Mikrobiom
eBook - ePub

Mikrobiom

Wissensstand und Perspektiven

Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild, Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild

Share book
  1. 342 pages
  2. German
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Mikrobiom

Wissensstand und Perspektiven

Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild, Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild

Book details
Book preview
Table of contents
Citations

About This Book

Seit langer Zeit ist bekannt, dass der Gastrointestinaltrakt Trillionen von Mikroorganismen beherbergt, die als humanes gastrointestinales Mikrobiom bezeichnet werden. Erst die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen aber explosionsartig auf, in welchem Ausmaß das humane Mikrobiom an den physiologischen Entwicklungen und Funktionen des Organismus beteiligt ist und wie stark es das Auftreten von Erkrankungen beeinflusst, die keineswegs auf den Gastrointestinaltrakt beschrĂ€nkt sind.

Auch wenn ein umfassendes VerstĂ€ndnis der komplexen ZusammenhĂ€nge noch aussteht, wurden bereits jetzt wichtige Beobachtungen zu Zusammensetzung und Funktion des gastrointestinalen Mikrobioms beim Gesunden aber auch bei verschiedenen Erkrankungen gemacht. Mit dem vorliegenden Buch soll erstmalig der aktuelle Wissensstand zum gastrointestinalen Mikrobiom dargestellt werden, um Ärzte und andere Interessierte ĂŒber neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Konzepte zu informieren. In kompetenter und stringenter Abhandlung wird auch ĂŒber diagnostische und therapeutische Möglichkeiten und Perspektiven informiert, die wir unseren Patienten heute schon anbieten können.

Frequently asked questions

How do I cancel my subscription?
Simply head over to the account section in settings and click on “Cancel Subscription” - it’s as simple as that. After you cancel, your membership will stay active for the remainder of the time you’ve paid for. Learn more here.
Can/how do I download books?
At the moment all of our mobile-responsive ePub books are available to download via the app. Most of our PDFs are also available to download and we're working on making the final remaining ones downloadable now. Learn more here.
What is the difference between the pricing plans?
Both plans give you full access to the library and all of Perlego’s features. The only differences are the price and subscription period: With the annual plan you’ll save around 30% compared to 12 months on the monthly plan.
What is Perlego?
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Do you support text-to-speech?
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Is Mikrobiom an online PDF/ePUB?
Yes, you can access Mikrobiom by Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild, Andreas Stallmach, Maria J.G.T. Vehreschild in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Medizin & Gastroenterologie & Hepatolgie. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.

Information

Publisher
De Gruyter
Year
2016
ISBN
9783110453331
Andreas Stallmach und Maria Vehreschild

