Psychosomatische Schmerztherapie
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Psychosomatische Schmerztherapie

Grundlagen, Diagnostik, Therapie und Begutachtung

Ulrich T. Egle, Burkhard Zentgraf, Ulrich T. Egle, Martin Grosse Holtforth, Christoph FlĂŒckiger

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  1. 205 Seiten
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Psychosomatische Schmerztherapie

Grundlagen, Diagnostik, Therapie und Begutachtung

Ulrich T. Egle, Burkhard Zentgraf, Ulrich T. Egle, Martin Grosse Holtforth, Christoph FlĂŒckiger

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Über dieses Buch

The authors describe the diagnosis, differential diagnosis, establishment of indications and successful treatment of chronic pain conditions that are not caused by tumours. The aim is to motivate psychotherapists to become involved in pain therapy and provide them with the skills they need to do this. The book is also a guide to the 'Psychosomatic Pain Therapy' curriculum established by the German Association for Psychosomatic Medicine and Medical Psychotherapy (DGPM) in collaboration with the Interdisciplinary Association for Psychosomatic Pain Therapy (IGPS).

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170367975
 

1          Alles bio-psycho-sozial? – Was bedeutet bio-psycho-soziales SchmerzverstĂ€ndnis?

Als wir (Egle & Hoffmann, 1993) vor mehr als 25 Jahren im deutschen Sprachraum den Begriff »bio-psycho-sozial« im Zusammenhang mit chronischen SchmerzzustĂ€nden einfĂŒhrten, ging es uns darum, in Diagnostik und Therapie von Schmerzkranken das von Neurophysiologen und anĂ€sthesiologischen Schmerztherapeuten dominierte bio-medizinische SchmerzverstĂ€ndnis um die psychosoziale und die interaktionelle Dimension zu erweitern und dadurch das pathogenetische VerstĂ€ndnis, das diagnostische Vorgehen und nicht zuletzt die therapeutischen Strategien grundlegend zu erweitern. Obwohl in den darauffolgenden Jahren der Begriff »bio-psycho-sozial« im Kontext von SchmerzverstĂ€ndnis und Schmerztherapie immer hĂ€ufiger Verwendung fand, kam es nur bedingt zu den angestrebten VerĂ€nderungen. Dies hat wesentlich damit zu tun, dass der Begriff fĂŒr fast alles Verwendung fand, was sich diagnostisch und therapeutisch außerhalb der etablierten bio-medizinischen Schmerzkonzeption bewegte, nicht zuletzt jedwede ErgĂ€nzung der Behandlung mit Opiaten um andere Maßnahmen – ob im psychotherapeutischen oder komplementĂ€rmedizinischen Bereich. Einen wesentlichen Beitrag zur inhaltlichen VerwĂ€sserung des bio-psycho-sozialen SchmerzverstĂ€ndnisses lieferte auch die in den 1990er Jahren sich zunehmend in der Therapie chronischer SchmerzzustĂ€nde etablierende kognitive Verhaltenstherapie, die als ErgĂ€nzung des bio-medizinischen SchmerzverstĂ€ndnisses Behandlungsstrategien fĂŒr eine bessere SchmerzbewĂ€ltigung entwickelte und damit die einseitig analgetisch-interventionellen Therapiestrategien der anĂ€sthesiologischen Schmerztherapie bis heute zu ergĂ€nzen versucht (Gatchel et al., 2007, Hulla et al., 2019). In einer sehr ausfĂŒhrlichen und bis heute weit mehr als 1000 Mal zitierten Übersichtsarbeit in einer renommierten psychologischen Fachzeitschrift (»Psychological Bulletin«) wird zwar auf den »Erfinder« des bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells, den amerikanischen Internisten und Psychiater G. L. Engel, Bezug genommen, ohne allerdings dessen Konzeption (Engel, 1977, 1997) genauer darzustellen und sich an dieser zu orientieren.

