Elemente der antiken Erzähltheorie
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Elemente der antiken Erzähltheorie

Stefan Feddern

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Elemente der antiken Erzähltheorie

Stefan Feddern

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Mit den "Elementen der antiken Erzähltheorie" wird die erste deutschsprachige Monographie präsentiert, die systematisch das diskursive Feld der antiken Erzähltheorie analysiert. Anlass zu diesem Unternehmen bietet die Tatsache, dass antike Autoren wie Aristoteles häufig als Vorläufer für moderne erzähltheoretische Kategorien diskutiert werden. Auch wenn es derartige Korrespondenzen gibt, lässt sich nicht leugnen, dass antike erzähltheoretische Begriffe im Lauf ihrer Rezeption eine Umdeutung erfahren haben. Vor diesem Hintergrund arbeitet diese Monographie die Besonderheiten der antiken Erzähltheorie heraus.
Zu diesem Zweck werden die wichtigsten antiken Reflexionen über das Erzählen, die sich in den verschiedensten Texten und Gattungen finden und in andere Diskurse eingebunden sind, in vier Kapiteln präsentiert: Zunächst werden die Grundlagen der antiken Erzähltheorie erklärt. Im zweiten Kapitel werden diejenigen Reflexionen analysiert, die zur Ebene der Geschichte (was wird erzählt?) gehören, bevor im dritten Kapitel diejenigen Überlegungen behandelt werden, die die Art und Weise der Präsentation betreffen. Abschließend wird untersucht, welche Wirkungen von Erzählungen in der Antike diskutiert wurden.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2021
ISBN
9783110731026

