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Das Jahr 1454 ist, um eine Formulierung von Karl Schlögel aufzugreifen, »ein ehernes Datum, aber es gibt keinen Namen fĂŒr das, was sich ereignet hat.«1 Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern wurde allgemein als ,Medienrevolutionâč bezeichnet, doch diese Charakterisierung wurde wieder relativiert. Der Erfindung des Buchdrucks fehlte das unmittelbar UmstĂŒrzlerische, das Abrupte, der sichtbare Zusammenbruch des Bestehenden oder das ausdrĂŒckliche Aufbegehren gegen eine Tradition, die sich ĂŒberlebte. Dennoch begann mit dem Druck der 42-zeiligen Bibel etwas, das durchaus Elemente eines epochalen Umbruchs beinhaltete.
Ein neues Kapitel in der Geschichte der Schriftlichkeit wurde aufgeschlagen, tradierte Formen der Weitergabe von Schriftzeugnissen und von Wissen verloren an Bedeutung, ökonomische Aspekte erhielten einen neuen Stellenwert, die traditionellen Zentren monastischer Buchproduktion wurden zu Randerscheinungen in der neu entstehenden Welt des Buchdrucks. Die Art und Weise, wie Texte tradiert wurden, welche erhalten blieben und welche verloren gingen, Ă€nderte sich langfristig und grundlegend. So gesehen war die Erfindung des Buchdrucks weniger ein isoliertes Ereignis, sondern fĂŒhrte vielmehr einen beschleunigten Wandel der materialen Textkultur herbei. Dieser Wandel wurde jedoch von den Zeitgenossen nicht nur positiv aufgenommen, sondern stieĂ ebenso auf Widerstand, Kritik und Skepsis.
Man kann den frĂŒhen Buchdruck zwar durchaus aus der Perspektive groĂer, aus heutiger Sicht deutlich erkennbarer Entwicklungslinien betrachten, aber man lĂ€uft dabei Gefahr, die Besonderheiten, den Prozess und die WiderstĂ€nde im Detail, insbesondere in der FrĂŒhzeit des Buchdrucks, zu ĂŒbersehen. Man kann sich auch primĂ€r auf einzelne historische Beispiele fokussieren und dabei leicht die groĂen Linien ĂŒbersehen angesichts des zu beobachtenden Mangels an Stetigkeit in der Entwicklung, der hĂ€ufig lĂŒckenhaften Ăberlieferung und der grundsĂ€tzlichen Erfahrung der Kontingenz des Geschehens.
Die vorliegende Untersuchung setzt sich daher zum Ziel, die KomplexitĂ€t der EinzelfĂ€lle â der jeweiligen Druckereien, der Besonderheiten der Druckprogramme, der IndividualitĂ€t der Drucker â zu erfassen, ohne sich im Detail zu verlieren. Sie möchte zugleich die damit erzĂ€hlten Geschichten in einen â etwa kulturellen, biographischen oder ökonomischen â Zusammenhang stellen, ohne unzulĂ€ssig zu vereinfachen. Bei aller FĂŒlle an Einzeluntersuchungen, die zur FrĂŒhgeschichte des Buchdrucks vorliegen, möchte die Studie das Wagnis eingehen, diesen unauflöslichen Zusammenhang zwischen der âșKonstitution des Neuenâč und dem âșZerfall des Ăberkommenenâč sowie dem Fortwirken der Tradition im Kontext der Innovation darzustellen, um auf diese Weise ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Forschung zu leisten. Konkret geschieht dies am Beispiel deutscher Erstdrucker und ihrer Druckereien im französischsprachigen Raum bis zum Jahr 1500. Sie erfasst damit alle bekannten Druckereien, die von Druckern aus dem Heiligen Römischen Reich begrĂŒndet wurden und die an den jeweiligen Orten im französischsprachigen Raum erstmalig den Buchdruck einfĂŒhrten. Eine die gesamte Produktion deutscher Erstdrucker im französischsprachigen Raum des 15. Jahrhunderts ĂŒberblickende Untersuchung, die sich nicht auf einen spezifischen Drucker konzentriert, sondern die an vielen Orten entstehenden Pressen in den Blick nimmt, kann die genannten, durchaus widersprĂŒchlichen ZusammenhĂ€nge veranschaulichen. Nur wenn man die Gruppe der deutschen Erstdrucker insgesamt ins Auge fasst, wird das Charakteristikum der Situation des Buchdrucks im 15. Jahrhundert innerhalb des französischsprachigen Raums deutlich. Im Kontext der deutschen Erstdrucker wird dann etwa erkennbar, dass die allererste und allein schon darum berĂŒhmte Druckerei Frankreichs, die 1470 von Johannes Heynlin von Stein und Guillaume Fichet in Paris gegrĂŒndet wurde, mit ihrer gelehrt-humanistischen Ausrichtung eine Sonderrolle einnimmt. Drucker wie Johann Walther in MoĂ»tiers, der nur ein einziges Buch druckte und ansonsten in der Druckgeschichte kaum weitere Spuren hinterlieĂ, oder Heinrich Wirczburg, der als Mitglied der Cluniazenser keinen liturgischen Text, sondern eine Chronik druckte, werden auf diese Weise beachtenswert und charakterisieren die Situation des frĂŒhen Druckwesens klarer als etwa die mit hohen geistlichen und weltlichen Persönlichkeit der Zeit in Verbindung stehende Pariser Presse.
