Das Rotkäppchen-Syndrom
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Das Rotkäppchen-Syndrom

Vertrauen und Misstrauen

Walter R. Kaiser

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  1. 108 Seiten
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Das Rotkäppchen-Syndrom

Vertrauen und Misstrauen

Walter R. Kaiser

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Über dieses Buch

ÜBER DAS BUCHWer kennt nicht das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf. Es soll der Großmutter Essen bringen, ist jedoch gegenüber dem Wolf zu vertrauensselig und wird von ihm gefressen. Im Märchen stecken viele Elemente des Vertrauens und seines Missbrauchs. Wölfe im übertragenen Sinne gibt es im alltäglichen Leben: Partner, Chefs, Politiker, Verkäufer, Firmen, Banken, Staat, Kirchen. Vertrauen entsteht langsam und geht schnell verloren. Es ist unsichtbares Kapital und zugleich flüchtiges Gut. Vertrauen wird missverstanden, missbraucht und mit ihm wird auch betrogen. Doch ohne Vertrauen läuft nichts.Der Leser erfährt, was Vertrauen eigentlich ist: keine Eigenschaft einer Person sondern eine von Beziehungen. Man erkennt, wie Vertrauen zwischen Personen entsteht (interpersonales Vertrauen), wann man Organisationen vertrauen darf (Systemvertrauen) und wann nicht. Es wird erläutert, welche Bedeutung Vertrauen für das tägliche Leben hat. Und es wird dargelegt, dass ohne ein gesundes Misstrauen kein Vertrauen möglich ist. Wer immer nur vertraut - so eine der Folgerungen des Autors - ist entweder naiv oder dumm. Vertrauen ist stets eine riskante Vorleistung.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783739291147

