Mit Entsetzen Scherz
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Mit Entsetzen Scherz

Die Zeit des Tragikomischen

Andreas Dorschel

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Die Zeit des Tragikomischen

Andreas Dorschel

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Tragisches und Komisches sind, seit von ihnen die Rede ist, im Gegensatz zu einander gesehen worden. Wird Tragisches mit Komischem verbunden, wäre zu erwarten, dass sie einander schwächen. Tragikomische Situationen überraschen damit, dass die gegensätzlichen Qualitäten einander steigern. Unter welchen Bedingungen kann dies eintreten?Andreas Dorschel richtet die Aufmerksamkeit auf das Verhältnis zur Zeit: Komisches ist im Moment zuhause, Tragisches beschreibt einen großen Bogen. In seiner Studie schlägt er vor, Tragikomisches aus der Perspektive einer Poetik zu erfassen, mithilfe der Kategorien ›Ironie‹, ›Intervention‹ und ›Travestie‹. Inwiefern diese Aufschluss geben, erkundet der Autor an Beispielen aus der Antike, der Frühen Neuzeit und der Moderne: Euripides' »Bakchai« (erstmals aufgeführt 405 v. Chr.), Shakespeares »Tragedy of King Lear« (gedruckt 1623) und Kafkas »Der Process« (verfasst 1914/15). Das Augenmerk, welches diese erste philosophische Monographie zur Frage der Tragikomik auf die Literatur lenkt, schließt nicht aus, dass es auch im Leben manchmal tragikomisch zugeht. Doch dessen Konstellationen zeigen sich tragikomisch wohl erst dann, wenn auf sie in bestimmten Weisen geblickt wird, die ›poetisch‹ zu nennen sind.

