"Soweit er Jude war..."
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"Soweit er Jude war..."

Moritat von der Bewältigung des Widerstandes

Peter Finkelgruen, Roland Kaufhold, Andrea Livnat, Nadine Englhart

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"Soweit er Jude war..."

Moritat von der Bewältigung des Widerstandes

Peter Finkelgruen, Roland Kaufhold, Andrea Livnat, Nadine Englhart

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Köln, 10. November 1944. Die Gestapo henkt in Köln-Ehrenfeld vor zahlreichen Zuschauern dreizehn Widerständler. Sechs der Ermordeten - die Edelweißpiraten Johann Müller, Bartholomäus Schink, Franz Rheinberger, Gustav Bermel, Adolf Schütz und Günther Schwarz - sind zu diesem Zeitpunkt zwischen 16 und 18 Jahre alt.Köln 1978. Durch einen TV-Beitrag wird der Journalist Peter Finkelgruen 1978 auf den "Fall Bartholomäus Schink" aufmerksam: Die Stadt Köln weigert sich seit Jahren an die Hinterbliebenen des Ehrenfelder Edelweißpiraten Wiedergutmachung zu leisten. Der Ermordete sei "nur ein Krimineller" gewesen. Der Beweis: Die Verhörakten und Aussagen der Gestapo. Finkelgruens 1981 verfasstes Buch "Soweit er Jude war..." beschreibt seine Auseinandersetzung mit diesem Skandal, den jahrelangen Kampf mit den Behörden und wie es ihm mit der Hilfe engagierter Kölner Bürger gelang, ein in Köln bis heute lebendiges Gedenken an den Widerstand der Edelweißpiraten gegen die Nazis zu begründen.Dieses Buch wurde 2019 auf haGalil.com veröffentlicht und enthält neben Beiträgen von Gerhart Baum und Matthias von Hellfeld noch eine ausführliche Studie des Herausgebers Roland Kaufhold zum bisherigen Stand der Publikationen zum Thema Edelweißpiraten."Wir Deutsche haben nach der Erfahrung mit zwei Unrechtsstaaten das Glück in Freiheit in einem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nunmehr freien Europa zu leben. Unsere Aufgabe ist es, die Demokratie zu verteidigen, sie zu leben. Unsere Aufgabe ist es, mit denen unterstützend verbunden zu sein, die dieses Glück nicht haben." (Gerhart Baum)

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Information

Teil II.

1981

»Wie wird heute mit jenen umgegangen,
die ihren Widerstand gegen die Nazis
konsequent zu Ende brachten?«

