DIE INSTITUTION
Ein wesentliches Kriterium bei der Entwicklung der Fragestellungen des Forschungsprojektes war das Format des Stadttheaters. Dieser Ort, an dem Oper traditionell stattfindet, sollte danach befragt werden, welche neuen Wege im Rahmen dieser einengenden Strukturen denkbar sind. Im Gespräch mit den Intendanten wurde versucht, die Ergebnisse des Forschungsprojektes zu resümieren und zu der zentralen Frage Stellung zu nehmen, ob die drei im Rahmen des Forschungsprojektes entstandenen Inszenierungen von Così fan tutte an den von ihnen geleiteten Opernhäusern wünschenswert und auch realisierbar wären. Im Zentrum der Diskussion standen primär strukturelle Themen, die im Rahmen der Überlegung zur Machbarkeit solch innovativer Ansätze von Bedeutung sind. In diesem Kontext wurde auch die Problematik im Umgang mit dem zeitgenössischen Musiktheater angesprochen, das ebenfalls nach neuen Strukturen verlangt. Die Inszenierungsexperimente selbst und insbesondere der Forschungsansatz, der die künstlerische Arbeit durch eine reflektierende Suche theoretisch begleitete, stieß bei der Intendantenrunde nur auf partielle Zustimmung, teilweise wurde die Idee der künstlerischen Forschung als Einmischung in den kreativen Prozess strikt abgelehnt. Die Erwartung der Intendanten ist auf die Künstler konzentriert und auf ihre Kreativität, mit der sie Neues in die Welt setzen.
In diesem Kapitel schließt sich ein Gespräch mit dem musikalischen Leiter aller drei Così fan tutte-Produktionen in Graz, Michael Hofstetter, an. Mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Produktionsweisen und Ergebnisse der Inszenierungen, die er begleitet hat, entwirft er ein differenziertes Bild von dem, was ihm neu war, was ihm spannend erschien und wo für ihn auch die Schwierigkeiten mit ungewohnten Situationen lagen – beispielsweise war in einer der Inszenierungen der Sängerkontakt nur über Videokameras möglich. Erstaunlich ist die Versicherung des Dirigenten, dass diese im Rahmen des Forschungsprojekts neu beschrittenen Wege in seinen Augen nicht nur realisierbar wären, sondern sogar wesentlich dazu beitragen würden, Partituren anders zu erleben und neu zu verstehen.
DIE OPER IN DER GESELLSCHAFT
Podiumsdiskussion mit Barbara Beyer, Aviel Cahn, Dorothea Hartmann, Barbara Mundel und Dietmar Schwarz
Moderation: Ulrich Ruhnke
Ulrich Ruhnke: Nach all dem Suchen, Forschen und Finden der vergangenen Tage sind wir am letzten Vormittag des Symposions nun auf der organisatorischen Ebene derjenigen angelangt, an denen es läge, das Ausprobierte, oder zumindest Ansätze davon, auf die Hauptbühnen ihrer jeweiligen Häuser zu übernehmen. Dazu stellen sich vor allem zwei Fragen. Die erste ist eine inhaltliche: Will man das überhaupt? Würden die Ansätze oder Teile der Inszenierungen so auf die Bühnen passen? Will man diesem Stil folgen? Die zweite Frage ist: Kann man das? Sind die Ansätze, die hier verfolgt wurden, überhaupt kompatibel mit den Strukturen der Häuser?
Wir haben verschiedene Produktionen von Così fan tutte gesehen. Zum Beispiel die Inszenierung von Michael von zur Mühlen. Die Personen agieren in geschlossenen Räumen, sie singen über die Wände hinweg oder werden per Mikroport übertragen. Dorabella trägt ein T-Shirt auf dem steht „Born to ride“, und ich dachte zwischendurch: Was hätte beispielsweise Kiri Te Kanawa gesagt, wenn sie dieses Kostüm hätte tragen müssen? In einer anderen Arbeit gibt es Live-Einspielungen und -Übertragungen von der Straße auf die Bühne und die dritte ist eine installationsartige Inszenierung, die sich von der eigentlichen Handlung und von der Psychologie der Figuren ganz abwendet. Ich frage Herrn Cahn, ob er sich so etwas in Flandern vorstellen könnte?
Aviel Cahn: Grundsätzlich haben wir damit überhaupt keine Probleme. Wir sind ein Stagione-Haus und müssen ein Stück nicht fünfzehn Jahre im Repertoire behalten. Das gibt uns natürlich viel mehr Freiheiten. Wir müssen eine Inszenierung nicht auf ihre Repertoire-Tauglichkeit überprüfen. Momentan bewegen wir uns meistens im Rahmen dessen, was die Partitur vorgibt, das heißt, wir sind noch nicht soweit, dass wir die Stücke als Steinbrüche betrachten. Ich mache einem Künstler, dem ich ein Stück anvertraue, keine Vorgaben, was er zu tun hat, und freue mich über ungewöhnliche, spannende, interessante Konzepte. Manchmal bringt das sehr seltsame oder spannende Ergebnisse. Wir haben letzte Saison mit Jan Fabre und Moritz Eggert eine Uraufführung gemacht, da hatten wir dann das Problem, dass der Abend plötzlich sechs Stunden dauerte. Da muss man sich als Intendant auf die Künstler einlassen oder sie doch ins Korsett zwängen. Die Oper ist eine Institution, wo hunderte von Leuten arbeiten, mit Gewerkschaften und festen Arbeitszeiten und so weiter. Es ist kein Festival. Die Frage ist, was ein Haus kann.