1Einleitung

Seit vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass der Magen-Darm-Trakt mit Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten Trillionen von Mikroorganismen beherbergt, die zusammengefasst als die gastrointestinale Mikrobiota bezeichnet werden. Vor der Geburt ist der Mensch noch weitgehend ohne Mikrobiota. Zwar erfĂ€hrt der Fötus bereits ĂŒber die Plazenta einen Kontakt mit bakteriellen Antigenen der Mutter, doch die erste substantielle Kolonisierung wird durch den Modus des Geburtsvorgangs bestimmt. Kinder, die per sectio entbunden werden, ĂŒbernehmen ihre erste gastrointestinale Mikrobiota aus dem Hautmikrobiom der Mutter. Sie weisen eine verringerte Anzahl von Bakterien der Gattung Bacteroides und Bifidobacterium im Vergleich zu Kindern auf, die vaginal geboren wurden. Mit der ersten Nahrung entwickelt sich dann ein rudimentĂ€res Mikrobiom mit einer noch zunĂ€chst begrenzten Anzahl von Bakterienspezies. Mit zunehmendem Alter tauchen immer neue Spezies auf, und aerobe Bakterien werden durch fakultativ aerobe und anaerobe Arten ersetzt. Die Dynamik bei der Entwicklung des Mikrobioms variiert dabei erheblich bei einzelnen Kindern. So gibt es Phasen mit raschen Änderungen in der Zusammensetzung der Bakterienspezies, denen Phasen relativer StabilitĂ€t folgen. Der Übergang zwischen den Entwicklungsphasen kann ganz plötzlich auftreten und muss keiner Ă€ußeren Ordnung folgen.
Der erwachsene Mensch beherbergt im Gastrointestinaltrakt ca. 1,5 kg Biomasse, deren Hauptanteil Bakterien bilden. Dabei liegt die Zahl der Bakterien des gastrointestinalen Mikrobioms in unserem Körper mit 1012–1014 etwa 10- bis 100fach höher als die Gesamtzahl aller humanen Zellen mit 1011. Protozoen und Viren sind dabei noch nicht mitgerechnet und bisher auch nur schlecht charakterisiert. Noch deutlicher wird diese numerische Dominanz, wenn wir die Gene der Mikrobiota, das gastrointestinale Mikrobiom, betrachten. Hier betrĂ€gt das VerhĂ€ltnis zwischen Mensch und Mikrobiom ca. 1 : 10.000.
Kaum ein anderes Thema der Biomedizin hat in der letzten Dekade unser VerstĂ€ndnis von Gesundheit und Krankheit so stark beeinflusst wie die humane Mikrobiota. Besonders durch das Human Microbiome Project (HMP) hat die Mikrobiota-Forschung in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erfahren. In bisher mehr als 20.000 wissenschaftlichen Publikationen wurden die neuen Erkenntnisse beschrieben. Fast banal klingt, dass die gastrointestinale Mikrobiota wesentlich an der Verdauung von NĂ€hrstoffen beteiligt ist, fĂŒr Immunfunktionen eine wichtige Rolle spielt und metabolische Funktionen und Signalwege aus dem Gastrointestinaltrakt zu anderen Organen einschließlich Leber, Muskulatur und Zentralnervensystem beeinflusst. Wichtig ist aber auch darauf hinzuweisen, dass der Mensch selber das Mikrobiom beeinflusst. So haben z. B. genetische Faktoren einen starken modulierenden Einfluss auf die Mikrobiota. Die Probleme im VerstĂ€ndnis der Mikrobiota bzw. die Fragen zum Mikrobiom reflektieren somit die klassische „Henne-oder-Ei-Problematik“ in der Wissenschaft.
Da der Großteil der humanen Mikrobiota den Gastrointestinaltrakt kolonisiert, verdient dieses Ökosystem sicherlich besondere Aufmerksamkeit. Es besteht aus einer grĂ¶ĂŸeren Anzahl verschiedener Bakteriengattungen, von denen Firmicutes und Bacteroidetes die wichtigsten Gruppen bilden. Interindividuell kann die Zusammensetzung der bakteriellen Flora insbesondere auf Speziesebene deutlich variieren. Vor einigen Jahren wurde die Hypothese aufgestellt, dass sich menschliche Mikrobiome trotz ihrer großen interindividuellen Unterschiede einem sogenannten Enterotyp zuordnen lassen. Die initial beschriebenen drei verschiedenen Enterotypen Bacteroides spp. (Enterotyp 1), Prevotella spp. (Enterotyp 2) und Ruminococcus (Enterotyp 3) zeichneten sich durch eine Abundanz der jeweils namensgebenden Spezies aus. Allerdings werden die tatsĂ€chliche Existenz und Relevanz dieser Enterotypen mittlerweile wieder kontrovers diskutiert, dies betrifft insbesondere den Enterotyp 3.
