Teil II
Fit for Purpose verstehen
4On-Base Percentage, der Boston Marathon und das Auto Ihrer Träume
Fitnesskriterien treiben die evolutionäre Auswahl voran
Um konstruktiv darüber nachzudenken, was ein Produkt oder einen Service Fit for Purpose macht, ist es hilfreich, über ein Modell, ein Framework oder ein System zu verfügen, mit dem wir argumentieren und sinnvolle Entscheidungen für unser Unternehmen treffen können. Wir fassen die gesamte Theorie zusammen und zeigen das Fit-for-Purpose-Framework am Ende von Kapitel 7, aber lassen Sie uns zunächst eine Geschichte hören über Billy Beane und wie die Oakland Athletics das Baseballspiel verändert haben …
4.1»Aber erreicht er die Base?«
»Wenn er treffen kann, warum trifft er dann nicht gut?« Billy Beane, der Generalmanager des Oakland Athletics Baseballteams schmettert die Frage in einer Szene des Films »Moneyball«, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Michael Lewis, über den Tisch der versammelten Gruppe von Talentsuchern entgegen. »Moneyball« mit Brad Pitt in der Hauptrolle erzählt die wahre Geschichte der Spielzeit 2002, als die Oakland Athletics den Weg für die Nutzung statistischer Methoden in der Analyse der Spieler und der Spielstrategie bereiteten. Beane hatte einen neuen Assistenten, Paul DePodesta, eingestellt, der in diesem Film durch die fiktive Figur Peter Brand, gespielt von Jonah Hill, dargestellt wird. DePodesta war ein Fan der Arbeit von Bill James, Autor von »The Historical Baseball Abstract«. Er verband seine Leidenschaft für das Spiel mit seiner erstklassigen Ausbildung als Statistiker.
Damit Sie wissen, worum es geht: Die Oakland Athletics kommen aus der Stadt Oakland in Kalifornien, einer Arbeiterstadt an der Ostküste der Bucht von San Francisco. Obwohl Oakland näher an San Francisco liegt als andere Vororte, pflegt die Stadt ihre eigene Identität, deren fester Bestandteil die geliebten »As« sind. Die Athletics sind ein »Nischenteam«. Sie haben nicht so viele Einnahmen aus TV-Übertragungen lokaler Sender wie die Teams aus größeren Städten, die einen größeren TV-Markt bedienen, wie die New York Yankees oder selbst ihr Konkurrent von der anderen Seite der Bucht, die San Francisco Giants. Oakland liegt auch hinter reicheren Teams zurück, die ihre Stadien erweitert oder erneuert haben, um die Gewinne aus Spieltagen zu optimieren.
In den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren gehörten die Oakland Athletics zu den ärmsten Teams in der Major League Baseball. Sie spielten auf ihrem alten Baseballplatz, dem Oakland-Alameda County Coliseum. Das Team konzentrierte sich darauf, junge Spieler zu fördern, vielleicht sogar den »Rookie des Jahres« hervorzubringen wie Mittelfeldspieler Ben Grieve oder das großartige Trio der Startpitcher Mark Mulder, Tim Hudson und Barry Zito. Solange es sich die As noch immer leisten konnten, deren Verträge zu zahlen, konnten sie die Saison mit höheren Platzierungen abschließen und standen schließlich nach langer Pause wieder in den Playoffs. 2001 erreichten sie die Playoffs zum zweiten Mal in Folge und verloren ebenfalls zum zweiten Mal in Folge in der ersten Runde gegen das reichste Team der Liga, die New York Yankees. Das Viertelfinale hatten sie noch erreicht. Zusätzliche Schwierigkeiten verursachte das Auslaufen der Verträge der drei besten Spieler der As Ende 2001: der schnelle Center Fielder Johnny Damon, ihr bester Schlagmann und First Baseman Jason Giambi und Pitcher Jason Isringhausen. Alle drei wanderten zu großen Teams ab. Wenn die As in der Saison 2002 wettbewerbsfähig bleiben wollten, musste Billy Beane alle drei mit bezahlbaren, ähnlich talentierten Alternativen ersetzen. Diese Situation spiegelt sehr gut die Situation von kleinen Teams wider: Selbst wenn sie gute junge Spieler fördern, können sie selbst Opfer ihres Erfolgs werden, wenn der Marktwert dieser Spieler im Laufe der Zeit eine für sie nicht mehr bezahlbare Höhe erreicht1 und die Spieler zu den reicheren Teams wechseln, die ihnen mehr zahlen können.