1.1       Das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell

In Engels bio-psycho-sozialem Krankheitsmodell ist der Mensch Teil umfassender ĂŒbergeordneter Systeme (Zwei-Personen-Ebene, Familie, Gesellschaft, Kultur/Subkultur, Staat/Nation, BiosphĂ€re) und selbst wiederum ein System aus mehreren Subsystemen (Nervensystem, Organsystem/Organe, Gewebe, Zelle, Organelle) bis hinab auf die molekulare Ebene (
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 Abb. 1.1; Engel, 1977).
Diese Ebenen sind so integriert, dass das jeweilige Subsystem ĂŒber eine gewisse Autonomie verfĂŒgt, gleichzeitig jedoch auch von den ĂŒber- und untergeordneten Subsystemen beeinflusst und geregelt werden kann. Es handelt sich also um eine Hierarchie von Systemen mit Programmen aus Regulation und Gegenregulation, zugehörigen Soll- und Ist-Werten, die ĂŒber Steuer- und RĂŒckmelde-Variablen funktionieren und jeweils ĂŒber eigene Zeichen und Kodierungen verfĂŒgen. Auf der physiologischen Ebene verstĂ€ndigen sich Nervensysteme und Organsysteme mit Hilfe biochemischer und elektrophysiologischer Signale, die von spezifischen Rezeptoren empfangen werden und der jeweiligen Prozessregulation dienen. Dabei lassen sich verschiedene Zeichensysteme unterscheiden, u. a. das immunologische, das endokrine und das neuronale. Auch bei den psychosozialen Systemen gibt es spezifische und voneinander differenzierte Zeichensysteme, welche die Kommunikation der Person mit ihrer Umwelt regulieren. Auf den verschiedenen biologischen ebenso wie den psychosozialen Systemebenen spielen als wesentliches Kontrollprinzip negative Feedback-Mechanismen eine zentrale Rolle. Das Ausmaß der Wechselwirkungen zwischen Organismus und Umwelt wurde in den letzten 20 Jahren durch wissenschaftliche Erkenntnisse zur erfahrungsgesteuerten neuronalen
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Abb. 1.1: Bio-psycho-soziales Krankheitsmodell
PlastizitĂ€t und seitens der Epigenetik zunehmend entschlĂŒsselt. Nachgewiesen wurde ein permanentes Interagieren zwischen genetischer Ausstattung und Umweltbedingungen in Form eines An- und Abschaltens bestimmter Genabschnitte und damit einhergehender physiologischer, neuro- und molekularbiologischer Prozesse. Diese sind im folgenden Kapitel (
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 Kap. 2) genauer dargestellt.
Bio-psycho-soziale Wechselwirkungen fĂŒhren also bereits frĂŒh zu biologischen, psychischen und sozialen PrĂ€gungen, welche die VulnerabilitĂ€t fĂŒr die Entstehung verschiedener Formen von Schmerz (nozizeptiv, neuropathisch, stressinduziert) unterschiedlich beeinflussen und auch eine große Bedeutung fĂŒr die individuelle Schmerzperzeption haben.

Das bio-behaviorale SchmerzverstÀndnis

Die bio-psycho-sozialen Wechselwirkungen in der Entstehung von chronischen Schmerzen werden in den zahlreichen Publikationen von Gatchel und seiner Arbeitsgruppe bis heute (vgl. Hulla et al., 2019) ausgeklammert. Beim Thema SchmerzvulnerabilitĂ€t wird auf »vorwiegend genetisch verankerte« Persönlichkeitsfaktoren verwiesen, welche das BewĂ€ltigungsverhalten beeinflussen können (Gatchel et al., 2007). Die bio-psycho-sozialen Wechselwirkungen beschrĂ€nken sich auf eine – durchaus sorgfĂ€ltige – Aufarbeitung psychosozialer Einflussfaktoren nach Auftreten der Schmerzen und deren Bedeutung fĂŒr deren Chronifizierung im Hinblick auf dysfunktionale Kognitionen und Verhaltensweisen. Vorausgegangene PrĂ€gungen und daraus resultierende bio-psycho-soziale Wechselwirkungen in der Pathogenese werden nicht berĂŒcksichtigt. Die der Schmerzentstehung individuell zugrundeliegenden neurobiologischen und epigenetischen Mechanismen bleiben eine »Black Box«. Gatchels bio-psycho-soziales Modell liefert die theoretischen Grundlagen fĂŒr behaviorale TherapieansĂ€tze, die sich auf SchmerzbewĂ€ltigung beschrĂ€nken und als ErgĂ€nzung zu den bio-medizinischen Therapiemaßnahmen durchgefĂŒhrt werden, unabhĂ€ngig davon, durch welche biologischen Mechanismen das Schmerzgeschehen zustande gekommen ist. Dieses SchmerzverstĂ€ndnis sollte deshalb zutreffender als bio-behaviorales bezeichnet werden.
 

WeiterfĂŒhrende Literatur

 
Egle UT, Heim C, Strauß B, von KĂ€nel R (2020) Das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell – revisited. In: Egle UT, Heim C, Strauß B, von KĂ€nel R (Hrsg) Psychosomatik. Neurobiologisch fundiert, Evidenz basiert. Kohlhammer, Stuttgart
Engel GL (1977) The need for a new medical model: a challenge for biomedicine. Science 196:129–136
Engel GL (1997) From biomedical to biopsychosocial. Being scientific in the human domain. Psychosomatics 38:521–528
Gatchel RJ, Peng YB, Peters ML, Fuchs PN, Turk DC (2007) The biopsychosocial approach to chronic pain: scientific advances and future directions. Psychol Bull 133:581–624.