Der Wissensgewinn in diesem Bereich wird durch die Tatsache erschwert, dass das gastrointestinale Mikrobiom einer unkomplizierten, direkten Probenentnahme nur schwer zugĂ€nglich ist. Des Weiteren variiert seine Zusammensetzung in verschiedenen Abschnitten wie Magen, DĂŒnn- und Dickdarm. Auch unterscheidet sich die luminale Mikrobiota von der direkt der Mukosa adhĂ€renten Mikrobiota. Um diese Problematik zu umgehen, werden zurzeit parallel eine FĂŒlle von Asservationsmöglichkeiten – von Stuhlproben ĂŒber Darmbiopsien und Rektalabstriche – erprobt. In Ă€hnlichem Maße divers gestalten sich die Möglichkeiten zur DNA-Extraktion und Sequenzierung. Einst galten die vom HMP in 2013 veröffentlichten Protokolle zur Probengewinnung, Verarbeitung und Analyse fĂŒr Mikrobiomstudien diesbezĂŒglich als Goldstandard, doch diese entsprechen schon jetzt nicht mehr den aktuellen technischen und wissenschaftlichen Standards, sodass in der Regel jedes Institut seine eigene optimierte Version einer Analysepipeline vorhĂ€lt. Da sich die Situation in Bezug auf die anzuschließenden bioinformatischen und statistischen Analysen Ă€hnlich verhĂ€lt, ist die Vergleichbarkeit von Ergebnissen aktuell nicht oder nur in stark eingeschrĂ€nkter Form gegeben.
Wie viele andere aktuell erscheinende Arbeiten können auch die in diesem Buch zusammengestellten BeitrĂ€ge nur einen partiellen Eindruck von der Menge und KomplexitĂ€t der Funktionen der humanen Mikrobiota vermitteln. Durch die Produktion unzĂ€hliger Metabolite bleiben ihre regulatorischen FĂ€higkeiten nicht ausschließlich auf lokale Interaktionen, z. B. mit den auf Haut und SchleimhĂ€uten ansĂ€ssigen Zellen des Immunsystems, begrenzt. Vielmehr ergeben sich durch diese Botenstoffe unzĂ€hlige Möglichkeiten der Interaktion mit allen Organen des menschlichen Körpers. Ähnlich wie bei der Erforschung des zentralen Nervensystems stellt uns ein derart vielschichtiges Netzwerk, dessen Systematik keiner uns bisher bekannten Logik zu folgen scheint, vor immense Herausforderungen. Diese KomplexitĂ€t spiegelt sich aktuell auf allen Ebenen der Analytik wider. Zwar hat sich durch die deutlich verbesserte VerfĂŒgbarkeit des Next-Generation-Sequencing (NGS) einer grĂ¶ĂŸeren Zahl von Wissenschaftlern das Forschungsgebiet Mikrobiom eröffnet, doch dieser Prozess verlĂ€uft bisher noch in relativ ungeregelten Bahnen. Hier erscheint eine weltweite Prozessharmonisierung dringend notwendig und sinnvoll. Auf der Ebene der Metabolomanalyse wurde ein entsprechender Konsensusprozess mit der GrĂŒndung der Metabolomics Standard Initiative in 2004 bereits eingeleitet, doch auch in diesem Bereich erschwert der rasante technologische Fortschritt die Erstellung allgemein-gĂŒltiger Leitlinien zur Analyse. Historisch ist das Gebiet der Metabolomicsforschung nicht aus der Forschung zu der Mikrobiota erwachsen, sondern hat sich parallel dazu entwickelt. Entsprechend qualifizierte Forscher sind daher meist nicht primĂ€r auf die Mikrobiomforschung fokussiert. Bedenkt man nun, dass schon fĂŒr die Umsetzung einer klassischen Mikrobiomanalyse mehrere Kooperationspartner notwendig sind (die Probanden/Patienten, betreuenden Ärzte, Mikrobiologen, Bioinformatiker und Statistiker), so wird klar, dass die Integration einer Metabolomicsanalyse die Projektorganisation noch deutlich verkomplizieren kann. Die Situation wird auch dadurch erschwert, dass die hohe Nachfrage nach Kooperationspartnern im Metabolomicsbereich aufgrund der aktuell exponentiell ansteigenden Anzahl an Mikrobiomstudien kaum ausreichend gedeckt werden kann. Ein Ă€hnliches VerhĂ€ltnis von Angebot und Nachfrage besteht ebenfalls im Bereich der Bioinformatik. Perspektivisch scheint hier ein weiterer Ausbau der Forschungslandschaft hin zu Zentren oder Netzwerken, die eine Expertise fĂŒr alle erforderlichen Untersuchungen vorhalten können, ratsam.