Bei der Entscheidung, welche Spieler für die Saison 2002 auszuwählen waren, riet Peter Billy: »Ihr Ziel sollte nicht sein, Spieler zu kaufen. Ihr Ziel sollte sein, Siege zu kaufen. Um Siege zu kaufen, müssen Sie Runs kaufen.« Um Runs zu kaufen, müssen Spieler die Base erreichen.
Für unsere Leser, die nicht in Nordamerika leben: Eine Spielrunde im Baseball wird Inning genannt. Diese läuft so lange, bis das verteidigende Team drei gegnerische Spieler ausschaltet (»Out«). Das verteidigende Team versucht, die drei »Outs« so schnell wie möglich zu bekommen, um danach seinen Angriffsversuch zu starten. Das angreifende Team versucht, »Outs« so lange wie möglich zu vermeiden. Wie vermeidet man »Outs« im Baseball? Indem man die Base erreicht, was das Inning verlängert und wodurch weitere Mitspieler einen Schlagversuch erhalten. Die Spieler, die sich bereits auf einer Base befinden, dürfen von Base zu Base vorangehen und damit eventuell durch Läufe (Runs) punkten, indem sie die Home Base wieder erreichen, von der sie gestartet sind.
Der beste Weg, die Base zu erreichen, ist natürlich, den Ball gut zu treffen und damit außerhalb der Reichweite der Verteidiger zu bringen. Den Ball zu treffen ist eine der Kernkompetenzen im Baseball und schon im frühen 19. Jahrhundert wurde hier eine Statistik entwickelt, die diese misst: der Batting-Average (Trefferdurchschnitt). Sie zeigt den Anteil der Treffer, bei denen der Spieler den Ball so gut getroffen hat, dass er mindestens die erste Base erreicht. Der Batting-Average ist traditionell eines der Schlüsselkriterien, um den besten Schlagmann eines Spiels zu identifizieren. Er bietet auch endlose Unterhaltung für viele Fans, die diese Statistiken aufzeichnen und so ihre Lieblingsspieler vergleichen.
Paul DePodesta – Peter Brand – entdeckte allerdings einen wichtigen Fehler im Batting-Average. Obwohl er ein gutes Maß für die Fähigkeit eines Spielers ist, den Ball zu treffen, berücksichtigt er nicht, wenn der Spieler andere Wege findet, die Base zu erreichen, und damit dem Team hilft, weitere Runs zu generieren. Diese Wege sind zum Beispiel Freiläufe (wenn der Ball viermal in Folge nicht korrekt geworfen wird und der Schlagmann den Schläger nicht schwingt), wenn man vom Pitcher (dem Werfer des Balls) getroffen wird oder das Gehen zur nächsten Base infolge einer Strafe gegen das verteidigende Team. Die Regeln, wie der Trefferdurchschnitt berechnet wird, schließt Freiläufe von den Schlagversuchen aus, zählt das Erreichen einer Base durch Strafen als nicht getroffen und so weiter. Peter empfiehlt Billy, als Key-Performance-Indikator zur Auswahl der Spieler die On-Base Percentage (OBP) zu nutzen, also die Quote, mit der der Spieler die nächste Base schafft. OBP ist eine einfachere Metrik, bei der jedes Mal gezählt wird, wenn der Spieler die Base erreicht, ob er vorher getroffen hat oder nicht. Peter behauptet, dass obwohl der Batting-Average nützlich ist, um die treffsichersten Spieler zu vergleichen, der OBP viel hilfreicher für das Ermitteln ist, ob ein Spieler dem Team hilft, zu gewinnen, und daher in die Auswahl der Spieler aufgenommen werden sollte.
