Armee ohne Auftrag
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Armee ohne Auftrag

Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik

Wilfried von Bredow

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Armee ohne Auftrag

Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik

Wilfried von Bredow

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Nichts spiegelt den unentschiedenen Zustand der deutschen Sicherheitspolitik so stark wider wie der desolate Zustand der Bundeswehr. Nichts passt hier richtig zusammen. Dient sie der Landesverteidigung oder soll sie internationale Interventionsarmee sein? Ist sie im Ausland für humanitäre Hilfe und militärische Ausbildung zuständig oder soll sie auch militärische Kampfeinsätze außerhalb der NATO ausführen? Welche langfristige politische Strategie liegt ihr eigentlich zugrunde und gibt es diese überhaupt?Es ist ja nicht so, dass all diese Fragen nicht schon von vielen erkannt worden wären. Dass sich etwas ändern müsse, gehört schon fast zum Mainstream-Meinung. Aber sobald es konkret wird, stagniert alles.Von Bredows Buch ist die nachdenkliche Analyse einer zunehmend überholten Sicherheitspolitik, die nicht länger darauf hoffen darf, nur auf Sicht und im Vertrauen auf andere Nationen im Hintergrund agieren zu können. Deutschland wird nicht umhinkommen, seine Rolle und Position in der Sicherheitspolitik Europas bedenken und gegebenenfalls neu definieren zu müssen.

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Information

Welche Bundeswehr wozu?

Ende November 1989 gab es eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Armee. Das Votum brachte das politische Establishment und die Militärführung ins Schwitzen: Immerhin 35,6 Prozent der Abstimmenden bejahten die Abschaffung der Streitkräfte.
Gewiss, die öffentlichen Debatten und die Abstimmung fanden nicht in Deutschland statt. Aber in einem Nachbarland und ausgerechnet dort, wo der militärische Selbstverteidigungswille sich über Generationen ausgeprägt hat und zu einem festen Bestandteil der nationalen Identität geworden ist. Nämlich in der Schweiz. Die Initiative »Schweiz ohne Armee« hatte damit überraschend lautstark einen, wenn man das so sagen darf, pazifistischen Warnschuss abgegeben, der die politische und militärische Führung des Landes ganz schön aufschreckte.
In Deutschland bemühten sich Anfang 1990 etliche linke Organisationen, dem Vorbild der pazifistisch und am linken Rand des politischen Spektrums angesiedelten »Gruppe Schweiz ohne Armee« (GSoA) zu folgen. So rief das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« »die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik auf, mit denselben Energien, die sie noch vor kurzem in der großen Friedensbewegung der achtziger Jahre entfaltet hatten, mit derselben Fantasie und Kreativität alle verfügbaren demokratischen und gewaltfreien Mittel zu mobilisieren, um die politischen Repräsentanten zu der historischen Entscheidung einer ersatzlosen Auflösung der Bundeswehr zu drängen.« Die Resonanz auf diesen und ähnliche Aufrufe blieb indes vergleichsweise mehr als bescheiden.
Unmittelbar nach der Vereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 waren Verteidigungsministerium und Bürokratie mit der nicht einfachen Aufgabe beschäftigt, die ostdeutsche Nationale Volksarmee (NVA) oder was von ihr übrig geblieben war, in die Bundeswehr zu übernehmen und zugleich deren Truppenstärke erheblich zu reduzieren. Nach der flapsigen Formulierung des damaligen Verteidigungsministers Rühe war Deutschland seit dem Zusammenbruch des östlichen Lagers »von Freunden umzingelt«. Das war 1992. Brauchte man da noch die Bundeswehr? Der Grund, warum das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« Volker Rühe nicht zu seinem Ehrenmitglied machte, war dessen Versuch, die Bundeswehr auf neue Aufgaben und Einsatzarten umzustellen.

