JĂŒrgen Habermas: FaktizitĂ€t und Geltung
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JĂŒrgen Habermas: FaktizitĂ€t und Geltung

Peter Koller, Christian Hiebaum, Peter Koller, Christian Hiebaum

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JĂŒrgen Habermas: FaktizitĂ€t und Geltung

Peter Koller, Christian Hiebaum, Peter Koller, Christian Hiebaum

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JĂŒrgen Habermas' Werk FaktizitĂ€t und Geltung. BeitrĂ€ge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (1992) verdient aus zwei GrĂŒnden besonderes Interesse: Erstens gehört es zu den Hauptwerken dieses bedeutenden Philosophen, der darin eine neue BegrĂŒndung der Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats, zugleich aber auch eine Summe seiner sozialtheoretischen und ethischen Denkens (Theorie des kommunikativen Handelns und Diskursethik) prĂ€sentiert; und zweitens ist dieses Werk ein herausragender Beitrag zur neueren Rechtsphilosophie, da darin in systematischer Weise eine innovative Theorie des Rechts entwickelt wird, die das Erfordernis der FaktizitĂ€t des Rechts mit dessen normativer Sollgeltung in Einklang zu bringen versucht. Die Bedeutung dieses Werks fĂŒr die gegenwĂ€rtige Sozial-, Rechts- und Politikphilosophie legt es nahe, ihm einen Band der Reihe "Klassiker Auslegen" zu widmen, in dem es einer eingehenden kritischen Erörterung und WĂŒrdigung unterzogen wird. Der Band hat entsprechend der Konzeption der ganzen Reihe die Form eines kritischen Kommentars, in dem nach einer Einleitung der Herausgeber die Kapitel des Werks sukzessive von renommierten Autoren resĂŒmiert, interpretiert und kritisch diskutiert werden.

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Informations

Éditeur
De Gruyter
Année
2016
ISBN
9783110433234
Édition
1
Klaus GĂŒnther

IIIZur Rekonstruktion des Rechts (1): Das System der Rechte

Das III. Kapitel von FaktizitĂ€t und Geltung besitzt sowohl eine Scharnierfunktion als auch eine SchlĂŒsselstellung innerhalb des gesamten Argumentationsgangs. Es leitet von den einfĂŒhrenden und der theoretischen Abgrenzung dienenden beiden ersten Kapiteln ĂŒber zur Entfaltung einer der zentralen Thesen, dass nur eine Rekonstruktion des modernen Rechts angemessen sei, in der die GleichursprĂŒnglichkeit privater und politischer Autonomie zur Geltung gebracht werde. Damit trĂ€gt es die Hauptlast der Argumentation fĂŒr eine Diskurstheorie des Rechts, die dann mit der Rekonstruktion der Prinzipien des Rechtsstaates fortgefĂŒhrt wird. Methodisch handelt es sich um eine rationale Rekonstruktion des SelbstverstĂ€ndnisses des modernen Rechts. Dies festzuhalten ist wichtig, um Erwartungen zu relativieren, die sich aus den vorangegangenen Studien von Habermas zur Diskursethik, zur Entwicklung des moralischen Bewusstseins oder zum evolutionĂ€ren Stellenwert des modernen Rechts nĂ€hren mögen. Kapitel III bietet keine diskursethische oder moralische BegrĂŒndung des Rechts. Es geht auch nicht um eine Analyse des Rechtsbegriffs oder um eine philosophische BegrĂŒndung des Rechts aus Prinzipien der Gerechtigkeit oder um eine Rechtfertigung des Rechts durch eine universalistische Moral. Noch geht es um eine Rekonstruktion des Rechts aus der Evolution des moralischen Bewusstseins oder um eine bloße Nachzeichnung der historisch kontingenten Genese des modernen Rechts.