III Hinter der Systemfassade

Vertrauen reduziert Komplexität

Warum wir ohne Vertrauen das Bett nicht verlassen könnten. Komplexität, Systeme und wie Vertrauen im Umgang damit hilft. Doch ein kurzer Blick auf das Selbstvertrauen.
Es ist eine fast schon sehr triviale Aussage, dass wir nicht alle Faktoren kennen können, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Nicht nur, dass vieles in uns unbewusst abläuft. In der Welt um uns herum hängt letztlich alles mit allem zusammen. Und selbst entfernte kleinste Ereignisse, von denen wir nicht einmal etwas ahnen, können das Geschehen heute und künftig beeinflussen. Es ist das, was man den „Schmetterlingseffekt“ nennt. Der Begriff stammt vom Meteorologen und Mathematiker Edward N. Lorenz (1917 – 2008) aus der Überschrift seines 1972 gehaltenen Vortrages mit dem Titel „Vorhersagbarkeit: Kann der Flügelschlag eines Schmetterling in Brasilien einen Tornado in Texas verursachen?“ 22.
Die Welt ist ein komplexes System. Komplexität meint, dass ein System aus vielen einzelnen Elementen besteht, die miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Ein Sandhügel beispielsweise wäre kein komplexes System. Er hat zwar viele Elemente, die jedoch nur sehr einfach, allein durch ihre Lage miteinander verknüpft sind. Eine Ameisenkolonie dagegen ist ein komplexes System. Die Ameisen kommunizieren miteinander und beeinflussen sich dadurch gegenseitig. Ein größeres Unternehmen beispielsweise strotzt vor Komplexität. Es ist ein komplexes soziales System.
Der Soziologe und Gesellschaftskritiker Niklas Luhmann (1927 – 1998) hat in seinem Buch mit dem Titel „Vertrauen“ die These aufgestellt, dass Vertrauen dazu diene, die Komplexität für uns Menschen zu verringern. Er meinte, für Einzelperson sei die Welt zu komplex.23 Erst durch Vertrauen würden wir entscheidungs- und damit auch handlungsfähig bleiben. Man könne sich nämlich „über künftiges Verhalten anderer nicht vollständig und nicht zuverlässig informieren“.24
Und etwas ironisch meint Luhmann gleich auf der ersten Seite seines Buches: „Ohne jegliches Vertrauen aber könnte er [also der Mensch] morgens sein Bett nicht verlassen. Unbestimmte Angst, lähmendes Entsetzen befielen ihn. […] Solch eine unvermittelte Konfrontierung mit der äußersten Komplexität der Welt hält kein Mensch aus.“25 Luhmann geht jedoch nicht davon aus, dass unsere Welt, auch unser soziales Umfeld chaotisch sei, also ohne irgendwelche Regelmäßigkeiten. Denn, so schreibt er: „Dem Chaos kann man nicht vertrauen.“26 Während wir uns bisher fast nur mit dem persönlichen, also dem interpersonalen Vertrauen befasst haben, werde wir nun mit Luhmann und einigen anderen Autoren den Schritt darüber hinaus machen: zum System- oder Organisationsvertrauen.
Wir vertrauen ja beispielsweise der Stiftung Warentest, dass deren Ergebnisse die Qualität der getesteten Produkte weitgehend objektiv widergeben. Wir vertrauen im Straßenverkehr darauf, dass sich die anderen uns unbekannten Verkehrsteilnehmer an die Straßenverkehrsordnung und die Verkehrsregeln halten. Als Sachbearbeiter in der Kreditabteilung einer Bank vertrauen wir darauf, dass die Bonitätsauskunft der SCHUFA, der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung, die Kreditwürdigkeit einer Person richtig darstellt. Und wir vertrauen sogar darauf, dass uns wildfremde Personen nicht betrügen, wenn wir im Internet beispielsweise bei Ebay oder Amazon oder einem anderen Kaufportal Waren bestellen und das Geld vorab überweisen. Und das weltweit verbreitete größte Vertrauen, unabhängig von Personen, Religionen und Kulturen ist das Vertrauen in das Geld. Wir vertrauen darauf, dass wir es jederzeit in konkrete Waren oder Dienstleistungen verwandeln können, obwohl der Materialwert eines Geldscheines oder Münze verschwindend klein ist.
Es gibt also neben dem Vertrauen in Personen, ein Vertrauen in Organisationen, ein Vertrauen in Abläufe, allgemein gesagt: Vertrauen in Systeme. Es gibt auch noch Vertrauen sogar in tote Dinge wie z.B. das Vertrauen in unser Auto, unsere Kaffeemaschine oder unseren Talisman. Gläubige haben auch noch Vertrauen in Gott, das Gottvertrauen. Und nicht zu vergessen das Vertrauen in unseren Hund, unsere Katze oder unser Pferd. Als Käufer oder Verkäufer vertrauen wir in den Markt. Und als Bürger eines Staates vertrauen wir vielleicht auch in die Gesellschaft – wenn auch hoffentlich nicht blind.
Der US-amerikanische Autor Stephen M. R. Covey sieht Vertrauen sich ausbreiten wie Wellen. Zentrum und damit Ursprung der Vertrauenswellen sei das Selbstvertrauen (self trust), dann folge als erste Welle das Vertrauen in Personen (relationship trust), danach käme das Vertrauen in Organisationen (organizational trust), gefolgt vom Vertrauen in den Markt (market trust) und als letzte Welle das Vertrauen in die Gesellschaft allgemein (societal trust).
Abb. 5: Vertrauenswellen
Vertrauen kann man sich vorstellen als eine Wellenbewegung. Sie beginnt beim Selbstvertrauen und breitet sich aus bis hin zum generellen Vertrauen in die Gesellschaft. Das Vertrauensrisiko nimmt zu.
Für jede dieser Wellen definieren Covey und seine Mitautorin Rebecca Merril Schlüsselemente (key principle). Für das Selbstvertrauen seien es Glaubwürdigkeit (credibility), für das Personenvertrauen Widerspruchsfreiheit (consistent behavior), für das Organisationsvertrauen Ausrichtung auf eigene Ziele (alignment), für das Marktvertrauen Ansehen und Ruf (reputation), für das Gesellschaftsvertrauen Mitwirkung und Beitrag (contribution).
Organisationen, Märkte und Gesellschaften sind soziale Systeme. Wir habe also bis hier zwei unterschiedliche Typen des Vertrauens: interpersonales oder Personenvertrauen und Systemvertrauen. Die Frage jetzt ist: Braucht Vertrauen Kontrolle?

