KAPITEL 1
TOURVORBEREITUNG
1.1Vorrecherche
Ein Fototrip beginnt fĂŒr mich mit einer Vision. In was fĂŒr einer Landschaft möchte ich fotografieren und ist diese Phantasiereise realisierbar? Was wird mich erwarten und welche Bilder aus der Region kenne ich? Aus dieser gedanklichen Reise wird zunĂ€chst ein Sammelsurium an Stichwörtern. Es folgen BĂŒcher ĂŒber die Gegend â AbenteuerbĂŒcher, ReisefĂŒhrer, Erlebnisberichte und BildbĂ€nde. Schlussendlich mache ich mich mit der Gegend nicht nur gedanklich, sondern mittels einer Vorrecherche am heimischen Computer vertraut. Gibt es Webcams, Apps oder hilfreiche Websites ĂŒber die Region? FrĂŒher oder spĂ€ter studiere ich Karten, wie z. B. topographische Karten in Papierform oder digital. Was zeigen mir »Google Maps«, »Google Earth« oder Apps wie »Sun Surveyor« oder »The Photographerâs Ephemeris«? Ein langer Fototrip beginnt somit nicht mit dem Verlassen meines Zuhauses, sondern mit einer wochenlangen Planung. Schlussendlich möchte ich mir meine Visionen so gut es geht verwirklichen. Nicht umsonst heiĂt es: TrĂ€ume nicht Dein Leben, sondern lebe Deinen Traum âŠ
1.2Vor-Ort-Recherche
Neben der Vorrecherche ist fĂŒr mich die Vor-Ort-Recherche von groĂer Bedeutung, vor allem wenn ich in Gegenden unterwegs bin, von denen bisher noch wenig Fotos in Europa veröffentlicht wurden. Handfeste Informationen ĂŒber das Matterhorn, die Dolomiten oder andere bekannte Berggegenden der Alpen findet man reichlich im Internet oder in BĂŒchern â nicht nur Tipps zu Wanderungen und Zustiegen, sondern z. T. auch detaillierte Angaben zu Fotospots. Bei fernabgelegenen Gebieten Zentralasiens oder SĂŒdamerikas sieht es da schon anders aus. Welche Spiegelseen oder sonstigen lohnenden Motive es z. B. in Kirgistan, in Nordpatagonien oder im Altiplano gibt, fand ich meist erst vor Ort heraus. In Chile half es mir, wenn ich Postkarten bei SouvenirhĂ€ndlern oder Fotos von Katalogen der Tour-Anbieter studierte. Der eine oder andere Bildband aus einem guten Buchhandel in Santiago de Chile war natĂŒrlich ebenso von Vorteil.
Sehr ausfĂŒhrliche Informationen bekam ich in Chile stets von Mitarbeitern der Nationalpark-Behörde CONAF, egal ob direkt in den Infozentren der Schutzgebiete oder im HauptbĂŒro in Santiago de Chile. Wenn ich erwĂ€hnte, dass ich fĂŒr deutschsprachige Reise- oder Outdoormagazine Fotoreportagen veröffentliche â also einen Gegenwert anbot â, schenkte man mir groĂe Aufmerksamkeit und gab mir sehr gute Hinweise zu den Nationalparks und anderen Schutzgebieten. Ab und zu begleitete mich sogar ein Guide, um mir passende Stellen zu zeigen. Sehr entgegen kam mir dabei, dass viele der Parkguides ebenfalls fotografieren, wodurch sich schnell ein passendes GesprĂ€chsthema finden lieĂ.
In Argentinien dagegen machte ich mehrmals die Erfahrung, dass man mir als auslĂ€ndischem Fotografen eher mit Abstand begegnete. Nach dem Motto: »Es gibt bereits genĂŒgend Touristen im argentinischen Teil von Patagonien und die Locations, die noch nicht bekannt sind, sollen es auch bleiben.« Zudem scheint es in Argentinien besonders wichtig zu sein, die Landessprache Spanisch zu sprechen, was ich bei meiner ersten Reise noch nicht tat.
Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, ist folgende: Als ich mich nach meiner mehrmonatigen SĂŒdamerikareise entschieden hatte, nach Chile auszuwandern, suchte ich so rasch wie möglich Gleichgesinnte: Ich trat dem chilenischen Naturfoto-Forum bei. So lernte ich zum einen Menschen kennen, die so wie ich der Natur frönen und die mich bei meinen Fototouren unterstĂŒtzen wollten und es immer noch tun. Und sie teilten eine wahrhaftige Bilderflut von herausragenden Fotos mit mir, aus Landstrichen, die in Europa so gut wie gar nicht bekannt waren. Dementsprechend groĂ war mein Drang, ein fĂŒr mich neues Tal, einen neuen Fjord oder Berg kennenzulernen. Viele GesprĂ€che und E-Mails auf Spanisch im oder auĂerhalb des Forums halfen mir, mich in der Landessprache zu verbessern. Somit lernte ich nicht nur neue Freunde und Landschaften kennen, sondern auch besser Spanisch.
Sie sehen also, die Vor-Ort-Recherche ist im Grunde einfach.
1.3Sondergenehmigungen vor Ort
Eine sehr positive Erfahrung hatte ich in Chile mit speziellen Genehmigungen, die mir mehrerlei Vorteile in Nationalparks und anderen Schutzgebieten brachten. Solche Genehmigungen (»AutorizaciĂłn«) können bei der chilenischen Nationalparkbehörde CONAF bezogen werden. Ziel dieser Genehmigungen ist es, Film- oder Fotoprojekte zu unterstĂŒtzen. Mit solchen Genehmigungen bekommt man gratis Eintritt, die Erlaubnis, geschlossene Wanderwege benĂŒtzen zu dĂŒrfen, und mitunter auch das EinverstĂ€ndnis fĂŒr den Gebrauch von Einrichtungen der Nationalparkbehörde. Vorausgesetzt wird ein professionelles Wirken in der Fotografie, das Sie auch ĂŒber Veröffentlichungen nachweisen mĂŒssen. Anders verhĂ€lt sich die Situation bei wirklich groĂen Projekten, denn in solch einem Fall muss ein prozentueller Anteil der Einnahmen an CONAF bezahlt werden.
Ein Beispiel: Wer die WasserfĂ€lle »Saltos del Petrohué« im Nationalpark Vicente PĂ©rez Rosales in Nordpatagonien besucht hat, wird bestimmt ihre Schönheit bestaunt haben. Der Nationalpark umfasst 231.000 Hektar geschĂŒtztes Gebiet mit Bergen, FlĂŒssen, Gletschern und unberĂŒhrten WĂ€ldern. Hinter den WasserfĂ€llen, die durch eine fantastische Basaltlandschaft flieĂen, erhebt sich der gleichmĂ€Ăig konische Vulkan Osorno, der noch dazu schneebedeckt ist. Doch der Eindruck purer Wildnis wird vor Ort schnell enttĂ€uscht: Nachdem man Eintritt bezahlt hat, fĂŒhrt der Weg durch ein Tor, entlang eines angelegten Pfads bis zu einer eingezĂ€unten Aussichtsplattform, von der aus man zwar eine atemberaubende Sicht auf die WasserfĂ€lle und den Vulkan Osorno hat, auf der sich aber auch viele Touristen tummeln. Dieser eingegrenzte Bereich darf nicht verlassen werden und die Ăffnungszeiten werden streng eingehalten. Bei Sonnenaufgang oder -untergang bleibt der Zugang verschlossen und Aufnahmen bei weichem Licht sind sozusagen unmöglich. Wie mache ich hier also ein Bild, das trotzdem die Schönheit der Wildnis zeigt?
Beim NationalparkgebĂ€ude am See »Todos los Santos« konnte ich mit dem dortigen Leiter Kontakt aufnehmen. Ich erklĂ€rte ihm auf Spanisch mein Anliegen, dass ich gerne bei Sonnenaufgang oder -untergang fotografieren wĂŒrde. Nach einigen Telefonaten und etwas Papierkram hatte ich die Genehmigung in der Hand. So war es mir möglich, bei bestem Licht fantastische Aufnahmen von diesem perfekten Vulkankegel zusammen mit den WasserfĂ€llen »Saltos de Petrohué« zu erhalten. Zu den Kaskaden wurde ich ĂŒbrigens von einem ParkwĂ€chter begleitet â es sollte ja nichts passieren.
