III
Die Entwicklung einer Live-Kommunikation
Die folgenden Kapitel beschreiben Konzeption und Durchführung der Führungskräftekonferenzen der ING-DiBa in den Jahren 2004 bis 2008. Besonderer Wert wird dabei auf die Weiterentwicklung des Konzepts der Konferenzen gelegt. Dabei meint Konzept nicht einen theoretischen Überbau, sondern die planvolle und systematische Optimierung von Instrumenten auf der Grundlage von Erfahrungen. Und diese Optimierung hat dabei das Ziel, die Konferenz so bedarfsgerecht und zielgruppenorientiert wie möglich zu realisieren.
Jede Konferenz basierte auf dem Ergebnis der vorhergegangenen Konferenz, auf den positiven und negativen Erfahrungen, die gemacht wurden, und auf den strategischen und inhaltlichen Rahmenbedingungen, die die Entwicklung der ING-DiBa selbst vorgaben. Man kann sagen, dass jede Konferenz mit ihrem jeweiligen Format den Bedürfnissen der Organisation zu einem gegebenen Zeitpunkt entsprach. Deswegen ist es zunächst falsch, von einer reinen Weiterentwicklung zu sprechen, die darauf abzielt, immer „bessere“ Konferenzen zu gestalten. Es kann durchaus sein, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt ein sehr traditionelles Konferenzformat angemessener ist als ein modernes. Aktuell wäre beispielsweise die Frage zu stellen, wie ein Unternehmen seine Führungskräftekonferenz der Finanz- und Wirtschaftskrise anpasst. Kommunikation ist Dienstleistung und kein Selbstzweck. Auch wenn modernere Formate dem Kommunikationsprofi anspruchsvoller erscheinen mögen, so entscheiden über die Berechtigung eines Instruments doch zuerst und zuletzt die Bedürfnisse des Unternehmens.
Die Beschreibung der Konferenzen setzt darauf, dass es eine endliche Anzahl von wesentlichen Möglichkeiten der Gestaltung gibt. Die vorgestellten Instrumente sollten den Kanon des Möglichen abdecken. Die Erfahrung zeigt, dass sich die zentralen Fragen immer um dieselben Aufgabenstellungen drehen. Darin liegt auch ein Merkmal von Führungskräftekommunikation insgesamt: Es finden sich nur wenige Mittel, die letztlich erfolgreich und nachhaltig Anwendung finden. Es kommt weniger auf die Originalität der Mittel als auf den überzeugenden, integrierten und glaubwürdigen Einsatz dieser Mittel an. Dies korrespondiert mit dem Ansatz des hier entwickelten Verständnisses einer Führungskräftekommunikation, die an lediglich zwei Koordinaten ausgerichtet ist und ansonsten auf Commitment, Veränderungsbereitschaft und handwerkliche Qualität setzt.
1 Initiation: Kronberg
Wie in den meisten Unternehmen war das Interesse an den klassischen Themen der Unternehmenskultur auch in der ING-DiBa nicht von Anfang an vorhanden, sondern wuchs sukzessive. Bereits 1965 als Bank für Sparanlagen und Vermögensbildung gegründet, entwickelte sie sich seit Ende der 90er Jahre rapide weiter und veränderte sich dabei von Grund auf. Als 2003 die niederländische ING Group die Bank vollständig übernimmt, ist das Unternehmen schon auf dem Weg zur größten Direktbank Europas. Das enorme Wachstum der folgenden Jahre lässt Themen der Unternehmenskultur an Bedeutung gewinnen. Die Besonderheit dieser Entwicklung besteht darin, dass diese Themen aufgrund des neu installierten Instruments Führungskräftekonferenz initiiert wurden. Die Konferenz diente dabei als Inspiration und Katalysator.
Diese spezielle Ausgangslage dürfte sich in den meisten anderen Unternehmen nicht wiederfinden. Sie hat aber, was den vorliegenden Best-Practice-Fall betrifft, ihre unbestreitbaren Vorteile: eine umfangreiche Erprobung verschiedenster Konzepte und Instrumente in der Praxis über einen längeren Zeitraum hinweg, Konzeption und Umsetzung aus einer Hand und schließlich zumeist eine nachweisbare Erfolgskontrolle. Vor allem aber bietet das kompakte und übersichtliche Szenario der Konferenz die ideale Grundlage für eine praxisnahe Beschreibung mit einem Nutzwert, der den Anforderungen der realen Unternehmenswirklichkeit standhält.