III.1

Als modernes Recht ist es durch spezifische Merkmale gekennzeichnet, die es von anderen historischen Formationen des Rechts unterscheiden, und dies nicht nur fĂŒr einen historisch vergleichenden Beobachter, sondern auch schon im SelbstverstĂ€ndnis derjenigen, die ihr Zusammenleben in der Form des modernen Rechts regeln. Vor allem zeichnet sich das moderne Recht durch die hervorgehobene Position subjektiver Rechte aus, die ihrem Inhaber die negative Freiheit verleihen, seine individuellen Interessen zu verfolgen und Eingriffe Dritter abzuwehren. Die Form des subjektiven Rechts bestimmt nicht nur die Privatautonomie, paradigmatisch das Eigentumsrecht, sondern auch subjektiv-öffentliche Rechte, paradigmatisch die Grundrechte, sowie die Menschenrechte. Trotz ihrer individualisierenden, vereinzelnden Natur besitzen die subjektiven Rechte zugleich eine intersubjektive und soziale Dimension. Sie sind funktional fĂŒr eine moderne, ausdifferenzierte Gesellschaft, deren Ökonomie marktförmig und dezentral organisiert ist. Aber auch in normativer Hinsicht treten subjektive Rechte in der Moderne stets als allgemeine und gleiche Rechte auf, die alle Personen sich gegenseitig einrĂ€umen und anerkennen. Die negative Freiheit ist nur als eine gleiche und wechselseitig anerkannte möglich. Um als subjektive Rechte zu gelten, genĂŒgt freilich ihre wechselseitige Anerkennung nicht; sie bedĂŒrfen zudem der rechtlichen Positivierung in der Form des objektiven Rechts. Zum SelbstverstĂ€ndnis des modernen objektiven Rechts gehört in dieser Hinsicht zweierlei: dass die Rechtssetzung ein Akt gesetzgebender SouverĂ€nitĂ€t ist und dass die souverĂ€ne AutoritĂ€t der Legitimation bedarf. Die Autorisierung des gesetzgebenden SouverĂ€ns und die Frage ihrer LegitimitĂ€t werden spĂ€testens seit Bodin kontrovers diskutiert. SpĂ€ter formulieren Rousseau und Kant prĂ€gnant das Prinzip der VolkssouverĂ€nitĂ€t, das sich historisch in den Revolutionen Englands, der Vereinigten Staaten und Frankreichs schrittweise und konflikthaft etabliert hat. SouverĂ€ne Gesetzgebung ist nur legitim in der Form politischer Autonomie, wenn also die Adressaten des objektiven Rechts zugleich dessen Autoren sind. Als Autoren mĂŒssen die Rechtspersonen in der Weise konfiguriert werden, dass sie als vernĂŒnftige, in ihren Handlungen und Äußerungen an kritisierbaren GeltungsansprĂŒchen sich orientierende Akteure gelten können, und nicht nur als eigeninteressiert-rational. Die beiden spezifischen Merkmale der historischen Formation des modernen Rechts, das Prinzip subjektiver (Menschen-)Rechte und das Prinzip der VolkssouverĂ€nitĂ€t, „bestimmen das SelbstverstĂ€ndnis demokratischer Rechtsstaaten bis heute“ (124).
Beide Prinzipien können freilich in ein SpannungsverhĂ€ltnis geraten, das immer wieder aufzulösen versucht wird, mit unterschiedlichen, oftmals kontrĂ€ren Ergebnissen. Viele Lösungsversuche leiden darunter, dass sie einem der beiden Prinzipien jeweils den Vorrang vor dem anderen einrĂ€umen, heute zumeist den Grund- und Menschenrechten vor der demokratischen Selbstbestimmung. Der Grund fĂŒr diese Schwierigkeit liegt vor allem darin, dass dieses SpannungsverhĂ€ltnis auf einer latenten Paradoxie beruht. Der individualisierende, WillkĂŒrfreiheit des Einzelnen ermöglichende Bedeutungsaspekt des subjektiven Rechts steht im Gegensatz zur Idee einer gemeinsamen demokratischen Selbstbestimmung. Umgekehrt lĂ€sst sich aber auch das Prinzip der VolkssouverĂ€nitĂ€t so verabsolutieren, dass subjektive Rechte, namentlich Grund- und Menschenrechte, wenn ĂŒberhaupt, dann nur zu Reflexrechten der VolkssouverĂ€nitĂ€t degenerieren, also den Einzelnen nicht mit einem Recht sui generis ausstatten, das er im Konfliktfall gegen den demokratischen Mehrheitswillen zur Geltung bringen könnte. Habermas’ Anspruch ist es dagegen, dieses SpannungsverhĂ€ltnis so aufzulösen, dass „beide Momente unverkĂŒrzt zur Geltung kommen“ können (118). Dann droht aber das individualistische, instrumentelle VerstĂ€ndnis subjektiver Rechte direkt mit dem Prinzip einer demokratischen, allgemeinen und gleichen Gesetzgebung zu kollidieren. Politische Partizipation an der Gesetzgebung mĂŒsste selbst als subjektives Recht ausgestaltet werden, das aber von seinen Inhabern auch in der Weise gebraucht werden kann, dass sie dieses Recht entweder gar nicht wahrnehmen oder nur instrumentell und erfolgsorientiert fĂŒr ihre partikularen Interessen. In dieser Kollision liegt das Paradox der Entstehung von LegitimitĂ€t aus LegalitĂ€t (110): Wie kann die Allgemeinheit und Gleichheit sowie die IntersubjektivitĂ€t der Verfassungsgebung ebenso wie der Gesetzgebung ermöglicht werden, wenn die Rechte der StaatsbĂŒrger schon kraft ihrer Rechtsform selbst nur als subjektive Rechte, also als Rechte auf WillkĂŒrfreiheit, auftreten. Kurz: Wie kann öffentliche, politische Autonomie in der Form subjektiver Rechte institutionalisiert werden?