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Dionysos’ Duplicitas

Tragik, Komik und das attische Theater

1Wer ein Wort gebraucht, weil es nach Tiefe klingt, hat für seine Plattheit schon gesorgt. So kann philosophisches Reden von Tragik es zu einer bestimmten Komik bringen: der unfreiwilligen. »Die Lage des Philosophen ist wahrhaft tragisch. Fast niemand liebt ihn«, schrieb der auch sonst für Wehen anfällige Philosoph Nikolai Berdjajew 1933 in Das Ich und die Welt der Objekte. »Selbst die Möglichkeit einer Philosophie wird fortwährend angezweifelt, und jeder Philosoph ist gezwungen, sein Werk mit einer Verteidigung der Philosophie und mit dem Nachweis zu beginnen, dass sie möglich und nicht fruchtlos ist.« Der Philosophie ›wahrhafte Tragik‹ ist ein ihr vorenthaltener Genuß: »Sie geniesst keineswegs das, was man Ansehen in der Oeffentlichkeit nennt«1. Wer dem eigenen Treiben Tragik bescheinigt, will sich selbst erhöhen; die erreichte Fallhöhe ist ein aufgelegter Witz. Seine Bücher mit apologetischen Vorreden versehen zu müssen, sie dennoch oder deswegen schlecht zu verkaufen und diesen Vorgang tragisch zu nennen, kann nicht anders als komisch sein. Prädikat: »nicht fruchtlos«. Selbstmitleid ist ja fast immer komisch; denn an einen, der so viel Mitleid für sich selbst übrig hat, wird die »Oeffentlichkeit« ihre eigene knappe Ration Mitleid kaum verschwenden – wenn sie auch ihren Spaß an ihm haben kann.
2Nur im vollen Bewußtsein eines stets drohenden Absturzes in unfreiwillige Komik sollte Philosophie sich daher an die Frage wagen, was tragisch und was komisch sei. Der Absturz droht hier, außer vom Drang nach Tiefe (¶ 1) her, auch einer etwas zweifelhaften Tugend dieser Disziplin wegen: der Pedanterie. Denn Tragisches und Komisches, so scheint es, bricht herein, kommt unvorhergesehen, hält nicht auf Pünktlichkeit, ist antipedantisch. Um Aussagen über sie unter rationale Kontrolle zu bringen, mag es sich empfehlen, zunächst einmal beide Begriffe zu definieren. Die Forderung weckt Hoffnung auf eine probat verfügbare Formel. Einst sollten Definitionen Wesensfragen beantworten: ›Was ist Tragik?‹, ›Was ist Komik?‹, ›Was ist Tragikomik?‹. Und Antworten auf Wesensfragen versprach eben die Philosophie. Wie allerdings einem Philosophen, Friedrich Nietzsche, auffiel, ist »definirbar […] nur Das, was keine Geschichte hat«, weshalb die Mathematik eine Domäne solcher Begriffsbestimmungen allein aus Grundbegriffen oder bereits definierten Begriffen ist; so eminent historische Begriffe wie ›tragisch‹ und ›komisch‹ hingegen »entziehen sich der Definition«.2 Tragik und Komik sind nichts ein für allemal Gegebenes, sondern etwas Erzeugtes: etwas zu unterschiedlichen Zeiten auf unterschiedliche Weise Erzeugtes. Zwar entzieht sich nichts mehr der Definition, sobald statt Antworten auf Wesensfragen als bescheidener Ersatz sogenannte Nominaldefinitionen angeboten werden. Sie besagen nichts weiter als ›In diesem Text soll das Wort ›Tragik‹ oder ›Komik‹ dies oder jenes bedeuten‹, und können nie falsch sein, weil es keine Instanz gibt, die eingesetzt wäre, jemanden abzuhalten, Nominaldefinitionen so festzulegen, wie er oder sie will. Was nicht falsch ist, kann sich indes immer noch als steril erweisen.
3Für termini technici sind Nominaldefinitionen (¶ 2) nützlich, nicht aber für mit Geschichte gesättigte Ideen. Deren Changieren ist kein Mangel, sondern macht sie erst recht bemerkenswert; ihre nominale Definition wirkt als Barriere, manchmal als willkommene, da sie es erspart, der Genese von Bedeutungen nachzugehen. Dies jedenfalls zu versuchen heißt nicht und rechtfertigt auch nicht, Ausdrücke verworren oder verwaschen zu gebrauchen. Im Gegenteil, man muß eher genauer sein. Ja, gerade Ungenauigkeit geht einher mit überzeitlichen Definitionen. Daher rührt der Schauder, der manche Philologen oder Historiker überläuft, sobald Philosophen sich ihren Gegenständen nähern.3 Denn wenn sie ihrer déformation professionnelle folgen, dann subsumieren professionelle Denker das Besondere eines Kunstwerks oder einer historischen Situation einem allgemeinen Begriff. Kafkas Process exemplifiziert dann die tragische Entfremdung des modernen Menschen. Es gibt allerdings auch eine andere Weise, in der Dichtung, Musik, Kunst oder historische Ereignisse philosophisch verstanden werden können, nämlich wenn ihr jeweils Besonderes nicht als Manifestation einer Idee verstanden wird, sondern als die Idee selbst, eine Idee, die sich auf nichts anderes reduzieren läßt und dennoch allgemein bedeutsam sein kann. Zugleich philologisch und philosophisch oder zugleich historisch und philosophisch zu sein heißt: sich auf die Details eines Textes oder eines geschichtlichen Vorgangs einzulassen, kurz: genau zu sein.
4Um Geschichte herumzukommen, hoffte Nietzsche allerdings in früheren Phasen seines Denkens. Das Tragische der Geburt der Tragödie (1872) ist, wenngleich ›Geburt‹ einen Prozeß bezeichnet, eine metaphysische Größe; in Menschliches, Allzumenschliches I (1878) philosophiert Nietzsche hingegen, wie er es später nannte, »am Leitfaden des Leibes«4. Das mag ein Vorzug sein vor hochtrabenden Philosophien des Tragischen, die das rein Geistige beschwören. Aber unhistorisch sind auch ein Tragisches und Komisches, die aus der allgemeinen Natur »des Menschen« abgeleitet werden. Denn die »manche[n] hunderttausend Jahre«, die zu resümieren sich Nietzsche in Aphorismus 169 des ersten Bandes von Menschliches, Allzumenschliches zutraut, sind gerade nicht historische Zeit:
Wenn man erwägt, dass der Mensch manche hunderttausend Jahre lang ein im höchsten Grade der Furcht zugängliches Tier war und dass alles Plötzliche, Unerwartete ihn kampfbereit, vielleicht todesbereit sein hiess, ja dass selbst später, in socialen Verhältnissen, alle Sicherheit auf dem Erwarteten, auf dem Herkommen in Meinung und Thätigkeit beruhte, so darf man sich nicht wundern, dass bei allem Plötzlichen, Unerwarteten in Wort und That, wenn es ohne Gefahr und Schaden hereinbricht, der Mensch ausgelassen wird, in’s Gegentheil der Furcht übergeht: das vor Angst zitternde, zusammengekrümmte Wesen schnellt empor, entfaltet sich weit, – der Mensch lacht. Diesen Uebergang aus momentaner Angst in kurz dauernden Uebermuth nennt man das Komische. Dagegen geht im Phänomen des Tragischen der Mensch schnell aus grossem, dauerndem Uebermuth in grosse Angst über; da aber unter Sterblichen der grosse dauernde Uebermuth viel seltener, als der Anlass zur Angst ist, so gibt es viel mehr des Komischen, als des Tragischen in der Welt; man lacht viel öfter, als dass man erschüttert ist.5
Ist »das Tragische« wirklich eine Art Zusammenzucken? Kein Wort wendet Nietzsche hier an den Konnex des Komischen und Tragischen mit dem Theater. Der Passus steht allerdings im ›Vierten Hauptstück‹ von Menschliches, Allzumenschliches I, ›Aus der Seele der Künstler und Schriftsteller‹; es geht, zumindest auch, um eine Erklärung künstlerischer Phänomene. Schon als Raum und Institution schirmt das Theater so vor Gefahren des wirklichen Lebens ab, daß es als Ort der Erleichterung über Komisches oder der Erschütterung von Tragischem, wie in Menschliches, Allzumenschliches imaginiert, kaum in Frage kommt. Nietzsche malt sich das wirkliche Leben eines tierischen Urmenschen aus, vor aller kulturellen und historischen Besonderung, und nimmt von ihm seine Erklärung her. Tragisches und Komisches werden dabei zu Gemütsbewegungen des Übergangs, mit denen »der Mensch« auf »Plötzliche[s], Unerwartete[s]« reagiert; Komik soll sich einstellen, wenn das Ereignis sich als ungefährlich ...

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