1 Einleitung
Laura E. Herrera Castillo
Im Allgemeinen betrachtet, bezeichnet das Wort Ausdruck gleichermaßen den Prozess wie das Resultat der Artikulation eines Sachverhalts durch einen anderen. Der ausgedrückte Sachverhalt fungiert hierbei als Repräsentation des ausdrückenden Sachverhalts, dessen innerem Gehalt er eine spezifische äußere Gestalt verleiht. Diese Äußerung eines Inneren kann eine Bedeutungsbeziehung zum Gegenstand haben, insofern eine gewisse Äquivalenz zwischen den involvierten Sachverhalten besteht, wie in Falle einer Analogie, eines Symbols, einer Verkörperung oder auch einer Nachahmung. Als sprachlicher bzw. logischer Terminus ist der Ausdruck Träger einer Bedeutung: Wörter drücken beispielsweise Wahrheiten, Urteile oder Sachverhalte aus. Aber auch jenseits der Semantik, im Bereich des menschlichen Inneren, des subjektiven Erlebens und seiner Beziehungen zur Welt, spielen Ausdrucksrelationen eine wichtige Rolle. Gestik, Mimik und körperliche Äußerungen, wie Lachen, Weinen und Gefühlsbekundungen jeglicher Art werden ebenso als Formen des Ausdrucks aufgefasst wie Tanzen, Musizieren und andere künstlerische Betätigungen.
In der europäischen Geistesgeschichte ist der Ausdrucksgedanke in vielfältigen Formen präsent, erlangt jedoch nur selten den Status eines systematischen philosophischen Begriffs. Dieser Umstand dürfte mit erklären, weshalb bislang – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keine expliziten Untersuchungen dieser Thematik aus philosophischer Perspektive erfolgt sind.1 Wie Gilles Deleuze überzeugend dargelegt hat, ist der Expressionsbegriff in verborgener Gestalt bereits in der Emanationslehre Plotins enthalten (vgl. Deleuze 1968, Kap. XI). In dieser lässt sich sowohl der Gedanke einer eminenten, als auch der einer immanenten Ursache identifizieren, welche trotz ihrer prinzipiellen Unvereinbarkeit im Rahmen der neuplatonischen Metaphysik zusammengeführt werden (vgl. Ghio 1979, Kap. III). Grundlage des Bilddenkens bei Plotin ist die ontologische Priorität des Urbildes, der zufolge das Bild selbst mit Notwendigkeit etwas Sekundäres und Defizitäres darstellt. Gleichzeitig beschränkt sich das Bild nicht auf die passive Abbildung dessen, von dem es Bild ist, sondern konstituiert eine aktive Widerspiegelung im Sinne eines Ausdruck des Urbilds: „Es ist vielmehr Ausdruck der Entfaltung des Einen in die vielheitliche Wirklichkeit, und zwar als Ausdruck der konstitutiven, Sein-schaffenden und -bewahrenden Funktion dieses Einen.“ (Leinkauf 2010, S. 106–107). Die Ursachenlehre des Neuplatonismus sowie das von diesem geprägte Bilddenken werden in der daran anschließenden christlichen Philosophie in gewandelter Form weitergeführt. In dieser Traditionslinie lässt sich eine fortschreitende Differenzierung der eminenten und der immanenten Ursachen verzeichnen, die schließlich in einer unversöhnlichen Entgegensetzung mündet (vgl. Ghio 1979, S. 28–29 und Kap. III). Einen wichtigen Schritt im Prozess dieser Verwandlung stellt das Denken Nicolaus Cusanus’ dar, welcher mittels seiner Begriffe der explicatio und complicatio (Ent- bzw. Einfaltung) die Grundzüge der neuplatonischen Emanationslehre mit der christlichen Schöpfungsvorstellung harmonisiert. In Cusanus’ Auffassung vom Menschen findet sich die Figur einer Umwandlung der Bild-Natur des menschlichen Geistes wieder, wie sie in der christlichen Tradition insbesondere durch Augustinus geprägt wurde (vgl. Leinkauf 2010, S. 108–113).
Vor dem Hintergrund dieser geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, die als der historisch-systematische Ursprung des philosophischen Ausdrucksdenkens gedeutet werden können, vereint der vorliegende Sammelband zehn Beiträge, die den Ausdruck als philosophisches Problem bei Autoren mehrerer Epochen in den Blick nehmen. Neben G. W. Leibniz, in dessen Denken der Begriff der Expression eine zentrale Stellung einnimmt, werden die Schriften Meister Eckharts, Francesco Petrarcas, Ernst Cassirers, Heinrich Rombachs und Alfred N. Whiteheads auf ihre jeweiligen Bezüge zu dieser Thematik untersucht.