Defizitärer Diskurs

Wenn auch weder das linke Komitee noch der scherzende Verteidigungsminister von der CDU den damaligen sicherheitspolitischen Diskurs im Lande repräsentierten, fällt doch hier wie dort auf, dass man keine genaueren Vorstellungen über den Zweck der Streitkräfte zu haben schien. »Können weg«, hieß es hier; »Sind nicht mehr so wichtig« meinte man dort (selbst wenn es nicht ganz wörtlich gemeint war).
Jedoch bekommen heute wie damals Fragen wie »Wozu braucht man die Bundeswehr eigentlich?« oder »Was sind ihre Funktionen in Staat und Gesellschaft und in der internationalen Politik?«, wenn überhaupt, meist irritierte, manchmal irritierende Antworten, oft aber auch nur ein Achselzucken. Zwar hat sich die Regierung, etwa in ihren Weißbüchern über die Sicherheitspolitik und die Bundeswehr, darum bemüht, Antworten zu formulieren, die angemessen sein und zugleich um öffentliche Zustimmung werben sollten. Aber eine kohärente strategische Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik zu formulieren, ist ihr bis heute nicht recht gelungen. Das ist kein Public Relations- oder Marketingproblem, sondern spiegelt führungsinterne Differenzen und Unsicherheiten wider. Die viel beschworene politisch-militärische Kultur der Zurückhaltung droht immer mal wieder in eine Kultur des sich Heraushaltens umzuschlagen, indem man ein entscheidendes Instrument für die Außen- und Sicherheitspolitik, nämlich die Bundeswehr, Einschränkungen unterwirft, die unter anderem auch zu Dissonanzen mit den europäischen Partnern und der NATO führen. Die Bundesregierung verstrickt sich in sicherheitspolitische Zielkonflikte, die in Koalitionen noch dadurch verstärkt werden, dass die Spitzenpolitiker der entscheidenden Ministerien (Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium) unterschiedlichen Parteien angehören. Da nützt es auch wenig, dass die ganz überwiegende Zahl der sicherheitspolitischen Experten außerhalb der Regierung eine Neubewertung, das heißt Aufwertung der Bundeswehr als Instrument deutscher Sicherheitspolitik fordert. Das von einer Minderheit unter ihnen ins Feld geführte Gegenargument von der »Militarisierung« deutscher Politik erschreckt ganz offensichtlich die Regierungsverantwortlichen. Und es hat, wenn auch in abgeschwächter Form, großen Widerhall in der Öffentlichkeit. Ein scharfsichtiger Soziologe hat schon 2002 formuliert, die Bevölkerung akzeptiere die Bundeswehr als eine um ihre »kriegerische Kampfeinsatzkomponente« gekürzte Armee light, die sich am besten auf humanitäre Hilfsund Katastropheneinsätze beschränken soll. Anders gesagt: Auf die Frage »Wozu Bundeswehr?« gibt es nur halbe und unfertige Antworten in Deutschland.
Der letzte Versuch der Bundesregierung, den engeren Kreis der Experten innerhalb und außerhalb staatlicher Einrichtungen plus den interessierteren Teil der Öffentlichkeit zu einem selbstkritischen, umfassenden und zukunftsbezogenen Diskurs über die Sicherheitspolitik Deutschlands, seine politischen und strategischen Interessen und über die Gestalt und Rolle der Bundeswehr zu bewegen, liegt nun auch schon wieder einige Jahre zurück. Nach dem wie ein Stein im Wasser allgemeiner Gleichgültigkeit versunkenen »Münchner Konsens« 2014 sollte das »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« im Sommer 2016 nach sorgfältiger Vorbereitung im Verteidigungsministerium zum Impulsgeber für eine neue Bestimmung des Stellenwerts von Sicherheitspolitik allgemein und der Bundeswehr im Besonderen werden. Einmal mehr verkündete das Verteidigungsministerium eine »neue« Gesamtkonzeption für die Bundeswehr (siehe nächstes Kapitel ab Seite 151).
Viel ist daraus nicht geworden. Die kleine Welle von durchaus differenzierten Stellungnahmen in Presse und Öffentlichkeit verebbte bald wieder und machte dem Üblichen Platz: kleineren sicherheitspolitischen Hakeleien zwischen Regierung und Opposition und nicht ganz so kleinen Hakeleien zwischen den Parteien der Großen Koalition.
Ministerin von der Leyen und ihre seit Mitte Juli 2019 amtierende Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer konnten im Kabinett durchsetzen, dass der Etat des Verteidigungsministeriums in den nächsten Jahren kontinuierlich ansteigen wird. Der Bundestag hat dies mehrheitlich gebilligt, hauptsächlich auf amerikanischen Druck hin. Es kann aber sein, dass die Finanzprobleme infolge der Corona-Pandemie den geplanten Etaterhöhungen den Teppich unter den Füßen wegziehen.

