Lyrik
Max Brods Lyrik
I
»Max Brod ist der geborene Erzähler«,[1] meint Schalom Ben-Chorin in seinem Aufsatz im Gedenkbuch für Max Brod. Gegen diese Einschätzung anzulaufen ist zwecklos: Ein kurzer Blick in die Bibliographie[2] überzeugt, dass er recht hat. Die Lyrik macht nur einen kleinen Bruchteil des Gesamtwerkes aus, aus der Feder des Epikers Max Brod stammen insgesamt bloß fünf Lyriksammlungen, vier aus der frühen Phase (bis 1921): Der Weg des Verliebten (WV 1907), Tagebuch in Versen (TB 1910), Das gelobte Land (GL 1917), Das Buch der Liebe (BL 1921) und ein Spätwerk von 1966, Gesang einer Giftschlange (GG). Einige lyrische Nummern sind auch noch in Brods Sammlung Die Höhe des Gefühls, Szenen, Verse, Tröstungen (1913) und in der von Brod herausgegebenen Arkadia (1913) zu finden sowie in Zeitschriften, Jahrbüchern und Sammlungen des Expressionismus und in Anthologien, die nach dem sog. expressionistischen Jahrzehnt entstanden sind.[3] Die Rezensionen, die Kritiken und schließlich die Sekundärliteratur befassen sich mit allem anderen um und von Max Brod, nur nicht mit seiner Lyrik.
Die meisten der insgesamt etwa 500 Gedichte Brods sind im expressionistischen Jahrzehnt entstanden, doch ist Max Brods Zugehörigkeit zu dieser Epoche und Stilrichtung trotzdem umstritten. In meinem Buch Der Beitrag der Prager deutschen Literatur zum deutschen literarischen Expressionismus (St. Ingbert 1996) stellte ich Max Brod als Wegbereiter des expressionistischen Aufbruchs in Prag dar. Ich berief mich dabei auf Zeugnisse und Erinnerungen der Zeitgenossen: So hielt sich Willy Haas für einen »ziemlich einflussreichen jungen Mann, denn – ich kannte Max Brod, den berühmten jungen Max Brod«.[4] Friedrich Thieberger schrieb wiederum: »Wir hatten durch Brod aufgehört, Provinz zu sein.«[5] Ich zitierte des weiteren Kurt Krolop: »[…] seine zentrale Bedeutung für die Prager deutsche Literatur dieses Zeitraums kann kaum überschätzt werden«,[6] und Josef Körner[7]: »Max Brod ist vielleicht nicht der begabteste, gewiss aber der vielseitigste unter den Genossen. Messerscharfen Verstandes und außerordentlich energiebegabt, ein Organisationstalent sondergleichen, ist er zum Führer der Freunde prästabiliert«,[8] und ich berufe mich schließlich auf Paul Raabes Aufsatz Der junge Max Brod und der Indifferentismus, in dem Raabe Brods Einsatz bei der Suche nach Verlegern für Erstlinge der noch unbekannten Prager Dichter würdigt, den er dank seiner vielfachen Verbindungen zu den Berliner expressionistischen Zentren um Kurt Hiller, Franz Pfemfert, Herwart Walden u. a. hatte unternehmen können und der es den Pragern erst ermöglichte, aus der erwähnten Provinzialität hinauszutreten. Raabe fasst auch die Stellungnahmen der zeitgenössischen Literaturkritik und Journalistik zusammen, Brod wäre das »Haupt der Prager Dichterschule, Führer der Gruppe, Vorstand der Prager...