Auch in den Alpen sind Genehmigungen erforderlich. Mit dem Zelt oder mit einem Biwaksack in den Bergen zu ĂŒbernachten, ist in den meisten LĂ€ndern gar nicht mehr erlaubt und mitunter mit hohen Strafen belegt, wie etwa in Ăsterreich. Auch in den anderen Alpenregionen wie etwa in den sehr frequentierten alpinen Gebieten der Schweiz â z. B. im Matterhorngebiet â ist die Sachlage Ă€hnlich: Zelten oder biwakieren ist hĂ€ufig verboten. Als gute Alternative bieten sich die SchutzhĂŒtten der verschiedenen Alpenvereine oder des Schweizerischen Alpenclubs an, von denen es im gesamten Alpenbogen zahlreiche gibt.
Insgesamt ist die Lage nicht besonders eindeutig. Was in der einen Region erlaubt ist, gilt fĂŒr den nĂ€chsten Bergzug nicht mehr. FĂŒr ausfĂŒhrliche Informationen suchen Sie bitte die Websites der Alpenvereine oder des Schweizerischen Alpenclubs auf â oder nehmen Sie direkt Kontakt auf:
- DAV (Deutschland) www.alpenverein.de
- ĂAV (Ăsterreich) www.alpenverein.at
- CAI (Italien) www.cai.it
- AVS (SĂŒdtirol) www.alpenverein.it
- SAC (Schweiz) www.sac-cas.ch
- CAF (Frankreich) www.ffcam.fr
- PZS (Slowenien) www.pzs.si
Wer ein handfestes Argument fĂŒr ein fotografisches Projekt bieten kann, erhĂ€lt mitunter die Erlaubnis fĂŒr das Ăbernachten in einem Zelt oder im Biwak â so war zumindest die Antwort, als ich bei den verschiedenen Sektionen recherchierte.
1.4Topografische Karten
Topografische Karten, die ein GelĂ€nde in all seinen Details abbilden, gibt es schon sehr lange. So gab es in Frankreich und in Belgien bereits im 18. Jahrhundert groĂflĂ€chige und einheitliche topografische Karten. Ein flĂ€chendeckendes Kartenwerk im deutschsprachigen Raum existiert seit dem frĂŒhen 19. Jahrhundert. Dienten die damaligen Karten dem MilitĂ€r, so werden die heutigen topografischen Karten vor allem als Wanderkarten verwendet.
Nahezu vor jedem Ausflug studiere ich topografische Karten, egal ob fĂŒr eine Tagestour in den Bergen oder fĂŒr eine mehrwöchige Reise. Eine topografische Karte beantwortet mir Fragen wie:
- Auf welches GelÀnde werde ich treffen?
- Welchen Bach, See oder welche Ebene kann ich im Vordergrund des Bilds einbauen?
- Welcher Fels, Wasserfall oder welche Bergspitze eignet sich als Hintergrund?
Ideal ist fĂŒr mich eine Landschaft, wenn ich beim Komponieren meines Bilds Elemente in Vorder-, Mittel- und Hintergrund habe. Sehr gut eignen sich dafĂŒr HochtĂ€ler mit einem dahinterliegenden auffĂ€lligen Berg oder Fels. In sehr tiefen und breiten TĂ€lern dagegen sind die Berge meist zu weit weg, um im Bild imposant zu wirken. Interessante Bilder lassen sich auch von Gebirgsgraten aus machen, insbesondere wenn sich der Grat ins Bild zieht und so die rĂ€umliche Tiefe der Landschaft betont.
Topografische Karten helfen mir auch, den Verlauf der Sonne zu beurteilen. Habe ich beim Fotospot die Sonne im RĂŒcken und den zu fotografierend...