Die DDR-Literatur und die Wissenschaften
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Die DDR-Literatur und die Wissenschaften

Angela Gencarelli, Angela Gencarelli

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Die DDR-Literatur und die Wissenschaften

Angela Gencarelli, Angela Gencarelli

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Das VerhĂ€ltnis zwischen Literatur und Wissen(schaft) wird seit Jahrzehnten rege beforscht, allerdings wurde die DDR-Literatur dabei fast völlig außen vor gelassen. So blieb unentdeckt, dass die 'Produktivkraft Wissenschaft' zu einem ihrer wichtigsten GegenstĂ€nde avancierte.

Das VerhĂ€ltnis der DDR-Autor*innen zur gesellschaftlich zentralen, ja revolutionĂ€ren 'Produktivkraft', wie es offiziell hieß, stand von Beginn an unter ambivalenten Vorzeichen: Einerseits galt die SchlĂŒsselrolle von Wissenschaft und Technik als verbindlich, und kulturpolitische Direktiven verfolgten das Ziel, die Literaturproduzent*innen eng(er) an die Wissenschaften zu binden. Andererseits entdeckten die Schriftsteller*innen die Wissenschaften durchaus auch aus eigenem Interesse heraus und erfĂŒllten die offiziellen SchreibauftrĂ€ge auf ihre eigene, mitunter eigenwillige Weise.

In diesem Spannungsfeld bewegen sich die einzelnen Fallstudien, die den literarischen Aneignungsweisen der Wissenschaften bei Schriftsteller*innen wie Sarah Kirsch, Franz FĂŒhmann, Johannes R. Becher, Dieter Noll, Brigitte Reimann, Maxie Wander, Christa Wolf, Hildegard Maria Rauchfuß, Christoph Hein, Fritz Rudolf Fries, Helga Königsdorf und Heiner MĂŒller gewidmet sind.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2022
ISBN
9783110771015

III Wissenschaft und Sozialismus im Fokus der Literatur

III Wissenschaft und Sozialismus im Fokus der Literatur

Vom schweren Anfang

Wissenschaftspolitische und -geschichtliche Reformprozesse in Dieter Nolls Roman Kippenberg
Marlen Arnolds
UniversitÀt Bonn, Bonn
Marlen Arnolds, Wissenschaftliche Koordinatorin des DFG-Graduiertenkollegs „Gegenwart/‌L‍i‍t‍e‍r‍a‍t‍u‍r‍. Geschichte, Theorie und Praxeologie eines VerhĂ€ltnisses” an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-UniversitĂ€t Bonn. Forschungsschwerpunkte: Nachkriegsliteratur, kognitive Literaturwissenschaft, interdisziplinĂ€re Schnittpunkte von Zeitgeschichtsforschung und Gegenwartsliteraturwissenschaft. Dissertationsprojekt zu (Re‑)‌Konstruktion als Diskurs im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit. Buchveröffentlichung: ZEIT literatur | GEGENWART geschichte (hg. mit Eva Stubenrauch, Wehrhahn, Veröffentlichung in Vorbereitung).

