März
1. MÄRZ
Nuancen im Feindbild
Wenn man den in der Weltkriegspropaganda üblichen Ton in Rechnung stellt, ist der deutsche Wehrmachtsbericht sprachlich fast ein Hort der Sachlichkeit. Natürlich wird die Kriegslage dort nicht objektiv dargestellt. Aber die zum Beispiel in Rundfunksendungen alltäglichen Beschimpfungen der Feinde sind kaum zu finden. Die Meldungen von der Ostfront allerdings sind die berühmte Ausnahme von der Regel. Während die westlichen Alliierten entweder mit ihrer Nationalität erwähnt werden oder abstrakt „der Feind“ heißen, wird die Rote Armee ständig als „Bolschewisten“ bezeichnet. Das Vorgehen der sowjetischen Einheiten wird so von vornherein ideologisch aufgeladen. Umso erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang, dass es von der Ostfront immer wieder Meldungen über die „Einbringung“ von Gefangenen gibt. Selbst in der Endphase des Krieges, dessen Ausgang nicht mehr in Zweifel steht, ziehen also immer noch sowjetische Soldaten („Bolschewisten“) die Gefangennahme durch die Deutschen dem vor, was ihre Befehlshaber mit ihnen vorhaben.
Urteile im Katyn-Prozess in Sofia
Im Prozess gegen die Mediziner, die 1943 die sowjetische Urheberschaft für die Massenmorde an polnischen Offizieren in Katyn bestätigt hatten, ergehen in der bulgarischen Hauptstadt die Urteile. Mehrere Angeklagte werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Derjenige allerdings, der im Prozess zu seiner Verteidigung angeführt hatte, das Gutachten sei von den Deutschen vorformuliert worden und die ganze Reise der Delegation habe unter Gestapo-Aufsicht stattgefunden, wird freigesprochen. Die Massengräber von Katyn waren 1943 von deutschen Truppen entdeckt worden. Zum Zeitpunkt des Verfahrens in Sofia leugnete Stalins Sowjetunion noch jegliche Beteiligung an den Morden. Heute gibt Russland zu, dass die sowjetische Geheimpolizei die polnischen Offiziere umgebracht hat.
„Wächter der Institutionen“
Der „Nationale Rat des Widerstands“ (CNR) in Frankreich veranstaltet in Paris eine Konferenz seiner regionalen Unterorganisationen. Ziel ist die Ausarbeitung eines Statuts der französischen Widerstandsbewegung. Louis Saillant, Präsident des CNR, fordert, die Befreiungskomitees müssten eine beratende Stimme in politischen Angelegenheiten haben. Sie müssten überall dort vertreten sein, wo es darum gehe, die Ziele der neuen, aus der Widerstandsbewegung hervorgegangenen Kräfte zur Geltung zu bringen. In einer Rede formuliert Saillant ausdrücklich einen Machtanspruch der Widerstandskämpfer: „Wir werden unsere Bemühungen bis zur Errichtung einer neuen Republik fortsetzen, denn wir sind die Wächter der demokratischen Institutionen.“ Die Rede spiegelt die schwierige politische Konstellation in Frankreich. Der Widerstand kämpfte während des Krieges nicht nur gegen die deutschen Besatzer, sondern auch gegen Franzosen, die diese unterstützten. Die Niederlage von 1940 wird von vielen auch auf die politische Struktur der Dritten Republik zurückgeführt. Der französische Staat sei von innen heraus zu schwach gewesen, um gegen die Invasoren bestehen zu können. Diese Diagnose wird heute auch von vielen Historikern geteilt. Die Widerstandskämpfer nahmen sich 1945 vor, das unbedingt zu ändern.
2. MÄRZ
Westalliierte am Rhein
Beide Seiten bestätigen, dass die Front in Bewegung geraten ist. Während die alliierte Offensive an einigen Stellen weiter auf heftigen Widerstand stößt, erreichen amerikanische Truppen bei Neuss den Rhein. Die deutschen Einheiten ziehen sich dort über den Fluss zurück – in der Hoffnung, diese Linie über längere Zeit halten zu können. Weiter im Süden erreichen alliierte Truppen die Stadt Trier. Mit Bezug zur Lage am Niederrhein spricht der Wehrmachtbericht vielsagend von einer Abwehrschlacht, die „mit der größten Erbitterung“ geführt werde.