Man kann von einer strategischen Warte aus betrachtet die Führungskräftekonferenzen als Assessments zur Selbstreflexion des Unternehmens verstehen. Sie helfen, dem Unternehmen zu verdeutlichen, in welcher Phase seiner Entwicklung es sich befindet und welchen Unternehmenstypus es zu einem gegebenen Zeitpunkt verkörpert. Diese lohnende interne Diskussion kann hier nur angedeutet werden, ist aber insbesondere für junge Unternehmen hilfreich.
Abbildung 12: Entwicklungsphasen
Grundlage der Darstellung ist die von Bernhard Lievegoed entwickelte Theorie der drei Entwicklungsphasen, in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Organisationen im Wandel“ erschienen: der Pionier-, der Dif-ferenzierungs- und der Integrationsphase. Friedrich Glasl ergänzt das Dreiphasenmodell der Organisationsentwicklung durch eine vierte Phase, die Assoziationsphase. Das Charakteristische der vier idealtypischen Entwicklungsphasen einer Organisation manifestiert sich in einer bestimmten Unternehmensidentität. Diese lässt sich anhand der daneben stehenden Persönlichkeitstypen von Lawrence Miller charakterisieren. Sie vervollständigen das bisherige Bild der Unternehmenspersönlichkeit aus Sicht einer evolutionären Unternehmenspolitik, deren konstitutive Elemente in der Darstellung rechts stehen.
Generell müssen Instrumente und Entwicklungsphase zueinander passen. In den folgenden Kapiteln wird deutlich, dass die Steigerung des Niveaus der Führungskräftekonferenz sukzessive verlief. Alles beginnt mit der strategischen Entscheidung, dass das Unternehmen eine Führungskräftekonferenz braucht. Die zentrale Erkenntnis war, dass die bestehenden Kommunikationsinstrumente für die Gestaltung der Unternehmenskultur der Zukunft keine hinreichende Plattform existierte. Weder durch ihren Themenumfang noch mit ihrer personellen Ausstattung waren die vorhandenen Ressourcen geeignet, die notwendigen Entwicklungen transparent zu machen und in die Organisation einzubringen. Dies sollte Aufgabe des neuen „Instruments“ Führungskräftekonferenz sein.
Eine solche strategische Entscheidung steht häufig am Anfang der Entwicklung hin zu einer differenzierten Unternehmenskultur. Dabei stellen sich zuerst zwei grundsätzliche Fragen:
1. Für welchen Teilnehmerkreis wird das neue Instrument konzipiert?
2. Mit welchen Mitteln und Botschaften kann die neu einzuführende Veranstaltung arbeiten?
Unternehmen, die keine Erfahrungen mit Führungskräftekonferenzen haben, starten mit konventionellen Konzepten. Eine Kombination aus Vorträgen und Workshops bietet die Möglichkeit, sowohl Themen als auch Botschaften hervorzuheben, beispielsweise in der Keynote oder durch ein pointiertes Gastreferat. Dabei bietet man den Teilnehmern vertraute und eingeübte Formate, die mit den Routinen des Arbeitsalltags übereinstimmen.
Oft ist es auch sinnvoll, Grundsätzliches zur Unternehmenskultur in einer solchen Initial-Konferenz festzulegen, etwa das allgemeine Führungsverständnis, fundamentale Regeln der Zusammenarbeit oder das Selbstverständnis gegenüber Kunden, Markt und Öffentlichkeit. Mit der Zeit werden andere Themen in den Vordergrund rücken, wie das Beispiel der ING-DiBa zeigt.
Abbildung 13: Umsetzung der Konferenzthemen in Bereichsprojekte
Die Konferenz schuf ein Forum, in dem zentrale Unternehmenswerte und unterstützende Instrumente und Prozesse diskutiert und auf der Grundlage breiter Zustimmung initiiert werden konnten. Dabei entstand eine starke konsistente Kultur, die mit Hilfe weniger zentraler Begriffe nicht nur die interne Öffentlichkeit nachhaltig bestimmte, sondern auch in der externen Diskussion Akzente setzte. Der Begriff Fairness kann als ein Beispiel genannt werden. Entscheidend war dabei, dass dessen Einführung keinem singulären Zweck gehorchte, sondern für die gesamte Unternehmenskultur stehen sollte. Dies verlieh ihm eine hohe Konsistenz und Glaubwürdigkeit, sowohl in der internen wie auch externen Öffentlichkeit.
