Materialität und Präsenz von Inkunabeln
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Materialität und Präsenz von Inkunabeln

Die deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum bis 1500

Charlotte Katharina Kempf, Achim Thomas Hack, Gerrit Jasper Schenk, Romedio Schmitz-Esser

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Materialität und Präsenz von Inkunabeln

Die deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum bis 1500

Charlotte Katharina Kempf, Achim Thomas Hack, Gerrit Jasper Schenk, Romedio Schmitz-Esser

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Die Untersuchung greift ein in der buchistorischen Forschung bisher vernachlässigtes Phänomen auf: die zentrale Bedeutung der deutschen Buchdrucker im 15. Jahrhundert für den entstehenden französischen Buchmarkt. Aber sie leistet mehr als die bloße Darstellung einer besonderen Gruppe von Akteuren. Auf der Basis zahlreicher Quellen gelingt es der Autorin, die spezifischen Lebenswege der Drucker in Verbindung zu bringen mit den ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen sich die Buchproduktion vollzog. Sie gelangt so zu aussagekräftigen Erkenntnissen über den Medienwandel in der Inkunabelzeit: Die Frühgeschichte des Buchdrucks ist keine geradlinige Erfolgsgeschichte, sondern vielmehr ein komplexer Innovationsprozess, an dessen Ende die Ablösung von der Handschrift durch den Buchdruck steht.Hierbei kommen sowohl bedeutende Druckereien wie die von Johannes Heynlin von Stein und Guillaume Fichet gegründete Pariser Offizin als auch kleine, weitgehend unbeachtet gebliebene Pressen wie diejenige von Johann Walther in Moûtiers zur Darstellung, was den besonderen Reiz dieser umfassenden Untersuchung ausmacht.

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Information

Year
2020
ISBN
9783170376755
Edition
1

1          Einführung

 
 