1 Die Grundlagen der antiken Erzähltheorie

1.1 Einleitung

1.1.1 Prolegomena zur antiken Erzähltheorie

Während die klassisch-strukturalistische Narratologie des zwanzigsten Jahrhunderts im Wesentlichen synchron ausgerichtet war, ja vielleicht sogar ‚achron‘ war, lässt sich in der Erzähltheorie der letzten Jahrzehnte verstärkt die Tendenz zur Diachronie beobachten.1 Die sog. diachrone Narratologie, die auch eine Forschungsrichtung der Klassischen Philologie darstellt, untersucht nicht die Geschichte der erzähltheoretischen Konzepte, sondern den Einsatz von narratologischen Formen und Funktionen in diachroner Perspektive.2 Wenig Aufmerksamkeit hat bisher die Geschichte der Erzähltheorie auf sich gezogen, und zwar insbesondere in Bezug auf die Antike.3 Die hier präsentierte Monographie versucht, einen Beitrag zum Schließen dieser Lücke zu leisten.
Gibt es so etwas wie eine antike Erzähltheorie oder wäre es ein Anachronismus, hiervon zu sprechen? Die Antwort auf diese Frage hängt von mehreren Faktoren ab, u. a. davon, wie eng oder wie weit man den Begriff der Erzähltheorie definiert. Als vorläufige Definition bietet sich die folgende an: Unter der Erzähltheorie versteht man Reflexionen über das Erzählen. Insofern ist es unproblematisch, von einer antiken Erzähltheorie zu sprechen, da es selbstverständlich viele antike Reflexionen über das Erzählen gegeben hat. Die vorgeschlagene Definition sieht sich aber mit zumindest zwei Problemen konfrontiert: Zum einen muss Rechenschaft über den Theoriebegriff abgelegt werden. Zum anderen ist nun der Begriff des Erzählens zu definieren.
Was den Theoriebegriff angeht, so gibt es zwar verschiedene Bedeutungen und verschieden strenge Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man von einer Theorie im strengen Sinn sprechen kann. In dieser Monographie wird der Begriff „Theorie“ aber in dem ganz allgemeinen und in der Literaturwissenschaft etablierten Sinn verwendet, dass ein Autor über das Wesen und die Bedingungen von Literatur (in diesem Fall: des Erzählens) reflektiert.4 Was das zweite Problem betrifft, muss man zwar zwischen dem antiken und dem modernen Erzählbegriff unterscheiden und auf zumindest eine gravierende Differenz hinweisen: Die antike Erzähltheorie ist eine Narratologie ohne Erzähler, da die Dissoziierung zwischen dem Autor und dem fiktiven Erzähler modern ist.5 Trotz dieses wesentlichen Unterschiedes verbietet es sich aber nicht, von einer antiken Erzähltheorie zu sprechen, wenn man eine Erzählung im antiken Sinn als Darstellung von Ereignissen definiert (s. Kap. 1.1.2).
Es gibt also eine antike Erzähltheorie, wenn man diese in dem weiten Sinn der Reflexionen über das Erzählen definiert. Nun stellt sich aber die Frage, wie man das diskursive Feld bestimmt, das die antike Erzähltheorie konstituiert. Hierbei muss man berücksichtigen, dass nicht alle Reflexionen über das Erzählen den Gegenstand der modernen Narratologie bilden.6 Insbesondere bleibt die Lehre von der ansprechenden Stilisierung der Erzählung i.W. unberücksichtigt, da Fragen, die den Sprachstil einer Erzählung betreffen, nicht zur modernen Erzähltheorie, sondern zur Stilistik und Rhetorik gezählt werden.7
Diejenigen Phänomene, die innerhalb der modernen Erzähltheorie behandelt werden, lassen sich kaum auf einen Begriff bringen, sondern nur aufzählen (z. B. Fokalisierung, Distanz, unzuverlässiges Erzählen etc.). Daher muss man unter der modernen Erzähltheorie diejenigen Reflexionen über das Erzählen verstehen, die Narratologen wie Genette systematisiert haben. Folglich werden auch in diesem Buch weder quantitativ noch systematisch alle antiken Reflexionen über und Instruktionen zur Erzählung behandelt. Vielmehr besteht die hier präsentierte antike Erzähltheorie aus den wichtigsten Reflexionen über das Erzählen, von denen viele mutatis mutandis denjenigen Kategorien entsprechen, die moderne Narratologen wie Genette konzipiert und/oder kompiliert haben, ohne dass sich diese Monographie sklavisch an dieser Norm orientiert.8 Die moderne Erzähltheorie dient in dieser Untersuchung der antiken Erzähltheorie vordringlich dazu, das diskursive Feld zu systematisieren, innerhalb dessen sich in einem zweiten Schritt die antiken Positionen ausdifferenzieren lassen.9
Die auf diese Weise sich konstituierende antike Erzähltheorie weist zwei wesentliche Unterschiede zur modernen Erzähltheorie auf: Zum einen sind die Verhältnisse insofern invers, als die antike Erzähltheorie eine allgemeine Konzeption des Erzählens darstellt, innerhalb derer in einer Binnendifferenzierung das literarische Erzählen behandelt wird. Die moderne Erzähltheorie ist hingegen eine Ausdifferenzierung des literarischen Erzählens. Die (fehlende) Konzipierung des Erzählers in der antiken bzw. modernen Erzähltheorie scheint eine Folgeerscheinung der jeweils unterschiedlichen Herangehensweisen an das Phänomen des (literarischen) Erzählens zu sein.
Zum anderen, aber hiermit verbunden, liegt ein wesentlicher Unterschied in der Art des Diskurses:10 Die moderne Erzähltheorie stellt einen unabhängigen Diskurs dar, da es viele Texte gibt, in denen die Erzähltheorie das dominante Thema darstellt, ja dieser Begriff sogar im Titel der entsprechenden Publikationen vorkommt. Einen antiken Text De narratione (scribenda) i. S.v. „Über die Erzählung / Zur Erzähltheorie“, in dem die meisten der in dieser Monographie präsentierten Aspekte diskutiert wurden, hat es nicht gegeben. Vielmehr finden sich die narratologischen Reflexionen verteilt über die verschiedensten (Kon-)Texte und Gattungen der gesamten antiken Literatur, wobei einige erzähltheoretische Überlegungen z. B. in den rhetorischen Instruktionen zur Erzählung (narratio) und in der Aristotelischen Poetik enthalten sind.
Die antike Erzähltheorie stellt also einen abhängigen Diskurs dar, da in denjenigen (Kon-)Texten, in die die erzähltheoretischen Überlegungen eingebettet sind, schwerpunktmäßig andere Themen behandelt werden. Zu diesen (Kon-)Texten gehören i.W.: die Rhetoriktheorie inklusive der Progymnasmata-Handbücher;11 Poetiken im weiten Sinn von poetologischen Schriften; philosophische Texte; geschichtstheoretische Passagen, die sich häufig in Geschichtswerken, aber auch in anderen Texten finden; Kommentare und Scholien. Auch wenn rhetorische Texte in dieser Monographie eine wichtige Rolle spielen werden, werden die erzähltheoretischen Reflexionen über die Rede eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr werden die narratologischen Reflexionen über die anderen Erzählgattungen (v. a. Epos, Geschichtsschreibung und teilweise auch das Drama; zum Drama als Erzählung s. Kap. 1.1.3.3) im Vordergrund stehen und solche Aussagen, die eine gattungsübergreifende Geltung haben.
Schließlich stehen die in dieser Monographie präsentierten erzähltheoretischen Reflexionen im Spannungsverhältnis zwischen dem Autor, dem Erzähltext und den potentiellen Rezipienten (ein Spannungsverhältnis, das man mit dem ‚Sitz im Leben‘ bezeichnen könnte).12 Insofern markiert insbesondere der rezeptionsorientierte Charakter der antiken Erzähltheorie einen zwar nicht kategorialen, aber graduellen Unterschied gegenüber der modernen Erzähltheorie, die – gerade wenn man Genettes Erzähltheorie zum Vergleich heranzieht – fast ausschließlich die Textstruktur in den Blick nimmt.

