weckte ihre Neugier. Da die Möglichkeit zu reisen nur Wenigen vorbehalten war, wurde die Welt ins eigene Land geholt.

Kolonialismus
Als Beginn des neuzeitlichen Kolonialismus gelten die spanischen und portugiesischen Landnahmen in Afrika und SĂŒdamerika gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Breitere Stoßkraft gewann der Kolonialismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europĂ€ischen GroßmĂ€chte systematisch begannen, ihre Herrschaft auf außereuropĂ€ische Überseegebiete in Afrika und Asien auszuweiten und weite Teile der Welt unter sich aufzuteilen. GegenĂŒber diesem Trend setzte die deutsche Kolonialpolitik erst verspĂ€tetet ein, als Reichskanzler Otto von Bismarck ab 1884 afrikanische Gebiete zu deutschen „Schutzgebieten“ und einige Zeit spĂ€ter zu Kolonien erklĂ€rte. Nach seinem Ausscheiden als Kanzler 1890 entwickelte sich der Imperialismus unter Kaiser Wilhelm II. zu einer prestigetrĂ€chtigen und machtpolitischen Stoßrichtung. Die deutsche Außenpolitik strebte danach, ihren politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und strategischen Einfluss als Kolonialmacht zu steigern. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entzogen die SiegermĂ€chte Deutschland seinen gesamten Kolonialbesitz und unterstellten ihn dem Völkerbund, der ihn als Mandatsgebiete an die SiegermĂ€chte weitergab.
Hinter dem Interesse an fremden Völkern stand in der Zeit des Imperialismus und der kolonialen Expansion aber auch die Vorstellung vom missionarischen Sendungsbewusstsein und ÜberlegenheitsgefĂŒhl der weißen Rasse. Die von dem französischen Schriftsteller Arthur de Gobineau (1816–1882) begrĂŒndete Rassentheorie sowie der Sozialdarwinismus mit der Lehre von der natĂŒrlichen Auslese und dem Überlebenskampf als Grundform menschlicher Beziehungen waren populĂ€r. Dieses Denken wurde durch die öffentlichen Zurschaustellungen der exotischen „Wilden“ gefördert. Es entstand ein lukrativer Markt, der mit „anthropologisch-zoologischen Ausstellungen“ die Erwartungen aller Bevölkerungsschichten erfĂŒllte – von der naiven Sensationslust ĂŒber das wissenschaftliche InformationsbedĂŒrfnis bis zum rassistischen Fanatismus.
In Deutschland fasste das neue Gewerbe Fuß, als nach der ReichsgrĂŒndung eine Reichs-Wandergewerbeordnung erlassen wurde, die ĂŒberregionale Großveranstaltungen zuließ. Nun konnten VeranstaltungskĂŒnstler erstmals deutschlandweit tĂ€tig werden. Carl Hagenbeck (1844–1913), TierhĂ€ndler und Zoodirektor aus Hamburg, ergriff die Gunst der Stunde: Er verfolgte mit seinen PrĂ€sentationen von Ureinwohnern der deutschen Kolonien die erklĂ€rte Absicht, zur Volksbildung beizutragen und „die deutschen Kolonialinteressen“ zu unterstĂŒtzen.
Ab 1875 organisierte er Völkerschauen in ganz Deutschland, deren „Schauobjekte“ er in der Regel aus SĂŒdostasien oder Afrika anwarb. Ab 1879 erschien Hagenbeck auf dem Oktoberfest, das zum zentralen Ort fĂŒr völkerkundliche VorfĂŒhrungen in Bayern wurde. Hier wurde einer breiten Öffentlichkeit die Kolonialpolitik der Reichsregierung nahegebracht, ihr Interesse an den neuen „Untertanen“ aus Übersee geweckt und ebenso Lehrreiches wie fremdlĂ€ndisch Irritierendes ĂŒber sie vermittelt. Hier wurde schließlich auch die Bevölkerung auf die weltanschauliche Linie der Reichspolitik eingestimmt und fĂŒr ihre politischen Expansionsziele gewonnen.
Hagenbeck eröffnete die Serie an VorfĂŒhrungen außereuropĂ€ischer VölkerstĂ€mme mit seiner aus 30 Personen bestehenden „Nubierkarawane“. Das staunende MĂŒnchner Publikum, zu dem sich auch der Hof und die Spitzen der Gesellschaft gesellten, musterte die Eingeborenen hinter einer Absperrung wie wilde Tiere. Als 1910 eine Abordnung der pazifischen Inselgruppe Samoa im Zuge ihrer Deutschland-Tournee auf dem Oktoberfest erschien, stattete Prinzregent Luitpold der Schau einen lĂ€ngeren Besuch ab, ließ sich FĂŒrst Tamasese und seine Gemahlin vorstellen und tauschte mit ihnen Geschenke aus. Luitpold erhielt eine samoasische Königsmatte und einen FĂ€cher und ließ sich die TĂ€towierung der Samoaner erlĂ€utern.
Obgleich 1901 die deutsche Regierung Völkerschauen mit Angehörigen der Kolonialvölker verbot, wurde die beliebte Tradition Hagenbecks in MĂŒnchen weitergefĂŒhrt, und zwar von dem Oktoberfest-Unternehmer Carl Gabriel (1857–1931), der nun mit Riesenvölkerschauen aufwartete. 1890 organisierte er eine „Beduinenkarawane“, 1901 das „Sudanesendorf“, 1904 die „Tunesen“, 1906 „Wild-Afrika“, 1910 „Samoa in MĂŒnchen“ oder 1930 die „Lippennegerinnen“, von deren GesĂ€ngen das MĂŒnchner Völkerkundemuseum Schallplattenaufnahmen anfertigen ließ.
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Abb. 11:
Beduinen prĂ€sentieren sich in einheimischer Tracht auf der Festwiese vor Bavaria und Ruhmeshalle vor dem MĂŒnchner bĂŒrgerlichen Publikum, das hinter einer Absperrung steht.
Neben den Völkerschauen hatten auch AbnormitĂ€tenschauen mit missgebildeten Menschen und zoologische Darbietungen mit Tieren, die in Europa noch wenig bekannt waren, beispielsweise BĂ€ren, Kamele oder Affen, großen Zulauf. Die zoologischen Schauen hielten sich so lange, bis 1911 der MĂŒnchner Tierpark Hellabrunn eröffnet wurde. Obwohl die Völkerschauen in der Weimarer Epoche nur eine schwache Renaissance erlebten, gab es sie vereinzelt bis in die 1930er-Jahre hinein. 1931 fand die letzte Ausstellung „Kanaken der SĂŒdsee“ von John Hagenbeck (1866–1940), dem Halbbruder Carl Hagenbecks, auf dem MĂŒnchner Oktoberfest statt.
Dieser Einfluss des Reiches, vornehmlich seine Kolonialpolitik, löste als Gegenbewegung eine historisch-nostalgische RĂŒckbesinnung auf die bayerischen Entwicklungslinien des Oktoberfestes aus. FestzĂŒge, die zwischen 1853 und 1894 nicht stattgefunden hatten, wurden neu belebt, wobei die Teilnehmer in der Prinzregentenzeit seltener in Tracht, sondern bevorzugt in historischen KostĂŒmen aufmarschierten. Das Hauptaugenmerk lag auf der Nachstellung geschichtlicher, meist mittelalterlicher Ereignisse. Veranstaltet wurden die ZĂŒge von privaten Organisationen, wie der ArmbrustschĂŒtzengilde „Winzerer FĂ€hndl“, die 1895, 1896 und 1898 UmzĂŒge zum Oktoberfest mit historischen BezĂŒgen und Verkleidungen durchfĂŒhrten.