 
Das Jahr 1454 ist, um eine Formulierung von Karl Schlögel aufzugreifen, »ein ehernes Datum, aber es gibt keinen Namen für das, was sich ereignet hat.«1 Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern wurde allgemein als ,Medienrevolution‹ bezeichnet, doch diese Charakterisierung wurde wieder relativiert. Der Erfindung des Buchdrucks fehlte das unmittelbar Umstürzlerische, das Abrupte, der sichtbare Zusammenbruch des Bestehenden oder das ausdrückliche Aufbegehren gegen eine Tradition, die sich überlebte. Dennoch begann mit dem Druck der 42-zeiligen Bibel etwas, das durchaus Elemente eines epochalen Umbruchs beinhaltete.
Ein neues Kapitel in der Geschichte der Schriftlichkeit wurde aufgeschlagen, tradierte Formen der Weitergabe von Schriftzeugnissen und von Wissen verloren an Bedeutung, ökonomische Aspekte erhielten einen neuen Stellenwert, die traditionellen Zentren monastischer Buchproduktion wurden zu Randerscheinungen in der neu entstehenden Welt des Buchdrucks. Die Art und Weise, wie Texte tradiert wurden, welche erhalten blieben und welche verloren gingen, änderte sich langfristig und grundlegend. So gesehen war die Erfindung des Buchdrucks weniger ein isoliertes Ereignis, sondern führte vielmehr einen beschleunigten Wandel der materialen Textkultur herbei. Dieser Wandel wurde jedoch von den Zeitgenossen nicht nur positiv aufgenommen, sondern stieß ebenso auf Widerstand, Kritik und Skepsis.
Man kann den frühen Buchdruck zwar durchaus aus der Perspektive großer, aus heutiger Sicht deutlich erkennbarer Entwicklungslinien betrachten, aber man läuft dabei Gefahr, die Besonderheiten, den Prozess und die Widerstände im Detail, insbesondere in der Frühzeit des Buchdrucks, zu übersehen. Man kann sich auch primär auf einzelne historische Beispiele fokussieren und dabei leicht die großen Linien übersehen angesichts des zu beobachtenden Mangels an Stetigkeit in der Entwicklung, der häufig lückenhaften Überlieferung und der grundsätzlichen Erfahrung der Kontingenz des Geschehens.
Die vorliegende Untersuchung setzt sich daher zum Ziel, die Komplexität der Einzelfälle – der jeweiligen Druckereien, der Besonderheiten der Druckprogramme, der Individualität der Drucker – zu erfassen, ohne sich im Detail zu verlieren. Sie möchte zugleich die damit erzählten Geschichten in einen – etwa kulturellen, biographischen oder ökonomischen – Zusammenhang stellen, ohne unzulässig zu vereinfachen. Bei aller Fülle an Einzeluntersuchungen, die zur Frühgeschichte des Buchdrucks vorliegen, möchte die Studie das Wagnis eingehen, diesen unauflöslichen Zusammenhang zwischen der ›Konstitution des Neuen‹ und dem ›Zerfall des Überkommenen‹ sowie dem Fortwirken der Tradition im Kontext der Innovation darzustellen, um auf diese Weise ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Forschung zu leisten. Konkret geschieht dies am Beispiel deutscher Erstdrucker und ihrer Druckereien im französischsprachigen Raum bis zum Jahr 1500. Sie erfasst damit alle bekannten Druckereien, die von Druckern aus dem Heiligen Römischen Reich begründet wurden und die an den jeweiligen Orten im französischsprachigen Raum erstmalig den Buchdruck einführten. Eine die gesamte Produktion deutscher Erstdrucker im französischsprachigen Raum des 15. Jahrhunderts überblickende Untersuchung, die sich nicht auf einen spezifischen Drucker konzentriert, sondern die an vielen Orten entstehenden Pressen in den Blick nimmt, kann die genannten, durchaus widersprüchlichen Zusammenhänge veranschaulichen. Nur wenn man die Gruppe der deutschen Erstdrucker insgesamt ins Auge fasst, wird das Charakteristikum der Situation des Buchdrucks im 15. Jahrhundert innerhalb des französischsprachigen Raums deutlich. Im Kontext der deutschen Erstdrucker wird dann etwa erkennbar, dass die