Handbuch Alzheimer-Krankheit
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Handbuch Alzheimer-Krankheit

Grundlagen – Diagnostik – Therapie – Versorgung – PrĂ€vention

Frank Jessen, Frank Jessen

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Handbuch Alzheimer-Krankheit

Grundlagen – Diagnostik – Therapie – Versorgung – PrĂ€vention

Frank Jessen, Frank Jessen

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Die neurodegenerative Erkrankung Alzheimer ist mit ca. 60% die hĂ€ufigste Form der Demenzerkrankungen. Dieses Handbuch beinhaltet alle relevanten Aspekte zu den biologischen Grundlagen, zur Epidemiologie, Diagnostik und Differentialdiagnostik, zum ethischen und rechtlichen Rahmen, der Therapie (Pharmakotherapie, nicht-pharmakologische Interventionen), der Versorgung und PrĂ€vention. Es richtet sich damit an Ärzte sowie professionelle Behandler und Versorger von Patienten mit der Alzheimer-Krankheit.

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Information

Publisher
De Gruyter
Year
2018
ISBN
9783110411089
Edition
1
Heiner Fangerau

1Geschichte der Alzheimer-Krankheit

1.1Umgang mit Demenz vor Alzheimer
1.2Alzheimer-Demenz
1.3Aktuelle Entwicklungen
Literatur
In der medizinischen Literatur werden Eponyme zur Bezeichnung von Krankheiten immer seltener verwendet. Das liegt zum einen daran, dass ein ontologisches KrankheitsverstĂ€ndnis, das von einer naturgegebenen Klassifikation aller Krankheiten ausgeht, zunehmend durch gradualistische und komplexe Krankheitsvorstellungen ersetzt wird, die an ihren Grenzen unscharf sind. Eine Folge dieser Verschiebung liegt darin, dass eponymische Krankheitsbezeichnungen in ihrer eindeutigen Festlegung auf eine Symptomkonstellation gelegentlich schon kurz nach ihrer PrĂ€gung ĂŒberholt wirken. Zum anderen sind viele Eponyme des 20. Jahrhunderts gerade in der Neurologie und Psychiatrie mit Personen verbunden, die wĂ€hrend des Nationalsozialismus ihre Forschungen im Umfeld oder direkt durch die Ermordung von Patientinnen und Patienten durchgefĂŒhrt hatten [1]. Auch aus diesem Grund werden Eponyme als Krankheitsbezeichnungen zunehmend kritisch bewertet [2].
Diesen Entwicklungen zum Trotz haben einige Eponyme immer noch eine Konjunktur. Sie haben in die Alltags- und Popkultur Eingang gefunden [3] und sind schon deshalb kaum aus der medizinischen Fachsprache wegzudenken. Zu diesen Eponymen gehört sicherlich der 1910 von Emil Kraepelin (1856 bis 1926) eingefĂŒhrte Begriff der Alzheimer’schen Krankheit. Er benutzte ihn fĂŒr eine besondere Form der Demenz, die Alois Alzheimer (1864 bis 1915) im Jahr 1906 anhand eines Fallberichts beschrieben hatte. Alzheimer berichtete auf einer Tagung ĂŒber eine demente Patientin, die nach einem klinisch auffĂ€lligen viereinhalbjĂ€hrigen degenerativen Prozess verstorben war und deren Gehirn nach ihrem Tod eigenartige pathologische VerĂ€nderungen aufwies. Mikroskopisch fand Alzheimer in Hirnzellen in BĂŒndeln zusammenliegende Fibrillen, die den Tod der Zelle ĂŒberdauerten, sodass am Ende „nur ein aufgeknĂ€ueltes BĂŒndel von Fibrillen“, den Ort zeige, „an dem frĂŒher eine Ganglienzelle gelegen“ habe. Ferner fĂ€nden sich „Über die ganze Rinde zerstreut
 miliare Herdchen, welche durch Einlagerung eines eigenartigen Stoffes in die Hirnrinde bedingt“ seien [4].
Die Beobachtung, dass einige Menschen im Alter unter GedĂ€chtnisstörungen leiden, ist natĂŒrlich wesentlich Ă€lter als Alzheimers Beschreibung. Schon frĂŒh wurden beispielsweise bei griechischen und römischen Autoren Formen des GedĂ€chtnisverlustes beschrieben und mit Alter assoziiert. Auch die Kunstgeschichte ist voll von bildlichen und literarischen Darstellungen von an Demenz leidenden Personen [5–7]. Der Begriff Demenz zur Beschreibung eines geistigen Abbaus scheint durch Philippe Pinel (1745 bis 1826) im Jahr 1797 in den medizinischen Diskurs der westlichen Medizin eingebracht worden zu sein. Der Terminus selbst allerdings ist um einiges Ă€lter [8]. William Cullen wiederum hatte 1776 auch den Terminus Amentia senilis benutzt. Pinels SchĂŒler Jean-Étienne Esquirol (1772 bis 1840) jedoch versuchte die Amentia senilis von der Demenz abzugrenzen, indem er festhielt, dass letztere einen altersgebundenen GedĂ€chtnisverlust charakterisiere, wĂ€hrend erstere eher eine Zustandsbeschreibung darstelle [5]. Alzheimers Verdienst lag in den Augen seiner Zeitgenossen nun ca. 100 Jahre spĂ€ter darin, die konkrete Beobachtung einer demenziellen Entwicklung mit einer mikroskopischen Beobachtung verbunden zu haben.
Zu Alois Alzheimer, seiner Geschichte und der weiteren Entwicklung der Forschung zur Demenz und ihren Formen liegt bereits eine Reihe von exzellenten Arbeiten vor. Diese reichen von der Ideengeschichte des Morbus Alzheimer ĂŒber eine genaue Rekonstruktion der Arbeitsschritte Alzheimers und seiner Bioergographie bis hin zu ideen- und kulturgeschichtlichen Aspekten des Umgangs mit an Demenz leidenden Menschen in frĂŒheren Epochen und anderen Kulturkreisen [8–13]. Dieser Handbuchbeitrag fasst die Kerngedanken der bisherigen historischen BeschĂ€ftigung mit der Alzheimer-Demenz ĂŒberblicksweise zusammen.