Die Baseballstatistiker haben den OBP-Wert für alle Spieler seit Jahrzehnten aufgezeichnet. Nur hatte bisher niemand ihn als ein Kriterium für die Auswahl der Spieler herangezogen. Für jemanden, der nicht vertraut ist mit Baseball oder dessen Geschichte, scheint es ziemlich offensichtlich und intuitiv zu sein, die OBP zu nutzen, um Spieler auszuwählen, deren Aufgabe es ist, auf eine Base zu kommen, anstatt ausgeschaltet zu werden. Jedoch wurde das Konzept, dass die OBP anstelle des ehrwürdigen Batting-Average genutzt wird (oder verschiedene andere Angreiferstatistiken mit langer Tradition), zu dieser Zeit als revolutionär angesehen und kontrovers diskutiert.
Wenn junge Spieler oder Reservespieler ausgewählt werden sollten, die über einen langen Zeitraum keine statistischen Einträge auf dem Niveau der Major League vorzuweisen hatten, mussten Talentsucher andere qualitativere und subjektivere Metriken heranziehen. Dies wird im Film durch eine Diskussion zwischen den Talentsuchern dargestellt, die über ihre qualitativen Beobachtungen der Spieler berichten: »Er hat einen wunderschönen Schwung. Der Ball explodiert an seinem Schläger.« Oder: »Kann den Curveball nicht treffen.« Viel häufiger aber schauen sie einfach nur auf reale oder eingebildete Ähnlichkeiten mit erfolgreichen Spielern aus der Vergangenheit: »Ehrlich gesagt, sieht er aus wie ein Mantle oder ein Mays.« Die Suche nach Erscheinungsbildern könnte die Talentsucher dazu verleiten, Empfehlungen aufgrund von Eigenschaften und Aussehen abzugeben, die gar nichts mit sportlicher Leistungsfähigkeit zu tun haben: »Sauberer Schnitt, hübsches Gesicht, guter Kiefer.« Und: »Er ist eine Augenweide, er hat den Look, er ist bereit, seine Rolle zu übernehmen.« Oder sogar: »Er hat eine hässliche Freundin. Hässliche Freundin bedeutet kein Selbstvertrauen. Seine Freundin ist maximal eine 6!« Sich ihrer Bewertung sicher, spekulieren die Talentsucher: »Gib diesem Jungen 400 Schlagversuche, er wird besser werden.« Soziale Vorlieben spielen ebenso eine Rolle: »Er ist einer unserer Jungs.« Und manche Kriterien der Talentsucher sind für dieses Buch noch nicht einmal druckbar. Während das Suchen nach Talenten im Baseball 2001 im Film vielleicht überdramatisiert wird, wittern Peter und Billy eine Chance.
Peter und Billy erkennen nun, dass die OBP perfekt ist für Arbitrage. Sie schauen auf die OBP eines Spielers und glauben: »Er wird die Base erreichen.« Manager anderer Teams schauen auf andere Leistungsindikatoren und übersehen diese Spieler. Peter und Billy glauben daran, dass OBP ihnen dabei helfen wird, das meiste aus ihrem beschränkten Budget herauszuholen, und setzen darauf als Key-Performance-Indikator und Fitnesskriterium für die Auswahl der Spieler.
Oaklands Saison 2002 hatte ihre Höhen und Tiefen und Billy Beane musste etwas ändern. Er verkaufte eine Reihe von Spielern inklusive einem sehr vielversprechenden Rookie auf der Position des First Baseman, Carlos Pena – eine der dramatischsten Szenen in »Moneyball«. Beane wollte Scott Hatteberg als ständigen First Baseman des Teams. Hatteberg war ein ehemaliger Catcher und kurz vor Ende seiner Karriere als Spieler. Der Wechsel auf die Position der ersten Base war seine einzige Chance, seine Karriere zu verlängern, weil sein Ellenbogen ruiniert war und er den Ball nicht von der Home Plate zur zweiten Base werfen konnte, um sich gegen ankommende Läufer zu verteidigen.2 Hatteberg hatte einen sinkenden Batting-Average, aber Billy sah seinen ungewöhnlich hohen OBP-Wert.3 Hatteberg lief viel und erreichte dadurch die Base öfter, als sein Batting-Average es vermuten ließ. Er war der Spieler, der den As jetzt zum Sieg verhelfen könnte. Das Team erholte sich in der zweiten Hälfte der Saison und erreichte wieder die Playoffs.