Systemvertrauen und Kontrolle

Wir sind zum Vertrauen verdammt. Zuverlässigkeit in Organisationen durch organisiertes Misstrauen. Vertrauen ist niemals nur Selbstzweck. Rechtsystem als Beispiel von Systemvertrauen. Wie sich Vertrauen und Misstrauen schrittweise entwickeln.
Wir leben in einer Welt mit unzähligen Organisationen und Institutionen. Das sind, wie schon erläutert wurde, komplexe soziale Systeme. Wir müssen, um überhaupt zurechtzukommen, diesen Systemen erst einmal vertrauen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Vertrauen in der Krise“ gibt zu bedenken: „Durch die Globalisierung ist es immer wichtiger, Menschen zu vertrauen, die fern und unbekannt sind, und zunehmende Technologisierung und Komplexität der globalisierten Welt erfordert Vertrauen in Dinge und Systeme, die vom Einzelne nicht mehr im Detail verstanden werden können.“27
Wir sind also nicht in der Lage deren Zuverlässigkeit oder Vertrauenswürdigkeit selbst zu prüfen. Solche Systeme sind beispielsweise das Rechtssystem, das Verkehrssystem oder in Demokratien das parlamentarische System, aber natürlich auch Unternehmen wie Microsoft, Siemens oder Deutsche Bank. Organisationen wären ADAC, Stiftung Warentest, SCHUFA, TÜV aber auch Ratingagenturen, Rotes Kreuz, Religionsgemeinschaften und Vereine. Wie kommen wir dazu, diesen Institutionen zu vertrauen oder umgekehrt, wann haben sie unser Vertrauen verspielt?
Stiftung Warentest, SCHUFA oder TÜV kann man einerseits als Vertrauensagenturen betrachten. Anderseits sind sich auch Misstrauensagenturen. Wie erhalten sie ihre Vertrauenswürdigkeit? Eine Stiftung Warentest, die keine negativen Testergebnisse vorweist, eine SCHUFA, die keine schwarzen Schafe findet, ein TÜV, der keinem Fahrzeug die TÜV-Plakette verweigert, wird Vertrauen verlieren. Politische Skandale von Einzelpersonen können, so widersinnig das auf den ersten Blick scheint, das Vertrauen in das Politiksystem erhöhen. Demonstrieren sie doch, „dass die Institutionen des Misstrauens funktionieren“.28
Während beim persönlichen Vertrauen man der Meinung sein könnte, Vertrauen habe einen Wert an sich, sei unabhängig von irgendwelchen Absichten, können wir das beim Vertrauen in Organisationen nicht mehr behaupten. Martin Hartmann (*1968), Professor für praktische Philosophie an der Universität Luzern meint: „Vertrauen ist nicht einfach an sich wertvoll, obwohl der Begriff häufig mit der Aura des Guten umgeben ist. Der Wert des Vertrauens bemisst sich immer auch an dem Wert der Ziele und Zwecke, die im Vertrauen verwirklicht werden“.29 Vertrauen findet also nicht im luftleeren Raum statt. Der Vertrauensgeber aber auch der Vertrauensnehmer haben Absichten, die mit und durch Vertrauen verwirklicht werden sollen.
Abb. 6: Systemvertrauen
Vertrauen in ein System (Firma, Organisation, Recht etc.) kann man haben, wenn Kompetenz vorhanden ist, man sich an Regeln hält, alle Teilnehmer gleich behandelt werden und Verstöße (Ungerechtigkeit, Korruption) aufgedeckt und bestraft werden. Kontrolle im System ist erforderlich, um Vertrauen zu entwickeln und zu erhalten.
