Literaturempfehlungen – und was Sie besser liegen lassen
Das Chefgefühl ist viel wert
Einsichten für die »Silberjahre« im Ruhestand
Von Robert von Lucius
»Das Chefgefühl kann ich mir nicht kaufen, aber es ist verdammt viel wert.« oder: »Inhaber sind meist weniger eitel in einem gleich großen Unternehmen als Manager. Ein Manager kompensiert ein Stück, dass ihm das Unternehmen eben nicht gehört.« Immer wieder kommen überraschende Sätze in den Rückblicken von Managern vor. Henning von Vieregge, bis vor drei Jahren Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen, hat seine Zeit in den »Silberjahren« auch zum Bücherschreiben genutzt.
Er befragte 21 zuvor leitende Mitarbeiter von Unternehmen – alle angestellt, nicht selbständig –, wie sie den Übergang in den Ruhestand gestaltet haben. Daraus wurde ein Überblick mit Leitsätzen, aus dem Menschen in den frühen Sechzigern, aber nicht nur sie, Gewinn ziehen können – nicht mit belehrendem Unterton, aber bisweilen fast weise.
So manche, die sich nicht auf den Ruhestand »gleitend« vorbereitet haben oder die unerwartet vorzeitig »freigestellt« werden, fallen tief. Den Gesprächspartnern Vieregges ist das überwiegend nicht geschehen – sie hatten schon vorab private Interessen, denen sie sich nun stärker zuwenden können, sie setzen sich ehrenamtlich ein oder fanden neue Tätigkeiten als Berater. Bemerkenswert ist seine Studie weniger durch die Schilderung von Abläufen und Motiven oder als Wegweiser denn durch ehrliche Einblicke in die Psyche jener, die Anzuordnen gewohnt waren und unter einem Statusverlust leiden. Fast alle Gesprächspartner waren alte Bekannte oder Freunde des Autors, die so dem Vertrauten ihr Seelenleben stärker öffneten, als sie es sonst tun dürften.
Bemerkenswert ist deren Offenheit vor allem zum verlorenen Status – das nennt der Autor wohl zu Recht als Tabuthema unter Generationsgenossen. So etwa die Erkenntnis, dass altgediente Manager (und nicht nur sie) immer wieder erfahren, dass sie – losgelöst von ihren bisherigen beruflichen Strukturen – »namenloser« sind als erwartet, rasch vergessen werden. Die üblichen Phrasen zum Abschied – »man sieht sich«, »Ihr Rat wird noch gebraucht« – sind leer.
Immer wieder wird dann die Bedeutung des Freundeskreises oder des Ehepartners hervorgehoben: Die Gefahr, durch rote Teppiche abzuheben, sieht etwa der frühere Manager eines Großunternehmens, wenn man nicht das erdende Korrektiv einer Partnerin oder eines Freundeskreises habe: »Wenn man eine Partnerin mit Wohlstandssyndromen hat, das ist schrecklich«. Viele dieser Generation, die beruflich eine große Fallhöhe erreicht haben, erleben erstmals in ihrem Leben eine Selbstverständniskrise – zum Nachdenken gab es vorher weder Anlass noch Ruhe.
Für den Übergang, aber auch für die Karriere und die Arbeitsatmosphäre könne es eine nützliche Übung sein, »Sekretariatsdinge« vom Kaffeeholen bis zum Fotokopieren hin und wieder selbst zu machen. Position und Person solle man zudem nicht verwechseln. Karl Dietrich Seikel, 16 Jahre Geschäftsführer des Spiegel-Verlages, etwa rät jungen Redakteuren, wenn sie bei Herrn Steinbrück anrufen und die Tür aufgehe, sich bewusst zu sein, dass das nicht geschehe, weil sie »tolle Typen« seien, sondern weil die Marke »Spiegel« dahinterstehe. Die Zuwendung anderer im Berufsleben gilt der Institution, nicht dem Einzelnen.