2 Theoretische Grundlagen: Schmerz, Bindung, Trauma

2.1 Einleitung

Dass frĂŒhkindliche Traumatisierungen die VulnerabilitĂ€t fĂŒr chronische Schmerzen erhöhen, wurde bereits 1959 von dem amerikanischen Internisten, Psychiater und Psychoanalytiker G. L. Engel auf der Basis sorgfĂ€ltiger klinischer Beobachtungen beschrieben. Als es ab Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zunehmend mehr um die Objektivierung psychosomatischer ZusammenhĂ€nge ging und von Seiten der Psychologie behaviorale AnsĂ€tze das VerstĂ€ndnis und die Behandlung chronischer SchmerzzustĂ€nde zu dominieren begannen, wurden solche biographischen ZusammenhĂ€nge als spekulativ abgetan – und werden es teilweise bis heute noch (z. B. Sommer et al., 2008). Trotz einer Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts im JAMA erschienenen Studie, die deutlich ZusammenhĂ€nge zwischen sexuellen Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und spĂ€terer Entwicklung körperlicher Beschwerden im Rahmen einer Somatisierung erbrachte, wurde eine Überbewertung des Zusammenhangs zwischen Kindheitstraumatisierung und spĂ€terer chronischer Schmerzerkrankung aufgrund retrospektiver Befragung unterstellt (Raphael et al., 2002). Dabei zeigen sorgfĂ€ltige Studien und Metaanalysen der letzten Jahre genau das Gegenteil: Eine methodisch sorgfĂ€ltig durchgefĂŒhrte retrospektive Datenerhebung fĂŒhrt eher zu einer Unterbewertung des Zusammenhangs zwischen Kindheitstraumatisierung und spĂ€terer Symptombildung (Hardt & Rutter, 2004; Nelson et al., 2010). Inzwischen gilt wissenschaftlich als gesichert, dass vor allem kindliche, aber auch spĂ€tere Traumatisierungen die VulnerabilitĂ€t fĂŒr ein chronisches Schmerzsyndrom deutlich erhöhen können. Dabei spielt das mit Schmerz einhergehende Auslieferungserleben bei körperlicher Misshandlung bei Kindern offensichtlich eine sehr viel grĂ¶ĂŸere Rolle als sexueller Missbrauch!
Bis heute ist bei vielen chronischen Schmerzpatienten ebenso wie bei vielen Ärzten jedoch immer noch die Vorstellung verbreitet, dass Schmerz nur als Folge einer GewebsschĂ€digung entstehen kann und die StĂ€rke des Schmerzes dem Ausmaß der GewebsschĂ€digung entspricht. Die vorherrschende Vorstellung der Schmerzverarbeitung im zentralen Nervensystem geht vom Prinzip einer Art »Telefonkabel« aus, das Aktionspotentiale von einem Ort zu einem anderen leitet, in denen Informationen ĂŒber Beginn, Dauer, StĂ€rke, Lokalisation und QualitĂ€t eines peripheren nozizeptiven Reizes codiert sind (Woolf, 2011). Dieses Mitte des 17. Jahrhunderts von RenĂ© Descartes postulierte SchmerzverstĂ€ndnis hat bis heute weitreichende Folgen fĂŒr Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzpatienten. Insbesondere psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz werden vor dem Hintergrund des kartesianischen SchmerzverstĂ€ndnisses aufgrund der damit einhergehenden fehlenden ErklĂ€rbarkeit als diagnostische Restkategorie gesehen und damit implizit oder gar explizit mit Simulation gleichgesetzt. VernachlĂ€ssigt werden dabei die durch die Möglichkeiten der Bildgebung des Gehirns gewonnenen Erkenntnisse zur zentralen Schmerzverarbeitung der letzten 10 Jahre.
Der Nachweis deszendierend-hemmender Schmerzbahnen – von Melzack und Wall bereits 1965 im Rahmen ihrer Gate-Control-Theorie postuliert – Ende der 70er Jahre fĂŒhrte zu der Erkenntnis, dass bereits auf spinaler Ebene, d. h. im Zusammenhang mit der Umschaltung peripherer Schmerzreize vom ersten auf das zweite Neuron in der Substantia gelatinosa im Bereich des Hinterhorns des RĂŒckenmarks, komplexere Regelmechanismen in der Schmerzverarbeitung wirksam sind. Wirkt ein peripherer Reiz ĂŒber lĂ€ngere Zeit ein, so kommt es sowohl auf spinaler als auch auf zentraler Ebene ĂŒber biochemische Umbauprozesse zu ei...

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