III.2

Es gibt zumindest zwei historische Kontexte, aus denen das moderne subjektive Recht hervorgeht: zum einen aus der Erfahrung religiöser Kriege und BĂŒrgerkriege im 16. und 17. Jahrhundert als Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf die individuelle Entscheidung fĂŒr oder gegen ein Glaubensbekenntnis; zum anderen aus den sich ĂŒber einen langen Zeitraum und gegen viele Hindernisse sich entwickelnden kapitalistischen Marktgesellschaften. Als paradigmatisch gilt hier das Eigentumsrecht. Es gibt dem Inhaber die Befugnis, mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren und Dritte von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Paradigmatisch ist das Eigentumsrecht aber auch deshalb, weil es am deutlichsten erkennen lĂ€sst, was mit Privatautonomie gemeint ist. Der EigentĂŒmer darf nach Belieben mit seiner Sache verfahren, das heißt unter anderem auch, dass er sich dabei in einer SphĂ€re bewegt, in welcher er seine eigenen Zwecke setzen, seinen eigenen Willen bilden und verwirklichen kann, ohne Dritten gegenĂŒber zur Rechenschaft verpflichtet zu sein. Es handelt sich um die SphĂ€re der individuellen WillkĂŒrfreiheit.
Gerade am Eigentumsrecht wird jedoch auch deutlich, dass und wie subjektive Rechte funktional fĂŒr moderne Wirtschaftsgesellschaften sind (110). Nicht nur, dass sie die Entscheidung ĂŒber die Verwendung einer Sache in das Belieben oder die WillkĂŒrfreiheit des Einzelnen stellen und damit zugleich individualisieren und dezentralisieren. Zumindest nach dem vorherrschenden liberalen SelbstverstĂ€ndnis der Protagonisten moderner Marktgesellschaften wird erst damit auch eine optimale Verwendung der Sache möglich. Diese Sicht offenbart freilich zugleich auch die gesellschaftliche und ökonomische Funktion der dezentralisierenden Verteilung subjektiver Rechte. Subjektive Rechte wie das Eigentumsrecht oder die Vertragsfreiheit haben in der Marktgesellschaft die Funktion, Individuen in das Wirtschaftssystem zu inkludieren, d. h. sie zur Teilnahme an den marktförmig organisierten wirtschaftlichen Austauschprozessen zu aktivieren. Durch die ĂŒberwiegend anzutreffende Charakterisierung als negatives Abwehrrecht wird die Tatsache verdeckt, dass fĂŒr moderne Marktgesellschaften nichts schĂ€dlicher ist als ein toter, jeder Verwendung entzogener Besitz. Die Dezentralisierung und Individualisierung der Entscheidung soll gerade zur effizienten, nutzenmaximierenden Verwendung der Sache fĂŒhren, z. B. als Sicherheit fĂŒr einen Kredit, mit dem sich ein Unternehmen grĂŒnden oder in ein Unternehmen investieren lĂ€sst.
Dezentralisierung und Individualisierung haben zur Folge, dass das subjektive Recht sich aus Sozialbeziehungen der ReziprozitĂ€t ausdifferenziert, in denen es kein Recht ohne Pflichten gibt, wie dies paradigmatisch in den mittelalterlichen Lehensbeziehungen der Fall war (Besitzrecht an Grund und Boden gegen LoyalitĂ€t und Waffendienst fĂŒr den Lehensgeber). Das moderne subjektive Recht verleiht seinem Inhaber einen Anspruch gegen Andere, der nicht durch eine gleichzeitige Verpflichtung diesen Anderen gegenĂŒber bedingt ist. B hat gegenĂŒber dem Inhaber A eines solchen claim-right (Hohfeld) nur die komplementĂ€re Pflicht, etwas zu tun oder zu unterlassen (z. B. Eingriffe in das Eigentum des A), ohne dass B ihrerseits ein Recht gegenĂŒber A hĂ€tte. Der Übergang von der ReziprozitĂ€t zur KomplementaritĂ€t von Rechten und Pflichten fĂŒhrt unter anderem auch dazu, dass das Recht sich aus seiner traditionellen VerschrĂ€nkung mit anderen normativen Ordnungen löst, weil in ihm Rechte Vorrang vor Pflichten haben. Das subjektive Eigentumsrecht wird rechtlich gegenĂŒber jedem Dritten anerkannt, auch wenn der Inhaber dieses Rechts vielleicht noch einer Religionsgemeinschaft angehört, die den Besitz einer Sache nur unter der Bedingung als gerechtfertigt anerkennt, dass der EigentĂŒmer seiner primĂ€ren Pflicht zur Hilfeleistung fĂŒr BedĂŒrftige nachkommt.