1.1Umgang mit Demenz vor Alzheimer

SpĂ€testens seit dem Mittelalter wurden Lebensalter in Stufen eingeteilt, deren Zahl variierte. Üblich war eine Orientierung an sieben Lebensaltern [14]. Auf diese Stufen rekurrierte auch William Shakespeare, wenn er seine Figur Jacques im TheaterstĂŒck „Wie es Euch gefĂ€llt“ die sieben Lebensalter referieren und mit den Worten schließen ließ:
Der letzte Akt, mit dem
Die seltsam wechselnde Geschichte schließt,
Ist zweite Kindheit, gÀnzliches Vergessen,
Ohn Augen, ohne Zahn, Geschmack und alles.
(2. Aufzug, 7. Szene, Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel).
Wie diese Passage verdeutlicht, war der Umstand, dass ein hohes Alter mit einem Prozess, der heute als demenzielle Entwicklung beschrieben wird, einhergehen kann, fĂŒr viele Menschen seit der Antike klar. Die hier aufscheinende Assoziation von Alter und Vergesslichkeit sollte bis in die Moderne auch die Vorstellungen der Ätiologie des „Vergessens“ bestimmen. Noch nach Alzheimers Beschreibung dominierten Altersstereotype die Diskussion um den Stellenwert der Alzheimer’schen Demenz als eigene nosologische Klasse. Gleichzeitig wurde, wie Daniel SchĂ€fer herausgearbeitet hat, der GedĂ€chtnisverlust als eine Alterserscheinung in der dezidiert medizinischen Fachliteratur bis in die Neuzeit relativ selten thematisiert. Dies kann zum einen daran liegen, dass sich die humoralpathologisch und qualitĂ€tsorientierten Konzepte zur ErinnerungsfĂ€higkeit und Vergesslichkeit gelegentlich widersprachen. Mal wurde Vergesslichkeit mit einer Trockenheit und KĂ€lte des Gehirns, mal auch mit Feuchtigkeit und WĂ€rme assoziiert [15]. Zum anderen stellte sich die grundsĂ€tzliche Frage, ob ein Prozess, der mit dem normalen Altern assoziiert war, gleichzeitig als pathologisch betrachtet werden konnte – ein Dilemma, dass sich bis ins 20. Jahrhundert im medizinischen Diskurs als Problem verfolgen lĂ€sst [16].
Erst um 1700 setzten sich mechanistische Ideen durch, die beispielsweise davon ausgingen, dass die Hirnfunktionen mit dem Alter durch Abnutzung abnehmen wĂŒrden. In der Folge der dualistischen Trennung von Geist und Seele wurde das Gehirn fĂŒr viele Mediziner zu einem maschinenĂ€hnlichen Organ, das reduktionistisch analysiert werden konnte. Auch wenn es oft nicht einfach ist, die sich vielfach ĂŒberlappenden und ĂŒberschneidenden medizinischen Paradigmen aus der Literatur der FrĂŒhen Neuzeit trennscharf zu extrahieren, so deutete sich doch in der FrĂŒhen Neuzeit eine wesentliche Verschiebung an, die den Boden bereitete fĂŒr Betrachtungsweisen, die demenzielle Entwicklungen auf kausale, pathophysiologische Prozesse zurĂŒckfĂŒhren wollten, die wiederum physikalische und/oder chemische Ursachen hĂ€tten. Ein ErklĂ€rungsmodell fĂŒr GeistesschwĂ€che bei alten Personen ging beispielsweise davon aus, dass verhĂ€rtete und abgeschlaffte Nervenfasern eine geringere SchwingungsfĂ€higkeit hĂ€tten,was die GedĂ€chtnisfunktion beeintrĂ€chtige. Nach einem anderen Modell fĂŒhrten zudem verengte GehirngefĂ€ĂŸe zu einer Reduktion der Aufnahme von Ă€therhaltigem Seelengeist aus dem Blut [15].