1 Vorbemerkungen

Nahezu alle HandlungsstrĂ€nge in Dieter Nolls 1979 erschienenem Roman Kippenberg sind vor dem Hintergrund eines wichtigen wissenschaftspolitischen Umbruchs in der DDR angesiedelt, der 4. Hochschulkonferenz im Februar 1967. Diese Konferenz zielte auf eine umfassende Neustrukturierung aller Bildungsinstitutionen im Land. Im universitĂ€ren Bereich sollte der von ihr angeregte Reformprozess die Auflösung tradierter Institutsgrenzen zugunsten interdisziplinĂ€r arbeitender Forschungsgemeinschaften zur Folge haben. Der titelgebende Protagonist in Nolls Roman, Dr. rer. nat. habil. Joachim Kippenberg, leitet eine Arbeitsgruppe im fiktiven Berliner Institut fĂŒr biologisch aktive Stoffe, das sich der Erforschung biologisch aktiver, d. h. pharmazeutisch nutzbarer Stoffe widmet. Kippenbergs Arbeitsgruppe ist als Prototyp eines solchen Forschungskollektivs angelegt. Innerhalb der Diegese nimmt diese Arbeitsgruppe damit lange vor der tatsĂ€chlichen Umsetzung der geplanten Hochschulreform deren Kerninhalte vorweg,1 denn in ihr arbeiten Mediziner, Chemiker, Biologen, Mathematiker, aber auch Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker an gemeinsamen Projekten mit Vertretern produzierender Unternehmen. Insbesondere die Einbindung der Wirtschaftswissenschaften und der Informatik verweist zudem auf weitere UmbrĂŒche in der Wissenschaftsgeschichte der DDR, nĂ€mlich die Etablierung der Systemverfahrenstechnik als Querschnittsdisziplin sowie den Einsatz von Großrechnern in der naturwissenschaftlichen Grundlagen- und Anwendungsforschung.
Der Roman bilanziert diese wissenschaftspolitischen und -geschichtlichen UmbrĂŒche in doppelter Weise: Zum einen arbeitete Noll offenbar bereits seit Ende der 1960er Jahre an seinem Text2 und hatte so die Möglichkeit, die historischen Auswirkungen der von ihm literarisch aufgearbeiteten Reformen zu beobachten. Zum anderen spiegelt sich diese historische Beobachtungsdistanz in der Gestaltung der ErzĂ€hlperspektive, denn der autodiegetische ErzĂ€hler Joachim Kippenberg berichtet ĂŒber das im Februar 1967 Erlebte und seine damit verbundene Schaffens- und Existenzkrise mit einem zeitlichen Abstand von etwa einer Dekade. Dennoch wurde der Roman von der zeitgenössischen Literaturkritik in der DDR mitunter als großer Gesellschaftsroman der Gegenwart charakterisiert.3 Einige LiteraturkritikerInnen stellten allerdings auch heraus, dass zwischen der Zeitebene 1967, in der die histoire des Romans angesiedelt ist und der Zeitebene 1977, der Gegenwart des sich erinnernden Kippenberg, kaum erkennbare BezĂŒge hergestellt werden. TatsĂ€chlich ist der historische Abstand des ErzĂ€hlers zum ErzĂ€hlten deutlich zu erkennen; ĂŒber seine eigene Gegenwart hingegen gibt dieser ErzĂ€hler jedoch kaum etwas preis. Eine Rahmenhandlung im eigentlichen Sinne ist also nicht vorhanden. Es scheint so, als ob das schon im Klappentext der Originalausgabe ins Zentrum gerĂŒckte Thema des Romans, die kritische Reflexion der eigenen Persönlichkeit und Bilanzierung des eigenen Fortschritts, nicht konsequent zu Ende erzĂ€hlt werde. Vielmehr verbleibt Kippenberg als sich entwickelnde Figur wie ErzĂ€hler lediglich bei der AnkĂŒndigung von wahrlich neuen Entwicklungen: eines revolutionĂ€ren Syntheseverfahrens samt des Baus einer zugehörigen Pilotanlage im Eilverfahren; der EinfĂŒhrung eines neuen, kollektiven Arbeitsstils im Institut fĂŒr biologisch aktive Stoffe in Berlin; eines „von Grund auf umgekrempelt‍[en]”4 Joachim Kippenberg. Die tatsĂ€chliche Umsetzung all dieser Innovationen bleibt jedoch unerzĂ€hlt. Mehr noch: Der ErzĂ€hler des Jahres 1977 suggeriere, so zumindest der Tenor einiger zeitgenössischer RezensentInnen, durch die Auslassung der konkreten Realisierung all dieser angekĂŒndigten NeuanfĂ€nge in der ErzĂ€hlung, sie hĂ€tten sich problemfrei vollzogen. Eine „dialektische Sicht auf unser Heute”5 werde so jedenfalls nicht ermöglicht. Kippenberg sei damit gerade kein moderner und seiner Gegenwart entsprungener Text, sondern vielmehr „ein traditioneller Roman mit einer Figurenkonstellation und Konfliktgestaltung der fĂŒnfziger Jahre und einer miserablen Sprache, die nicht mehr in unsere Literaturlandschaft passe.”6 FĂŒr Gerd Labroisse ist die weitgehend fehlende Rahmenhandlung der blinde Fleck des Romans, seine „Konzeptions-SchwĂ€che‍[] (oder sogar -Fehler)”7, denn es sei nicht erkennbar, welche Funktion die zusĂ€tzlich eingezogene Zeitebene fĂŒr die ErzĂ€hlung ĂŒberhaupt habe.
UnabhĂ€ngig von den vermeintlichen Schwachstellen, die die zeitgenössische Literaturkritik am Roman aufgedeckt zu haben meint, kann es aber als unbestritten gelten, dass Noll seinen Kippenberg vor der Folie der angedeuteten wissenschaftsgeschichtlichen und -politischen Reformen als einen Roman ĂŒber das Bilanzieren und das Neuanfangen angelegt hat. Seine RĂŒckgriffe auf eine „Figurenkonstellation und Konfliktgestaltung der fĂŒnfziger Jahre” erscheinen mir jedoch weniger Symptom eines fĂŒr die 1970er Jahre archaischen LiteraturverstĂ€ndnisses zu sein als vielmehr ein bewusster RĂŒckgriff auf Form- und Strukturmerkmale der Aufbauliteratur sowie – und daraus erklĂ€rt sich die Zentrierung des Begriffs ‚Anfang‘ im Titel dieses Beitrags – auf den fĂŒr viele frĂŒhe Werke der Aufbauliteratur obligatorischen Topos des ‚schweren Anfangs‘. Die damit verbundenen literarhistorischen Muster und Motive werden von Noll in einer auf die Gegenwart der spĂ€ten 1960er Jahre verweisenden AufbauerzĂ€hlung reaktualisiert, nicht ohne den der historischen Aufbauliteratur inhĂ€renten Anspruch auf Darstellung des gesellschaftlich Neuen gleichermaßen auch zu problematisieren. Anlass fĂŒr diese Deutung geben die zahlreichen Verweise auf die Nachkriegs- und TrĂŒmmerzeit, in der der Protagonist, selbst Arbeiterkind, den Anfang fĂŒr seinen beruflichen Werdegang zum Spitzenforscher verortet, ebenso wie Anleihen an typische Darstellungsmuster der literarhistorischen Vorlage ‚Aufbauliteratur’.
Der hochschulpolitische und wissenschaftsgeschichtliche Umbruch und Neuanfang 1967 wird – so meine These – in Kippenberg mit gĂ€ngigen ErzĂ€hlmustern der Aufbauliteratur inszeniert und zugleich in seiner gesellschaftlichen Funktionalisierung kritisch hinterfragt, denn die als Leerstelle inszenierte Rahmenhandlung sowie die ErzĂ€hlperspektive im Roman unterlaufen das, was man vordergrĂŒndig fĂŒr die Darstellungsabsicht des Romans halten könnte: den sich problemfrei vollziehenden Wandel zu einem besseren und international konkurrenzfĂ€higem Hochschul- und Wissenschaftssystem in der DDR. Der vermeintliche blinde Fleck innerhalb der Diegese lĂ€sst – sofern man ihn nicht als KompetenzschwĂ€che des Autors Dieter Noll auslegt – zwei alternative Deutungsoptionen zu. Eher unwahrscheinlich ist die folgende: Der Kippenberg des Jahres 1977 hat bereits den Idealzustand eines sozialistischen Wissenschaftlers erreicht und schlicht keine beruflichen oder persönlichen Probleme mehr, ĂŒber die es noch zu reflektieren gelte. Oder aber: Die ausschließlich auf die Vergangenheit, aber nicht auf die Gegenwart des ErzĂ€hlers gerichtete kritische Selbstreflexion erzeugt eine produktive Leerstelle im Text. Deren Funktion gilt es anhand einer Rekonstruktion verschiedener Inszenierungen des Neuanfangs um 1967, wie der Roman sie anbietet, nachzuspĂŒren. Zu diesem Zweck werden, erstens, der hochschulpolitische Neuanfang im Zuge der 4. Hochschulkonferenz und zweitens, der wissenschaftsgeschichtliche Neuanfang, den der Großrechnereinsatz in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung und die Etablierung der Systemverfahrenstechnik als Querschnittdisziplin mit sich brachten, in den Blick genommen. Diese Prozesse werden in den folgenden beiden Kapiteln sowohl in ihrem historischen Ablauf als auch in ihrer literarischen Inszenierung vergleichend untersucht. Die in Kippenberg literarisch vorgenommene Bewertung dieser NeuanfĂ€nge ist jedoch nur zu erfassen, wenn, drittens, auch ihre Kontextualisierung durch narrative und strukturelle Muster im Stil eines Aufbauromans in den Blick genommen wird. Durch diese Kontextualisierung stellt sich Kippenberg, ein Roman ĂŒber einen wissenschaftspolitischen Umbruch- und Reformprozess in den spĂ€ten 1960er Jahren, in die Tradition des zu diesem Zeitpunkt bereits historischen Genres der Aufbauliteratur, das sich poetologisch ĂŒber die Inszenierung eines gesamtgesellschaftlichen Neuanfangs definiert.

