Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung
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Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung

Peter Koller, Christian Hiebaum, Peter Koller, Christian Hiebaum

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Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung

Peter Koller, Christian Hiebaum, Peter Koller, Christian Hiebaum

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Jürgen Habermas' Werk Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (1992) verdient aus zwei Gründen besonderes Interesse: Erstens gehört es zu den Hauptwerken dieses bedeutenden Philosophen, der darin eine neue Begründung der Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats, zugleich aber auch eine Summe seiner sozialtheoretischen und ethischen Denkens (Theorie des kommunikativen Handelns und Diskursethik) präsentiert; und zweitens ist dieses Werk ein herausragender Beitrag zur neueren Rechtsphilosophie, da darin in systematischer Weise eine innovative Theorie des Rechts entwickelt wird, die das Erfordernis der Faktizität des Rechts mit dessen normativer Sollgeltung in Einklang zu bringen versucht. Die Bedeutung dieses Werks für die gegenwärtige Sozial-, Rechts- und Politikphilosophie legt es nahe, ihm einen Band der Reihe "Klassiker Auslegen" zu widmen, in dem es einer eingehenden kritischen Erörterung und Würdigung unterzogen wird. Der Band hat entsprechend der Konzeption der ganzen Reihe die Form eines kritischen Kommentars, in dem nach einer Einleitung der Herausgeber die Kapitel des Werks sukzessive von renommierten Autoren resümiert, interpretiert und kritisch diskutiert werden.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2016
ISBN
9783110433234
Edition
1
Klaus Günther

IIIZur Rekonstruktion des Rechts (1): Das System der Rechte

Das III. Kapitel von Faktizität und Geltung besitzt sowohl eine Scharnierfunktion als auch eine Schlüsselstellung innerhalb des gesamten Argumentationsgangs. Es leitet von den einführenden und der theoretischen Abgrenzung dienenden beiden ersten Kapiteln über zur Entfaltung einer der zentralen Thesen, dass nur eine Rekonstruktion des modernen Rechts angemessen sei, in der die Gleichursprünglichkeit privater und politischer Autonomie zur Geltung gebracht werde. Damit trägt es die Hauptlast der Argumentation für eine Diskurstheorie des Rechts, die dann mit der Rekonstruktion der Prinzipien des Rechtsstaates fortgeführt wird. Methodisch handelt es sich um eine rationale Rekonstruktion des Selbstverständnisses des modernen Rechts. Dies festzuhalten ist wichtig, um Erwartungen zu relativieren, die sich aus den vorangegangenen Studien von Habermas zur Diskursethik, zur Entwicklung des moralischen Bewusstseins oder zum evolutionären Stellenwert des modernen Rechts nähren mögen. Kapitel III bietet keine diskursethische oder moralische Begründung des Rechts. Es geht auch nicht um eine Analyse des Rechtsbegriffs oder um eine philosophische Begründung des Rechts aus Prinzipien der Gerechtigkeit oder um eine Rechtfertigung des Rechts durch eine universalistische Moral. Noch geht es um eine Rekonstruktion des Rechts aus der Evolution des moralischen Bewusstseins oder um eine bloße Nachzeichnung der historisch kontingenten Genese des modernen Rechts.