Die Geschichte des frĂŒhen Buchdrucks ist hĂ€ufig auch eine Geschichte der groĂen Namen und Ereignisse. Weitgehend alle Inkunabeldrucker finden zwar in der Forschungsliteratur ihre ErwĂ€hnung und WĂŒrdigung, insbesondere in kleineren EinzelbeitrĂ€gen. Doch entsteht vielfach der Eindruck, die groĂen Namen gĂ€ben Orientierung und prĂ€gten die historische Landkarte, wĂ€hrend die weniger bekannten Drucker lediglich das ergĂ€nzende Kolorit hinzufĂŒgten. Im Gegensatz dazu rĂŒcken bei der Betrachtung der deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum weniger bekannte Namen ins Blickfeld und stehen gleichberechtigt neben bekannten Druckern wie Heynlin von Stein und Fichet. Um eine ,Rehabilitationâč wenig beachteter Persönlichkeiten geht es dabei nicht, sondern vielmehr um den Versuch, die Akteure der Zeit mit ihrem Beitrag zur frĂŒhen Druckgeschichte in Frankreich gleichrangig zu betrachten.
Die MobilitĂ€t der Drucker und ihre keineswegs geradlinigen LebenslĂ€ufe erfordern es vielfach, auf ihre Herkunft aus dem Reich und ihren grenzĂŒberschreitenden Werdegang einzugehen. Daher ist eine interdisziplinĂ€re Vorgehensweise notwendig. Hier spielen nicht nur grundlegende Erkenntnisse aus dem deutsch-französischen Forschungskontext, der historischen Buchforschung im engeren Sinne sowie der Geschichtswissenschaft zum SpĂ€tmittelalter eine Rolle, sondern auch BeitrĂ€ge der regionalgeschichtlichen und bibliothekswissenschaftlichen Forschung.
Nach einer EinfĂŒhrung in den Gegenstand der Untersuchung, die Quellen und die derzeitige Forschungslage stellt die Studie die zugrunde gelegte materialitĂ€tsgeschichtliche Forschungsperspektive nĂ€her vor. Auf dieser Basis untersucht der Hauptteil (
Kap. 3â
5) die Produktion der einzelnen Drucker, arbeitet ihre kommunikativen Netzwerke heraus und beleuchtet die universitĂ€ren, stĂ€dtischen und monastischen RĂ€ume, in denen die Druckereien verortet waren. Keine der hier untersuchten Druckereien war im höfischen Raum angesiedelt. Innerhalb der Unterkapitel geht die Darstellung chronologisch vor. Die Arbeit schlieĂt mit einer systematischen Betrachtung der deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum als Gesamtgruppe ab und ordnet sie in die allgemeine frĂŒhe Druckgeschichte sowie insbesondere diejenige Frankreichs ein (
Kap. 6).
Die deutschen Erstdrucker bilden, so wird sich zeigen, eine reprĂ€sentative Gruppe, an der sich exemplarisch wesentliche Entwicklungslinien und Besonderheiten des frĂŒhen Druckwesens im Allgemeinen, aber auch speziell im französischsprachigen Raum nachzeichnen lassen. Schon lange vor den in jĂŒngster Zeit vorgetragenen Ideen zu einer histoire croisĂ©e schrieb Paul Veyne in seinem im Jahr 1971 erschienenen geschichtstheoretischen GroĂessay Geschichtsschreibung â Und was sie nicht ist, historische Ereignisse seien »keine TotalitĂ€ten, sondern Knotenpunkte von Relationen.«2 In diesem Sinne möchte diese Untersuchung nicht die, sondern eine Geschichte deutscher Erstdrucker im französischsprachigen Raum schreiben.
2 Forschungsumfeld und Gegenstand
De viro illo mirabili apud Francfordiam viso nihil falsi ad me scriptum est. Non vidi Biblias integras sed quinterniones aliquot diversorum librorum mundissime ac correctissime littere, nulla in parte mendaces, quos tua dignatio sine labore et absque berillo legeret.1
Mit diesen Worten leitete Enea Silvio Piccolomini, der spĂ€tere Papst Pius II., in seinem Brief vom 12. MĂ€rz 1455 an den spanischen Kardinal Juan de Carvajal seinen Bericht von den ersten gedruckten Lagen eines Bibeldrucks ein, die er â so ist anzunehmen â im Oktober, spĂ€testens aber Anfang November 14542 in Frankfurt am Main sah. Hauptinhalt des Briefs ist sein Bericht ĂŒber den Frankfurter Reichstag, doch der kurze Abschnitt ĂŒber seine Begegnung am Rande dieses Reichstags macht seinen Brief zu einem der frĂŒhesten Zeugnisse des Bibeldrucks und damit des Buchdrucks ĂŒberhaupt.