Ein Vorwort von Bundesinnenminister Gerhart Baum (1981)
Edelweißpiraten-Wandgemälde in Köln-Ehrenfeld, Foto: Roland Kaufhold.
Das Grundgesetz ist 32 Jahre alt! 32 Jahre besteht die Bundesrepublik Deutschland als ein demokratischer Staat, den wir uns nicht allein aufgebaut haben; die Demokratie ist von außen gekommen. Wie steht es heute mit unserem Demokratieverständnis, wie fest ist die Demokratie verankert, wie widerstandsfähig ist sie?
Wir hören allenthalben, unsere freiheitliche Demokratie habe sich bewährt und werde von der überwiegenden Mehrheit der Bürger angenommen. Das darf aber nicht zu Selbstgerechtigkeit und satter Selbstzufriedenheit führen. Wir müssen diese Demokratie fortwährend mit Leben erfüllen und sie weitertragen. Wir müssen jedem Wiederaufflackern von Intoleranz und Gewalt entgegentreten, sowie aufkeimenden Ressentiments gegen Andersdenkende und Anderslebende, gegen Minderheiten wie Ausländer, Juden und vielen anderen. Wir müssen den politischen Extremismus überwinden. Unser politisches Handeln muss sich auf die tradierten Werte unserer politischen Kultur stützen: den Glauben an die Vernunft, die Wertschätzung des Individuums, die Verantwortlichkeit des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft im Rahmen einer rechtlichen Ordnung, die Pluralität der Werte und Weltanschauungen.
Peter Finkelgruen hat als Zeitgenosse zwei Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland gelebt. Er hat in dieser Zeit die Vergangenheit erlebt, sie intensiv, beinahe körperlich gespürt. Er hat sensibel wahrgenommen. Es ist ein grausames Verfahren, das Finkelgruen für sich und für seine Gesprächspartner – sowohl für die noch lebenden als auch für die, die er in den Akten vorfand – gewählt hat.
Er setzt sie einem harten und leidenschaftlichen Verhör aus. Sich selbst befragt er in der gleichen Weise. Er will über sich selbst etwas erfahren, weil er glaubt, nur so auch etwas über seinen »Fall« erfahren zu können. Und man ist versucht zu fragen, ob er am Ende vielleicht mehr über sich als über die handelnden Personen des »Falles« in Erfahrung gebracht hat.
Wo sind Finkelgruens Freunde? Er ist, wie er selbst einmal schrieb, als Jude fremd im eigenen Land. Ob er will oder nicht: er trifft hinter den Schreibtischen der Bürokratie von heute Menschen an, die ihm als Bürokraten von damals erscheinen. In seiner Rigidität mag Finkelgruen das eine oder andere überzeichnet haben. Seine Sprache verzichtet weitgehend auf polemische Zuspitzung, aber zwischen den Zeilen wird die innere Spannung deutlich, die Finkelgruen aushalten musste, um nicht laut heraus zu schreien. Zu schreien, wie wenn man eine Entdeckung macht, die eine entsetzliche Tat unwiderruflich ans Tageslicht holt, so dass man sie nie wieder verschweigen kann.
Dieses Buch handelt von der Gegenwart. Es geht nur scheinbar um die Edelweißpiraten aus Köln-Ehrenfeld. Sie waren der ursprüngliche Gegenstand des Mitgefühls, der Empörung und der Trauer. Was sich aber dann dem Journalisten Finkelgruen eröffnete, war eine Kette von Einlassungen, Wertungen und Handlungen, die sich zum eigentlichen Gegenstand des »Falles« entwickelten.
Mit meinem Vorwort erspare ich dem Leser nicht das Nachvollziehen des Skandals, wie er sich dem Journalisten Finkelgruen darstellt. Das Buch liest sich nicht leicht: denn auch amtliche Papiere lesen sich nicht leicht. Mich bewegt die Betroffenheit, die sich bei Finkelgruen so stark entwickelt hat. Sein Urteil ist hart: für ihn handelte der Kölner Regierungspräsident falsch; politisch, juristisch und moralisch falsch in der Beurteilung des »Falles«; alle, die sich auf sein Urteil berufen, machten sich mitschuldig.
Meine Angst gilt der Frage, ob man auch mit dem Juden Finkelgruen die Diskussion aufnimmt, nicht nur mit dem Journalisten Finkelgruen. Wird manseinen Zorn aus der persönlichen Betroffenheit für berechtigt oder für überzogen und unmäßig halten?
Für mich ist es unverständlich, dass man im Jahr 1981 noch immer an der These von der kriminellen Eigenschaft der Edelweißpiraten in Köln festhält. Aber ich glaube auch, dass Bekenntnisse hier nichts nützen. Nur die Auseinandersetzung führt weiter, die kontroverse Debatte und der rationale Dialog. Dies ist dann keine Bewältigung der Vergangenheit, sondern eine Leistung in der Gegenwart, ein Stück politischer Kultur in den 80er Jahren für uns selbst.

Peter Finkelgruen: Vorwort zum Buch (1981)