III.1

Als modernes Recht ist es durch spezifische Merkmale gekennzeichnet, die es von anderen historischen Formationen des Rechts unterscheiden, und dies nicht nur für einen historisch vergleichenden Beobachter, sondern auch schon im Selbstverständnis derjenigen, die ihr Zusammenleben in der Form des modernen Rechts regeln. Vor allem zeichnet sich das moderne Recht durch die hervorgehobene Position subjektiver Rechte aus, die ihrem Inhaber die negative Freiheit verleihen, seine individuellen Interessen zu verfolgen und Eingriffe Dritter abzuwehren. Die Form des subjektiven Rechts bestimmt nicht nur die Privatautonomie, paradigmatisch das Eigentumsrecht, sondern auch subjektiv-öffentliche Rechte, paradigmatisch die Grundrechte, sowie die Menschenrechte. Trotz ihrer individualisierenden, vereinzelnden Natur besitzen die subjektiven Rechte zugleich eine intersubjektive und soziale Dimension. Sie sind funktional für eine moderne, ausdifferenzierte Gesellschaft, deren Ökonomie marktförmig und dezentral organisiert ist. Aber auch in normativer Hinsicht treten subjektive Rechte in der Moderne stets als allgemeine und gleiche Rechte auf, die alle Personen sich gegenseitig einräumen und anerkennen. Die negative Freiheit ist nur als eine gleiche und wechselseitig anerkannte möglich. Um als subjektive Rechte zu gelten, genügt freilich ihre wechselseitige Anerkennung nicht; sie bedürfen zudem der rechtlichen Positivierung in der Form des objektiven Rechts. Zum Selbstverständnis des modernen objektiven Rechts gehört in dieser Hinsicht zweierlei: dass die Rechtssetzung ein Akt gesetzgebender Souveränität ist und dass die souveräne Autorität der Legitimation bedarf. Die Autorisierung des gesetzgebenden Souveräns und die Frage ihrer Legitimität werden spätestens seit Bodin kontrovers diskutiert. Später formulieren Rousseau und Kant prägnant das Prinzip der Volkssouveränität, das sich historisch in den Revolutionen Englands, der Vereinigten Staaten und Frankreichs schrittweise und konflikthaft etabliert hat. Souveräne Gesetzgebung ist nur legitim in der Form politischer Autonomie, wenn also die Adressaten des objektiven Rechts zugleich dessen Autoren sind. Als Autoren müssen die Rechtspersonen in der Weise konfiguriert werden, dass sie als vernünftige, in ihren Handlungen und Äußerungen an kritisierbaren Geltungsansprüchen sich orientierende Akteure gelten können, und nicht nur als eigeninteressiert-rational. Die beiden spezifischen Merkmale der historischen Formation des modernen Rechts, das Prinzip subjektiver (Menschen-)Rechte und das Prinzip der Volkssouveränität, „bestimmen das Selbstverständnis demokratischer Rechtsstaaten bis heute“ (124).
Beide Prinzipien können freilich in ein Spannungsverhältnis geraten, das immer wieder aufzulösen versucht wird, mit unterschiedlichen, oftmals konträren Ergebnissen. Viele Lösungsversuche leiden darunter, dass sie einem der beiden Prinzipien jeweils den Vorrang vor dem anderen einräumen, heute zumeist den Grund- und Menschenrechten vor der demokratischen Selbstbestimmung. Der Grund für diese Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass dieses Spannungsverhältnis auf einer latenten Paradoxie beruht. Der individualisierende, Willkürfreiheit des Einzelnen ermöglichende Bedeutungsaspekt des subjektiven Rechts steht im Gegensatz zur Idee einer gemeinsamen demokratischen Selbstbestimmung. Umgekehrt lässt sich aber auch das Prinzip der Volkssouveränität so verabsolutieren, dass subjektive Rechte, namentlich Grund- und Menschenrechte, wenn überhaupt, dann nur zu Reflexrechten der Volkssouveränität degenerieren, also den Einzelnen nicht mit einem Recht sui generis ausstatten, das er im Konfliktfall gegen den demokratischen Mehrheitswillen zur Geltung bringen könnte. Habermas’ Anspruch ist es dagegen, dieses Spannungsverhältnis so aufzulösen, dass „beide Momente unverkürzt zur Geltung kommen“ können (118). Dann droht aber das individualistische, instrumentelle Verständnis subjektiver Rechte direkt mit dem Prinzip einer demokratischen, allgemeinen und gleichen Gesetzgebung zu kollidieren. Politische Partizipation an der Gesetzgebung müsste selbst als subjektives Recht ausgestaltet werden, das aber von seinen Inhabern auch in der Weise gebraucht werden kann, dass sie dieses Recht entweder gar nicht wahrnehmen oder nur instrumentell und erfolgsorientiert für ihre partikularen Interessen. In dieser Kollision liegt das Paradox der Entstehung von Legitimität aus Legalität (110): Wie kann die Allgemeinheit und Gleichheit sowie die Intersubjektivität der Verfassungsgebung ebenso wie der Gesetzgebung ermöglicht werden, wenn die Rechte der Staatsbürger schon kraft ihrer Rechtsform selbst nur als subjektive Rechte, also als Rechte auf Willkürfreiheit, auftreten. Kurz: Wie kann öffentliche, politische Autonomie in der Form subjektiver Rechte institutionalisiert werden?