Die Strategie der As half ihnen, die Anzahl der gewonnenen Spiele über den Verlauf einer sehr langen, 162 reguläre Spiele umfassenden Spielzeit zu maximieren, in der sie gegen gute, durchschnittliche und schwache Teams spielten. Relativ zu ihren begrenzten Ressourcen schnitten sie gut ab. Aber die Playoffs sind anders. Nun mussten sich die As in Auscheidungsspielen konstant mit hohem Einsatz gegen das beste Viertel der Liga behaupten. Die As waren die Besten im offensiven Spiel, für das sie ihre unterschätzten Spieler gefunden hatten. Aber nun mussten sie gegen viel bessere Pitcher spielen, denn die Qualität des Werfens, wichtiger als das Treffen, steigt in der Nachsaison signifikant. Viele der reicheren Teams in den Playoffs haben mehr Geld zur Verfügung und können sich einen größeren Spielerpool leisten. Sie sind dafür gerüstet, die Schwächen der anderen aufzudecken, und haben selbst nur wenige Schwachstellen. Ihre besten Spieler sind in der Lage, ihr Leistungsniveau in den Playoffs noch zu steigern. Derek Jeter, Mariano Rivera und Bernie Williams von den Yankees waren Beispiele dafür.
Die As nutzten die OBP, um ihren Pool an Schlagmännern mit unterschätzten Spielern aufzustocken, und dies funktionierte gut für die lange reguläre Saison. Aber ihre Schwäche in der Defensive und im Werfen (nach den ersten drei Startern) machte sie in den Playoffs verwundbar. 2002 verloren die Oakland Athletics das dritte Jahr in Folge die erste Runde der Playoffs, diesmal gegen die Minesota Twins.
Trotzdem wurde Billy Beane von John Henry, dem Eigner der Boston Red Sox, angesprochen, der ihn als neuen Generalmanager in Boston anwerben wollte. Henry erklärte ihm, warum er ihn als neuen GM haben wollte. »Sie haben genauso viele Spiele gewonnen wie die Yankees. Sie verloren Damn, Giambi, Isringhausen und Pena und trotzdem gewannen Sie mehr Spiele ohne sie als mit ihnen. Die Yankees zahlten pro Sieg 1,4 Millionen$, Sie nur 260.000$.«
Henry gibt die Metrik preis, die er als Eigner nutzt – wie viel bezahlt er für einen Sieg? Dies ist als Benchmark gegenüber anderen Eignern sinnvoll. Allerdings antwortete Billy: »Ich weiß nicht, John. Ich habe gerade fünf in der Division Series verloren.« Später sagte er zu Peter Brand: »Wenn du das letzte Spiel der Saison nicht gewinnen kannst, interessiert sich keiner für dich.« Dies ist das Thema, das sich durch den ganzen Film zieht und in einer frühen Szene mit dem Eigner des Baseballteams, Stephen Schott, erwähnt wird. »Mein Ziel ist es, das Team zur Meisterschaft zu führen.« Er möchte in der World Series spielen und sie gewinnen!
Für Beane sind das Fitnesskriterium und der Key-Performance-Indikator durch die Platzierung definiert, die das Team im Turnier belegt. Das fitteste Team ist das, das die World Series gewinnt, und dies zu schaffen, ist das Ziel seiner Karriere.
Zusammenfassend lässt sich sagen, Key-Performance-Indikatoren (KPI) sollten als Fitnesskriterien genutzt werden, um eine Auswahl zu treffen. Die As nutzten OBP, um die Spieler auszuwählen und ihren Wert für einen Wechsel in ein anderes Team und die Bezahlung festzulegen. John Henry wollte Dollar pro Sieg als Auswahlkriterium nutzen, um Beane als seinen neuen GM auszuwählen. Allerdings hatte Beane ein anderes Wertesy...