Bartholomäus-Schink-Straße in Köln-Ehrenfeld, Foto: Roland Kaufhold.
Das vorliegende Buch ist keine historische Studie. Ich gehe also auch mit dem Instrumentarium der Geschichtsforschung nicht so um, wie es auf den Universitäten gelehrt wird. Die Fülle und Aussagekraft der genannten Dokumente und die Aussagen von Zeitzeugen boten mir dennoch die nötige Sicherheit, von zwei feststehenden Tatsachen auszugehen:
Erstens: Am 10. November 1944 sind auf Befehl des Reichsführers SS 13 deutsche Bürger am Bahndamm an der Ecke Hütten- und Schönsteinstraße im Kölner Stadtteil Ehrenfeld öffentlich ermordet worden. Sie wurden aus politischen Gründen ermordet, weil die Gestapo in ihnen aktive Widerständler gegen den Nationalsozialismus erkannt hatte. Ihre öffentliche Ermordung wurde zur Abschreckung gegen den sich weiter regenden Widerstand eingesetzt.
Zweitens: Die in Köln für Wiedergutmachung zuständige Behörde, der Regierungspräsident, vertreten durch seinen Wiedergutmachungsdezernenten, lehnt es ab, die Ermordeten als Opfer des Nationalsozialismus anzuerkennen. Sie beruft sich dabei auf zwei Urteile von Kölner Gerichten, die auf Falschaussagen von beigezogenen Zeugen beruhen. Bei diesen Zeugen handelt es sich um ehemalige Gestapobeamte, die die Widerständler zur Zeit ihres Widerstandes in Köln-Ehrenfeld verfolgt hatten und dienstlich mit ihnen in der Haft zu tun hatten.
Ich versuche zweierlei: dem Leser sowohl Einblick in diesen Skandal zu vermitteln als auch meine Motivation für die intensive Beschäftigung mit dem Fall darzulegen, denn die Auseinandersetzung mit dem Fall der Köln-Ehrenfelder Widerständler ist für mich zu einem Stück persönlicher Auseinandersetzung um Identität in diesem Land geworden.
Die Frage, warum ich mich seit dem Herbst 1978 mit der Geschichte der von der Gestapo 1944 verfolgten Widerständler beschäftige, beantwortet sich für mich aus meiner Biographie – durch die Verquickung des eigenen Lebens mit der Geschichte von Opfern und Tätern. Nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 wurde im Jahre 1965 eine Untersuchung über die Reaktionen auf diesen Prozess veröffentlicht.2 In dieser Untersuchung wurden sehr verschiedene Reaktionen auf das Judentumsbewusstsein innerhalb der israelischen Bevölkerung erkennbar. Insbesondere die jungen Sabras scheinen durch das, was sie erfahren haben, in dem Gefühl bestärkt worden zu sein, dass Judentum und Israel keine Synonyme sind.
Die jungen Israelis empfinden sich als sehr »verschieden« von den Juden, die sich »wie eine Viehherde abschlachten« ließen. Sie bezeigen für die Opfer des Holocaust Gefühle, in denen sich Mitleid, Nichtbegreifen und Distanz mischen. Einige sind sogar der Ansicht, dass, abgesehen vom Kampf einiger Partisanengruppen und dem Aufstand im Warschauer Ghetto, diese Zeit kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Judentums darstellt.3 Dies ist nicht nur ein Problem der jungen Israelis. Für sie ist es nur ein absolut unverständlicher Vorgang, dass ein Volk sich ohne militanten Widerstand hat in die Gaskammern führen lassen. lch entsinne mich eines heftigen Gesprächs mit einem überzeugten und engagierten Pazifisten. Obwohl mir der Pazifismus vordergründig sehr sympathisch ist, wollte ich im Gespräch mit ihm feststellen, wo der Pazifismus an seine Grenzen stößt.
Es wollte mir nicht in den Sinn, dass die pazifistische Überzeugung im Zweifelsfalle dazu führen könnte, dass man sich ohne jede Gegenwehr nach Auschwitz transportieren lassen könnte, um dort in Gaskammern getrieben zu werden. Mein Gesprächspartner war etwas ratlos gegenüber meinem Einwand. Schließlich entzog er sich dem Gespräch, indem er sagte, nur ich könnte – allerdings mit Recht – dieses Argument einführen.
