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Wechselspiele zweier Medien

Klaus Kastberger, Christian Neuhuber, Klaus Kastberger, Christian Neuhuber

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Wechselspiele zweier Medien

Klaus Kastberger, Christian Neuhuber, Klaus Kastberger, Christian Neuhuber

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Über dieses Buch

Der literarische Nachlass macht als mediale Formation ein Verständnis des Archivarischen unabdingbar. Betrachten Kreative ihre Werkstätten selbst schon als künftige Archive? Welche Wechselspiele ergeben sich zwischen Archiv und Literatur? Und worin gründen Gattungsformen wie Archivroman, Roman-Blog oder Dokufiktion? Beiträge renommierter KulturwissenschaftlerInnen zeigen hier exemplarisch auf, wie sich Literatur und Archiv gegenseitig bedingen.

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Information

Jahr
2021
ISBN
9783110742633

Marlen Haushofers literarischer Nachlass zwischen Bewahrungsbemühen und Zerstörungswut

Nick Büscher
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, für Mäuse zu schreiben.
(Marlen Haushofer, Die Wand)

1 Prekäres Schaffen und Archivieren oder: Die literarische ‚Nische‘ der Schriftstellerin Marlen Haushofer

Es ist ein besonderes Unterfangen, sich der Thematik ‚Archiv und Literatur‘ im Jahr des 100. Geburtstages und 50. Todestages der oberösterreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer (1920–1970) zu widmen, fällt doch ein Blick auf die aktuelle Nachlasssituation Haushofers ernüchternd aus, wie bereits Daniela Strigl (vgl. 2008, 11) feststellt: Teile des Nachlasses, vorwiegend das Manuskript eines der prominentesten Texte, Die Wand, werden im Österreichischen Archiv für Literatur in Wien verwahrt, die sogenannten Kinderbücher wie Himmel, der nirgendwo endet sind im StifterHaus in Linz untergebracht, während ein Großteil des Nachlasses, dessen Umfang nicht abzuschätzen ist, sich im Privatbesitz von Sybille Haushofer befindet. Zersplittert und fragmentarisch erscheint somit der literarische Nachlass, der ein Nachlass in Teilen ist und sich dem unermüdlichen Bestreben des Archivars wie der Literaturwissenschaft, sich einen Überblick verschaffen, systematisieren und wissenschaftlich daran arbeiten zu wollen, entzieht.1 In Anbetracht der aktuellen Nachlasssituation musste der Anspruch, anlässlich des ‚Haushoferjahres‘ 2020 eine Ausgabe des Gesamtwerks vorlegen zu können, ein gut gemeinter, aber wenig realistischer Vorsatz bleiben.
Versucht man, diese nicht nur im Sinne des archivarischen Anspruchs prekäre Nachlasssituation zu erfassen, so zeigt der biografische Hintergrund des literarischen Schaffens Haushofers, dass die Schriftstellerin sich zeitlebens ihre literarische ‚Nische‘ suchen musste.2 Im Kontrast zu anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Adalbert Stifter, Thomas Bernhard oder Ingeborg Bachmann beschränkte sich der Platz des literarischen Schaffens zeitlich wie räumlich, musste Haushofer den familiären und beruflichen Verpflichtungen Genüge tun, um Freiheit zum Schreiben zu erhalten. Kein eigener Schreibtisch oder gar ein Arbeitszimmer diente der Schriftstellerin für das literarische Wirken, sondern lediglich der Küchentisch musste zum Schreiben herhalten, während die Manuskripte oftmals in Schulheften niedergeschrieben worden sind, wie Christine Schmidjell bezüglich der Werkgenese der Wand gezeigt hat (vgl. 2000, 41–58, insb. 45–46).3 Petra-Maria Dallinger hat darauf hingewiesen, dass das Arbeitszimmer als „selbstverständlicher Ort für den Arbeitsprozess“ (Dallinger 2016, 107) bei Haushofer fehlt und eher „als ein innerer Raum vorstellbar“ (Dallinger 2016, 119)4 ist, welcher mit Lotte Podgornik als „Spaltung“ (Podgornik 1993, 52) begriffen werden kann. So lässt sich auch insgesamt eine gewisse Parallelität zwischen der Partikularität des Nachlasses und der Schriftstellerinnenexistenz Haushofers feststellen.