III.2

Es gibt zumindest zwei historische Kontexte, aus denen das moderne subjektive Recht hervorgeht: zum einen aus der Erfahrung religiöser Kriege und Bürgerkriege im 16. und 17. Jahrhundert als Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf die individuelle Entscheidung für oder gegen ein Glaubensbekenntnis; zum anderen aus den sich über einen langen Zeitraum und gegen viele Hindernisse sich entwickelnden kapitalistischen Marktgesellschaften. Als paradigmatisch gilt hier das Eigentumsrecht. Es gibt dem Inhaber die Befugnis, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren und Dritte von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Paradigmatisch ist das Eigentumsrecht aber auch deshalb, weil es am deutlichsten erkennen lässt, was mit Privatautonomie gemeint ist. Der Eigentümer darf nach Belieben mit seiner Sache verfahren, das heißt unter anderem auch, dass er sich dabei in einer Sphäre bewegt, in welcher er seine eigenen Zwecke setzen, seinen eigenen Willen bilden und verwirklichen kann, ohne Dritten gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet zu sein. Es handelt sich um die Sphäre der individuellen Willkürfreiheit.
Gerade am Eigentumsrecht wird jedoch auch deutlich, dass und wie subjektive Rechte funktional für moderne Wirtschaftsgesellschaften sind (110). Nicht nur, dass sie die Entscheidung über die Verwendung einer Sache in das Belieben oder die Willkürfreiheit des Einzelnen stellen und damit zugleich individualisieren und dezentralisieren. Zumindest nach dem vorherrschenden liberalen Selbstverständnis der Protagonisten moderner Marktgesellschaften wird erst damit auch eine optimale Verwendung der Sache möglich. Diese Sicht offenbart freilich zugleich auch die gesellschaftliche und ökonomische Funktion der dezentralisierenden Verteilung subjektiver Rechte. Subjektive Rechte wie das Eigentumsrecht oder die Vertragsfreiheit haben in der Marktgesellschaft die Funktion, Individuen in das Wirtschaftssystem zu inkludieren, d. h. sie zur Teilnahme an den marktförmig organisierten wirtschaftlichen Austauschprozessen zu aktivieren. Durch die überwiegend anzutreffende Charakterisierung als negatives Abwehrrecht wird die Tatsache verdeckt, dass für moderne Marktgesellschaften nichts schädlicher ist als ein toter, jeder Verwendung entzogener Besitz. Die Dezentralisierung und Individualisierung der Entscheidung soll gerade zur effizienten, nutzenmaximierenden Verwendung der Sache führen, z. B. als Sicherheit für einen Kredit, mit dem sich ein Unternehmen gründen oder in ein Unternehmen investieren lässt.
Dezentralisierung und Individualisierung haben zur Folge, dass das subjektive Recht sich aus Sozialbeziehungen der Reziprozität ausdifferenziert, in denen es kein Recht ohne Pflichten gibt, wie dies paradigmatisch in den mittelalterlichen Lehensbeziehungen der Fall war (Besitzrecht an Grund und Boden gegen Loyalität und Waffendienst für den Lehensgeber). Das moderne subjektive Recht verleiht seinem Inhaber einen Anspruch gegen Andere, der nicht durch eine gleichzeitige Verpflichtung diesen Anderen gegenüber bedingt ist. B hat gegenüber dem Inhaber A eines solchen claim-right (Hohfeld) nur die komplementäre Pflicht, etwas zu tun oder zu unterlassen (z. B. Eingriffe in das Eigentum des A), ohne dass B ihrerseits ein Recht gegenüber A hätte. Der Übergang von der Reziprozität zur Komplementarität von Rechten und Pflichten führt unter anderem auch dazu, dass das Recht sich aus seiner traditionellen Verschränkung mit anderen normativen Ordnungen löst, weil in ihm Rechte Vorrang vor Pflichten haben. Das subjektive Eigentumsrecht wird rechtlich gegenüber jedem Dritten anerkannt, auch wenn der Inhaber dieses Rechts vielleicht noch einer Religionsgemeinschaft angehört, die den Besitz einer Sache nur unter der Bedingung als gerechtfertigt anerkennt, dass der Eigentümer seiner primären Pflicht zur Hilfeleistung für Bedürftige nachkommt.