In seinem Bekanntenkreis gleiche kein Lebensentwurf für die Zeit danach dem anderen, schreibt der Autor. Ein Industriegeschäftsführer zog auf das Land nach Mecklenburg und wurde Land- und Forstwirt. Ein Medienmanager verstärkt mit seinem Geld und seiner Arbeitskraft eine soziale Organisation. Ein ehemaliger Deutschland-Chef eines internationalen Mischkonzerns übernahm Aufsichtsratsmandate in seiner Heimatstadt – bezahlte und unbezahlte. Einer ist drei Tage in der Woche in der Universität und vertritt oft den Lehrstuhlinhaber – ohne Bezahlung.
Ein ehemaliger Banker ist gesetzlicher Vertreter älterer Menschen in seiner Heimatgemeinde, die ihre eigenen Interessen nicht mehr wahrnehmen können, ein anderer ist Finanzberater eines Bauunternehmens, zugleich aber betreut er ehrenamtlich Schulvorhaben in privater Trägerschaft. Manches war geplant, anderes zufällig. Unbezahlte und bezahlte Arbeit ist etwa gleich groß vertreten in den »Silberjahren« dieser ersten Nachkriegsgeneration, die sich von der vorherigen nach eigener Einschätzung auch im Umgang mit dem als Übergang empfundenen Ruhestand abhebt.
Ein Tagesablauf ohne vorgegebene Strukturen bedeutet in der Regel weniger Einkommen und weniger Prestige. Der neue Lebensabschnitt kann aber auch mehr Abwechslung bringen und einen stärkeren Anreiz für die eigene Entwicklung. Henning von Vieregge sieht für die Laufrichtung der Generation einen Trend, der noch in den Anfängen steckt und keinen gesicherten Begriff hat für »das Neue zwischen Vollbeschäftigung und Ruhestand«. Ob die Arbeit nun bezahlt werde oder nicht – sie solle weniger und sinnhafter sein. Wie auch immer: von Vieregge zitiert einen Schlagersänger mit dem Satz »Abschied ist ein wunder Punkt in meinem Leben«.
Henning von Vieregge: Der Ruhestand kommt später. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2012.
Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6.2.2012
Zurück zu den Zehn Geboten
Ein Plädoyer für unabhängiges Denken
Von Robert Fieten
Wenn man das vorliegende Buch zur Hand nimmt, könnte man vermuten, dass hier eine moralisierende Abrechnung mit gierigen und korrupten Managern präsentiert wird. Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Das außergewöhnliche Autorengespann Thomas D. Zweifel, Unternehmensberater und Hochschullehrer, sowie Rabbi Aaron L. Raskin, Gründer und spiritueller Leiter der orthodoxen Synagage B‘nai Avraham (»Die Söhne Abrahams«) in Brooklyn Heights haben ein bemerkenswertes Buch vorgelegt, das in den Vereinigten Staaten ein großes Echo gefunden hat und offenbar vielen Topmanagern auch ohne Affinität zum Judentum Orientierung in den derzeitigen turbulenten Zeiten zu bieten vermag.
Das Anliegen der Autoren ist es, Führungskräften einen fundierten, praktischen Ratgeber für ein gleichermaßen ethisches wie zielgerichtetes (effektives) Führungsverhalten an die Hand zu geben und dabei auch für ein neues Führungsmodell zu werben, das gemäß jüdischer Tradition Herrschaft im Sinne von Kommando und Kontrolle sowie einen Mangel an unabhängigem Denken ablehnt. Nach ihrer Einschätzung ist die derzeitige Krise eine janusköpfige Führungskrise: Auf der einen Seite hätten Führungskräfte den moralischen Kompass verloren, und zum anderen sei das traditionelle hierarchische Führungsmodell, in dem die Mehrzahl der Organisationsmitglieder auf die Vorgaben von oben warte und diese unreflektiert ausführe, in der heutigen komplexen und volatilen Welt bankrott.