An die neuplatonisch-christliche Tradition anknüpfend, bildet das Denken Meister Eckharts eine wichtige Station in der historischen Konturierung des Ausdrucksgedankens.2 Wie Alessandro Palazzo in seinem Beitrag ‚Effectus expressivus et repraesentativus semper est et verbum sui principii‘. Eckhart’s Metaphysics of the expression zeigt, nimmt der Ausdrucksgedanke darin so viele und so vielfältige Gestalten an, dass er nicht als isoliertes Merkmal der Philosophie Eckharts missverstanden werden darf, sondern vielmehr als eines ihrer wesentlichen Motive zu verstehen ist. So beschreibt Eckhart unter Rückgriff auf die neuplatonische Tradition die vermittelnde Rolle des Wortes Gottes als dessen Ausdruck und Emmanation und damit als göttliches Abbild. Dabei konstituiert das Wort (d. h.: der Sohn Gottes) sowohl das Paradigma, aus welchem die Schöpfung hervorgeht, als auch das Bild, das letztere wiedergibt. In diesem Sinne liegt hier in doppelter Hinsicht ein Ausdrucksverhältnis vor: Einerseits ist das Wort der Selbst-Ausdruck Gottes als Schöpfer und andererseits ist die Schöpfung der Ausdruck Gottes insofern, als diese ihrerseits der Ausdruck des göttlichen Wortes ist. Für diese sowie für weitere Formen von Expressivität im Denken Eckharts gilt der grundlegende Zusammenhang, dass etwas sich in etwas anderem ausdrückt, dass also ein Sachverhalt durch den Akt seines Selbst-Ausdrucks einen anderen Sachverhalt hervorbringt. Das Ausgedrückte ist zwar ein Anderes, ein vom Sich-Ausdrückenden Verschiedenes, teilt jedoch zugleich dadurch, dass es aus diesem hervorgeht, wesentliche Merkmale mit ihm.
Während in der neuplatonischen Tradition und noch bei Meister Eckhart der expressive Prozess mit Blick auf das erzeugende Prinzip gefasst wird, d. h. dahingehend, dass ein sich-auszudrückendes Prinzip einen Ausdruck seiner selbst erzeugt, so erfolgt in der Renaissance eine folgenreiche Wendung der theoretischen Perspektive hin zu einem Standpunkt innerhalb der menschlichen Welt. Diese Wendung impliziert zwar noch keinen radikalen Bruch mit der Ordnung des mittelalterlichen Kosmos, sie eröffnet jedoch neue philosophische Wege zur Überschreitung von dessen metaphysisch gesetzten Grenzen. Den damit einhergehenden neuen Fragen widmet sich Thomas Leinkauf in seinem Aufsatz Francesco Petrarca (1304–1374): Expression und Expressivität als Seins-Modus. So wird einerseits die vernünftige Seele weiterhin in ihrer Abhängigkeit von Gott gedacht, andererseits jedoch wird die prinzipielle Möglichkeit ihrer Autarkie als Selbststand gegenüber Gott herausgestellt. Das Sich-Ausdrückende bildet hier ein einmaliges, unwiederholbares Individuum, ein Ich. In diesem Sinne lassen sich bei Petrarca zwei verschiedene Momente ausmachen, die im Vermögen der Sprache zum Tragen kommen: Zum einen schafft Sprache einen Raum für individuell-private Befindlichkeiten, indem Affekte, Intentionen, Gedanken und weitere Momente des seelischen Lebens die Individualität des reflektierenden und erfahrenden Selbst zum Ausdruck bringen. Zum anderen ermöglicht sie dem Individuum zugleich, den Bereich der Intimität nach außen hin zu überschreiten und sich gegenüber einem Publikum auszudrücken, womit sie die Sphäre der Öffentlichkeit begründet. Das Private und das Öffentliche, das Poetische und das Politische bezeichnen bei Petrarca somit zwei unterschiedliche, jedoch wechselseitig aufeinander verweisende Felder des Ausdrucks. Die Sprache ist das Instrument, das als verbum interior die Synthese dieser beiden Felder herbeizuführen vermag.
