Tradition und Redaktion im Matthäusevangelium
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Tradition und Redaktion im Matthäusevangelium

Formale und inhaltliche Charakteristika matthäischer Redaktionspraxis

Heiko Wojtkowiak

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Tradition und Redaktion im Matthäusevangelium

Formale und inhaltliche Charakteristika matthäischer Redaktionspraxis

Heiko Wojtkowiak

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Obwohl in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl die Theologie des Matthäusevangeliums als auch dessen Verhältnis zu seinen Quellen, dem Markusevangelium und der Logienquelle, verstärkt Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion waren, fehlt bisher eine Untersuchung, welche die matthäische Redaktionspraxis umfassend in den Blick nimmt.
Heiko Wojtkowiaks Studie füllt dieses Desiderat, indem sie umfänglich die formalen und inhaltlichen Redaktionscharakteristika des Evangelisten Matthäus darlegt. Hierzu erfolgt eine Untersuchung von dessen redaktionellen Umgang mit dem Markusevangelium und den in der Regel der Logienquelle zugewiesenen Texten. Dabei werden zwei weitergehende Fragen besonders berücksichtigt: 1) Lässt sich eine besondere Nähe zu einer dieser beiden Quellen nachweisen? 2) Erscheint eine direkte Abhängigkeit vom Lukasevangelium (ergänzend oder alternativ zur Annahme einer Abhängigkeit von der Logienquelle) plausibel?
Die Studie bietet hiermit eine Grundlage sowohl für die weitere Untersuchung der matthäischen Theologie als auch für die in der Forschung neu auflebende Diskussion um die synoptische Frage.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2021
ISBN
9783110703832