Es ist also von großem Vorteil, wenn die initiale Führungskräftekonferenz, die als ein Signal für den Willen zu einer differenzierten Unternehmenskultur verstanden werden soll, bereits den Keim für wesentliche Themen und Prozesse beinhaltet. Diese Themen müssen übrigens nicht der Konferenz selbst aufgebürdet werden. Es ist aber unerlässlich, sie zu evaluieren. Die ING-DiBa verknüpfte früh die Führungskräftekonferenz mit einer bankweiten jährlichen Mitarbeiterbefragung. So konnten Themen zeitnah und glaubwürdig evaluiert und direkt auf den Konferenzen diskutiert werden. Jedes Unternehmen hat seine eigene Agenda. Allerdings findet sich bei empirischen Untersuchungen ein erstaunlich stringenter und enger Kreis von Themen, die offensichtlich immer und überall Gültigkeit und Bedeutung besitzen. Dazu zählen:
• Führung,
• Kommunikation,
• Wissen und Lernen,
• Veränderung,
• High- und Low-Performance,
• Qualität,
• Stakeholder.
Insbesondere bei der Einführung eines so markanten Instruments wie einer Führungskräftekonferenz ist es ratsam, ein Thema zu wählen, dass für alle Teilnehmer Relevanz besitzt. Spezialthemen, auch wenn sie ihre Berechtigung haben, vermögen zumeist keine Gemeinsamkeit und kein motivierendes Zukunftsszenario zu begründen. Dies gelingt wesentlich leichter mit allgemein gültigen Themen. In Kronberg waren das, neben dem Keynote-Thema „Fair deal“: Führung und Qualifizierung, Innovation und Ideenmanagement, Reputation und Marke, Wachstum und Märkte sowie Qualität und Service. Alle diese Themen bestimmten für die nächsten Jahre die Richtung entscheidender Projekte und Initiativen der Bank.
Exkurs: Moderation
Welcher Moderator soll’s denn sein?
Gespräch mit Stefan Schulze-Hausmann*
Warum sollte ein Unternehmen für eine Veranstaltung einen (externen) Moderator engagieren?
Ein Moderator gewährleistet erstens einen professionellen Ablauf der Veranstaltung: Begrüßung, Anmoderation, Pausen etc. Zweitens: Für die Mitarbeiter des Unternehmens ist ein Fachmann, der sich mit dem Handwerk der Moderation – Timing, Überleitungen etc. – gut auskennt, ggf. schon in der Planungsphase von enormem Vorteil. Drittens: Ein Moderator kann Fragen und Anregungen des Publikums steuern, kanalisieren oder selbst repräsentieren. Schließlich spricht viertens ein externer Moderator für ein mutiges und offenes Vorgehen der Veranstalter.
Hat der Moderator noch weitere Aufgaben?
Er übernimmt gewissermaßen einen Teil der Gastgeberrolle, ist der Maitre de Maison. Der Moderator gibt den Rahmen, die Organisation vor: Wann redet wer, wann ist Pause? Er ist sozusagen für das „Kleingedruckte“ zuständig. Er entlastet die wahren Gastgeber, rollt den roten Teppich aus und wertet so deren Erscheinen auf. In seinen Anmoderationen kann er Teilnehmer wichtig oder wichtiger machen, ihnen Themen zusprechen oder Themen fokussieren.
Kann man verschiedene Arten, Gattungen von Moderatoren unterscheiden?
Nein, das bringt nichts. Moderation ist ein Handwerk. Man kann natürlich diverse Rollen übernehmen. Basis ist immer die (einfache) Rolle des Verbindungsgliedes zwischen den Programmpunkten der Veranstaltung. Diese Aufgabe wird komplexer, wenn heterogene Elemente zu kombinieren sind. Der Moderator kann in Talkrunden aktiver agieren und die Meinung des Publikums in die Diskussion spiegeln. Er kann aus seiner Wahrnehmung und Erfahrung Fragen stellen.
Was sollte ein Moderator nicht tun (dürfen)?