Schließlich kommt mit dem so verstandenen subjektiven Recht auch das Konzept einer individuellen Handlungsmacht (agency) in die Welt – die Vorstellung, sui juris, Herr seiner selbst zu sein, und durch den eigenen Willen die sozialen Verhältnisse des eigenen Lebens zu gestalten, indem man zurechenbare Rechtsfolgen auslöst. Dass normative Ordnungen überhaupt, namentlich Rechtsverhältnisse, insbesondere rechtliche Verpflichtungen, durch den Willen eines Einzelnen geschaffen, geändert und beendet werden können, dass diese Rechtsgestaltungen ausschließlich und allein ihren rechtfertigenden Grund in der Autorität einer Rechtsperson haben – dieser Schritt ist der eigentlich revolutionäre. Damit geraten alle Verpflichtungen, die Einzelne in ihren sozialen Verhältnissen eingehen oder in denen sie sich vorfinden, für den Fall unter den Vorbehalt einer autonomen Willenserklärung, dass aus diesen Verpflichtungen Rechtsfolgen begründet werden sollen.
Die individualisierende, vereinzelnde Bedeutung subjektiver Rechte, zumal in Gestalt der Menschenrechte, ist historisch und aktuell immer wieder kritisiert worden. Die individuellen Freiheitsspielräume seien nur funktionale Zuweisungen eines ökonomischen Systems, das wettbewerbsförmig und kapitalistisch organisiert wird und dem Einzelnen faktisch als Zwang gegenübertritt. Aus der Beobachterperspektive erscheint das moderne subjektive Recht als eine Funktion der Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse (Marx), als Inklusion des Einzelnen in das ökonomische System (Luhmann), als eine der vielen Techniken der Bio-Macht, mit der Menschen zu rechtlich verantwortlichen und haftbaren Personen subjektiviert werden. Unübersehbar ist der Widerspruch zwischen der rechtlich behaupteten normativen Gleichheit aller Individuen als (Eigentümer-) Rechtssubjekte und einer sozialen und ökomischen Realität, in der die ungleiche Verteilung von Gütern und Lebenschancen dieses Recht für viele bedeutungslos werden lässt.
Gleichwohl tritt das moderne subjektive Recht nicht nur als faktisches Privileg einer Klasse oder Elite auf, sondern mit dem Anspruch, allgemeines und gleiches Recht für gleiche Rechtssubjekte zu sein. Die Konfrontation zwischen Anspruch und Wirklichkeit initiiert Prozesse der Kritik, die zu Veränderungen sowohl der sozialen Verhältnisse als auch des Rechts führen. So soll eine für alle vorteilhafte und gerechte, arbeitsteilige und kooperative Struktur, ein System der Zusammenarbeit ermöglicht werden (117). In dieser Form können diese Prozesse allerdings erst dann auftreten, wenn das Recht sich in der oben beschriebenen Weise von anderen normativen Ordnungen entkoppelt hat. Sie setzen die wechselseitige Anerkennung als Rechtspersonen voraus, die Inhaber eines subjektiven Rechts sind, unabhängig davon, zu welchen Gemeinschaften mit welchen normativen Ordnungen sie außerdem noch gehören. Die wechselseitige Anerkennung als Rechtsperson verlangt insofern eine hohe Abstraktionsleistung, dies vor allem dann, wenn es um Menschenrechte geht.
Die Dezentralisierung, Individualisierung und Subjektivierung, die mit den subjektiven Rechten einhergeht, erlaubt nicht nur die eigeninteressiert-rationale Zwecksetzung und Erfolgsorientierung der Inhaber dieser Rechte, sondern auch den Verzicht auf deren Ausübung und Gebrauch. Gleichwohl bedarf auch der passive Rückzug, wenn er sich in die Form eines Rechts kleidet, der intersubjektiven Anerkennung durch andere Rechtspersonen. Auch der höchste Grad der Vereinzelung ist als Recht nur innerhalb einer Rechtsgemeinschaft möglich. Subjektive Rechte sind also intrinsisch auf ein objektives Recht angewiesen, das ihren intersubjektiven Gehalt explizit macht und in der Form des Rechts zur Geltung bringt. Diese Form ist das allgemeine, abstrakte und gleiche Gesetz. Auch als Grund- und Menschenrechte bedürfen die subjektiven Rechte dieser Form, sei es als Vertrag, als Konvention oder als Verfassung. Der intersubjektive Gehalt moderner subjektiver Rechte lässt sich also sowohl funktional aus der Struktur und Dynamik moderner Gesellschaften erklären als auch normativ rechtfertigen. Subjektive Rechte und objektives Recht gehören daher zusammen. Allerdings liegt nicht von vornherein fest, wie der intersubjektive Gehalt subjektiver Rechte in der Form des objektiven Rechts ausbuchstabiert werden kann. Dabei gehört es aber schon zur Idee des subjektiven Rechts als einer Willens- und Handlungsmacht zu selbstbestimmter Freiheit, dass nur eine solche Gesetzgebung legitim sein kann, in der diese subjektive Freiheit ihrerseits wiederum zur Geltung kommen kann. Wenn ich als Inhaber subjektiver Rechte Autor meiner Rechtsverhältnisse bin, muss ich auch bei der Gestaltung des objektiven Rechts, das subjektive Rechte gewährt, Mit-Autor der Gesetzgebung sein können.

