Sprache und Empathie
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Sprache und Empathie

BeitrÀge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms

Katharina Jacob, Klaus-Peter Konerding, Wolf-Andreas Liebert, Katharina Jacob, Klaus-Peter Konerding, Wolf-Andreas Liebert

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Sprache und Empathie

BeitrÀge zur Grundlegung eines linguistischen Forschungsprogramms

Katharina Jacob, Klaus-Peter Konerding, Wolf-Andreas Liebert, Katharina Jacob, Klaus-Peter Konerding, Wolf-Andreas Liebert

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Empathie hat sich zu einem Leitbegriff in den Kognitions-, Sozial- und Kulturwissenschaften entwickelt. Die Linguistik hat sie bisher nur unzureichend thematisiert, obwohl Sprache und sprachliche Interaktion in menschlicher Kommunikation und VerstĂ€ndigung das grundlegende Mittel und Medium fĂŒr Empathie sind. Empathie wird in diesem Band als eine komplexe kommunikative Praktik konzeptualisiert, die somatische, emotive, kognitive, konative und volitive Resonanzen einschließt und so eine holistische Simulation im Sinne einer differenzierbaren komplexen "EinfĂŒhlung" in die situativ-existentiellen Befindlichkeiten, Dispositionen und LebensvollzĂŒge und BedĂŒrfnisse jeweiliger Interaktionspartnerinnen und -partner oder -objekte ermöglicht.
Der Band enthĂ€lt grundlegende BeitrĂ€ge aus Philosophie, Ethnologie, Psychologie und Linguistik in den WissensdomĂ€nen Mensch-Tier-Kommunikation, Recht, Politik, Bildung, Wirtschaft, Medizin, Literaturwissenschaft, Kunst, InterkulturalitĂ€t, Wissenschaftskommunikation und Sprachreflexion und umreißt so den Rahmen fĂŒr eine zukĂŒnftige Linguistik der Empathie.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2020
ISBN
9783110679700
Edition
1

Teil 1:Grundlegende Überlegungen zum Zusammenhang von Empathie, Kommunikation und Sprache

Thiemo Breyer

Parameter und Reichweite der Empathie

Thiemo Breyer, Philosophisches Seminar, UniversitÀt zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln, Tel.: 0221/470-1235, Fax: -1964, thiemo.breyer[at]uni-koeln.de
Theoretische Grundlagen und ethische Diskussionen
Zusammenfassung: Dieser Beitrag bietet einen Einblick in den Facettenreichtum derjenigen PhĂ€nomene, die in der philosophischen und interdisziplinĂ€ren Forschung unter dem Begriff der Empathie untersucht werden. Hierzu wird eine Gliederung mehrerer Grundformen eingefĂŒhrt, von der ausgehend die Grenzen der menschlichen EmpathiefĂ€higkeit, die sie beeinflussenden Parameter und ihre Reichweite innerhalb der verschiedenen Dimensionen subjektiver und intersubjektiver Erfahrung skizziert werden, um sodann nach den ethischen und moralischen Konsequenzen der Wechselwirkungen zwischen diesen Dimensionen zu fragen. Im Zuge dessen kommen einige klassische Autoren der Philosophiegeschichte zu Wort, die widerstreitende EinschĂ€tzungen bezĂŒglich des Wertes affektiv-emotionaler Empathie geben. Mit Rekurs auf das Mitleid als einem traditionell hĂ€ufig in Ethik und Moralphilosophie thematisierten PhĂ€nomen, kann der Stellenwert dieses Empathiemodus beleuchtet werden. Es zeigt sich dabei, dass die Skepsis mancher Philosophen gegenĂŒber dem Mitleid in aktuellen Diskussionen ĂŒber die ‚dunklen Seiten‘ der Empathie wiederkehrt. So wird beispielsweise erörtert, ob Empathie auf einen intrinsischen Altruismus des Menschen als animal sociale hinweist oder ob Empathie ein egoistisches Mittel ist, um die eigenen Zwecke gegenĂŒber anderen durchsetzen zu können. Im Ausblick wird eine moderat optimistische Antwort auf diese Frage gegeben.
SchlĂŒsselwörter: AffektivitĂ€t, Empathieblockade, Ethik, Kognition, Mitleid, Leibkörper