Es gibt Dinge, die darf sich der Gastgeber nicht nehmen lassen. Eine formale Begrüßung und Verabschiedung etwa. Ein übergreifender Kommentar, ein Ausblick, eine Vision – das alles ist Chefsache.
Gibt es Qualitätskriterien bei der Auswahl des Moderators?
Ja. Er sollte einen journalistischen Hintergrund haben. Im Fernsehen erlebt man oft Sprecher, die ihre Texte geschrieben bekommen. Ein Moderator muss aber frei formulieren können. Zudem sollte er Erfahrungen mit Live-Veranstaltungen haben. Ein Fernsehstudio ist keine gute Schule für Live-Veranstaltungen. Es macht- einen großen Unterschied, ob ich vor einer Kamera mit Teleprompter oder vor 300 Personen moderiere.
Hat sich durch die moderne Technik etwas für Moderatoren grundsätzlich verändert?
Nein. Man muss die Technik der Raumgröße anpassen, etwa beim Einsatz von Bildwänden bei großen Veranstaltungen. Die Rednerprojektion bewirkt immer eine Aufwertung des Redners. Man verwendet heute auch gern Tools (etwa Digivoting), die zum Beispiel für die Interaktivität verwendet werden. Diese Dinge haben mit der Kernaufgabe nichts zu tun.
Wie wählt man den Moderator aus?
Es ist gut, ihn in Aktion zu erleben. Deswegen ist der Blick ins Fernsehen zu empfehlen, wo man Moderatoren bei der Ausübung ihres Jobs beobachten kann. Ansonsten sollte man sich tunlichst Filme schicken lassen, die dokumentieren, wie der Kandidat agiert und wirkt. Auch über das Fachliche lässt sich auswählen, bei Finanzthemen kann die Anfrage eines Finanzjournalisten naheliegen, vielleicht ist aber – je nach Aufgabe – auch ein Allrounder die richtige Wahl. Ausreichende Erfahrung ist ein weiteres Kriterium. Und ein persönliches Telefonat kann ebenfalls nicht schaden.
Wie sieht die optimale Vorbereitung der Veranstaltung mit dem Moderator aus?
Der Moderator braucht einen detaillierten Ablaufplan, der seine Rolle exakt umschreibt. Es sollte ein persönliches Gespräch mit einem Verantwortlichen stattfinden, wo es nicht zuletzt um die Hidden Agenda gehen sollte: Was soll/darf der Moderator und was nicht? Ich finde, es ist besser für das Unternehmen, den Moderator als Externen zu präsentieren. Er darf dann ein bisschen mehr, vielleicht ein wenig frecher sein. Er bringt externe Kompetenz ein, die im Sinne des Veranstalters eingesetzt werden kann. Es gibt Veranstaltungen, Messen etwa, da sieht man Moderatoren im Firmen-Overall. Ich halte davon nichts.
Wenn es um Themen geht, müssen die bekannt und kommentiert sein. In der Horizontalen: Welche Themen sind wichtig, welche Aspekte sollen herausgearbeitet werden, welche Botschaften sollen vermittelt werden? In der Vertikalen: Wer sind meine Gesprächspartner, wie sind sie positioniert, warum ist wer da und wer sagt wozu etwas? Das ist meine Matrix, die für mich als Moderator unverzichtbar ist.
Was hat sich für Moderatoren in den letzten Jahren verändert?
Moderatoren auf der Bühne werden mit Moderatoren aus dem Fernsehen verglichen. Da bleibt es nicht beim Journalistischen. Trends, die man aus dem (unterhaltenden) TV kennt, schlagen sich auch auf der (Firmenveranstaltungs-)Bühne nieder. Es gab in den Achtzigern den markanten Sprung vom Conferencier á la Kulenkampff zum Showmaster á la Gottschalk. Vom Formellen, Situierten zum Spontanen, Alltagssprachlichen. Ich glaube, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt. Etwas mehr Mut, etwas weniger Respekt. Und: Die Reizschwelle wird wichtiger, man setzt mehr auf Witz, aggressives Nachfragen, Interaktivität, durchaus auch einmal über die Wohlfühlgrenzen hinaus.
Das heißt für den Moderator?
Ein guter Moderator auf der Bühne muss heute den Vergleich mit den beispielgebenden Fernsehmoderatoren aushalten – und bestehen.
Wie sehen Sie folgende Aussage: Kunden achten bei der Auswahl des Moderators darauf, dass sie einen Promi be...