Ich hatte das Gefühl, dass er das Argument als unfair empfand. Da er das aber nicht sagen konnte, entzog er sich, indem er es als ein individualistisches Argument hinstellte. Erst später wurde mir bewusst, dass dieser wohlmeinende, von seinen Ideen der Friedfertigkeit überzeugte Pazifist mich aus Hilflosigkeit auf mein Judentum verwies, dessen Erfahrungen er unmöglich übernehmen konnte.
Die Passivität der meisten von den Nazis Verfolgten und Ermordeten ist auch für nicht-israelische Juden ein Problem. Die alltägliche Geschichte von meinem Großvater väterlicherseits, der es ablehnte, rechtzeitig aus Deutschland auszuwandern – unter Berufung auf das Eiserne Kreuz I. Klasse, das ihm im Ersten Weltkriegverliehen worden war – ist nicht geeignet, mit Stolz weitererzählt zu werden. Meine christliche Großmutter, die mir diese Geschichte berichtete, kam schließlich ins Konzentrationslager, weil sie ihn versteckt hatte, als ihm sein EK I auch nicht mehr weiterhalf. Sie hatte ihn zwar nicht überreden können – oder wollen –, aus dem Machtbereich der Nazis und der Millionen von Zuträgern der Gestapo auszuwandern, aber immerhin hatte sie ihn versteckt.
Mein Großvater und meine Großmutter haben sich nicht erhoben gegen die bürgerlichen Barbaren um sie herum. Sie haben keine Kontakte zu Partisanen gehabt, keine Waffen versteckt. An der Liquidierung Heydrichs in Prag – wo sie verhaftet wurden – hatten sie keinen Anteil. Aber wenigstens haben sie nicht absolut tatenlos die ihnen von den Nazis abverlangte Rolle des zu vergasenden Opfers entsprechend den bürokratischen Vorschriften gespielt. Meine Großmutter hat diesen Mann in ihrer Wohnung versteckt, er hat sich nicht zum Abtransport
Esti Finkelgrün, eine Verwandte und Martin Finkelgrün in Karlsbad, Foto: Privat.
nach Theresienstadt gemeldet. Sie haben gemeinsam wenigstens eine Art von passivem Widerstand praktiziert.
Wenigstens etwas!
Meine Eltern – eine sogenannte Mischehe – haben den Abtransport auch nicht passiv abgewartet. Sie haben versucht, sich den Nazis durch Auswanderung zu entziehen, was ihnen scheinbar auch gelang. Über Litauen, Lettland, die Sowjetunion und Japan ging ihre Flucht bis nach Shanghai, wo für die jüdischen Flüchtlinge aus Europa ein Ghetto eingerichtet wurde. Dort wurde ich geboren. Meine Eltern und Großeltern waren keine Partisanen. Sie waren keine aktiven Widerständler. Sie haben keine Bomben geworfen. Sie haben keinen SS-Mann, keinen NS-Ortsgruppenführer liquidiert. Obwohl diese ihnen den totalen Krieg – bis in die Gaskammern von Auschwitz hinein – erklärt hatten.
Mein Großvater wurde bereits in Theresienstadt von ihnen erschlagen. Mein Vater starb im Ghetto in Shanghai, meine Mutter kurz nach der Befreiung an den Folgen. Meine Großmutter überlebte drei Jahre Konzentrationslagerhaft. Sie war in Theresienstadt, Ravensbrück, Majdanek und Auschwitz. Erst dort, erst in Auschwitz, bekam sie Kontakt mit Widerständlern.
Nach ihren Erzählungen waren es größtenteils Kommunisten. Zum Beispiel Frau Dr. Zdenka Nevědová-Nejedlá, die Tochter des späteren tschechoslowakischen Erziehungsministers. Mit ihr und anderen hatte meine Großmutter – der Prototyp der bürgerlichen Antikommunistin – auch nach dem Krieg persönlichen Kontakt. In Auschwitz haben sie sich gegenseitig geholfen, sich gegenseitig und anderen das Leben gerettet.
Ich erzähle das hier kurz, nicht um die Erfahrungen meiner Eltern und meiner Großeltern zu schildern, sondern um zu zeigen, wie wichtig es für einen jungen Menschen ist, zu wissen, dass die eigenen Eltern oder sogar Großeltern sich nicht total passiv und ohne jegliche Gegenwehr den Nazis zwecks »Endlösung« ausgeliefert haben. Nach dem Krieg konnte ich gegenüb...

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