Schließlich kommt mit dem so verstandenen subjektiven Recht auch das Konzept einer individuellen Handlungsmacht (agency) in die Welt – die Vorstellung, sui juris, Herr seiner selbst zu sein, und durch den eigenen Willen die sozialen VerhĂ€ltnisse des eigenen Lebens zu gestalten, indem man zurechenbare Rechtsfolgen auslöst. Dass normative Ordnungen ĂŒberhaupt, namentlich RechtsverhĂ€ltnisse, insbesondere rechtliche Verpflichtungen, durch den Willen eines Einzelnen geschaffen, geĂ€ndert und beendet werden können, dass diese Rechtsgestaltungen ausschließlich und allein ihren rechtfertigenden Grund in der AutoritĂ€t einer Rechtsperson haben – dieser Schritt ist der eigentlich revolutionĂ€re. Damit geraten alle Verpflichtungen, die Einzelne in ihren sozialen VerhĂ€ltnissen eingehen oder in denen sie sich vorfinden, fĂŒr den Fall unter den Vorbehalt einer autonomen WillenserklĂ€rung, dass aus diesen Verpflichtungen Rechtsfolgen begrĂŒndet werden sollen.
Die individualisierende, vereinzelnde Bedeutung subjektiver Rechte, zumal in Gestalt der Menschenrechte, ist historisch und aktuell immer wieder kritisiert worden. Die individuellen FreiheitsspielrĂ€ume seien nur funktionale Zuweisungen eines ökonomischen Systems, das wettbewerbsförmig und kapitalistisch organisiert wird und dem Einzelnen faktisch als Zwang gegenĂŒbertritt. Aus der Beobachterperspektive erscheint das moderne subjektive Recht als eine Funktion der Reproduktion kapitalistischer VerhĂ€ltnisse (Marx), als Inklusion des Einzelnen in das ökonomische System (Luhmann), als eine der vielen Techniken der Bio-Macht, mit der Menschen zu rechtlich verantwortlichen und haftbaren Personen subjektiviert werden. UnĂŒbersehbar ist der Widerspruch zwischen der rechtlich behaupteten normativen Gleichheit aller Individuen als (EigentĂŒmer-) Rechtssubjekte und einer sozialen und ökomischen RealitĂ€t, in der die ungleiche Verteilung von GĂŒtern und Lebenschancen dieses Recht fĂŒr viele bedeutungslos werden lĂ€sst.
Gleichwohl tritt das moderne subjektive Recht nicht nur als faktisches Privileg einer Klasse oder Elite auf, sondern mit dem Anspruch, allgemeines und gleiches Recht fĂŒr gleiche Rechtssubjekte zu sein. Die Konfrontation zwischen Anspruch und Wirklichkeit initiiert Prozesse der Kritik, die zu VerĂ€nderungen sowohl der sozialen VerhĂ€ltnisse als auch des Rechts fĂŒhren. So soll eine fĂŒr alle vorteilhafte und gerechte, arbeitsteilige und kooperative Struktur, ein System der Zusammenarbeit ermöglicht werden (117). In dieser Form können diese Prozesse allerdings erst dann auftreten, wenn das Recht sich in der oben beschriebenen Weise von anderen normativen Ordnungen entkoppelt hat. Sie setzen die wechselseitige Anerkennung als Rechtspersonen voraus, die Inhaber eines subjektiven Rechts sind, unabhĂ€ngig davon, zu welchen Gemeinschaften mit welchen normativen Ordnungen sie außerdem noch gehören. Die wechselseitige Anerkennung als Rechtsperson verlangt insofern eine hohe Abstraktionsleistung, dies vor allem dann, wenn es um Menschenrechte geht.
Die Dezentralisierung, Individualisierung und Subjektivierung, die mit den subjektiven Rechten einhergeht, erlaubt nicht nur die eigeninteressiert-rationale Zwecksetzung und Erfolgsorientierung der Inhaber dieser Rechte, sondern auch den Verzicht auf deren AusĂŒbung und Gebrauch. Gleichwohl bedarf auch der passive RĂŒckzug, wenn er sich in die Form eines Rechts kleidet, der intersubjektiven Anerkennung durch andere Rechtspersonen. Auch der höchste Grad der Vereinzelung ist als Recht nur innerhalb einer Rechtsgemeinschaft möglich. Subjektive Rechte sind also intrinsisch auf ein objektives Recht angewiesen, das ihren intersubjektiven Gehalt explizit macht und in der Form des Rechts zur Geltung bringt. Diese Form ist das allgemeine, abstrakte und gleiche Gesetz. Auch als Grund- und Menschenrechte bedĂŒrfen die subjektiven Rechte dieser Form, sei es als Vertrag, als Konvention oder als Verfassung. Der intersubjektive Gehalt moderner subjektiver Rechte lĂ€sst sich also sowohl funktional aus der Struktur und Dynamik moderner Gesellschaften erklĂ€ren als auch normativ rechtfertigen. Subjektive Rechte und objektives Recht gehören daher zusammen. Allerdings liegt nicht von vornherein fest, wie der intersubjektive Gehalt subjektiver Rechte in der Form des objektiven Rechts ausbuchstabiert werden kann. Dabei gehört es aber schon zur Idee des subjektiven Rechts als einer Willens- und Handlungsmacht zu selbstbestimmter Freiheit, dass nur eine solche Gesetzgebung legitim sein kann, in der diese subjektive Freiheit ihrerseits wiederum zur Geltung kommen kann. Wenn ich als Inhaber subjektiver Rechte Autor meiner RechtsverhĂ€ltnisse bin, muss ich auch bei der Gestaltung des objektiven Rechts, das subjektive Rechte gewĂ€hrt, Mit-Autor der Gesetzgebung sein können.

