1. Einführungszeit und Beziehung
Haben Sie das auch erlebt? Man hat als junger Mensch seinen Abschluss in der Tasche, ist hoch motiviert und startet dann seine berufliche Laufbahn in einer Firma, in der die Verantwortlichen noch nicht einmal genau wissen, wann „der Neue“ anfängt. Es gibt viele Menschen, die solche bleibenden Erinnerungen an ihren Einstieg ins Berufsleben haben. Und obwohl es aus den unterschiedlichsten Forschungsdisziplinen Erkenntnisse darüber gibt, worauf hier zu achten ist, und diese eigentlich nicht ignoriert werden können, läuft in den meisten Betrieben und Unternehmen, die aktiv ausbilden (oder behaupten, dies zu tun), häufig noch vieles schief.
In Kapitel 1 erfahren Sie, wie wichtig der erste Tag und die Einführungszeit für den neuen Kollegen sind, welche Beziehungsbedürfnisse für die tägliche Zusammenarbeit von elementarer Bedeutung sind und mit welcher Einstellung die mit der Ausbildung betrauten Mitarbeiter dem neuen Kollegen begegnen sollten.
1.1 Die Bedeutung des ersten Tages
Menschen, die den Schritt von der Schule in den Beruf wagen, sind aufgeregt, wenn der erste Tag der Ausbildung näher rückt. Die Sinne sind hochsensibel und nehmen jede Nuance wahr, die nicht stimmig ist. Der erste Tag wird sehr intensiv erlebt. Man will einen guten Eindruck machen, sich richtig gut präsentieren.
Dann betritt man die Firma und keiner weiß, dass man da ist. Häufig wird man mit falschem Namen angesprochen. Manchmal wissen die Mitarbeiter in der Abteilung, in die man kommt, nicht einmal, dass man dort beginnt. Der Personalchef, der einen eigentlich begrüßen sollte, hat Urlaub, eine Vertretung ist nicht in Sicht. Ein Schreibtisch ist zwar da, der Stuhl muss aber erst noch organisiert werden. Die Passwörter für die Programme, die man benutzen soll, sind in der EDV-Orga beantragt und kommen im Laufe des Tages, der Computer morgen ... Wie sich ein Auszubildender an einem solchen ersten Tag fühlt, dürfte jedem Leser klar sein.
Interessant wird es, wenn wir während eines solchen Tages in den Kopf des Auszubildenden schauen könnten. Die Vertrauensforschung spricht hier von der sogenannten Qualität des Anfangskontakts. Wenn diese schlecht ist, dann entsteht der ideale Nährboden für Misstrauen, Demotivation und Nicht-Kooperation. Im Blut kann man erhöhte Cortisol-Werte nachweisen, die den Stresspegel widerspiegeln.
Sofern aber der Anfangskontakt gelingt, schaffen Unternehmen die Rahmenbedingungen dafür, dass Vertrauen, Motivation, Kooperation und Engagement entstehen können. Dann finden sich Stoffe wie Oxytozin, Dopamin, Serotonin und Endorphine im Blut: Oxytozin ist auch in Muttermilch enthalten und wird als Bindungshormon bezeichnet. Endorphine sind als Glückshormone bekannt.
Wenn man es genau nimmt, sind aber nicht nur der erste Tag und die Einführungszeit wichtig, sondern die Beziehungsarbeit beginnt schon mit der Einladung zum Einstellungstest oder zum Vorstellungsgespräch. Hier beginnen Sie bereits, Ihr Unternehmen zu präsentieren und so dessen Außenwahrnehmung zu beeinflussen. Bereits jetzt können Sie den Weg für einen guten ersten Tag ebnen. Je besser Ihnen das gelingt, desto besser sind die Voraussetzungen für das spätere „Onboarding“ des Neuen.
Die jungen Bewerber nehmen Ihr Unternehmen schon während der Bewerbungsphase wahr und kommunizieren über alle möglichen Kanäle und Medien darüber. Es geht letztlich um den Aufbau eines guten Images. Überraschen Sie z. B. die Bewerber, indem Sie ihnen für ihr Kommen und ihr Interesse an einer Mitarbeit in Ihrem Unternehmen danken, oder halten Sie bis zum Ausbildungsbeginn nach markanten Daten (z. B. Geburtstag) und Ereignissen (Abschlussprüfung in der Schule) Ausschau oder nehmen Sie Feiertage wie Weihnachten oder Ostern zum Anlass, um dem zukünftigen Auszubildenden per Brief, Päckchen, E-Mail, SMS, WhatsApp oder wie auch immer eine freundliche oder witzige Nachricht zu schicken. Durch solche kleinen Aufmerksamkeiten fühlt sich der Bewerber anerkannt und wertgeschätzt.