2 Neuanfang hochschulpolitisch: Die Reformierung des DDR-Hochschulwesens im Zuge der 4. Hochschulkonferenz 1967

Eine systematische und historisch breite Aufarbeitung der gesamten hochschul- bzw. wissenschaftspolitischen Entwicklung der DDR stehe bisher aus, stellt Andreas Malycha fest,8 der fĂŒr die Jahre 1945 – 1961 eine kommentierte Ausgabe bedeutsamer wissenschaftspolitischer Dokumente aus der DDR verantwortet hat.9 Auch deswegen muss die folgende Betrachtung der hochschulgeschichtlichen Entwicklungen, vor deren Hintergrund das Romangeschehen von Kippenberg angesiedelt ist, lĂŒckenhaft bleiben. Ihr Fokus liegt auf dem wichtigsten wissenschaftsgeschichtlichen Referenzpunkt im Roman, der 4. Hochschulkonferenz in Berlin vom 2. und 3. Februar 1967; die Romanhandlung selbst setzt nur wenige Stunden vorher, am Nachmittag des 1. Februar, ein und nimmt die anstehende Konferenz zum Anlass, die Konfliktlinien in Kippenbergs Arbeitsumfeld offenzulegen, die „nicht nur die Konfrontation zweier Forschungsstile [
], sondern auch die zweier grundverschiedener Auffassungen von Sinn und Zweck der Wissenschaft” (KB, S. 232) abbilden. Die in diesem Sinne semantisch aufgeladene Unterteilung des Instituts in Alt- und Neubau wird auch auf figuraler E...

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