1Einleitung

Als Einstieg kann eine lebensweltliche Vignette helfen, die KomplexitĂ€t empathischer Erlebnisse sichtbar zu machen: Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach einem aufreibenden Arbeitstag, an dem Sie einen Streit mit ihrem Vorgesetzten hatten und entsprechend schlecht gelaunt sind, zur Geburtstagsparty eines guten Freundes. Sie betreten den festlich geschmĂŒckten Raum und bemerken sofort die Heiterkeit, die hier herrscht, wodurch sich Ihre eigene Stimmung bereits ein wenig aufhellt. Alsbald wird „Happy Birthday“ angestimmt, was dem Jubilar sichtlich gefĂ€llt: Er strahlt ĂŒber das ganze Gesicht. Wie Sie Ihren Freund an seinem Wiegenfest in guter Gesellschaft so sehen, freuen Sie sich mit ihm und fĂŒr ihn. WĂ€hrend weiter gesungen wird, schweift Ihr Blick im Raum umher und Sie bemerken, dass einer der GĂ€ste nicht singt. Sie fragen sich, warum dies wohl der Fall ist und erwĂ€gen eine Reihe von GrĂŒnden: Er könnte Halsweh haben; er könnte frustriert sein, weil er glaubt, er sei ein schlechter SĂ€nger; es wĂ€re aber auch möglich, dass er das Geburtstagslied schlichtweg langweilig findet; oder er will mit seinem Schweigen sogar gegen die stĂ€ndige Wiedergabe derartigen Liedguts rebellieren. WĂ€hrend Sie gedanklich diese Optionen abwĂ€gen, wandert Ihre Aufmerksamkeit weiter und Sie bemerken einen Gast, der offenbar beim Willkommenssekt reichlich zugegriffen hat, angetrunken ist und in schrĂ€gen Tönen lauthals mitgrölt. Eine Freundin, die direkt neben Ihnen steht, ist recht amĂŒsiert und kichert angesichts dieser Einlage. Sie bemerken, wie unwillkĂŒrlich auch in Ihnen ein Kichern aufsteigt, Sie von Ihrer Nachbarin geradezu damit angesteckt werden. Doch es mischt sich auch ein widerstrebendes GefĂŒhl in das Sie schĂŒttelnde Kichern hinein: Sie schĂ€men sich fĂŒr den Betrunkenen ĂŒber sein albernes Verhalten und reflektieren darauf, ob das Ganze ĂŒberhaupt ein geeigneter Anlass ist, um sich zu belustigen. Plötzlich stimmt der zuvor stumme Gast mit in das Geburtstagslied ein, was bei Ihnen die Einsicht hervorruft, dass er nun wahrscheinlich keine Angst mehr hat, sich zu blamieren. Es bewahrheitet sich Ihrer EinschĂ€tzung nach also einer der erwogenen GrĂŒnde fĂŒr das Schweigen, nĂ€mlich, dass der Gast von sich selbst denkt, er sei ein schlechter SĂ€nger, es ihm jetzt aber einerlei ist, ein wenig daneben zu liegen, da der Betrunkene sich bereits blamiert hat. Der Frau des Jubilars ist die Situation sichtlich peinlich, was Sie bemerken und woraufhin Sie Mitleid mit ihr empfinden. Sie fragen sich, wie es ihr in diesem Moment wohl ergeht, stellen sich dies bildhaft vor und beschließen, nach dem Lied zu ihr hinĂŒber zu gehen und sich zu erkundigen, sie abzulenken oder gegebenenfalls zu trösten.
Noch bevor der letzte Ton erklungen ist, haben Sie eine ganze Reihe leiblicher, gefĂŒhlsmĂ€ĂŸiger, gedanklicher und handlungsleitender Erlebnisse gemacht, die die Situation der Geburtstagsparty gliedern. Erstens erlebten Sie eine affektive Resonanz, bei der sich die Stimmung, die sich ĂŒber den Tag hinweg in Ihnen aufgebaut hatte, mit der AtmosphĂ€re, die im Raum herrschte, verband. Zweitens spielte sich eine Episode unmittelbaren Ausdrucksverstehens ab: Die Freude, die dem Geburtstagskind im Gesicht stand, wurde von Ihnen direkt wahrgenommen, was in einer Mitfreude resultierte. Drittens spĂŒrten Sie die leibliche Synchronisierung im gemeinsamen Singen, die durch das Aufmerken auf ein offenkundiges Stummbleiben einer Person und eine hörbare Dissonanz, versursacht durch eine andere Person, gestört wurde. Viertens setzte ein Nachdenken ĂŒber die GrĂŒnde des schweigenden Gastes ein, also eine Mentalisierung, wobei sich einer der hier erwogenen GrĂŒnde spĂ€ter durch eine Kontextinformation plausibilisieren sollte. FĂŒnftens vollzog sich eine GefĂŒhlsansteckung mit entsprechender körperlicher Reaktion im unwillkĂŒrlichen Mitkichern mit Ihrer Nachbarin. Sechstens empfanden Sie eine stellvertretende Emotion, nĂ€mlich die Fremdscham ĂŒber den Trunkenbold und sein unziemliches Gebaren. Siebtens versetzten Sie sich imaginĂ€r in die Gastgeberin hinein, um sich vorzustellen, wie es ihr wohl ergeht – eine phantasiemĂ€ĂŸige Simulation, die bei Ihnen Mitleid auslöste und Sie motivierte zu helfen.