1.1.2 Der antike und der moderne Erzählbegriff

Die antike Erzähltheorie ist eine Narratologie ohne Erzähler, da der vom Autor verschiedene Erzähler bzw. die Erzählinstanz erst in der Moderne konzipiert worden ist. Folglich ist der antike Begriff der Erzählung im Gegensatz zum modernen Erzählbegriff nicht so zu verstehen, dass ein fiktiver Erzähler, sondern dass der Autor spricht. Wenn man den antiken mit dem modernen Erzählbegriff vergleicht, treffen also einige Aspekte des modernen Erzählbegriffes auf den antiken Erzählbegriff zu, wohingegen in der modernen Kategorie des vom Autor verschiedenen Erzählers der wesentliche Unterschied besteht,13 wobei diese Dissoziierung keineswegs unumstritten ist (s. Kap. 1.3).
Der moderne Erzählbegriff umfasst mehrere Aspekte, vielleicht hat er sogar mehrere Bedeutungen: Die Begriffe der Erzählung und des Erzählens werden einerseits in dem ganz allgemeinen Sinn des Berichtens in Bezug auf die verschiedensten Medien, Erzähler (im Sinn eines Menschen, der erzählt) und Erzählsituationen verwendet: z. B. erzählt der Sitznachbar im Bus oder Zug etwas.14 Andererseits wird dieser Begriff in der gegenwärtigen Narratologie in Bezug auf die literarische Erzählung vorwiegend durch zwei Aspekte definiert, wobei der erstere Überschneidungen mit der zuvor genannten Alltagsbedeutung des Begriffes aufweist:15 Das eine Merkmal besteht darin, dass – anders als bei der Beschreibung – von einer Zustandsveränderung berichtet wird, die zumindest eine zeitliche Sequenz und vielleicht sogar eine kausale Motivierung aufweist. Man könnte auch davon sprechen, dass ein Ereignis (aus x1 wird x2) oder eine Geschichte/Handlung, die i. d. R. aus mehreren Ereignissen und statischen Elementen (s. Kap. 2.2) besteht, geschildert wird.16
In der sich um 1900 etablierenden Erzähltheorie steht im Begriff der Erzählung hingegen der Aspekt im Vordergrund, dass – anders als beim dramatischen Präsentationsmodus – die vom Autor verschiedene Vermittlungsinstanz des Erzählers den Rezipienten die erzählte, häufig fiktive Welt vermittelt.17 In der Praxis der Literaturanalyse werden diese beiden Aspekte des Erzählbegriffes zumeist miteinander vermischt, wobei diese Vermischung mitunter explizit gemacht wird, indem eine Erzählung im weiteren Sinn von einer Erzählung im engeren Sinn (der vom Autor verschiedene Erzähler spricht) unterschieden wird.18
Viele, aber nicht alle genannten Aspekte des modernen Erzählbegriffes – v. a. nicht die Erzählerfigur – treffen auf den antiken Begriff der Erzählung (narratio/διήγησις/διήγημα)19 im Sinn einer Minimaldefinition zu. Die Erzählung wurde nämlich in den Rhetorik- und Progymnasmata-Handbüchern definiert als „Darstellung von geschehenen oder quasi geschehenen Ereignissen“ (narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio).20 Hierin zeigt sich die zuvor erwähnte (s. Kap. 1.1.1) allgemeinere Konzeption des Erzählens, die für die Antike charakteristisch ist, da es sich bei dieser Definition insbesondere auch um eine rhetorische Definition der narratio im Sinn der Schilderung des Tathergangs in der Gerichtsrede handelt. Die zitierte Definition beschränkt sich aber keineswegs auf das Erzählen vor Gericht (bzw. auf die drei Redegattungen; s. Kap. 1.3), sondern umfasst auch verschiedene Formen der literarischen Erzählung, die in der dort folgenden Systematik unterschieden werden.21 Der antike Erzählbegriff, der dieser Monographie zugrunde liegt, ist also weiter gefasst als der moderne Erzählbegriff.

1.1.3 Weitere Grundbegriffe der antiken und der modernen Erzähltheorie

Auf einzelne Aspekte der antiken Definition der Erzählung, und zwar auch auf diejenigen relevanten Aspekte, die nicht in...

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