Bei Haushofer lässt sich, so die These, im Schreiben als Frau ein Bewusstsein dafür feststellen, dass das eigene literarische Schaffen in bestimmten Räumen der Produktion und des Schreibens stattfindet und dass auch die Frage des Archivs und des Nachlasses im Raum steht. Das Schreiben und Schaffen der weiblichen Figuren wird durch das Changieren zwischen Bewahren und Vernichten der Schrift bestimmt, die Schreibsituationen jenseits „genuine[r] Ordnungszusammenhänge“ (Kastberger und Maurer 2016, 8)5 ist existenziell prekär und dem Bewusstsein der Desillusionierung des eigenen Bemühens unterworfen.6 Dabei zeigen sich Parallelen hinsichtlich des Wechselspiels zwischen der Sisyphusarbeit des literarischen Schaffens und Bewahrens einerseits und dem Wissen um die Vergeblichkeit des eigenen Tuns andererseits. Die von Klaus Kastberger und Stefan Maurer so bezeichnete „Werkstatt des Dichters“ (Kastberger und Maurer 2016, 7) ist der vom Leben abgerungene Schutzraum, der zur Bedingung der Möglichkeit schriftstellerischen Überlebens wird. Im Sinne Haushofers ist das Schreiben auch immer ein Schreiben über sich,7 ohne dass dieses notwendigerweise zu rein biografistischen Auslegungen der literarischen Texte führen muss. In Anbetracht des biografischen Hintergrunds und der konkreten Arbeitssituation der Schriftstellerin Haushofer, die ihr Schaffen Strigl zufolge bewusst als „‚Hausfrauenprosa‘“ (Strigl 2008, 241)8 inszenierte, zeigt bei genauerer Betrachtung der literarischen Texte eine gewisse Konvergenz zwischen der außerhalb wie innerhalb der Fiktion vorhandenen Situation künstlerisch Schaffender im Allgemeinen wie Schreibender im Speziellen.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich eine werkbezogene Konvergenz zwischen der autorinnenbiografischen wie literarischen Verweigerungshaltung gegenüber (literatur-)archivarischen Ordnungs- und Bewahrungsbemühungen einerseits und der Vernichtung als anti-archivarischer Reflex andererseits. Letzteres kann als Akt der Selbstbestimmung verstanden werden, um sich vor der von Kastberger so formulierten archivarischen Formation des Nachlasses als „das Werk plus das Werk-Außerhalb minus dem Autor“ (Kastberger 2016, 24)9 zu schützen. Die Autonomie der Autorin Haushofer wie ihres Werks zeigt sich darin, sich dem Archiv als institutionellem (oder imaginiertem) Ort der systematischen Be- und Verwahrung von Literatur im weiteren Sinne zu entziehen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich Literatur in den Texten Haushofers realisiert, sodass dieselbe keiner Archivierung mehr bedarf. Literatur entgrenzt sich im Interfiktionalen der Texte zur Realität dergestalt, dass nicht die Literatur im Archiv bewahrt wird, sondern die Literatur selbst zum Archiv wird. Haushofers Literatur unternimmt dabei den Versuch, sich der eigenen Archivierung zu entziehen, indem sie das Leben archiviert und sich selbst dadurch ‚verlebendigt‘. Im Fokus der folgenden Betrachtung stehen Die Tapetentür (1957), Wir töten Stella (1958), Die Wand (1963), Bartls Abenteuer (1964), Himmel, der nirgendwo endet (1966) und Die Mansarde (1969), wobei die ambivalente Haltung der schreibenden und schaffenden Figuren zur Bewahrung und Vernichtung der Schrift sowie der Subjektivität und Entgrenzung in den Mittelpunkt rückt: Nicht Literatur wird zum Teil des Archivs, sondern vielmehr wird das Leben zum Archiv der Literatur.10