2DiversitÀt von Empathiekonzepten und Systematisierung von Empathiedimensionen

VergegenwĂ€rtigt man sich die interdisziplinĂ€re Literatur der vergangenen Jahrzehnte zum Thema Empathie, so findet man zahlreiche Konzeptualisierungen und DefinitionsvorschlĂ€ge, die mal das eine, mal das andere Erlebnis aus der Liste der eben genannten herausgreifen und besonders betonen. Dabei sehen sich die Autorinnen und Autoren hĂ€ufig unter dem Druck, eine möglichst prĂ€zise und enge Definition anzubieten, wodurch benachbarte Prozesse aus dem Blick geraten. Forschungspolitisch mag es attraktiv erscheinen, auf diese Weise vorzugehen und einen kleinen Bereich der Erfahrung mit einem bestimmten Begriff zu belegen, sodass man diesen fĂŒr sich reklamieren kann. Gleichzeitig impliziert eine solche Strategie aber auch, dass man in Reduktionismen hineingeraten kann und Dissense ausgetragen werden, die nicht zielfĂŒhrend sind, wenn es um eine deskriptiv reichhaltige, epistemologisch adĂ€quate und möglichst unvoreingenommene Bestimmung von PhĂ€nomenen subjektiven und intersubjektiven Erlebens wie der Empathie geht.
Wie das Beispiel der Geburtstagsparty verdeutlicht, werden unsere empathischen FĂ€higkeiten in alltĂ€glichen Situationen stĂ€ndig und auf vielfĂ€ltige Weise in Anspruch genommen. In die Artikulation von Empathie gehen dabei diverse Faktoren mit spezifischen funktionalen Rollen ein. Empathie ist ein zeitlich ausgedehnter, dynamischer, episodischer Prozess, in den Erlebnisse aus unterschiedlichen BewusstseinssphĂ€ren (Wahrnehmen, Sich-Bewegen, FĂŒhlen, Wollen, Denken) integriert werden. Sie lĂ€sst sich nicht als punktueller mentaler Zustand isolieren (auch wenn sie aufgrund der methodologischen Voreinstellungen und der Operationalisierungen in der experimentellen Psychologie meist so untersucht und dargestellt wird). Vielmehr muss berĂŒcksichtigt werden, dass sich Empathie im lebensweltlichen Sinne ĂŒber unterschiedliche Referenzobjekte und Akte der intentionalen Bezugnahme erstreckt und mit habituell geprĂ€gten Schwellenwerten der RezeptivitĂ€t und Aufmerksamkeit versehen ist. Will man die zuvor genannten Aspekte der ĂŒbergreifenden empathischen Erfahrung systematisch ordnen, so kann man drei Dimensionen der Empathie unterscheiden: eine leiblich-körperliche, eine affektiv-emotionale und eine kognitive (Breyer 2015).
1. In der leiblich-körperlichen Dimension lassen sich die Modi der Resonanz und der Expression als Grundformen des empathischen Geschehens aufweisen. a) Der Resonanzmodus besteht in der FĂ€higkeit zur Synchronisierung mit den Bewegungen anderer (Ramseyer/Tschacher 2011), wie beispielsweise bei gemeinsam ausgefĂŒhrten Praktiken oder bei der GefĂŒhlsansteckung (Hatfield/Cacioppo/Rapson 1994), wenn man unwillkĂŒrlich von der GemĂŒtsbewegung eines anderen affiziert