Eine ausführlichere Thematisierung in Form von mehreren Einzelbeiträgen erfahren im vorliegenden Band die Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. Im Werk des an der Schwelle zur philosophischen Neuzeit stehenden Universalgelehrten findet sich nicht nur eine explizite Definition des Begriffs der Expression, sondern der Ausdrucksgedanke charakterisiert dieses Werk in grundlegender und vielfältiger Art und Weise. Er durchzieht gleichermaßen die Felder der Mathematik, der Sprache und der Logik wie der Metaphysik. Allgemeine Merkmale des Ausdrucks bei Leibniz sind (strukturale) Relationalität, Wechselseitigkeit, Individualität, Perspektivität, Entfaltung und Widerspiegelung. In metaphysischer Hinsicht bezeichnet Expression die Tätigkeit der Substanz, der Monade, als solcher. Unter Monade versteht Leibniz ein zur Tätigkeit fähiges Wesen. Jede Monade verfügt über einen vollständigen Begriff, welcher die Gesamtheit ihrer Eigenschaften bzw. sämtliche Ereignisse umfasst, die wesentlich mit ihr verknüpft sind. Expression bezeichnet den Akt, in dessen Vollzug die Monade ihre Inhalte entfaltet und damit zugleich das gesamte Universum perzipiert. Dieses Verständnis von Ausdruck lässt sich mit demjenigen der christlichen Tradition in Verbindung bringen, welcher Leibniz die Metapher des Spiegels entnimmt. Die Spiegelmetapher entstammt ursprünglich dem Korintherbrief und ist u. a. in den Schriften von Augustinus und Cusanus zu finden.3 In Leibniz’ Rezeption werden die Monaden als lebendige Spiegel des Universums charakterisiert, was nichts anderes besagt, als dass sie im Akt der Perzeption des Universums dieses zugleich zum Ausdruck bringen. Berühmt geworden ist aber auch eine weitere Metapher, mit der Leibniz der Ausdrucksproblematik einen entscheidenden Aspekt hinzufügt: Die Perspektive. Das von den verschiedenen Monaden perzipierte Universum gleicht einer Stadt, die von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet wird und daher wie eine Vielzahl von Städten erscheint. Während die Metapher des Spiegels den Akzent auf die metaphysischen Dimensionen der expressiven Beziehung legt, wird mit der Metapher der Perspektive die Ebene der Phänomene in den Fokus gerückt.
Darüber hinaus findet sich in den Schriften von Leibniz eine weitere, explizite Definition des Expressionsbegriffs, die dessen konstitutive formale Relationalität herausstellt. In dieser Hinsicht bezeichnet Expression eine wechselseitige Beziehung zwischen Sachverhalten, bei der diese mittels einer strukturellen Zuordnung in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Entscheidend ist hierbei, dass diese Beziehung keine direkte Ähnlichkeit der Merkmale erfordert, sondern dass eine gewisse Analogie als regelndes Kriterium ausreicht (vgl. A VI, 4, 1370 und C 15). Diese explizite Definition des Expressionsbegriffs bewegt sich in großer Nähe zum logisch-mathematischen Denken, womit eine Interpretation der Ausdrucksbeziehung als Analogie, Morphismus oder Isomorphismus naheliegt. In diesem Sinne geht Valérie Debuiche in ihrem Beitrag Expression and Analogy in Leibniz’s Philosophy der Frage nach, was eine expressive Beziehung ausmacht und inwiefern sie sich als eine analogische Beziehung beschreiben lässt. In ihrer Lesart ist es jedoch unerlässlich, auch die metaphysischen Bedingungen und Konsequenzen des Leibniz’schen Expressionsgedankens umfassend mit einzubeziehen. Gleichsam in Ergänzung hierzu fokussiert Sofia Araújo ihren Beitrag Similarity, Form and Beauty: The idea of expressivity in G. W. Leibniz auf die erkenntnistheoretischen und ästhetischen Aspekte der Ausdrucksthematik. Araújo versteht unter Expressivität die allen lebendigen Substanzen zugrundeliegende Fähigkeit zur Perzeption im Sinne einer Aufdeckung von formalen Verknüpfungen zwischen sich selbst und dem Universum. Sie zeigt, wie aus dieser Analyse der Expressivität, welche wiederum eine Untersuchung des Begriffs der Ähnlichkeit erfordert, die qualitative Instanz der Form eindeutig als Grundlage des Ausdrucks hervorgeht. Damit führt die epistemologische Lesart des Ausdrucksproblems zugleich hin zu den ästhetischen Bedeutungsdimensionen von Expressivität: Der Ausdruck ermöglicht die Wahrnehmung der harmonischen Einheit in der strukturellen Verbundenheit aller Substanzen miteinander und damit die Wahrnehmung der Schönheit des Universums.
Oscar Esquisabel wiederum arbeitet in seinem Aufsatz Expression and Semiotic Representation: Metaphysical Foundations of Leibniz’s Theory of the Sign das Potential des Ausdrucksgedankens im Kontext der Semiotik heraus. Ausgehend vom strukturellen Charakter des Ausdrucks argumentiert Esquisabel für eine expressive Natur der semiotischen Formen oder Gestaltungen im Sinne einer Projektion der formellen Struktur des denotierten Objektes in die Struktur der semi...