Strategisch denken

In der Politik von Staaten braucht es für eine Strategie (Grand Strategy) erprobte Instrumente zur Analyse der internationalen Lage und der eigenen Potenziale, Interessen und Optionen. Bei letzteren geht es um längerfristige, mitunter sehr langfristige Ziele, Prioritäten und Grundsätze für das eigene Handeln. Je klarer und wirklichkeitsgetreuer die Lagebeurteilung ausfällt, desto eher können grobe und subtile Fehlentscheidungen im politischen Verkehr mit anderen Staaten und anderen Machtakteuren vermieden werden. Die eigenen Potenziale, das sind natürlich Machtmittel wirtschaftlicher, finanzieller, kultureller, diplomatischer und – wie in der Vergangenheit, so auch im 21. Jahrhundert – nicht zuletzt militärischer Art.
Strategisch denken bedeutet für die Regierungspolitik von Staaten und der auf dieser Ebene mitspielenden internationalen und transnationalen Akteure das Kombinieren von vertieften weltpolitischen Lageanalysen mit interessegeleitetem Handeln für kurze, mittlere und längere Fristen. Außerdem gehört die Fähigkeit dazu, das eigene Handeln zu überprüfen und, wenn nötig, zu korrigieren. Im Kern umfasst strategiegeleitetes Handeln die Einschätzung der eigenen Machtmittel und die Entscheidung darüber, ob und wie diese zur Durchsetzung eigener Ziele effektiv eingesetzt werden sollen – eine nicht einfache Entscheidung, können falsch eingeschätzte und eingesetzte Machtmittel sich doch rasch in Luft auflösen. Auch muss in Rechnung gestellt werden, dass diese ganz unterschiedlich wirken und sich unter Umständen gegenseitig in die Quere kommen können. In demokratischen Staaten kommt hinzu, dass die nationale Strategie (Grand Strategy) von der eigenen Gesellschaft grundsätzlich akzeptiert werden muss. Ohne solche Akzeptanz droht die Abwahl der Regierung.
Verengt man das Blickfeld weg vom »großen Bild« langfristig weitgehend festliegender nationaler Interessen und konzentriert sich auf die strategische Handlungsebene, fällt ins Auge, dass viele Staaten mit längeren Traditionen in ihrer politischen Kultur spezifische Muster hinsichtlich des Einsatzes ihrer Machtmittel ausgeprägt haben. Das hängt freilich auch von äußeren Faktoren (geografische Lage) ab, über welche Art Machtmittel (Rohstoffe und andere ökonomische Ressourcen, Streitkräfte) man verfügt und davon, über wie viele man disponieren kann.
Die Grand Strategy eines Landes setzt sich aus mehreren Einzelstrategien zusammen, die sich auf bestimmte Politikfelder beziehen und praktischerweise möglichst gut zusammenpassen sollten. Nicht alle Einzelstrategien, aber ein großer und wegen der strukturell zunehmenden Störungsanfälligkeit moderner Gesellschaften immer wichtiger gewordener Teil von ihnen zielt auf die Festigung der Sicherheit von Staat und Gesellschaft. Zusammengefasst werden sie als Sicherheitsstrategien bezeichnet. Früher war klar, dass es bei diesem Terminus um Sicherheit mithilfe