Nehmen wir als Beispiel das Rechtssystem. Einer der zentralen Zwecke eines Rechtssystems ist es – und es ist hier ein unabhängiges Rechtssystem gemeint – für Rechtssicherheit in einer Gesellschaft zu sorgen. Es wird mittels Regeln, also Gesetze, festgelegt, was verboten ist und welche Sanktionen man zu erwarten hat, wenn diese Verbote überschritten werden. Richter sorgen für die Rechtsprechung und Anwälte auf Seiten der Kläger und der Beklagten sorgen für zumindest theoretische Chancengleichheit vor Gericht.
Erwartet wird, dass die Rechtsprofis, also Richter und Anwälte, ihre Geschäft beherrschen. Sie sollten also in ihrer Profession kompetent sein. Dafür sorgt eine entsprechende Ausbildung mit abschließenden Zertifikaten. Es wird zudem erwartet, dass sie sich an die Regeln halten, die bei Rechtsstreitigkeiten zu beachten sind, dass beispielweise die Zivil- oder Strafprozessordnung befolgt wird, also Regeltreue. Und damit hätten wir an diesem Beispiel schon einige Faktoren, die für die Vertrauenswürdigkeit eines System wichtig sind: Kompetenz, Regeltreue, Gleichbehandlung und Sanktionen.
Nun wissen wir, dass das Rechtssystem missbraucht werden kann. Dies ist in unserer jüngeren Vergangenheit während des sogenannten Dritten Reiches geschehen. Es geschieht aber auch heute noch in Diktaturen in großem Maße. Aber auch Demokratien sind nicht immun dagegen. Man hält sich nicht an Regeln, die für alle gelten sollten. Nicht selten finden inkompetente aber regimetreue oder regimehörige Personen durch Protektion den Weg ins Richteramt. Es ist nachvollziehbar, dass dann das Vertrauen der Bürger in das Rechtssystem leidet oder im Extremfall ganz verloren geht.
Was passiert jedoch, wenn beispielsweise ein einzelner Richter ungerechte Urteile fällt oder bestechlich ist? Geht das Vertrauen in die Institution dann verloren? – Es kommt darauf an. Wenn versucht wird, dieses Fehlverhalten zu vertuschen, auch durch Mithilfe von Kollegen oder übergeordneten Instanzen, wäre ein Vertrauensverlust in das Rechtssystem unausweichlich, falls das bekannt würde. Wenn jedoch solch ein Fall sofort und konsequent verfolgt wird und die betreffende Person angemessene Sanktionen zu spüren bekommt, muss das Vertrauen nicht unbedingt leiden. Denn dadurch, dass Fehlverhalten erkannt und abgestellt wird, zeigt sich die Funktionsfähigkeit und damit Vertrauenswürdigkeit des Systems.
Man könnte es auch so formulieren: Vertrauen in ein System wird bei individuellem Fehlverhalten nicht zerstört, wenn ein Kontrollmechanismus vorhanden ist, der solches Fehlverhalten aufdeckt und korrigiert. Kontrolle heißt aber nicht Vertrauen; es bedeutet immer Misstrauen. Also kann man folgern, dass für ein dauerhaftes Systemvertrauen innerhalb des Systems ein Misstrauens-, also ein Kontrollsystem etabliert sein muss. Oder, um es mit Worten von Luhmann auszudrücken: „Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit von Systemen schließt Vertrauen in die Funktionsfähigkeit ihrer immanenten Kontrollen ein.“30
Das klingt einleuchtend. Es wird jedoch ein anderes Problem offensichtlich. Wer kontrolliert? Wer sorgt dafür, dass das „System selbst unter Kontrolle gehalten wird“, wie es Luhmann formuliert? Es ist dafür meist Spezialwissen erforderlich. Man braucht also Spezialisten. Das heißt aber, dass das Vertrauen in ein System auch davon bestimmt wird, dass wir den Spezialisten vertrauen, die dieses System kontrollieren – und das sind wiederum Personen.
Abb. 7: Schritte zum Vertrauensaufbau
Vertrauen in ...

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