Wichtig ist aber auch, dass solche positiven Erlebnisse nicht bloß Momentaufnahmen bleiben. Die Einführungszeit ist ein dauerhafter Prozess. Wechseln die Auszubildenden die Abteilungen, erleben sie alle paar Monate von Neuem einen ersten Tag und bekommen schnell ein Gespür dafür, wie Ihr Unternehmen diesbezüglich „tickt“. Sie sind deshalb gut beraten, wenn Sie Ihre interne Ausbildungsstrategie mit allen dezentralen Ausbildern so organisieren, dass es überall schöne und erinnerungswürdige erste Tage und Einführungszeiten gibt, nicht nur am allerersten Tag der Ausbildung. Darüber hinaus dürfen Sie dieses Einführungsklima im Prinzip nie enden lassen. Denn andernfalls wäre es nicht authentisch und Sie würden schließlich als Schauspieler und Lügner entlarvt werden. Das bedeutet, dass sich möglicherweise die ganze Ausbildungsund Integrationskultur von neuen Mitarbeitern bei Ihnen im Haus ändert bzw. ändern muss.
Wenn Sie sich jetzt fragen, was genau Sie tun können, um den ersten Tag zu einem Erlebnis zu machen, dann fragen Sie sich selbst: „Was wäre am ersten Tag für mich so besonders, wertschätzend und anders, dass ich es jedem erzählen wollte?“ Wenn Sie darüber nachdenken, können Sie sich Ihre Geistesblitze aufschreiben.
Beginnen Sie mit Ihren Überlegungen zur Gestaltung des ersten Tages und der Einführungszeit bereits am Tag des Einstellungstests oder des Vorstellungsgesprächs. Schaffen Sie eine Atmosphäre, in der sich ein junger Mensch wohl, wertgeschätzt und zugehörig fühlen kann. Nur dann entstehen Vertrauen, Motivation, Kooperation und Engagement. | |
1.2 Die Beziehung als Dreh- und Angelpunkt
So wichtig es ist, den ersten Tag und die Einführungszeit positiv zu gestalten, so wichtig ist es auch, im Ausbildungsverlauf weiter daran anzuknüpfen. Konkret geht es darum, den sogenannten Beziehungsbedürfnissen gerecht zu werden.
Der Mensch hat zu jeder Zeit bestimmte Bedürfnisse. Das können physische Bedürfnisse sein (Essen, Trinken, Schlafen), aber auch psychische Bedürfnisse wie Sicherheit, Spiel, Anerkennung, Autonomie usw. Diese Bedürfnisse machen sich durch Gefühle bemerkbar. Werden die Bedürfnisse gestillt, entstehen positive Gefühle, werden sie nicht befriedigt, äußert sich dies als negatives Gefühl.
Am Arbeitsplatz haben Gefühle oft keinen guten Stand. Auch – oder sollte ich sagen gerade – Nachwuchskräfte als ins Leben wachsende Persönlichkeiten haben aber vermutlich neben einem wünschenswerten Wissensdurst einen ebenfalls großen Beziehungshunger.
Grundlegende Beziehungsbedürfnisse
Beziehungsbedürfnisse können aus meiner Sicht nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Sie greifen meiner Erfahrung nach immer wieder ineinander. Wichtig ist, dass man als Ausbilder weiß, welche grundlegenden Beziehungsbedürfnisse es gibt. Daher sollen diese an dieser Stelle kurz aufgezählt werden (siehe vertiefend dazu mein Buch Die selten beherrschte Kunst der richtigen Ausbildung):
1. Sicherheit:
Hier geht es darum, dass der Auszubildende sowohl physisch (z. B. durch Sicherheitskleidung, Unterweisungen im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen usw.) als auch psychisch (emotional) geschützt ist.
2. Wertschätzung, Bestätigung:
Gerade Auszubildende als junge Menschen, die noch viel über die Praxis und für die Praxis lernen wollen, haben ein Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung. Sie wollen sich bedeutsam fühlen.
3. Schutz, Angenommensein:
Schutz bedeutet, dass man die Auszubildenden in Arbeitskontexten schützt, sich schützend vor sie stellt (auch wenn ihnen ein Fauxpas unterlaufen ist). Ferner geht es darum, sie so anzunehmen, wie sie sind, statt zu erwarten, dass sie so sind, wie man es gerne hätte.
4. Eigene und gemeinsame Erfahrungen:
Die eigenen, p...