von Streitkräften ging. Inzwischen gibt es einen ganzen Strauß von Sicherheitsstrategien: Etwa solche zur Sicherung der für das Funktionieren einer Gesellschaft nötigen Energie und der benötigten Rohstoffe, Strategien zur Abwehr oder Milderung von Gefahren wie dem Klimawandel und Umweltschäden, einer negativen demografischen Entwicklung oder zur Prävention und der Bekämpfung von Pandemien. Das klingt vielleicht so, als spielten die Streitkräfte für die Sicherheit eines Landes nur noch eine nachgeordnete Rolle. Nichts könnte falscher sein.
Denn Streitkräfte sind die zuständige Organisation, Soldaten ihre Experten für den Einsatz von Gewalt. Über den meisten Konfliktfeldern, in denen es um Sicherheit geht, wie zivil diese Konfliktfelder im Einzelnen auch immer aussehen mögen, hängt wie ein Damoklesschwert die Möglichkeit ihrer Eskalation in Gewalt und Zerstörung. Dafür nicht vorbereitet, nicht gerüstet zu sein, wäre fahrlässig. So sehen es jedenfalls heute wie früher die Staatsführungen. Wobei bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Ausrichtung der Streitkräfte auf die Kriegsführung im Vordergrund stand, was heute durch eine Palette zusätzlicher Zwecke wie Kriegsverhinderung, Krisenstabilisierung, Friedenssicherung (Peacekeeping) ergänzt wird. Wenn man aber ihre »kriegerische Kampfeinsatzkomponente« außer Acht lässt, vernachlässigt oder verdrängt, stellt man nicht nur die Streitkräfte auf wackeligen Boden, man schwächt damit zugleich eine in der gegenwärtigen unübersichtlichen Weltlage sehr wichtige Fähigkeit, nämlich die eigene Strategiefähigkeit.
Nun lässt sich schwerlich leugnen, dass es in Deutschland vor allem auf der Vermittlungsebene zwischen der politischen und der militärischen Führung an Strategiefähigkeit mangelt (Terhalle 2020). Auf dieser Ebene braucht es aber strategisches Denken, um das Profil und die professionellen Handlungsmöglichkeiten der Streitkräfte auf die vorgegebenen politischen Zwecke im Rahmen der nationalen Grand Strategy auszurichten – so optimal wie möglich.
In diesem Überschneidungsbereich politischer und militärischer Überlegungen reicht es nicht, auf den grundsätzlich sinnvollen und grundgesetzlich festgeschriebenen Primat der Politik über die Streitkräfte zu verweisen. Es muss ein genügend ausgebildetes Verständnis der politischen Führung (am besten aber auch der Öffentlichkeit) für die professionellen Belange der Streitkräfte hinzukommen, allein schon deshalb, um nicht völlig falsche Erwartungen von deren Möglichkeiten auszubilden. Und ebenso braucht es ein genügend ausgebildetes Verständnis der militärischen Führung (am besten aber auch des Offizierskorps insgesamt) für die Handlungsoptionen und -restriktionen von Regierung und Parlament, um diese angemessen beraten zu können und sie in Einsatzsituationen nicht zu desavouieren. Klaus Naumann (2008) hat dies die »Politikbedürftigkeit des Militärischen« genannt.

