Leserbrief zu unserem Artikel âDie Vorteile der Rechtschreibreformâ von Raphael Lindlbauer (SM vom 27. MĂ€rz)
Schluss-Strich?
Wir hatten eine wunderbare NuĂschokolade. Jeder hat sofort gewusst: Da ist NuĂ drin und Schokolade. Was haben die Rechtschreibreformer1 daraus gemacht? Eine Nussschokolade! Dann haben sie gemerkt: Drei âsâ hintereinander, das sieht nicht schön aus. Also hat man noch eine Reform gemacht. Jetzt heiĂt es Nuss-Schokolade. Und was schreibt Raphael Lindlbauer in seinem Artikel vom 27. MĂ€rz?
âBeim scharfen S hat die Reform eine echte Verbesserung gebracht.â Unter solche Dummheiten sollte man keinen Schluss-Strich ziehen2 und natĂŒrlich auch keinen Schlussstrich, sondern einen SchluĂstrich!!!!!!
Alfred Hahn
Glaubing
1
Was? Was? Was? Nuss-Schokolade? Rechtschreibreformer?
Was soll denn das? Was will dieser Mann? Warum schreibt er solche Briefe?
Weshalb regt er sich so auf? Hat er nichts Besseres zu tun?
Carsten Tsara schĂŒttelt den Kopf und schlieĂt die Datei.
Dann lÀchelt er plötzlich.
Ăbermorgen ist Freitag. Christine kommt mit dem Zug aus Berlin und dann fahren sie in ihren ersten gemeinsamen Urlaub. In den Kaiserstuhl3, die wĂ€rmste und sonnigste Landschaft Deutschlands. Zehn Tage lang spazieren gehen, den FrĂŒhling fĂŒhlen, das gute Essen genieĂen und den wunderbaren badischen4 Wein!
Zehn Tage Zeit fĂŒreinander âŠ
Ach, wenn doch heute schon Freitag wÀre! Leider ist erst Mittwoch.
Das LĂ€cheln ist wieder weg. Er öffnet die nĂ€chste Datei. Eigentlich wollte er den Computer heute nicht mehr anschalten. Eigentlich wollte er nicht mehr arbeiten. Eigentlich wollte er nur noch die Wohnung ein bisschen in Ordnung bringen und dann gemĂŒtlich zu Abend essen. Aber nun sitzt er doch wieder vor dem Monitor, weil ihn vor einer halben Stunde dieser seltsame Journalist angerufen hat.
âSpreche ich mit Privatdetektiv5 Carsten Tsara?â
âJa. Und wer sind Sie?â
âLindlbauer hier. Den Namen haben Sie bestimmt schon mal gehört oder gelesen.â
âNein, habe ich nicht.â
âIch schreibe fĂŒr den SĂŒddeutschen Merkur⊠Kulturredaktion ⊠Raphael Lindlbauer.â
âSo?â
Diese Stimme! Wie er âLiiindlbauerâ sagt und âKultuuurâ! FĂŒr ihn gibt es wahrscheinlich nur einen wirklich wichtigen Menschen auf der Welt und das ist er selbst.
âHerr Tsara, ich hĂ€tte da einen interessanten Auftrag fĂŒr Sie âŠâ
âOh, da muss ich Sie enttĂ€uschen. FĂŒr neue AuftrĂ€ge habe ich im Moment leider keine Zeit.â
âDer Job wird Ihnen aber gefallen: Es geht ganz schnell und Sie verdienen sehr gut.â
In diesem Moment ist Carsten Tsara die Zahl eingefallen, die er vorhin beim Online-Banking auf seinem Konto gelesen hat. Es war eine ziemlich kleine Zahl.
âWas fĂŒr ein Job? Wie schnell? Wie gut?â
Kann man ja mal fragen, oder?
âKennen Sie Glaubing?â
âSie meinen die Kleinstadt, westlich von MĂŒnchen?â
âRichtig. Dort wohnt ein Mann, der mich nicht mag. Ein Gegner der Pressefreiheit6. Er hasst mich und sein Hass wird jeden Tag gröĂer. Ich weiĂ nicht, ob ich vor diesem Typen Angst haben muss. Ich möchte, dass Sie das fĂŒr mich prĂŒfen.â
âUnd wie soll ich das machen? Hingehen und fragen?â
âIch bin sicher, dass Ihnen etwas Intelligenteres einfĂ€llt.â
âWie sind Sie ĂŒberhaupt auf mich gekommen?â7
âIhre Homepage im Internet hat mir gefallen.â
âAha. Und was ist mit meinen anderen Fragen? Bekomme ich darauf auch eine Antwort?â
âHerr Tsara, liefern Sie mir morgen klare Informationen ĂŒber den Mann und ich zahle Ihnen das ĂŒbliche Honorar8 ⊠plus 200 Euro extra.â
Morgen?