Die bisher noch eingeschrĂ€nkte Vernetzung von Mikrobiotaanalyse und den Möglichkeiten der modernen Metabolomicsanalysen ist mit einer deutlichen EinschrĂ€nkung der Erforschung von KausalzusammenhĂ€ngen verbunden. Die reine Mikrobiotaanalyse ist nur in seltenen FĂ€llen in der Lage, einen Wirkungsmechanismus aufzuzeigen, allerdings auch nur dann, wenn der Mechanismus in einer lokalen Interaktion zwischen bakteriellen und menschlichen Zellen begrĂŒndet liegt. Jeder ĂŒber Stoffwechselprodukte vermittelte Vorgang entzieht sich dieser Analyse. Ohne die Einbeziehung der „Metabolomicsdaten“ sind hochauflösende rein deskriptive Studien in ihrer Aussagekraft also deutlich eingeschrĂ€nkt. Wir brauchen somit die ZusammenfĂŒhrung deskriptiver Ergebnisse mit funktionellen Studien aus einem phĂ€notypisch gut charakterisierten Patientenkollektiv, um der KomplexitĂ€t des Mikrobioms evtl. irgendwann gerecht werden zu können.
Auch wenn sich all diese strukturellen Probleme lösen ließen, bleibt ungeklĂ€rt, inwieweit unser Mikrobiom unseren VerstĂ€ndnisversuchen ĂŒberhaupt zugĂ€nglich gemacht und komplett verstanden werden kann. Aus heutiger Sicht scheint es nur schwer denkbar, dass die Bedeutung des Einflusses komplexer Einflussfaktoren, wie z. B. unsere ErnĂ€hrung, auf die Mikrobiota und das Metabolom verstanden werden kann. Trotz dieser Bedenken wird ĂŒber das zufĂ€llige Entdecken hinaus die strukturierte Wissenschaft zum Mikrobiom wie jede systematische Forschung zu neuen Erkenntnissen fĂŒhren. Fast jede Woche wird eine wissenschaftliche Arbeit publiziert, die eine neue Assoziation zwischen VerĂ€nderungen der gastrointestinalen Mikrobiota und verschiedenen Krankheiten beschreibt; die Liste reicht mittlerweile von „A“ wie Autismus bis „Z“ wie ZahnwurzelentzĂŒndungen. Aufgrund der KomplexitĂ€t der vermeintlichen ZusammenhĂ€nge mĂŒssen diese Ergebnisse jedoch kritischer als manchmal geschehen, bewertet werden. So werden die Ergebnisse dieser Assoziationsstudien viel zu hĂ€ufig in den Publikumsmedien als gesicherte kausale ZusammenhĂ€nge dargestellt, was sich derzeit jedoch nur fĂŒr eine kleine Zahl von Erkrankungen belegen lĂ€sst.
Trotz dieser EinschrĂ€nkung haben diese Studien auch neue therapeutische Interventionen begrĂŒndet. Mit der sogenannten „Stuhltransplantation“ oder „DarmfloraĂŒbertragung“ hat in den letzten Jahren eine hocheffektive Mikrobiota-basierte Behandlung zur Therapie der rezidivierenden Clostridiumdifficile-Infektion vielerorts Einzug in die klinische Praxis gehalten. Dabei wird ein durch eine verminderte DiversitĂ€t geprĂ€gtes pathologisches Mikrobiom durch das Mikrobiom eines Gesunden ersetzt. Wie nachhaltig dieser radikale Behandlungsansatz das Mikrobiom des Patienten beeinflusst, welchen Einfluss diese Maßnahme auf die Resilienz des Mikrobioms hat und ob sie auch bei systemischen Erkrankungen mit genetischer SuszeptibilitĂ€t, wie. z. B. den chronisch-entzĂŒndlichen Darmerkrankungen, langfristig mit therapeutischen Erfolgen verknĂŒpft ist, ist Gegenstand aktueller klinischer Studien. Nicht ĂŒberraschend stĂ¶ĂŸt auch hier unser Krankheits- und TherapieverstĂ€ndnis erst einmal an die Grenzen seiner altbekannten Definitionen. Auch wenn die Bundesoberbehörde diesen therapeutischen Ansatz als „Behandlung mit einem Arzneimittel“ eingestuft