2 Das Prekäre des Schreibens als Frau und des Archivierens

In Haushofers Texten ist der Schreibtisch für die weiblichen Figuren die ambivalente Projektionsfläche für das isolative wie unverfügbare literarische Schaffen. So streichelt die Protagonistin Annette in der Tapetentür lediglich den Schreibtisch ihres Mannes Gregor, auch für die kleine Meta in Himmel, der nirgendwo endet besitzt der Schreibtisch des Vaters etwas Unverfügbares und Traumhaftes, ist jener Ort des Schreibens ein „Heiligtum“ (H 145), das die Mutter nie abstauben darf. Der Schreibtisch bleibt den weiblichen Figuren als Ort des künstlerischen Schaffens vorenthalten, sie müssen sich, wie die namenlose Ich-Erzählerin in Die Wand, mit dem Küchentisch des Jagdhauses11 begnügen oder sich wie im Roman Die Mansarde zurückziehen in die Einsamkeit derselben, um am Zeichentisch ihr „Mansardenleben“ (M 26) führen zu können. Mit Strigl ist dies als doppelte Flucht der Protagonistin in Ertauben und das anschließende Waldexil zu betrachten, die schließlich im Rückzug zum „Zufluchtsort“ (Strigl 2008, 304) der Mansarde mündet.12 Der Ort des künstlerischen und weiblichen Schaffens ist reduziert und prekär, begründet Markus Bundi zufolge jedoch als „Schreibort, an dem sich die Erzählinstanz [...] einrichtet“, den literarischen „Sprachraum[ ]“ (Bundi 2019, 35). Mit Elke Brüns können diese Orte als „Bilder der weiblichen Existenz und ihrer Behinderungen“ (Brüns 2000, 30; vgl. auch Gürtler 2012, 99) gelesen werden. Evelyne Polt-Heinzl betrachtet die Mansarde zu Recht als „eine Art exterritoriales Gehege“ (Polt-Heinzl 2010, 39),13 das Schutzraum und Gefängnis zugleich ist (vgl. Podgornik 1993, 67). In der Wand ist die Bedingung der Möglichkeit des Schreibens nichts weniger als die Isolation hinter einer gläsernen Wand, nach Christa Gürtler in der Reihung der „Metaphorisierung der Räume“ (Gürtler 2012, 99)14 des Erinnerns und Verdrängens der radikalste Ort der Isolation und Abgeschiedenheit, jenseits dessen die Menschheit vernichtet worden ist. Dem ungeachtet gestaltet sich die Schreibsituation schwierig, sind die Notizen „spärlich“ (W 7) und ihre Erinnerung an dieselben meist trügerisch (vgl. W 236). Auch das Schreibinventar ist rudimentär: „Ich besitze einen Kugelschreiber und drei Bleistifte. Der Kugelschreiber ist fast ausgetrocknet, und mit Bleistift schreibe ich sehr ungern. Die zarten grauen Striche schwimmen auf dem gelblichen Grund. Aber ich habe ja keine Wahl. Ich schreibe auf der Rückseite alter Kalender und auf vergilbtem Geschäftspapier“ (W 8), bis „kein Blatt Papier übriggeblieben [ist]“ (W 276).
Auch die Tätigkeit des Schreibens und Schaffens der weiblichen Figuren ist von einem negativen Selbstbild geprägt, das Schreiben erfolgt oftmals heimlich und unter Entbehrungen. Eine bestimmte „Eintragung“ (T 61) im Tagebuch empfindet Annette selbst als Laster (vgl. T 12) und isoliert sie. Das Schreiben selbst wird zu etwas Anrüchigem, sind Schriftsteller doch in Annettes Augen „raffinierte[ ] Lügner“ (T 93), und das Lesen ist für die bezeichnenderweise in einer Bibliothek tätigen Protagonistin „keine besondere Gabe“ (T 128). Im Schreiben und künstlerischen Schaffen liegt etwas Isolatorisches und Solipsistisches; auch wenn die namenlose Ich-Erzählerin in der Mansarde es beispielsweise mit ihrem Talent „zu einer gewissen Meisterschaft gebracht“ (M 21) hat, so bleibt dieses meist heimlich und die Ergebnisse des eigenen Schaffens verschwinden im Zeichentisch. Die Figur Anna befindet in Wir töten Stella ebenfalls, dass der einzige Mensch, der ihr einen wichtigen Brief schreiben könnte, sie selbst sei, wobei sie sich allerdings diesem Schreiben an sich selbst verweigert. Doch sch...

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