III.3

In der Reflexion auf das Selbstverständnis des modernen Rechts sind dazu verschiedene Modelle entwickelt worden, von denen Habermas paradigmatisch die naturrechtlichen Theorien des Gesellschaftsvertrages, den Rechtspositivismus, Rousseaus Theorie der Volkssouveränität sowie Kants Theorie des Vernunftrechts diskutiert. Ihr jeweiliges Defizit besteht stets darin, dass in ihnen die beiden zentralen Momente des Selbstverständnisses, die Privatautonomie und die politische Autonomie (Volkssouveränität), nicht unverkürzt zur Geltung kommen. Wie lässt sich also „die intersubjektive Struktur von Rechten und die kommunikative Struktur der Selbstgesetzgebung ernstnehmen und angemessen explizieren“? (135). In einer Reihe von Lösungsvorschlägen spielt die moderne, kognitivistische und universalistische Moral oftmals eine zentrale Rolle. Wird politische Autonomie nach dem Modell einer selbstbestimmten, allgemeinen Gesetzgebung für alle Menschen konfiguriert, liegt es nahe, das Recht als Einschränkung der Moral durch faktisch wirksame Institutionen einer partikularen Rechtsgemeinschaft zu verstehen, dessen Legitimität jedoch strikt an eine moralische Rechtfertigung gebunden bleibt. Gegen dieses Modell eines hierarchischen Verhältnisses von Moral und Recht führt Habermas das sozialgeschichtliche Faktum an, dass sich in modernen Gesellschaften rechtliche und moralische Regeln gleichzeitig ausdifferenziert haben (137). Es ist daher angemessener, von einer Komplementarität zwischen Recht und Moral, statt einer Über- und Unterordnung zu sprechen.
Dieses Ergänzungsverhältnis hat selbst wiederum einen sozialgeschichtlichen Hintergrund, der das Selbstverständnis des modernen Rechts mitbestimmt. Das moderne Recht gewinnt seine spezifische Form als Folge der Modernisierung, der Ausdifferenzierung einer traditionalen, holistischen, integrativen Sittlichkeit. Es löst sich damit aus dem integrierenden Zusammenhang mit den normativen Ordnungen der Religion, der Moral, der Ethik der Lebensführung und der ethisch-politischen Identität einer Gemeinschaft. In dem Maße, wie sich diese Ordnungen, insbesondere die Ethik der Lebensführung, die Normen des ethischpolitischen Selbstverständnisses einer Gemeinschaft und die Moral ihrerseits ausdifferenzieren, übernimmt das Recht seinerseits eine soziale Integrationsfunktion. Es tritt insbesondere in ein funktionales Ergänzungsverhältnis zu einer universalistischen und kognitivistischen Moral. Von den ethisch-existentiellen, ethisch-politischen und moralischen Normen unterscheidet sich die Rechtsform vor allem dadurch, dass sie nicht aus naturwüchsigen Interaktionsprozessen hervorgeht. Sie ist nicht wie die Moral auf eine motivationale Verankerung bei den Adressaten, auf deren rationale Einsicht angewiesen, sondern kann mit Zwang durchgesetzt werden.