De Gaulles Programm
Der französische Ministerpräsident spricht vor dem provisorischen Parlament über den Wiederaufbau des Landes. Wichtigste Voraussetzung für die absolut notwendige „nationale Wiedergeburt“ sei der Aufbau der nationalen Wirtschaft und der sozialen Einrichtungen. Private Initiative sei wichtig, die Koordination aller Anstrengungen obliege aber dem Staat. Es sollten alle Möglichkeiten zum Aufbau einer mächtigen Industrie ausgeschöpft werden. Die landwirtschaftliche Produktion solle verdoppelt werden. In diesem Zusammenhang nennt de Gaulle freilich kein Bezugsdatum. Nordafrika und andere Gebiete des französischen (Kolonial-)Reiches sollten gefördert und entwickelt werden. Wie um Zweiflern von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, ergänzt de Gaulle: Frankreich verfüge über „starke Arme, klare Köpfe und mutige Herzen“. Deshalb sei das alles machbar, obwohl es dem Land insgesamt gerade nicht gutgehe. Zu Beginn seiner Rede hatte der Ministerpräsident aufgezählt, was alles nicht vorhanden sei oder gegenwärtig nicht funktioniere. Als ein Mittel zur Wiederherstellung alter Größe gilt die Vermehrung der Bevölkerung. Es müssten, so de Gaulle, mehr Kinder geboren werden, sonst werde Frankreich zu einem „sterbenden Licht“.
„Säuberung notwendig“
Der finnische Arbeitsminister Wuori sagt, alle diejenigen, die in der Politik während des Krieges aktiv an der Zusammenarbeit mit den Achsenmächten beteiligt gewesen seien, müssten ihre Posten aufgeben. Ansonsten drohe eine Intervention der Alliierten. Wuori spricht es zwar nicht aus, aber im Falle Finnlands hätte das eine Intervention der Roten Armee bedeutet. Wuori beruft sich bei seiner Forderung auf die Abschlusserklärung von Jalta. Zusätzlich zu den notwendigen personellen Veränderungen müsse Finnland innere Reformen einleiten und die Demokratie stärken. Damit meine er ausdrücklich weder die Abschaffung des privaten Unternehmertums noch die Verstaatlichung von Grund und Boden. Wenn Finnland die Zeichen der Zeit nicht erkenne, drohten dem Land eine Revolution und der Verlust jeglicher Selbstbestimmung.
3. MÄRZ
Kriegserklärung Finnlands
Zur Vermeidung „eventueller Missverständnisse“ stellt die finnische Regierung in einer Erklärung offiziell fest, dass zwischen dem Land und Deutschland seit dem 15. September 1944 Kriegszustand herrsche. Zur Begründung heißt es, Helsinki habe Deutschland am 2. September 1944 aufgefordert, alle seine Soldaten aus Finnland abzuziehen. Zu diesem Zeitpunkt war Finnland aus dem Krieg ausgeschieden und schaffte es auf diesem Weg, eine Besetzung durch alliierte Truppen abzuwenden. Die deutschen Einheiten zogen sich zwar in Richtung Norden ins weiterhin besetzte Norwegen zurück. Das ging aber nicht so friedlich und problemlos ab, wie die Finnen sich das vorgestellt hatten. Die Regierung in Helsinki erhebt nun schwere Vorwürfe in Richtung Deutschland. Unter anderem hätten die Einheiten der Wehrmacht vor ihrem Rückzug Eisenbahnen, Straßen und Brücken in Finnland zerstört und finnische Soldaten in Kämpfe verwickelt. Dieses Verhalten sei der Grund für den Kriegszustand, der nun seit September herrsche.
Anleihe für Prag
Kanada schließt mit der tschechoslowakischen Exilregierung ein Abkommen. Ottawa gewährt Prag eine Anleihe über 15 Millionen Pfund Sterling für den Ankauf kanadischer Waren. Damit soll die tschechoslowakische Volkswirtschaft wiederaufgerichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt, 1945, war die Tschechoslowakei noch nicht in einer Lage wie wenige Jahre später. Da die Anti-Hitler-Koalition noch hielt, konnte sich die Regierung Geld auch in westlichen Ländern borgen. Als einige Jahre nach Kriegsende der amerikanische Marshall-Plan anlief, signalisierte die Regierung in Prag zunächst auch Interesse an Unterstützung aus diesem Programm. Die Sowjetunion sorgte aber dafür, dass Prag einen entsprechenden Antrag bald wieder zurückzog.