allererste und allein schon darum berühmte Druckerei Frankreichs, die 1470 von Johannes Heynlin von Stein und Guillaume Fichet in Paris gegründet wurde, mit ihrer gelehrt-humanistischen Ausrichtung eine Sonderrolle einnimmt. Drucker wie Johann Walther in Moûtiers, der nur ein einziges Buch druckte und ansonsten in der Druckgeschichte kaum weitere Spuren hinterließ, oder Heinrich Wirczburg, der als Mitglied der Cluniazenser keinen liturgischen Text, sondern eine Chronik druckte, werden auf diese Weise beachtenswert und charakterisieren die Situation des frühen Druckwesens klarer als etwa die mit hohen geistlichen und weltlichen Persönlichkeit der Zeit in Verbindung stehende Pariser Presse.
Die Geschichte des frühen Buchdrucks ist häufig auch eine Geschichte der großen Namen und Ereignisse. Weitgehend alle Inkunabeldrucker finden zwar in der Forschungsliteratur ihre Erwähnung und Würdigung, insbesondere in kleineren Einzelbeiträgen. Doch entsteht vielfach der Eindruck, die großen Namen gäben Orientierung und prägten die historische Landkarte, während die weniger bekannten Drucker lediglich das ergänzende Kolorit hinzufügten. Im Gegensatz dazu rücken bei der Betrachtung der deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum weniger bekannte Namen ins Blickfeld und stehen gleichberechtigt neben bekannten Druckern wie Heynlin von Stein und Fichet. Um eine ,Rehabilitation‹ wenig beachteter Persönlichkeiten geht es dabei nicht, sondern vielmehr um den Versuch, die Akteure der Zeit mit ihrem Beitrag zur frühen Druckgeschichte in Frankreich gleichrangig zu betrachten.
Die Mobilität der Drucker und ihre keineswegs geradlinigen Lebensläufe erfordern es vielfach, auf ihre Herkunft aus dem Reich und ihren grenzüberschreitenden Werdegang einzugehen. Daher ist eine interdisziplinäre Vorgehensweise notwendig. Hier spielen nicht nur grundlegende Erkenntnisse aus dem deutsch-französischen Forschungskontext, der historischen Buchforschung im engeren Sinne sowie der Geschichtswissenschaft zum Spätmittelalter eine Rolle, sondern auch Beiträge der regionalgeschichtlichen und bibliothekswissenschaftlichen Forschung.
Nach einer Einführung in den Gegenstand der Untersuchung, die Quellen und die derzeitige Forschungslage stellt die Studie die zugrunde gelegte materialitätsgeschichtliche Forschungsperspektive näher vor. Auf dieser Basis untersucht der Hauptteil (
image
Kap. 35) die Produktion der einzelnen Drucker, arbeitet ihre kommunikativen Netzwerke heraus und beleuchtet die universitären, städtischen und monastischen Räume, in denen die Druckereien verortet waren. Keine der hier untersuchten Druckereien war im höfischen Raum angesiedelt. Innerhalb der Unterkapitel geht die Darstellung chronologisch vor. Die Arbeit schließt mit einer systematischen Betrachtung der deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum als Gesamtgruppe ab und ordnet sie in die allgemeine frühe Druckgeschichte sowie insbesondere diejenige Frankreichs ein (
image
Kap. 6).
Die deutschen Erstdrucker bilden, so wird sich zeigen, eine repräsentative Gruppe, an der sich exemplarisch wesentliche Entwicklungslinien und Besonderheiten des frühen Druckwesens im Allgemeinen, aber auch speziell im französischsprachigen Raum nachzeichnen lassen. Schon lange vor den in jüngster Zeit vorgetragenen Ideen zu einer histoire croisée schrieb Paul Veyne in seinem im Jahr 1971 erschienenen geschichtstheoretischen Großessay Geschichtsschreibung – Und was sie nicht ist, historische Ereignisse seien »keine Totalitäten, sondern Knotenpunkte von Relationen.«2 In diesem Sinne möchte diese Untersuchung nicht die, sondern eine Geschichte deutscher Erstdrucker im französischsprachigen Raum schreiben.
1     Schlögel: Petersburg, S. 21.
2     Veyne: Geschichtsschreibung, S. 42.