III.3

In der Reflexion auf das SelbstverstĂ€ndnis des modernen Rechts sind dazu verschiedene Modelle entwickelt worden, von denen Habermas paradigmatisch die naturrechtlichen Theorien des Gesellschaftsvertrages, den Rechtspositivismus, Rousseaus Theorie der VolkssouverĂ€nitĂ€t sowie Kants Theorie des Vernunftrechts diskutiert. Ihr jeweiliges Defizit besteht stets darin, dass in ihnen die beiden zentralen Momente des SelbstverstĂ€ndnisses, die Privatautonomie und die politische Autonomie (VolkssouverĂ€nitĂ€t), nicht unverkĂŒrzt zur Geltung kommen. Wie lĂ€sst sich also „die intersubjektive Struktur von Rechten und die kommunikative Struktur der Selbstgesetzgebung ernstnehmen und angemessen explizieren“? (135). In einer Reihe von LösungsvorschlĂ€gen spielt die moderne, kognitivistische und universalistische Moral oftmals eine zentrale Rolle. Wird politische Autonomie nach dem Modell einer selbstbestimmten, allgemeinen Gesetzgebung fĂŒr alle Menschen konfiguriert, liegt es nahe, das Recht als EinschrĂ€nkung der Moral durch faktisch wirksame Institutionen einer partikularen Rechtsgemeinschaft zu verstehen, dessen LegitimitĂ€t jedoch strikt an eine moralische Rechtfertigung gebunden bleibt. Gegen dieses Modell eines hierarchischen VerhĂ€ltnisses von Moral und Recht fĂŒhrt Habermas das sozialgeschichtliche Faktum an, dass sich in modernen Gesellschaften rechtliche und moralische Regeln gleichzeitig ausdifferenziert haben (137). Es ist daher angemessener, von einer KomplementaritĂ€t zwischen Recht und Moral, statt einer Über- und Unterordnung zu sprechen.
Dieses ErgĂ€nzungsverhĂ€ltnis hat selbst wiederum einen sozialgeschichtlichen Hintergrund, der das SelbstverstĂ€ndnis des modernen Rechts mitbestimmt. Das moderne Recht gewinnt seine spezifische Form als Folge der Modernisierung, der Ausdifferenzierung einer traditionalen, holistischen, integrativen Sittlichkeit. Es löst sich damit aus dem integrierenden Zusammenhang mit den normativen Ordnungen der Religion, der Moral, der Ethik der LebensfĂŒhrung und der ethisch-politischen IdentitĂ€t einer Gemeinschaft. In dem Maße, wie sich diese Ordnungen, insbesondere die Ethik der LebensfĂŒhrung, die Normen des ethischpolitischen SelbstverstĂ€ndnisses einer Gemeinschaft und die Moral ihrerseits ausdifferenzieren, ĂŒbernimmt das Recht seinerseits eine soziale Integrationsfunktion. Es tritt insbesondere in ein funktionales ErgĂ€nzungsverhĂ€ltnis zu einer universalistischen und kognitivistischen Moral. Von den ethisch-existentiellen, ethisch-politischen und moralischen Normen unterscheidet sich die Rechtsform vor allem dadurch, dass sie nicht aus naturwĂŒchsigen Interaktionsprozessen hervorgeht. Sie ist nicht wie die Moral auf eine motivationale Verankerung bei den Adressaten, auf deren rationale Einsicht angewiesen, sondern kann mit Zwang durchgesetzt werden.