1 Einleitung

1.1 Problemanzeige: Die Frage nach dem theologischen Ort des Matthäusevangeliums und die matthäische Redaktionspraxis

Ein zentrales Anliegen der Erforschung des Matthäusevangeliums bildet die Frage, welchen theologischen Ort dieses Evangelium innerhalb des frühen Christentums einnimmt. Diese Frage umfasst zwei Komplexe von Unterfragen:
1) Der Schwerpunkt der Diskussion um den theologischen Ort des MtEv liegt auf der Zuordnung zu einer religiösen Obergruppe. Bis in die 70er Jahre des 20. Jh. stand die Position einer juden- derjenigen einer heidenchristlichen Herkunft des ersten Evangelisten und seines Werks gegenüber.1 Nachdem Letztere in der jüngeren Forschungsdiskussion nur noch eine untergeordnete Rolle spielt2, dreht diese sich vor allem um die Frage des Ausmaßes von Matthäus’ jüdischer Prägung. Dabei steht nicht zuletzt das religiöse Selbstverständnis des Evangelisten zur Diskussion, konkret, inwieweit er sich bereits als Christ versteht, und ob es nicht vielmehr angemessen sein könnte, Matthäus statt als Judenchristen allein als Juden zu bezeichnen.3
2) Ein zweiter Fragekomplex ist derjenige nach dem theologischen Verhältnis des MtEv zu anderen frühchristlichen Autoren und Schriften. Ein klassisches Element bildet hierbei die Frage nach dem Verhältnis zur Didache.4 In der aktuellen Forschung wird zusehends die Frage nach Matthäus’ Verhältnis zu Paulus sowie zum Jakobusbrief diskutiert.5 Ein Sonderfall der Frage nach dem Verhältnis zu anderen frühchristlichen Schriften besteht in der Verhältnisbestimmung zwischen dem MtEv und seinen Quellen. Traditionell dominierte die These einer besonderen Nähe zur Logienquelle, meist verknüpft mit der Annahme einer historischen Verbindung der mt Gemeinde zu deren Trägergruppe.6 Diese verbreitete Forschungsmeinung wurde jüngst von Andrew Doole infrage gestellt, der für den ersten Evangelisten eine besondere Wertschätzung des MkEv und der mk Theologie annimmt.7 Demgegenüber steht die von David Sim und Matthias Konradt vertretene Position, Matthäus wolle das aus seiner Sicht theologisch defizitäre MkEv ersetzen.8 Die beiden aktuellen Arbeiten von Alan Kirk und Michael Hölscher zu Matthäus’ Verhältnis zur Logienquelle rechnen hingegen gar nicht mehr mit einem besonderen Vorzug des Evangelisten für eine seiner beiden Hauptquellen und sehen im MtEv vielmehr das Ergebnis der Integration zweier für die Gemeinde normativer Traditionen.9
Die Frage nach dem theologischen Ort einer frühchristlichen Schrift steht bei allen ihr zuzuordnenden Unterfragen vor der Herausforderung, deren Theologie und zu diesem Zweck die theologischen Akzentsetzungen des Verfassers rekonstruieren zu müssen. Diese Herausforderung stellt sich gerade beim MtEv als besonders hoch dar. Durch die fünf langen, von Matthäus gebildeten bzw. gegenüber seinen Quellen ausgebauten Reden bietet sein Evangelium unter den Synoptikern den mit Abstand umfangreichsten Bestand an Jesusrede, welche auf die Theologie des Evangelisten hin zu untersuchen ist. Hinzu kommen wie in den anderen Evangelien die Jesusrede außerhalb solcher langen Redeabschnitte und die theologischen Implikationen in den narrativen Abschnitten. Die Schwierigkeit einer Rekonstruktion der mt Theologie wird dadurch verschärft, dass bei der umfangreichen von Matthäus gebotenen Jesusrede zuweilen Spannungen vorzuliegen scheinen. Auf solche Spannungen wurde in der Forschungsgeschichte immer wieder hingewiesen. So scheinen die Anweisungen zum Verhalten gegenüber der Lehre der Pharisäer in Mt 16,5 – 12 und 23,2 f schwer miteinander vereinbar. Im Rahmen der aus Mk 8,14 – 21 aufgenommene Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer identifiziert Matthäus den Sauerteig ausdrücklich mit der „Lehre der Pharisäer und Sadduzäer“ (Mt 16,12). Als in Spannung hierzu erscheint das in 23,3 angeführte Jesuswort, demzufolge das Volk und die Jünger „alles, was auch immer“ (πάντα ὅσα) die Schriftgelehrten und Pharisäer ihnen sagen, „tun und bewahren“ (ποιήσατε καὶ τηρεῖτε) sollen.10 In 5,33 – 37 begegnet ein generelles Schwurverbot unter besonderer Erwähnung des Schwurs beim Himmel, da dieser der Thron Gottes sei (5,34). 23,16 – 22 hingegen scheint einen Schwur auf den Tempel, den Altar und auf den Himmel zu legitimieren. Eine Spannung zeigt sich ebenfalls im Zusammenhang der für die mt Ethik und Soteriologie zentralen Stelle 5,20 („Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weitaus größer [μὴ περισσεύσῃ … πλείον] als diejenige der Schriftgelehrten und Pharisäer ist, werdet ihr auf keinen Fall [οὐ μή] in das Reich der Himmel eingehen“). Diesem voran geht die Aussage, wer eines der kleinsten Gebote auflöse, werde der Kleinste im Reich der Himmel genannt werden, wer sie aber halte, werde groß genannt werden (V. 19).11 Diese Rede von einer himmlischen Rangfolge scheint schwer vereinbar mit dem besonders großen Maß an Gerechtigkeit, welches im Anschluss zur Einlassbedingung ins Reich erhoben wird. Schließlich ist die Spannung zwischen der impliziten Forderung, Licht der Welt zu sein (5,16), und der Mahnung, die Gerechtigkeit nicht vor den Menschen zu praktizieren (6,1), ein Grund für Cedric Vine, die Möglichkeit zur Identifizierung einer konkreten Adressatengruppe des MtEv überhaupt infrage zu stellen.12