„Winzerer FĂ€hndl“
Als 1887 in Bad Tölz ein Kriegerdenkmal zur Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg von 1870 errichtet werden sollte, griff man aufgrund des Vorschlags des MĂŒnchner Geschichtsprofessors Johann Nepomuk Sepp (1816–1909) auf den aus Bad Tölz stammenden Landsknecht Kaspar Winzerer zurĂŒck, der 1525 auf kaiserlicher Seite in der Schlacht von Pavia gekĂ€mpft hatte, bei der der französische König Franz I. (1494–1547) in Gefangenschaft geraten war. Dieses Ereignis wurde nun in Parallele gesetzt mit der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. (1808–1873) in der Schlacht von Sedan im September 1870. Die Feierlichkeiten zur Einweihung des Denkmals am 26. Juni 1887 fanden in Gegenwart von Prinzregent Luitpold statt. Tausende von Kriegsveteranen und SchĂŒtzen zogen in einem Huldigungszug an ihm vorĂŒber. Den Schluss des Zuges bildete eine historisch originalgetreue Abbildung der ehemaligen Landsknechte unter der Leitung Kaspar Winzerers. Am selben Tag noch grĂŒndete diese Gruppe spontan eine „Hauptmannschaft Winzerer FĂ€hndl“ zu dem Zweck „der Pflege alten deutschen Sinnes und Wesens und alter deutscher Sitten sowie um bereit zu sein, falls aus Anlaß patriotischer Festlichkeiten wegen Veranstaltung eines historischen altertĂŒmlichen Aufzuges an sie herangetreten wĂŒrde“. Die Vereinigung fĂŒhrte kĂŒnftig historische KostĂŒmfeste und UmzĂŒge auf. Sie suchte 1891 Anschluss an die NĂŒrnberger Stahlbogen-SchĂŒtzen-Gesellschaft „Schneppergraben“, um das Armbrustschießen zu praktizieren. 1895 konstituierte sich die „ArmbrustschĂŒtzengilde Winzerer FĂ€hndl“, die im selben Jahr zum ersten Mal einen Festzug zum MĂŒnchner Oktoberfest organisierte und dort ein großes Armbrustschießen veranstaltete. Dieses entwickelte sich zu einer der großen Festtraditionen.
Der neue Festumzug behauptete sich dauerhaft und begrĂŒndete die bis heute fortbestehende Tradition des Trachten- und SchĂŒtzenumzugs am ersten Wiesnsonntag. Neben seinem historisierenden Charakter offenbarte der neue Zug schon bald einen Trend zum modernen Folklorestil mit kommerziellem Hintergrund, der von den stĂ€dtischen Behörden nach anfĂ€nglicher Skepsis als Werbemaßnahme fĂŒr das Oktoberfest begrĂŒĂŸt und gefördert wurde.

Industrialisierung und Technik verÀndern das Gesicht des Festes

Schon seit der Jahrhundertmitte hatten sich verstĂ€rkt moderne Strömungen wie Technisierung, Kommerzialisierung und Professionalisierung des Oktoberfestbetriebs bemĂ€chtigt. Sie fĂŒhrten zu einem Modernisierungsschub und bereiteten den Boden fĂŒr die spĂ€tere Entwicklung des Oktoberfests zu einer Massenveranstaltung. Als wesentliche Voraussetzung dafĂŒr ist der einheitliche deutsche Rechts- und Verkehrsraum zu nennen, der im Zuge der Reichseinheit seit 1870/71 entstanden war. Viele Schaustellerbetriebe durchzogen von nun an das Reich von Volksfest zu Volksfest. Die Organisation und DurchfĂŒhrung des VergnĂŒgungsbetriebs wurde ve...

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