Transitzonen zwischen Literatur und Museum
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Transitzonen zwischen Literatur und Museum

  1. 288 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Transitzonen zwischen Literatur und Museum

Über dieses Buch

Das Verhältnis von Literatur und Ausstellung ist meist mit Blick auf die Frage nach der Ausstellbarkeit des Literarischen behandelt worden. Seltener wurde jedoch das Ausstellen als literarisches Dispositiv hinterfragt. Der Band versammelt interdisziplinär offene Ansätze, die einen doppelten Blick auf Ausstellungs- und literarische Praktiken werfen, und untersucht Wechselbeziehungen, die das Spannungsfeld Ausstellung/Museum/Literatur auszeichnen.

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Information

Jahr
2021
ISBN drucken
9783110691511
eBook-ISBN:
9783110691627

Medienkonkurrenz und -überschreitung

Architektur vs. Literatur? Inszenierung, Hierarchisierung und Marginalisierung von Literatur: Eine Analyse der Ausstellung im spanischen Ehrengastpavillon auf der Frankfurter Buchmesse 1991

Marco Thomas Bosshard

1 Einleitung: Ehrengastauftritte auf der Frankfurter Buchmesse

Einige Jahre nach der Transición, d. h. dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie (1975 – 1982), und nur fünf Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft 1986 präsentierte sich Spanien 1991 als sogenannter Ehrengast auf der weltweit wichtigsten und größten Buchmesse in Frankfurt am Main.1 Diese „Ehre“ wurde Spanien als viertes Land überhaupt nach der Etablierung dieses Ehrengastlandformats durch die Frankfurter Messeleitung zuteil: Zuvor waren 1988 Italien, 1989 Frankreich und 1990 Japan an der Reihe.2 Das Herzstück dieses 1991 unter dem Motto „La hora de España“ („die Stunde Spaniens“) und mit dem stilisierten Konterfei Francisco de Quevedos (vgl. Abb. 1) angekündigten und vom spanischen Literaturwissenschaftler Andrés Amorós als Präsident des Organisationskomitees verantworteten Ehrengastauftritts ist (und das bis heute) ein aufwändig gestalteter Ehrengastpavillon mit mehr als 2000 Quadratmetern Fläche: ein Raum, der dem Ehrengast die Gelegenheit geben soll, seine Literatur- und Buchproduktion einer internationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Abb. 1: Offizielles Logo des spanischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 1991
Dieser 1991 von Spanien verantwortete Pavillon (vgl. Abb. 2 – 4) inklusive seiner Ausstellungen – auch von Büchern und Literatur – steht im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen. Das von der Frankfurter Buchmesse etablierte Ehrengast- und Pavillonformat ist inzwischen in weite Teile der Welt exportiert und von vielen anderen internationalen Buchmessen adaptiert worden: Trotz seiner noch zu erläuternden Spezifität und Singularität ist es insofern in gewisser Weise doch bereits hochgradig standardisiert. Dadurch werden Buchmessen zu international rezipierten Vermittlungsräumen und Konsekrationsinstanzen für nationale und ggf. auch regionale Literaturen, wobei Literaturausstellungen in diesem Rahmen eine sehr wichtige Rolle spielen.3
Dennoch gibt es von Buchmesse zu Buchmesse Unterschiede, die vor allem die Rezeption dieser Pavillon-Ausstellungen betreffen: Während beispielsweise die Ehrengastpavillons auf den großen lateinamerikanischen Buchmessen in Guadalajara, Buenos Aires und Bogotá über längere Zeit – manchmal wochenlang – besichtigt werden können, beschränkt sich der Zugang für das „gemeine“ Publikum auf der zu zwei Dritteln von Fachbesucher·innen geprägten, ohnehin nur fünftägigen Frankfurter Buchmesse auf gerade einmal zwei Tage. Dies steht selbstredend in keinerlei Verhältnis zum immensen planerischen, kuratorischen, logistischen und auch finanziellen Aufwand, der einer solchen Ausstellung vorangeht. Auch für die Rekonstruktion – und mithin für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstand – bedeutet dies eine immense Herausforderung, bei der die herkömmlichen Strategien der normalerweise auf Dauer- oder zumindest auf längere Sonderausstellungen beschränkten Ausstellungsanalyse (vgl. u. a. Baur 2011; Hochkirchen und Kollar 2015; Scholze 2004) oft nur ansatzweise umgesetzt werden können. Bei bereits länger zurückliegenden Veranstaltungen wie im Falle von Spanien 1991 ist man überdies abhängig von fotografischen Zufallsfunden – von Pressefotos, oft auch Schnappschüssen –, die den Gegenstand nur bedingt repräsentativ und schon gar nicht systematisch abzubilden in der Lage sind.4 So können wir dank ihnen zwar häufig die Makrostruktur und das Gesamtkonzept der Ausstellung beschreiben; die Kleinigkeiten, die Details, die einzelnen Exponate und ihre Anordnung jedoch sind nicht immer vollumfänglich beschreibbar – selbst dann nicht, wenn man die Möglichkeit hat, Zeitzeugen oder gar Kuratoren zu interviewen.
Abb. 2: Panoramaansicht des spanischen Ehrengastpavillons auf der Frankfurter Buchmesse 1991