Morgen wollte Carsten Tsara eigentlich in die Stadt fahren und ein paar neue Sachen zum Anziehen kaufen. SpĂ€ter wollte er in aller Ruhe seinen Koffer packen und dann âŠ
Allerdings: Ein Tageshonorar plus 200 Euro, das ist schon was.
âWie heiĂt der Mann? Was macht er?â
âEr heiĂt Alfred Hahn. Von was er lebt, weiĂ ich nicht.9 Ich weiĂ nur, dass er böse Leserbriefe gegen meine Zeitungsartikel schreibt. Und irgendwie habe ich das dumme GefĂŒhl, dass er noch Schlimmeres vorhat.â
âAch was! Bellende Hunde beiĂen nicht.â10
âJa ja, so sagt man. Und doch bleibt ein Risiko. Deshalb möchte ich gern ein bisschen mehr ĂŒber ihn wissen.â
âIch kann mir die Briefe ja mal ansehen.â
âDas klingt gut! Geben Sie mir Ihre Mailadresse, dann haben Sie sie in fĂŒnf Minuten auf Ihrem Computer.â
2
Tja, und da waren sie nun, Alfred Hahns Leserbriefe. Und die dazugehörenden Artikel von Raphael Lindlbauer. Wahre âMeisterwerke des Journalismusâ, so wie dieser hier:
SĂŒddeutscher Merkur Feuilleton Ausgabe 87 / 4. April
NuĂ oder Nuss?
von Raphael Lindlbauer
Die neue Rechtschreibregel fĂŒr das sogenannte âscharfe Sâ11 ist sehr einfach: Nach einem langen Vokal nimmt man das âĂâ und nach einem kurzen Vokal das âssâ.
Das Wort âFuĂâ zum Beispiel hat ein langes âuâ. Deshalb muss ein scharfes S folgen. Anders das âuâ in âNussâ. Es ist kurz, also kommt danach ein Doppel-S. Das ist wirklich kinderleicht. Manche Leute wollen oder können es trotzdem nicht verstehen. Aufgepasst, ihr denkfaulen HĂŒhnchen12 da drauĂen! Hier kommt noch ein schönes Beispiel: Das Wort âBesserwisserâ hat ein kurzes âeâ und ein kurzes âiâ. Also? Wie schreibt man es? Mit zwei Doppel-S! Habt ihr das jetzt verstanden? Na bitte! ErzĂ€hlt es schnell auch dem Hahn â sonst ist er am Ende noch die letzte dumme âNuĂâ13 im ganzen Land!
Warum wird Lindlbauer so persönlich?14 Warum spielt er so unfair mit Alfred Hahns Nachnamen? Er hĂ€tte doch auch ganz allgemein ĂŒber die Regeln fĂŒr das scharfe S schreiben können, oder?
AuĂerdem schreibt er selbst wie ein Besserwisser, findet Carsten Tsara. Wie ein Rechthaber. Er braucht die Dummen âda drauĂenâ wie die Luft zum Atmen. Nur so kann er allen beweisen, wie toll und intelligent er selbst ist.
Na jedenfalls: Nach diesem Artikel braucht man sich nicht zu wundern, dass Hahns nĂ€chster Brief noch wĂŒtender ist als der erste:
Leserbrief zu unserem Artikel âNuĂ oder Nuss?â von Raphael Lindlbauer (SM vom 4. April)
Macht kaputt, was euch kaputt macht!15
Gegen Krankheiten gibt es Medikamente. Gegen Ratten gibt es Rattengift. Aber welches Mittel gibt es gegen Leute, die unsere Sprache kaputt machen und damit unsere gesamte Kultur und Tradition zerstören? Wenn man sich beschwert, dann sprechen sie immer gleich von Meinungs- und Pressefreiheit. Aber in Wirklichkeit sind sie gegen die Freiheit. Sie wollen, dass es nur noch eine Meinung gibt, nĂ€mlich ihre. Unsere Meinung werden sie erst beachten, wenn wir nicht mehr schreiben, sondern handeln. Wer nicht hören will, muĂ fĂŒhlen!
Alfred Hahn
Glaubing
Carsten Tsara öffnet die nĂ€chste Datei. Aber dann schlieĂt er sie gleich wieder. Das ist doch alles wahnsinnig, oder? Wahnsinnig, krank und langweilig. Er hat genug davon. Er wird den Auftrag nicht ĂŒbernehmen. Er wird morgen ins Stadtzentrum fahren und sich eine schöne helle Hose und ein schickes Paar Schuhe kaufen.
Er öffnet Lindlbauers Mail und klickt auf âAntwortenâ.
Da klingelt das Telefon.
âHier Tsara.â Seine Stimme klingt Ă€rgerlich.
3
â...