Ruhnke: Herr Schwarz, Sie sind in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Sie haben die alte Tischlerei des Hauses zur Experimentalbühne umbauen lassen. Müssen Sie sich über solche Fragen, wie sie hier auf dem Symposion gestellt wurden, für das große Haus eigentlich Gedanken machen?
Dietmar Schwarz: Das Forschungsprojekt finde ich sehr spannend, weil man etwas sehen kann, was man sonst nicht zu sehen bekommt. Experimente brauchen einen Schutzmantel. Die jungen Künstler sollen sich ausprobieren, bevor wir Intendanten zugreifen. Man könnte nun die Haltung haben, dass in der Tischlerei die Experimente gemacht werden und die angepasste, traditionelle, konventionelle Oper im großen Haus, damit kann ich mich nicht zufrieden geben. Dennoch ist es wichtig, dass sich die jungen, neuen Talente in der Tischlerei erst einmal ausprobieren.
Ruhnke: Frau Hartmann, sind Sie das kreative Feigenblatt eines ansonsten schamlosen Sänger- und Repertoirehauses?
Dorothea Hartmann: Wir haben auf jeden Fall einen Sonderstatus. Es würde im Moment nicht funktionieren, Experimente wie 3 x Così fan tutte auf einer großen Bühne zu zeigen. Da müssen sich die großen Häuser in ihrer Struktur verändern, verflüssigen. Wir sprechen ja oft davon, dass die Dinge flexibler werden und sich öffnen sollten, auch für andere Denk- und Arbeitsweisen. Für den Moment ist es, auch für dieses große Haus, innerbetrieblich und innerstrukturell die große Chance, dass wir die große Bühne haben und hier – in der Tischlerei – einen gewissen Freiraum und auch einen Schutzraum, um Neues zu denken und auszuprobieren. Viele Ideen, sowohl hinsichtlich der Denkansätze als auch in der Arbeitsweise, kommen aus der freien Szene. Das heißt vor allem „nicht-hierarchisiertes“ Arbeiten. Die großen Betriebe hingegen sind auf das Funktionieren hin angelegt. Das müssen sie auch sein, sonst könnten wir nicht jeden Tag ein anderes Repertoirestück spielen. Andere, neue Denkweisen würden im Moment nicht in die Struktur passen.
Ruhnke: Wie ist denn die inhaltliche Bewertung des hier Gezeigten? Soll Opernregie in Zukunft so aussehen? Frau Mundel, was haben Sie aus diesem Symposion, aus diesen drei Produktionen von Così fan tutte, mitgenommen? An Ihrem Haus gibt es viel Innovatives, Kreatives, vor allen Dingen aber im Schauspiel, im Tanz und im Crossover-Bereich, also in Projekten. Aber was genau könnten jetzt die Ansätze im Opernbereich sein, um die ja hier gerungen wurde?
Barbara Mundel: Ich denke, dass das keine Frage von Stil ist, sondern ob ich in Zukunft mit Oper beispielsweise nicht-hermeneutische Ansätze verfolgen will, Ansätze, die nicht im klassischen Sinne Figuren, Geschichten erzählen, die versuchen, die Musik anders freizusetzen. Wenn das die Fragen sind, die uns beschäftigen werden, dann hat das irrsinnig viel damit zu tun, dass ich auch Menschen brauche, die das tun und die diese Ansätze mitbringen. Ich habe gestern Barbara Beyer zum Beispiel gefragt: Wie lange habt ihr probiert? Mit welchen Sängern? Und wie habt ihr sie gecoacht, damit sie in der Lage waren, so souverän mit der Musik umzugehen? Wie schaffe ich es, als Intendantin – und diese Frage betrifft dann das Schauspiel ganz genauso – für diese Projekte die passenden Bedingungen herzustellen? Dazu gehört für mich zum Beispiel auch die ganze Technik. Und wie schafft man es, dass die Ausführenden sich auch auf diese Suche begeben, um die es da geht, dass sie wirklich daran teilnehmen? Die Institution kann viele Freiräume schaffen. Jetzt, nach sieben Jahren, fange ich an, virtuoser mit Dispositionen zu spielen. Wenn wir eine Barockoper machen, dann weiß ich, da habe ich Freiräume und kann daneben auch experimentelle Dinge im Musiktheate...