Gegen Ende des 18. und v. a. im 19. Jahrhundert hielt zusĂ€tzlich ein nosologisch orientierter diagnostischer Blick in die Medizin Einzug. Symptome, die ein Patient prĂ€sentierte, sollten danach pathologisch gedeutet und systematisch mit Krankheitsklassifikationen in Verbindung gebracht werden. Die Klassifikationen sollten in der Form von Nosologien eine Systematik im Sinne eines Krankheitskatalogs abbilden. Im diagnostischen Prozess wiederum sollten Symptome als Krankheitszeichen helfen, die „richtige“ Klassifikation zu identifizieren und die Krankheit eines Patienten zu benennen [17]. Die Symptome sollten darĂŒber hinaus auf kausale Pathophysiologien zurĂŒckgefĂŒhrt werden. Der so ausgebildete „Àrztliche Blick“ [18], der u. a. gestĂŒtzt wurde durch den Bau großer HospitĂ€ler zur Unterbringung vieler Patienten, erreichte auch die Psychiatrie und die sich dort v. a. im 19. Jahrhundert etablierenden Heil- und Pflegeanstalten. Die dort gegebene Gelegenheit zur systematischen Untersuchung und longitudinalen Beobachtung von Patientenreihen eröffnete gleichzeitig die Möglichkeit einer quantitativen Betrachtungsweise [18, 19]. Die Sektion zuletzt ermöglichte Symptomerhebungen ĂŒber den Tod hinaus.
Zu den am hĂ€ufigsten zitierten Autoren, die die senile Demenz in diesem Sinne zu beschreiben versuchten, gehörte der oben erwĂ€hnte Franzose Jean-Étienne Esquirol. Er beschrieb in seinem Lehrbuch „Des maladies mentales“ von 1838 den fortschreitenden Abbau der geistigen FĂ€higkeiten, der mit dem Verlust des KurzzeitgedĂ€chtnisses beginne und ĂŒber Aufmerksamkeitsstörungen bis hin zum völligen Verfall voranschreite [20]. Fast alle historischen RĂŒckblicke auf die Geschichte der Demenz sind sich einig, das Esquirols Beschreibung einen Einstieg fĂŒr differenzierte Beschreibungen verschiedener Demenzformen bot, die ihrerseits nun entweder als distinkte Krankheitseinheiten oder als Element bzw. Symptom anderer KrankheitsentitĂ€ten gedeutet werden konnten [5, 7, 21].

1.2Alzheimer-Demenz

An diesem Punkt setzte etwa 50 Jahre spĂ€ter beispielsweise auch der Psychiater Emil Kraepelin an, als er versuchte, eine psychiatrische Krankheitsklassifikation auf Basis einer systematischen Katalogisierung von Symptomkonstellationen zu etablieren. Inzwischen hatten verbesserte Hirnschnitttechniken, die Verfeinerung der Mikroskopiertechnik und neue FĂ€rbeverfahren neben der klinischen Beobachtung auch das pathologische Instrumentarium der Psychiatrie erheblich erweitert. Das Forschungsprogramm vieler Psychiater zielte nun darauf ab, klinische Beobachtungen mit hirnpathologischen Befunden zu korrelieren. FĂŒr diese Verbindung bot die Landschaft der deutschen Psychiatrie besondere Bedingungen, die Kraepelin zu nutzen und selbst zu gestalten suchte [22].
In der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts entstand neben großen Heil- und Pflegeanstalten zur Unterbringung und Versorgung von...

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