Strategiekommunikation

Wer keine Strategie hat, kann sie auch nicht kommunizieren, so lautet die Überschrift eines für die deutsche Sicherheitspolitik wenig schmeichelhaften Beitrags von Isabella Pfaff (2019) auf der Website des vom Auswärtigen Amt unterstützten PeaceLab. Er reiht sich ein in die beträchtliche Anzahl von kritischen Stellungnahmen und Kommentaren zur Berliner Sicherheitspolitik und zur Rolle der Streitkräfte. Das Problem scheint so unübersichtlich zu sein wie der Teich in einem klassischen japanischen Garten – von einem einzigen Standpunkt aus überblickt man niemals zugleich sämtliche Ufer. In unserem Fall heißt das: Der Bundesregierung mangelt es an einem in sich stimmigen strategischen Grundkonzept. Sie kann es deshalb auch nicht kommunizieren, weder in die eigene Gesellschaft hinein noch nach außen zu den Verbündeten und den übrigen Akteuren auf der internationalen Bühne.
Dieser Befund mag alle diejenigen erbittern, die in der Legislative und vor allem in der Exekutive, in den Ministerien und den Streitkräften auf der Suche nach einem strategischen Gesamtkonzept für Deutschland sind und sich insbesondere auch mit militärstrategischen Konzepten für die Ausrichtung der Bundeswehr beschäftigen. Es sind ja auch tatsächlich seit 1990 ganze Papierberge mit entsprechenden Überlegungen bedruckt und eine Unmenge von Dateien als Downloads für Interessierte ins Netz gestellt worden. Eine Änderung von öffentlichen Wahrnehmungen und Einstellungen gegenüber den Zielen und Mitteln deutscher Sicherheitspolitik ist damit jedenfalls nicht erreicht worden. Das ist eigentlich beschämend für eine demokratische Gesellschaft, die zwar einerseits ihre anti-militaristischen Lektionen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelernt hat (und auch keinesfalls in den Wind schlagen soll). Die andererseits aber auch so etwas wie eine Perzeptionsverweigerung praktiziert, sagen wir auf Deutsch: einer Selbsttäuschung anheimfällt, was die gegenwärtigen Risiken, Gefahren sowie direkten und indirekten Bedrohungen der eigenen Sicherheit angeht.
Das Bild einer mit unermüdlicher sicherheitspolitischer Aufklärung der Öffentlichkeit beschäftigten Berliner Politik ist indes auch wiederum trügerisch. Der Eindruck, den etwa das »Weißbuch 2016« hinterlässt, ist zwiespältig. Denn das große Ziel, die Strategiefähigkeit Deutschlands zu erhöhen, wird mit Absichtserklärungen und Maßnahmeplanungen angestrebt, die vollmundig klingen, jedoch nicht wirklich angemessen sind. Der viel gerühmte »vernetzte Ansatz« der Sicherheitspolitik bleibt weitgehend rhetorisch oder mini-pragmatisch. Strategiekommunikation ohne konstruktive Zusammenarbeit der Ressorts betreiben zu wollen, ist gewiss nicht zielführend. Aber es kann sich dabei nur um eine Voraussetzung, nicht, wie das Weißbuch suggeriert, um das Herzstück von Strategiekommunikation handeln. Vielmehr kommt es auf zweierlei an:
Erstens nach innen einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens über die strategischen Ziele, gestaffelt nach ihrer Priorität, herzustellen und zu pflegen, sowie über die einzusetzenden Mittel, um sie zu erreichen. Ohne einen solchen Konsens fehlt die Akzeptanz zum Beispiel von Militäreinsätzen.
Zweitens die eigene Sicherheitsstrategie verlässlich nach außen zu kommunizieren, damit die eigenen Interessen und Ziele im Alltagsgetriebe der internationalen Politik und insbesondere in internationalen Krisen und Konflikten von anderen Akteuren richtig verstanden und das eigene Verhalten von diesen mit einiger Zuverlässigkeit eingeschätzt werden kann. Denn in solchen Situationen wirken sich Fehleinschätzungen in der Regel fatal aus.
Bislang hat es keine Bundesregierung in den letzten Jahren geschafft, vor sich selbst nicht und ebenso wenig vor der eigenen wie internationalen Öffentlichkeit, eine kohärente Sicherheitsstrategie zu formulieren. Auch gelang es bislang nicht, genauer festzulegen, welche Rolle die Bundeswehr in einer solchen Strategie spielen soll. Wenn es wie zu Beginn des Jahres 2020 in Libyen um Krisen und Konflikte geht, deren Einfluss auf die eigene Sicherheit üb...

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