Piccolomini wurde 1442 von Kaiser Friedrich III. zum poeta laureatus gekrönt und 1449 zum Bischof von Siena ernannt. Er sammelte reiche Erfahrung bei groĂen weltlichen und geistlichen ZusammenkĂŒnften. So nahm Piccolomini am Basler Konzil teil, war beim Zustandekommen des Wiener Konkordats 1449 beteiligt und besuchte 1454 den Frankfurter Reichstag. Ab 1443 stand er fĂŒr ĂŒber zehn Jahre im Dienst des bereits genannten Kaisers Friedrich III. und hielt sich daher zumeist am Hof in Wiener Neustadt auf. Piccolomini konnte vielfach als Friedrichs Gesandter in Erscheinung treten und nahm auch in dieser Funktion am Frankfurter Reichstag teil.
Piccolominis Schreiben ist jedoch nicht nur wegen des Entstehungszeitraums eine aussagekrĂ€ftige Quelle. Es bildet im Kern einige Besonderheiten der FrĂŒhdruckzeit ab. Aus seinem Schreiben spricht zum einen die Bewunderung fĂŒr jenen vir ille mirabilis, mit dem vielleicht Gutenberg gemeint sein könnte,3 und die damit ausgedrĂŒckte Hochachtung vor der Erfindung des Buchdrucks. Zum anderen spricht aus Piccolominis Brief bereits ein Bewusstsein fĂŒr jene beginnende Entwicklung, die einen nachhaltigen Wandel der Schriftlichkeit nach sich ziehen sollte.
Bis zum Ende des 15. Jahrhundert entstanden circa 1 000 Druckereien in etwa 250 StĂ€dten, die rund 27 000 Ausgaben4 in einer Gesamtauflage von â je nach Forschungsmeinung â 10 bis 15 Millionen gedruckten Exemplaren herstellten.5 Der Buchdruck markierte als zentrales Ereignis in der europĂ€ischen Mediengeschichte die Schwelle vom Mittelalter zur FrĂŒhen Neuzeit. Durch die rasche Ausbreitung dieser Technik6 und durch die Möglichkeit der schnellen, identischen Herstellung eines Texts ĂŒberflĂŒgelte die Druckproduktion bereits nach wenigen Jahrzehnten die bisherige Handschriftenproduktion deutlich.7 Die sogenannte Inkunabelzeit, das heiĂt der Zeitraum zwischen 1454 und 1500, bildet die liminale Phase im Wandel von non-typographischen zu typographischen Gesellschaften. FĂŒr diese Phase des Ăbergangs ist Piccolominis Brief vom 12. MĂ€rz 1455 ein einschlĂ€giges Dokument. An der medialen Umbruchsituation war Piccolomini insofern sogar selbst beteiligt, als seine um 1472 posthum erschienene Schriften De miseria curialium, in der er das Leben am Wiener Hof Kaiser Friedrichs III. kritisiert, und De duobus amantibus, welche die Liebesbeziehung zwischen Euryalus und Lucretia schildert, zu den ersten in Frankreich gedruckten Texten ĂŒberhaupt gehören sollten. In gewisser Hinsicht schrieben seine Texte dadurch sogar Mediengeschichte.
2.1 Deutsche Drucker im französischsprachigen Raum
Bei der Ausbreitung der neuen Technik kam deutschen Druckern europaweit eine SchlĂŒsselposition zu und dies nicht allein aufgrund der Tatsache, dass Johannes Gutenberg die Technik des Buchdrucks erfunden hatte.8 Schon in dieser frĂŒhen Phase des Buchdrucks ist die PrĂ€senz deutscher Drucker innerhalb und auĂerhalb des deutschen Sprachraums beachtlich: Bis zum Jahr 1470 wurden in zehn deutschen StĂ€dten Druckereien errichtet, denen sieben Druckereien auĂerhalb des deutschen Sprachraums gegenĂŒberstanden. FĂŒnf von ihnen â in Subiaco, Rom, Venedig, Neapel und Paris â wurden von deutschen Druckern begrĂŒndet.9 Deutsche Drucker wirkten im 15. Jahrhundert daher als ein wichtiger Motor fĂŒr die Ausbreitung des Buchdrucks in ganz Europa.10 So fĂŒhrten sie erstmalig den Buchdruck in Italien,11 Frankreich, Spanien12 und Ungarn13 ein. Zudem errichteten sie in nahezu allen europĂ€ischen LĂ€ndern ihre Pressen.14 Insgesamt waren wohl mehr als 40 Prozent aller Drucker im 15. Jahrhundert deutscher Herkunft.15 Die zweitgröĂte Gruppe von Druckern bildeten die Italiener, die aber nur knapp ein Viertel ausmachten.16 In technischer Hinsicht unterschieden sich die Druckereien der Inkunabelzeit europaweit nicht voneinander. Ăberhaupt blieben die produkti...