hat, wird eine Zulassung per definitionem niemals möglich sein, da dieser Vorgang die Möglichkeit der Herstellung von in ihrer Zusammensetzung regelhaft reproduzierbaren Produkten voraussetzt. Eine hierdurch bedingte Verschiebung Mikrobiota-basierter Therapien in eine rechtliche Grauzone lĂ€sst sich weltweit in verschiedenen AusprĂ€gungen beobachten. Doch durch das zunehmende Interesse pharmazeutischer Unternehmen an diesen Therapien erhöht sich der Druck hin zu einer Lösung im Sinne einer Zulassung. Möglich gemacht werden soll dies ĂŒber die Entwicklung von Produkten mit einer reduzierten und definierten Art und Anzahl von probiotisch wirksamen Bakterien. Diese Entwicklung ist einerseits wĂŒnschenswert, andererseits ist eine Zulassung auch immer mit einem Patent verbunden. Wird nun die Gesamtheit des Mikrobioms betrachtet, so erscheint es in seiner KomplexitĂ€t und FunktionalitĂ€t einem Organ Ă€hnlich. Das Bestreben, menschliche Organe patentieren zu lassen, wĂŒrde mit Sicherheit eine differenzierte gesamtgesellschaftliche Debatte auslösen. Da es sich in diesem Fall aber „nur“ um Bakterien handelt, droht diese Debatte auszufallen.
Ein weiteres Ergebnis der Mikrobiomforschung, das bereits jetzt schon weite Kreise zieht, ist das wachsende Wissen ĂŒber die Nebenwirkungen und Langzeitfolgen einer Antibiotikatherapie. Schon lange ist bekannt, dass Antibiotika einen Selektionsdruck ausĂŒben, der die Kolonisierung mit resistenten Bakterien begĂŒnstigt. Des Weiteren waren definierte Nebenwirkungen fĂŒr bestimmte Antibiotika bekannt. Mit der FĂŒlle des nun entstehenden Wissens ĂŒber die zentrale Rolle unseres Mikrobioms ergeben sich jedoch möglicherweise deutlich weitreichendere Implikationen einer Antibiotikatherapie als bisher vermutet. Dieses Wissen hat mittlerweile auch den Weg aus der Fach- in die Laienpresse und damit in das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein gefunden. WĂ€hrend bisher bei vielen Ärzten und Patienten die Gabe eines Antibiotikums im Zweifel meist sicherer erschien als der Verzicht darauf, vollzieht sich bzgl. dieser Wahrnehmung aktuell ein einschneidender Sinneswandel hin zum verantwortlichen Umgang mit dem menschlichen Mikrobiom. Ob der hĂ€ufige Einsatz der Antibiotika auch die ErklĂ€rung darstellt, warum vor Urzeiten unser Mikrobiom wohl deutlich vielfĂ€ltiger war als heutzutage, ist umstritten. Gezeigt werden konnte, dass das gastrointestinale Mikrobiom der im Amazonasgebiet isoliert lebenden Yanomamis-Indianer bis zu 10-mal so viele Arten enthĂ€lt wie das der Menschen aus den USA und auch wesentlich vielfĂ€ltiger ist als das von anderen Indio-StĂ€mmen der Amazonasregion.
Zusammenfassend lĂ€sst sich sagen, dass insbesondere durch die Forschung der letzten Dekade die zentrale Rolle der Mikrobiota in der Physiologie des menschlichen Organismus und bei der Entstehung von Krankheiten aufgezeigt werden konnte. Die hieraus begrĂŒndete und zum Teil sicherlich berechtigte Euphorie ĂŒber das Potenzial des Mikrobioms lĂ€sst nun langsam ebenso einer kritischen Diskussion und Prozessoptimierung Raum. Auch wenn aufgrund der FĂŒlle der zu verfolgenden Spuren die Versuchung groß ist, eine solche Spur auf eigene Faust zu verfolgen, scheint es ratsam, vorerst einen Schritt zurĂŒckzutreten und unsere Energien zu bĂŒndeln. Nur so können wir der hier vorgefundenen KomplexitĂ€t langfristig gerecht werden. In diesem Sinne soll mit dem vorliegenden Buch zum Mikrobiom der aktuelle Wissensstand dargestellt werden, um Studierende der Biowissenschaften, Ärzte und Wissenschaften, aber auch den wissenschaftlich interessierten Laien ĂŒber die wichtigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Konzepte zu diesem „neuen Superorgan“ zu informieren.
Silke Peter