wird und motorische Programme aktiviert werden, die sich nur bedingt bewusst steuern lassen. Zur Synchronisierung gehört eine mimetische KapazitĂ€t, durch die wahrgenommene AusdrĂŒcke des anderen in Eigenbewegungen umgesetzt werden (Meltzoff/Moore 1989). Diese Regungen haben ihrerseits eine Ausdrucksseite, die von anderen ebenfalls wahrgenommen wird. b) Der expressive Modus der Empathie besteht im unmittelbaren Ausdrucksverstehen (Zahavi 2011), d.h. im Gewahrsein des Zustandes, in dem sich ein anderer gerade befindet, anhand der Wahrnehmung seiner leiblichkörperlichen AusdrĂŒcke (Mienenspiel und Gestik, aber auch Haltung, Gang und Ausstrahlung).
2. Zur affektiv-emotionalen Dimension der Empathie gehören eine ganze Reihe von Erlebnissen, die sich systematisch nach ihren jeweiligen Bezugspunkten und den Modi ihrer Bezugnahme auf den anderen gliedern lassen. HĂ€ufig wird unter dem Begriff der Empathie die a) partizipierende Bezugnahme auf den anderen gefasst, also beispielsweise die Mitfreude oder das Mitleid (Schlossberger 2013). Wenn wir uns mit jemandem freuen, so erleben wir Freude dort, wo der andere ebenfalls Freude empfindet, wobei seine Freude der Auslöser unserer Freude ist und wir uns dessen auch gewahr sind. Ebenso verhĂ€lt es sich mit dem Mitleid: Wir nehmen ein Leiden am anderen war und empfinden Mitleid mit ihm und fĂŒr ihn. GegenĂŒber diesem partizipierenden Modus gibt es aber auch – und das mag in dieser Auflistung vielleicht merkwĂŒrdig erscheinen – den b) invertierenden Modus, bei dem wir mit einem GefĂŒhl auf den anderen reagieren, das seinem eigenen GefĂŒhl nicht entspricht bzw. diesem antagonistisch gegenĂŒbersteht. Beispiele hierfĂŒr sind Schadenfreude oder Neid (Smith u. a. 1996). Bei der Schadenfreude haben wir eine positive Emotion im Angesicht eines negativen emotionalen Zustands des anderen: Wir freuen uns, wenn er leidet und darĂŒber, dass er leidet. Beim Neid empfinden wir eine negative Emotion, wo der andere eine positive empfindet: Wir gönnen ihm sein GlĂŒck nicht, es macht uns unglĂŒcklich. Warum sollte man nun diesen invertierenden Modus der emotionalen Bezugnahme auf den anderen als Möglichkeit von Empathie begreifen? Es scheint zumindest im AlltagsverstĂ€ndnis der Empathie bzw. der hĂ€ufig mit ihr gleichgesetzten Sympathie oder dem MitgefĂŒhl zuwiderzulaufen, PhĂ€nomene wie Schadenfreude oder Neid mit Empathie in Verbindung zu bringen. Doch strukturell zeigt sich, dass die partizipierenden und die invertierenden Formen zwei Seiten einer Medaille sind. In beiden FĂ€llen ist vorausgesetzt, was Empathie grundlegend ausmacht, nĂ€mlich einen bewusstseinsmĂ€ĂŸigen Zugang zu BewusstseinsmĂ€ĂŸigem, das anderen zugehört (der traditionelle Begriff des Fremdpsychischen ist hier durchaus treffend), zu haben, unabhĂ€ngig davon, in