Mitunter wurde versucht, diese Spannungen als solche zwischen Tradition und Redaktion zu erklären. Georg Strecker sieht hierin das Resultat einer Aufnahme jüdischer Traditionen der mt Gemeinde, welche jedoch für den Verfasser, einen Heidenchristen, nicht mehr repräsentativ seien.13 Hans-Dieter Betz rechnet für die Bergpredigt mit einer gegenüber der lk Feldrede bereits vor-mt Überarbeitung und Erweiterung, die Matthäus in seiner auch anderweitig bereits redigierten Q-Fassung („QMatt14) vorfinde. Diese Vorlage der Bergpredigt vertrete eine deutlich stärker judenchristlich geprägte Position als der Evangelist selbst.15
Die Spannungen bereiten erhebliche Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion der mt Theologie sowie der Bestimmung des theologischen Orts des MtEv innerhalb des Urchristentums und im Verhältnis zum antiken Judentum. Spricht die Aufforderung, alles, was die Schriftgelehrten und Pharisäer sagen (23,3), zu tun und zu bewahren, für ein Selbstverständnis des Evangelisten und seiner Gemeinde als Teil des Judentums, ungeachtet der nur von ihm gebotenen expliziten Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer (16,12)?16 Steht er hiermit der potentiellen Logienquelle näher als dem MkEv?17 Vertritt Matthäus im Einklang mit Lk bzw. Q 16,17 (vgl. Mt 5,18) eine uneingeschränkte Gültigkeit des Gesetzes18, oder werden durch die Vorstellung einer Rangfolge im Reich der Himmel (5,19) Teile des Gesetzes, z. B. die kultische Tora, relativiert?19 Unterscheidet sich Matthäus hiermit vom zeitgenössischen Judentum ebenso wie von der Trägergruppe der Logienquelle?
Den Versuch einer theologischen Ortsbestimmung angesichts dieser Schwierigkeiten im Anschluss an Vine weitgehend zu unterlassen, mag eine Option darstellen, eine andere die Füllung eines Forschungsdesiderats. Tatsächlich fehlt nämlich eine grundlegende Untersuchung zu Matthäus’ Redaktionspraxis. In der jüngsten Forschung liegen zwar mehrere Studien vor, die sich mit Matthäus’ Rezeption des MkEv und der Logienquelle befassen.20 Abgesehen davon, dass hierbei mitunter auch auf die Rezeption der jeweils anderen Hauptquelle eingegangen wird, ermangelt es aber einer Untersuchung, die sich der Rezeption beider Quellen gleichermaßen widmet. Des Weiteren spielt die Frage nach den formalen Charakteristika, in der klassischen Redaktionsgeschichte ohnehin kaum berücksichtigt, insbesondere, was wiederkehrende Merkmale bei der Bearbeitung von Einzeltexten anbelangt, in der Matthäusforschung eine höchstens untergeordnete Rolle.21 Von einer Untersuchung aber, welche die formalen und inhaltlichen Charakteristika bei Matthäus’ Redaktion seiner beiden Hauptquellen umfassend in den Blick nimmt, wäre näherer Aufschluss über die theologischen Akzentsetzungen des ersten Evangelisten zu erwarten. Gegebenenfalls könnte sie aufzeigen, inwieweit Spannungen in einer bestimmten Redaktionspraxis gründen.
Die vorliegende Studie geht davon aus, dass die Beantwortung der Frage nach Matthäus’ theologischem Ort nur basierend auf einer solch umfänglichen Berücksichtigung seiner Redaktionsarbeit erfolgen kann. Ihr Ziel ist es, deren formale und inhaltliche Charakteristika herauszuarbeiten. Insofern handelt es sich um eine Grundlagenstudie, die der weiteren Erforschung des MtEv dienen soll. Zu diesem Zweck untersucht sie Matthäus’ Umgang mit seinen beiden Hauptquellen, dem MkEv und der Double Tradition respektive der Logienquelle. Hieraus ergibt sich zwingend als eine die Untersuchung leitende Frage: Geht Matthäus bei einer dieser Quellen formal oder inhaltlich anders vor, so dass eine besondere Nähe zu einer Quelle feststellbar ist? Sie beabsichtigt somit zugleich eine Antwort auf eine Unterfrage des zweiten Fragekomplexes bezüglich der theologischen Ortsbestimmung des MtEv zu geben. Der erste Fragekomplex mit der die Forschungsdiskussion dominierenden Frage nach dem Verhältnis zum zeitgenössischen Judentum wird weitgehend ausgeklammert. Eine Behandlung dieser Frage mit hinreichender wissenschaftlicher Sorgfalt würde den Rahmen einer Untersuchung, welche sich auf Matthäus’ Quellennutzung konzentriert, sprengen. Hier kann diese Untersuchung nur eine Grundlage für weitere Studien liefern.
Die Frage nach Matthäus’ Verhältnis zu seinen Quellen wird durch die neu aufkeimende Diskussion um die synoptische Frage verkompliziert. In der internationalen Forschung findet insbesondere die Farrer-Theorie, welche mit einer direkten Abhängigkeit des LkEv vom MtEv rechnet, zusehends Anhänger. Daneben wird vereinzelt die These einer direkten Abhängigkeit des MtEv vom LkEv als Haup...

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