2 Forschungsumfeld und Gegenstand

De viro illo mirabili apud Francfordiam viso nihil falsi ad me scriptum est. Non vidi Biblias integras sed quinterniones aliquot diversorum librorum mundissime ac correctissime littere, nulla in parte mendaces, quos tua dignatio sine labore et absque berillo legeret.1
Mit diesen Worten leitete Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., in seinem Brief vom 12. März 1455 an den spanischen Kardinal Juan de Carvajal seinen Bericht von den ersten gedruckten Lagen eines Bibeldrucks ein, die er – so ist anzunehmen – im Oktober, spätestens aber Anfang November 14542 in Frankfurt am Main sah. Hauptinhalt des Briefs ist sein Bericht über den Frankfurter Reichstag, doch der kurze Abschnitt über seine Begegnung am Rande dieses Reichstags macht seinen Brief zu einem der frühesten Zeugnisse des Bibeldrucks und damit des Buchdrucks überhaupt.
Piccolomini wurde 1442 von Kaiser Friedrich III. zum poeta laureatus gekrönt und 1449 zum Bischof von Siena ernannt. Er sammelte reiche Erfahrung bei großen weltlichen und geistlichen Zusammenkünften. So nahm Piccolomini am Basler Konzil teil, war beim Zustandekommen des Wiener Konkordats 1449 beteiligt und besuchte 1454 den Frankfurter Reichstag. Ab 1443 stand er für über zehn Jahre im Dienst des bereits genannten Kaisers Friedrich III. und hielt sich daher zumeist am Hof in Wiener Neustadt auf. Piccolomini konnte vielfach als Friedrichs Gesandter in Erscheinung treten und nahm auch in dieser Funktion am Frankfurter Reichstag teil.
Piccolominis Schreiben ist jedoch nicht nur wegen des Entstehungszeitraums eine aussagekräftige Quelle. Es bildet im Kern einige Besonderheiten der Frühdruckzeit ab. Aus seinem Schreiben spricht zum einen die Bewunderung für jenen vir ille mirabilis, mit dem vielleicht Gutenberg gemeint sein könnte,3 und die damit ausgedrückte Hochachtung vor der Erfindung des Buchdrucks. Zum anderen spricht aus Piccolominis Brief bereits ein Bewusstsein für jene beginnende Entwicklung, die einen nachhaltigen Wandel der Schriftlichkeit nach sich ziehen sollte.
Bis zum Ende des 15. Jahrhundert entstanden circa 1 000 Druckereien in etwa 250 Städten, die rund 27 000 Ausgaben4 in einer Gesamtauflage von – je nach Forschungsmeinung – 10 bis 15 Millionen gedruckten Exemplaren herstellten.5 Der Buchdruck markierte als zentrales Ereignis in der europäischen Mediengeschichte die Schwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Durch die rasche Ausbreitung dieser Technik6 und durch die Möglichkeit der schnellen, identischen Herstellung eines Texts überflügelte die Druckproduktion bereits nach wenigen Jahrzehnten die bisherige Handschriftenproduktion deutlich.7 Die sogenannte Inkunabelzeit, das heißt der Zeitraum zwischen 1454 und 1500, bildet die liminale Phase im Wandel von non-typographischen zu typographischen Gesellschaften. Für diese Phase des Übergangs ist Piccolominis Brief vom 12. März 1455 ein einschlägiges Dokument. An der medialen Umbruchsituation war Piccolomini insofern sogar selbst beteiligt, als seine um 1472 posthum erschienene Schriften De miseria curialium, in der er das Leben am Wiener Hof Kaiser Friedrichs III. kritisiert, und De duobus amantibus, welche die Liebesbeziehung zwischen Euryalus und Lucretia schildert, zu den ersten in Frankreich gedruckten Texten überhaupt gehören sollten. In gewisser Hinsicht schrieben seine Texte dadurch sogar Mediengeschichte.

2.1 Deutsche Drucker im französischsprachigen Raum

Bei der Ausbreitung der neuen Technik kam deutschen Druckern europaweit eine Schlüsselposition zu und dies nicht allein aufgrund der Tatsache, dass Johannes Gutenberg die Technik des Buchdrucks erfunden hatte.8 Schon in dieser frühen Phase des Buchdrucks ist die Präsenz deutscher Drucker innerhalb und außerhalb des deutschen Sprachraums beachtlich: Bis zum Jahr 1470 wurden in zehn deutschen Städten Druckereien errichtet, denen sieben Druckereien außerhalb des deutschen Sprachraums gegenüberstanden. Fünf von ihnen – in Subiaco, Rom, Venedig, Neapel und Paris – wurden von deutschen Druckern begründet.9 Deutsche Drucker wirkten im 15. Jahrhundert daher als ein wichtiger Motor für die Ausbreitung des Buchdrucks in ganz Europa.10 So führten sie erstmalig den Buchdruck in Italien,11 Frankreich, Spanien12 und Ungarn13 ein. Zudem errichteten sie in nahezu allen europäischen Ländern ihre Pressen.14 Insgesamt waren wohl mehr als 40 Prozent aller Drucker im 15. Jahrhundert deutscher Herkunft.15 Die zweitgrößte Gruppe von Druckern bildeten die Italiener, die aber nur knapp ein Viertel ausmachten.16 In technischer Hinsicht unterschieden sich die Druckereien der Inkunabelzeit europaweit nicht voneinander. Überhaupt blieben die produkti...

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