welchen GefĂŒhlen unsererseits – ob positiv oder negativ – dieser Zugang sich ausprĂ€gt. Als dritten Modus der affektivemotionalen Dimension der Empathie lĂ€sst sich schließlich der c) stellvertretende identifizieren, wie wir ihn in der Fremdscham kennengelernt haben (Krach u. a. 2011). Bei der Fremdscham empfinden wir Scham dort, wo der andere keine Scham empfindet (beispielsweise weil er betrunken ist und sich nicht darum schert, wie andere ihn wahrnehmen). Wir nehmen dem anderen das GefĂŒhl, das in seiner Situation unserer Ansicht nach angemessen wĂ€re, gleichsam ab, wir ĂŒbernehmen es. Anders als beim partizipierenden Modus, wo die Ursache unserer Freude in der Freude des anderen liegt, ist es beim stellvertretenden Modus die Abwesenheit eines bestimmten GefĂŒhls beim anderen, durch die eigentĂŒmlicherweise ein solches in uns evoziert wird. Ein anderes Beispiel fĂŒr eine stellvertretende Emotion wĂ€re die Situation, in der Wut in uns aufsteigt, wenn wir das Leiden eines anderen betrachten, dieser selbst aber augenscheinlich nicht wĂŒtend ist. Das mag aufgrund seiner stoischen Gelassenheit im Angesicht eines Übels oder aber aufgrund einer Traumatisierung der Fall sein, die sprach- und ausdruckslos macht.
3. Die kognitive Dimension der Empathie umfasst a) inferentielle, das heißt auf Schlussfolgerungen basierende Prozesse der mentalen Verarbeitung sozialer bzw. fremdpsychischer Information ebenso wie b) imaginative Prozesse des Sich-Hineinversetzens in den anderen. Im ersten Fall ĂŒberlegen wir eher abstrakt, wie es einer anderen Person in einer gegebenen Situation wohl ergehen mag, was sie fĂŒhlt, sich vorstellt oder auch denkt. Diese Form der Bezugnahme auf das psychische Leben des anderen geschieht auf der Basis von allgemeinen Regeln, die auf aktuell erschließbare Informationen bezogen werden. Aus der eigenen Lebenserfahrung und generalisiertem Wissen werden in Anwendung auf wahrgenommene Situationen Vorhersagen getroffen, was hinsichtlich der Erlebnisweisen und -inhalte des anderen am wahrscheinlichsten ist. Hierbei wird hĂ€ufig von den Kontingenzen der gegenwĂ€rtigen Lage abstrahiert und es werden allgemeine Prinzipien aus einer drittpersonalen Perspektive in Anschlag gebracht. Dieser gedankliche Umgang mit dem Fremdpsychischen wird hĂ€ufig als Theoretisierung bestimmt (Gopnik/Wellman 1994). Doch ist Wissen, das autobiographisch erworben und in gedanklichen Routinen habitualisiert ist, wirklich ein theorieförmiges Wissen? Ist es fĂŒr eine Theorie hinreichend, dass Verallgemeinerungen und Vorhersagen gemacht werden? Gewiss ist ein wissenschaftlicher Theoriebegriff komplexer und anspruchsvoller. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass Menschen stĂ€ndig KausalitĂ€ten zwischen Erei...

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