Die moderne Rechtsform bildet zudem einen speziellen Typus von Normen heraus, ĂŒber den andere normative Ordnungen zumindest nicht von Haus aus verfĂŒgen. Mit ErmĂ€chtigungsnormen (H. L. A. Harts sekundĂ€ren Regeln) lassen sich Kompetenzen erzeugen und Organisationen mit entsprechenden Zurechnungen kĂŒnstlich herstellen. Rechtsnormen bilden insofern „eine intentional erzeugte und reflexive, nĂ€mlich auf sich selbst anwendbare Schicht von Handlungsnormen“ (142). Diese Normen regeln unter anderem, wie sich Normen in und außer Kraft setzen, Ă€ndern, anwenden und durchsetzen lassen. Mit diesen Eigenschaften tritt die moderne Rechtsform in ein funktionales KomplementĂ€rverhĂ€ltnis zu einer kognitivistischen und universalistischen Moral. WĂ€hrend diese an lebensgeschichtlich individuierte Personen adressiert ist, die zugleich moralische Subjekte sind, gilt das Recht innerhalb einer kĂŒnstlich erzeugten Gemeinschaft mit abstrakten Rechtspersonen, von denen nur zweckrationale Willensbildung erwartet wird, nicht moralische Selbstbindung (144). Die Etablierung eines Systems sekundĂ€rer Regeln verringert das Problem der kognitiven Unbestimmtheit moralischer Normen angesichts konkreter regelungsbedĂŒrftiger Materien. Das Recht kann moralische Erkenntnis und Einsicht nicht substituieren, aber durch eine legitime autoritative Regelung epistemische Defizite unter den moralischen Subjekten kompensieren – die kognitive Unbestimmtheit wird durch die FaktizitĂ€t der Rechtssetzung absorbiert, was zumal bei komplexen gesellschaftlichen Problemen „fĂŒr den einzelnen eine Entlastung von den kognitiven BĂŒrden der eigenen moralischen Urteilsbildung“ bedeutet (147). Die VerknĂŒpfung des Rechts mit dem Zwang, der eine freiwillige Rechtsbefolgung nicht ausschließt, ermöglicht den Transfer vom Wissen zum Handeln. DafĂŒr zahlt es den Preis, dass es auf rational motivierte Selbstbindung nicht zurĂŒckgreifen kann, sondern WillkĂŒrfreiheit zulassen muss, indem es nur das Ă€ußere Verhalten durch positive oder negative Anreize regelt. Schließlich ermöglicht die Rechtsform die Errichtung von Institutionen und Organisationen zur BewĂ€ltigung komplexer sozialer Koordinationsprobleme fĂŒr die ErfĂŒllung legitimer Ziele, vor allem auch moralisch gebotener Ziele. WĂ€hrend die moderne Moral vor allem als eine Form kulturellen Wissens, als ein Symbolsystem auftritt, ist das Recht vermöge seiner Fakt...

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