2Mikrobiom und Metagenom – PrĂ€analytik, DNA-Extraktion und Next-Generation-Sequencing aus Stuhlproben

2.1EinfĂŒhrung

Die Next-Generation-Sequencing-(NGS-)Technologien haben es ermöglicht, die mikrobielle Zusammensetzung komplexer Proben in großem Maßstab zu untersuchen, und damit völlig neue Forschungsgebiete zugĂ€nglich gemacht. Gerade im Bereich der Humanmedizin ist der potenzielle Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und einer Vielzahl von Erkrankungen gegenwĂ€rtig Gegenstand intensiver ForschungsaktivitĂ€ten.
Um eine Mikrobiomstudie erfolgreich durchfĂŒhren zu können, mĂŒssen bei der Planung eine Vielzahl von EinflussgrĂ¶ĂŸen berĂŒcksichtigt werden. Insbesondere die prĂ€analytischen Anforderungen, wie das genaue Prozedere zur Probengewinnung, der Probentransport und die Probenlagerung, mĂŒssen sorgfĂ€ltig erwogen und genau festgelegt werden, da sie die QualitĂ€t der zu sequenzierenden DNA entscheidend mitbestimmen. Auch die Auswahl der DNA-Extraktionsmethode, die verwendete Sequenzierungsmethode und die Art der Datenanalyse beeinflussen die Ergebnisse der Mikrobiomstudie. Imfolgenden Kapitel soll ein Überblick ĂŒber die verschiedenen technischen Aspekte gegeben werden, die bei dem Entwurf einer Mikrobiomstudie berĂŒcksichtigt werden sollten, wobei der Datenauswertung ein eigenes Kapitel im Buch gewidmet ist. In Abb. 2.1 ist der Ablauf der einzelnen Arbeitsschritte einer Mikrobiomanalyse schematisch dargestellt.
Abb. 2.1: Schematische Darstellung der wichtigsten Schritte einer Mikrobiomanalyse von der Probenentnahme bis hin zur Dateninterpretation.

2.2Technische Aspekte

2.2.1 PrÀanalytik: Probengewinnung, Transport und Lagerung

Zum gegenwĂ€rtigen Zeitpunkt gibt es keinen allgemein anerkannten und breit angewendeten Goldstandard fĂŒr die DurchfĂŒhrung einer Mikrobiom- oder Metagenomstudie. Dies fĂŒhrt dazu, dass stĂ€ndig neue Protokolle zum Einsatz kommen, die die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Studien erschweren. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, hatte sich das Human Microbiome Project (HMP) des U.S. National Institute of Health (NIH) zum Ziel gesetzt eine standardisierte Methodik zu entwickeln und einen Referenzdatensatz des Mikrobioms von gesunden Erwachsenen Personen erstellt. Die derzeit verfĂŒgbare Version wurde jedoch seit mehreren Jahren nicht mehr aktualisiert, sodass neue Erkenntnisse und Fortschritte im Bereich der PrĂ€analytik und Probenverarbeitung darin noch nicht berĂŒcksichtigt sind [1].
Probengewinnung sowie Probentransport und Probenlagerung sind wichtige Einflussfaktoren bei Mikrobiomstudien. Sie können die Meng...

Table of contents