2 Der spanische Ehrengastpavillon: ein erster Überblick

Aus den panoramaartigen Fotografien aus dem spanischen Ehrengastpavillon der Frankfurter Buchmesse 1991 geht hervor, dass die Ausstellungsmacher durch das abgedunkelte Ambiente, die Scheinwerfer und Vorhänge offenbar die Theatralität, d. h. den Inszenierungscharakter der Veranstaltung, die ihrerseits die spanische Literatur ins rechte Licht rücken sollte, unterstreichen wollten (vgl. Abb. 3). Man kann hier einerseits einen Verweis auf die ausgeprägte Theatermetaphorik des Siglo de oro, d. h. des „Goldenen Zeitalters“ der spanischen Literatur, erkennen, das Theater und Welt, Theater und Leben – man denke etwa an Calderón de la Barcas El gran teatro del mundo (1655) – oft genug gleichgesetzt hat. Andererseits erkennt man bei genauerem Hinsehen aber auch, dass die vermeintlich roten Vorhänge in Wirklichkeit violette waren, mit gelben Hinterseiten – also den Farben, die für die capas, die Tücher spanischer Toreros, charakteristisch sind (vgl. Abb. 4). Im Zusammenspiel mit dem Sand5, der in der ganzen Ausstellungshalle auf dem Boden aufgeschüttet wurde, und den Emporen und Umgängen über der unteren Fläche, die an ein Stadion gemahnen, ist die gewollte, überaus stereotype Evokation einer „Stierkampfarena“ (Weidhaas 2007, 243) schnell etabliert.
Abb. 3: Theateratmosphäre im spanischen Ehrengastpavillon
Abb. 4: Panoramaansicht des spanischen Ehrengastpavillons mit violett-gelben Vorhängen
Allerdings geht es im Rahmen dieses Artikels nicht um die Rezeption dieser Installation, bei der die verwendeten Spanien-Klischees häufig genug mit spöttischem Unterton kritisiert worden sind.6 Denn unterhalb dieser ersten, Spanien sehr stereotyp repräsentierenden Ebene verbergen sich weitere Ebenen, die in ihrem Zusammenspiel ein durchaus komplexes Bedeutungsgewebe konstituieren. Angesichts der Tatsache, dass der Pavillon selbst vom Architekten Alfredo Arribas entworfen wurde, der auch für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Barcelona 1992 verantwortlich zeichnete, ist die Behauptung naheliegend, dass dem Ausstellungskonzept ein ambitionierter architektonischer Anspruch zugrunde lag. Gleichzeitig stellt sich dann allerdings auch die Frage, wie sich das Medium Architektur in diesem Buchmessekontext zum eigentlichen Exponat der Veranstaltung, der Literatur, verhält: antagonistisch7, wie dies das „vs.“ im Titel dieses Artikels insinuiert – in Form einer „Medienkonkurrenz“ –, oder doch eher komplementär oder gar symbiotisch? Daran anknüpfend, wird ebenfalls zu erörtern sein, welchen Stellenwert der Kanon der spanischen Literatur in den Ausstellungsdispositiven des Ehrengastpavillons einnimmt und welche möglichen Hierarchisierungen und Marginalisierungen er gegebenenfalls nach sich zieht.

3 Das ursprüngliche architektonische Konzept des spanischen Ehrengastpavillons 1991

Wie zu zeigen sein wird, weisen die architektonischen Entwürfe und Modelle des spanischen Ehrengastpavillons gegenüber der finalen, konkreten Umsetzung in Frankfurt 1991 einige signifikante und insofern für die Interpretation der Ausstellung aufschlussreiche Unterschiede auf. Wie wir auf der ursprünglichen Pavillonskizze (Abb. 5) feststellen können, besteht das Zentrum des Pavillons seinerseits aus acht unterschiedlichen kleineren Subpavillons mit acht ebenso unterschiedlichen, charakteristischen Formen und Grundrissen.8 Dies ist auf der Abbildung 6 noch einmal besser zu erkennen.
Abb. 5: Skizze des spanischen Ehrengastp...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung
  5. Ausstellungen schreiben, Ausstellungen lesen
  6. Museumrepräsentation und Repräsentation im Museum
  7. Medienkonkurrenz und -überschreitung
  8. Literaturszenarien und Ausstellungsräume
  9. Autor·innenverzeichnis
  10. Personenregister
  11. Sachregister
  12. Museen und Institutionen