Die moderne Rechtsform bildet zudem einen speziellen Typus von Normen heraus, über den andere normative Ordnungen zumindest nicht von Haus aus verfügen. Mit Ermächtigungsnormen (H. L. A. Harts sekundären Regeln) lassen sich Kompetenzen erzeugen und Organisationen mit entsprechenden Zurechnungen künstlich herstellen. Rechtsnormen bilden insofern „eine intentional erzeugte und reflexive, nämlich auf sich selbst anwendbare Schicht von Handlungsnormen“ (142). Diese Normen regeln unter anderem, wie sich Normen in und außer Kraft setzen, ändern, anwenden und durchsetzen lassen. Mit diesen Eigenschaften tritt die moderne Rechtsform in ein funktionales Komplementärverhältnis zu einer kognitivistischen und universalistischen Moral. Während diese an lebensgeschichtlich individuierte Personen adressiert ist, die zugleich moralische Subjekte sind, gilt das Recht innerhalb einer künstlich erzeugten Gemeinschaft mit abstrakten Rechtspersonen, von denen nur zweckrationale Willensbildung erwartet wird, nicht moralische Selbstbindung (144). Die Etablierung eines Systems sekundärer Regeln verringert das Problem der kognitiven Unbestimmtheit moralischer Normen angesichts konkreter regelungsbedürftiger Materien. Das Recht kann moralische Erkenntnis und Einsicht nicht substituieren, aber durch eine legitime autoritative Regelung epistemische Defizite unter den moralischen Subjekten kompensieren – die kognitive Unbestimmtheit wird durch die Faktizität der Rechtssetzung absorbiert, was zumal bei komplexen gesellschaftlichen Problemen „für den einzelnen eine Entlastung von den kognitiven Bürden der eigenen moralischen Urteilsbildung“ bedeutet (147). Die Verknüpfung des Rechts mit dem Zwang, der eine freiwillige Rechtsbefolgung nicht ausschließt, ermöglicht den Transfer vom Wissen zum Handeln. Dafür zahlt es den Preis, dass es auf rational motivierte Selbstbindung nicht zurückgreifen kann, sondern Willkürfreiheit zulassen muss, indem es nur das äußere Verhalten durch positive oder negative Anreize regelt. Schließlich ermöglicht die Rechtsform die Errichtung von Institutionen und Organisationen zur Bewältigung komplexer sozialer Koordinationsprobleme für die Erfüllung legitimer Ziele, vor allem auch moralisch gebotener Ziele. Während die moderne Moral vor allem als eine Form kulturellen Wissens, als ein Symbolsystem auftritt, ist das Recht vermöge seiner Fakt...

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