Slawenkongress in Sofia
Das am 18. Februar gegründete „panslawische Komitee“ veranstaltet einen ersten Kongress. Anwesend sind Vertreter aus allen slawisch geprägten Ländern. Das meldet zumindest die jugoslawische Zeitung „Borba“. Der Ostblock ist zu diesem Zeitpunkt zwar noch Zukunftsmusik. Ein Ereignis dieses Kongresse erinnert allerdings schon 1945 sehr an ihn: Die Delegierten schicken „Begrüßungstelegramme“, und zwar sowohl an Stalin als auch an den jugoslawischen Partisanenführer und kommenden Staatschef Josip Broz Tito.
4. MÄRZ
Bomben auf Basel und Zürich
Wie schon mehrfach während des Kriegs verirren sich auch jetzt wieder alliierte Bomber in die Schweiz. Getroffen werden Basel und Zürich. Beide Städte waren in den Vorjahren mehrmals ins Visier geraten. In Zürich gibt es fünf Tote, als eine landwirtschaftliche Schule bombardiert wird. In Basel trifft es den Güterbahnhof. An diesem Tag wird vor allem das Wetter für den Irrtum verantwortlich gemacht. Die meisten der über Süddeutschland eingesetzten alliierten Bomber kehren deshalb unverrichteter Dinge zurück. Einige versuchen aber, Ausweichziele zu finden, was zu dem folgenschweren Irrtum führt. Die Piloten und Navigatoren werden in Großbritannien vor ein Kriegsgericht gestellt. Das stellt Fahrlässigkeit fest, spricht die Angeklagten aber frei. Insgesamt kommen durch irrtümliche Bombenangriffe zwischen 1940 und 1945 84 Menschen in der Schweiz ums Leben.
Anerkennung für baltische Staaten
Litauen, Lettland und Estland gehörten neben Polen zu den Opfern des Hitler-Stalin-Pakts. Die Sowjetunion verleibte sich die drei Staaten 1940 gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll der Vereinbarung vom August 1939 als Sowjetrepubliken ein. Auch nach Kriegsende soll dieser Status wieder gelten. Die amerikanische Regierung teilt nun mit, dass sich ihre Rechtsauffassung nicht geändert habe. Die Gesandten der drei Staaten würden vom Außenministerium weiter anerkannt. Daran habe auch die Konferenz von Jalta nichts geändert. In den Jahren bis zum Ende der Sowjetunion kann der Westen de facto nichts für die baltischen Staaten tun. Die amerikanische Regierung ringt sich aber zu einigen symbolischen Gesten durch. So werden die Radioprogramme in den Landessprachen der drei Staaten in den achtziger Jahren vom Sender Radio Liberty, der für die Sowjetunion zuständig ist, zum Sender Radio Freies Europa, der in sowjetisch dominierte Länder außerhalb der UdSSR sendet, transferiert.
„Fortschritte“ in Italien
Sowohl die Alliierten als auch die Deutschen melden Frontverschiebungen im Raum Ravenna. Die von den Alliierten gemeldeten „Fortschritte“ sind allerdings nicht sehr groß. Das spiegelt ungefähr den aktuellen Stellenwert des italienischen Kriegsschauplatzes wider. Noch 1943 war Italien der wichtigste Schauplatz für Briten und Amerikaner gewesen. Die Landungen in Sizilien und später auf dem italienischen Festland wurden gegenüber einem misstrauischen Stalin als „zweite Front“ gegen Deutschland bezeichnet. Im Rahmen der Vorbereitung der großen Landeoperation in der Normandie im Sommer 1944 verschoben sich jedoch die Gewichte. Es wurden Soldaten aus Italien abgezogen. Dementsprechend blieben große Durchbrüche in Italien aus. Vielmehr gestaltete sich der alliierte Vormarsch sehr zäh.
Jugoslawische Partisanen marschieren in Sarajevo ein. Quelle: Unknown author (https://commons.wikimedia.org/wiki/Fi...