Der Weg aus der aktuellen Führungskrise setze eine Erneuerung von innen voraus, die auf dem 3.000 Jahre alten, stets festen Fundament der Zehn Gebote aufsetzen solle. Die Autoren treten daher ein für eine – wie sie selbst betonen – Vermählung von jüdischer Tradition und zeitgemäßer Führung. Sie machen deutlich, dass Tora, Talmud und Kabbalah hochaktuelle, operable Lektionen für Manager des 21. Jahrhunderts beinhalten. Sie propagieren freilich eine höchst kreative Interpretation und Anwendung der Zehn Gebote. Man darf unterstellen, dass dies zulässig ist, denn sonst hätte wohl Rabbi Raskin seinen Namen nicht für das Buch hergegeben.
Das erste Gebot (Verlasst Ägypten!) interpretieren sie als Aufruf, die eigene Begrenztheit und die der Mitarbeiter zu überwinden, so wie es Moses beim Auszug aus Ägypten unter vielen Mühen und gegen erhebliche Widerstände vorexerziert hat. Das zweite Gebot (Keine Götzen!) verlangt von einer Führungskraft stets authentisch zu bleiben. Das dritte Gebot (Nicht vergeblich reden!) fordert Führungskräfte auf, ihre Mitarbeiter durch Zuhören und Reden zum Handeln zu bewegen. Das vierte Gebot (Ehre den Sabbat!) fordert eine Konzentration auf das wirklich Wichtige und appelliert an Führungskräfte, sich jenseits der Tageshektik Zeit zur Einkehr und Kontemplation zu nehmen und auch nein sagen zu lernen.
Das fünfte Gebot (Vater und Mutter ehren!) ruft Führungskräfte auf, andere zu respektieren und ihnen Anerkennung zu zollen. Das sechste Gebot (Nicht töten!) verlangt die Beherrschung zerstörerischer Gefühle wie Wut, Zorn und Rachsucht und vor allem die Umwandlung der negativen Energie in konstruktive Energie. Das siebte Gebot (Nicht ehebrechen!) fordert Integrität, die Einheit von Wort und Tat, Leben und Lehre. Das achte Gebot (Du sollst nicht stehlen!) ruft Führungskräfte auf, nicht nur zu nehmen, sondern stets sogar ein Mehr zurückzugeben.
Das neunte Gebot (Kein falsches Zeugnis ablegen!) appelliert an Führungskräfte – so die reichlich freie Interpretation –, Einbrüche in Durchbrüche umzumünzen und nie aufzugeben. Das zehnte Gebot (Nicht begehren des Nachbarn Hab und Gut!) bedeutet heute: die Welt mit den Augen der Kunden, Wettbewerber und sogar der Gegner zu sehen. Für die Autoren steht fest, dass die Zehn Gebote zeitgemäß interpretiert eine nicht nur spirituelle, sondern auch praktische Grundlage für die Stärkung der in Wirtschaft und Politik offensichtlich viel zu knappen Ressource Leadership darstellen.
Die aufmerksame Lektüre lohnt sich für aktive, ehrgeizige Führungskräfte, die bereit sind, über die Führungskultur in ihrer Organisation selbstkritisch nachzudenken und mit Selbstvertrauen den Exodus aus dem Mainstream zu wagen. Ein Wermutstropfen bleibt: Die Ausführungen über die Ausgestaltung des von ihnen geforderten neuen, auf dem jüdischen Verständnis von Führung aufbauenden Führungsmodells für das 21. Jahrhundert sind zu vage.
Thomas D. Zweifel; Aaron L. Raskin: Der Rabbi und der CEO. Linde Verlag, Wien 2012.
Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.9.2012
Postklassisches Management
Über die Bedeutung der Leistungsmotivation
Von Robert Fieten
Wenn man den Titel des vorliegenden Buches liest, könnte man versucht sein zu vermuten, dass hier die x-te Motivationstheorie präsentiert wird. Es drängt sich die Frage auf: Ist zu dem Thema Leistungsmotivation mit den hinlänglich bekannten Theorien von Abraham Maslow, Frederick Herzberg und David McClelland nicht schon alles gesagt? Aber vielleicht nicht von allen? Der Autor des vorliegenden Buches, Heinz K. Stahl, der an der Wirtschaftsuniversität Wien lehrt, meint »nein«, und dies zu Recht.
Die Fragen der Förderung der Leistungsmotivation in Organisationen, also in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern oder Universitäten sind keineswegs ausdiskutiert. Und selbst, wenn alles dazu gesagt sein sollte, ist längst noch nicht alles dafür getan in Wirtschaft und Verwaltung. So bestätigt eine jüngst veröffentlichte Studie der renommierten Managementberatung Gallup, dass es um die Leistungsmotivation der Mitarbeiter (im Übrigen auch vieler mittlerer Führungskräfte in der Sandwichposition zwischen Top Management und Sachbearbeitern) in der Mehrzahl der Organisationen schlecht bestellt ist.
Es ist weniger Unzufriedenheit mit Job und Bezahlung als der unpersönliche, ja manchmal sogar menschenverachtende Führungsstil von völlig überforderten Chefs, die nach den Prinzipien Angst und hochnotpeinlichen, als Controlling verbrämten Kontrollen die Organisationsmitglieder »steuern«. Sie erzeugen damit Tag für Tag Frustrationen bis hin zu Burn-outs. Die mangelnde Leistungsmotivation verursacht volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe.
Das vorliegende Buch macht Chefs zwar nicht per se führungsfähiger, es vermittelt ihnen aber tiefgehende Einsichten in die Bestimmungsfaktoren der Leistungsmotivation der Organisationsmitglieder. Führungskräfte mit Personalverantwortung, die bereit sind, ihren Führungsstil selbstkritisch zu hinterfragen, werden Stahls Schrift daher mit Gewinn lesen. Das Besondere des Buches ist die interdisziplinäre und daher facettenreiche Analyse von Führung und Leistungsmotivation in modernen Organisationen.
Der belesene Autor legt seiner Abhandlung vier Perspektiven zugrunde: die der Psychologie, die der praktischen Philosophie, die der Neurobiologie und die der Managementlehre. Damit hebt sich diese Schrift wohltuend ab von der Flut der populärwissenschaftlichen, vermeintlich ultimativen Motivationsfibeln selbst ernannter Gurus, die den Büchermarkt kurz aufwirbeln und zu Recht schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Dieses Buch eignet sich nicht als Minutenlektüre; es verlangt Lesekonzentration und macht nachdenklich.
Die genannten vier Perspektiven bestimmen den Aufbau. Teil I nimmt die psychologische Sichtweise ein. Hier werden die bekannten und einige weniger bekannte Motivationstheorien und -modelle kritisch hinterfragt, und es werden hiervon ausgehend konkrete Empfehlungen für die Führungspraxis abgeleitet und präsentiert. Teil II behandelt Leistungsmotivation aus einer praktisch-philosophischen Perspektive. Auch hieraus ergeben sich bisher wenig beachtete interessante und umsetzbare Erkenntnisse über Menschenbilder, Wertedynamik, Sinn und Vertrauen, die die Führungspraxis zu bereichern vermögen.
Teil III liegt die neurobiologische Perspektive zugrunde. Stahl legt überzeugend dar, dass die neueren Forschungsergebnisse dieser Disziplin für die Erklärung der Leistungsmotivation und ihrer Förderung in der Praxis bedeutsam sind. So resultiere hieraus die Notwendigkeit, die in der konventionellen Führungspraxis so hartnäckig betriebene Trennung zwischen Denk...