1. Impro-Basics oder „Bühne frei!“
1.1 Impro – Was ist das überhaupt?
Improtheater ist die Kunst, eine Szene aus dem Stegreif zu entwickeln. Die Spieler nehmen die Impulse von Mitspielern und Zuschauern auf und setzen sie spontan um. Maßgeblich wurde diese Theaterform von Keith Johnstone entwickelt, der seine eigene Theaterausbildung als einschüchternd und fantasietötend empfunden hatte. Als Regisseur und Schauspiellehrer in London animierte er daher seine Schüler zu mehr Spontaneität, indem er sie auf der Bühne Grimassen schneiden ließ oder sie dazu brachte, sich spielerisch zu ärgern. Damit widersetzte er sich sämtlichen Regeln, die er in seiner eigenen Ausbildung kennengelernt hatte. Als er sah, dass seine Schüler wieder mit mehr Freude spielten, entwickelte Johnstone daraus Theaterregeln. Neben Viola Spolin gilt er als einer der Begründer des Improtheaters.1
Wenn Menschen sich begegnen, folgt die Kommunikation keinem fertigen Drehbuch. Nicht einmal dann, wenn sich ein Gesprächspartner vorher genau überlegt, was er sagen möchte. Beim Improvisationstheater ist es genauso. Anders als in fertigen Theaterstücken gibt es keine auswendig gelernten Dialoge und Abläufe. Es gibt bestenfalls ein grobes Raster für ein Spielformat, das ein Gerüst bietet, doch noch keinen Inhalt. Die Geschichten auf der Bühne entstehen erst in dem Moment, in dem sie gespielt werden. Jede Szene, jeder Auftritt ist deshalb einzigartig, ist Premiere und gleichzeitig Derniere, wie die letzte Darbietung eines Stücks an einem Spielort heißt.
Das Thema, die Beziehung der Spieler zueinander oder der Schauplatz werden vom Publikum erfragt und unmittelbar umgesetzt. Es bleibt keine Zeit, lange zu überlegen oder sich miteinander abzustimmen. Keiner der Akteure weiß, welche Ideen die Mitspieler haben. Deshalb passiert es natürlich auch, dass einem Spieler partout nichts einfällt. Die Kunst besteht darin, locker zu bleiben und die Szene dennoch gut zu Ende zu bringen. Hier sind Spontaneität und Kreativität gefragt, ebenso wie der Mut zum Fehlermachen und die Lust am Probieren, die auch Scheitern einschließt. Ein paar Grundregeln sind sehr hilfreich. Sie sind leicht zu merken, doch nicht immer leicht umzusetzen.2
1.2 Grundregeln
Fahr deine Antennen aus!
Unsere Wahrnehmung ist die Grundlage für gemeinsames Spielen, für das, was gerade da ist. Daraus leiten sich folgende Anregungen ab:
- Sei im Hier und Jetzt!
- Sei aufmerksam!
- Achte auf die anderen, nimm ihre Signale wahr.
- Woher kommen Impulse?
- Woher kommen Angebote für eine Szene, wo ist mein Handeln gefragt?
Das alles wird leichter, wenn meine Wahrnehmung geschärft ist. Zum einen für meine Mitspieler, ihre Mimik, ihre Körpersprache, ihr gesprochenes Wort; zum anderen für die Wahrnehmung mir selbst gegenüber, um spontan meinen Impulsen zu folgen. Oft übersehen wir Signale, weil wir in Gedanken ganz woanders sind oder vielleicht schon den übernächsten Schritt planen. Dann kann es geschehen, dass ich ein Angebot meines Mitspielers schnell blockiere oder übersehe.
Es gibt kein „Falsch“.
Oft haben wir Angst davor, Fehler zu machen, etwas Falsches zu sagen oder nicht gut genug zu sein. Dann wollen wir unsere Worte sorgfältig planen. Das Improvisieren gibt nicht die Zeit, lange zu überlegen, ob unsere Idee richtig oder falsch ist. Alles, was an Impulsen kommt, ist richtig. Uneingeschränkt. Jede Idee ist in Ordnung. Für den Spieler bedeutet es, das Naheliegende zu sagen oder zu tun. Für den Spielpartner bedeutet es: „Was gesagt oder getan wurde, ist jetzt da, also nutze es.“ Und: „Mach was draus.“ Das klingt einfach, doch es ist nicht leicht umzusetzen. Wir steuern noch viel zu sehr, wägen ab, ob unser Gedanke richtig und in Ordnung ist. Ja, er ist in Ordnung. Es gibt kein „Falsch“.
Sag ja, nimm es an!
Diese Regel stellt eine Steigerung der vorherigen dar. Wie viele Teamgespräche oder Diskussionen ziehen sich endlos hin, weil jeder Vorschlag zunächst skeptisch betrachtet oder gar blockiert wird? Wie viele Ideen sterben, weil eine kritische Bemerkung sie im Keim erstickt? Allzu oft hören wir „Ja, aber …“ statt „Ja, genau!“ Spontane Ablehnung scheint uns leichter zu fallen als spontane Zustimmung. Beim Improtheater geht es genau darum, ohne großes Nachdenken „Ja“ zu sagen. Auch wenn du die Szene anders geplant hattest. Widerstände blockieren den Spielverlauf, Zustimmung fördert ihn.
1.3 Szenen entwickeln – Wie finde ich eine Idee?
In einer Szene sollte schnell klar sein, worum es darin geht. Das macht nicht nur dem Publikum, sondern auch den Spielern mehr Spaß und gibt Orientierung. Die wichtigsten Elemente, die schnell definiert werden müssen, werden in der Improszene mit CROW abgekürzt und bedeuten:
Character: Wer spielt mit, welche Personen sind das? Welche Typen treffen aufeinander?
Relationship: In welcher Beziehung stehen die beiden zueinander?
Objects: Worum geht es? Was tun die beiden hier zusammen?
Where / When? Wo und wann spielt die Szene?
CROW lässt sich schnell verdeutlichen, z. B. mit Aussagen wie: „Mami, ich will nicht zur Oma fahren!“ Wir wissen sofort, wer die Charaktere sind (Mutter und Kind) und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Die beiden sind vermutlich noch daheim (Where?) und das Thema „will nicht zur Oma“ verspricht einen Konflikt. Weitere Möglichkeiten für schnell definiertes CROW könnten beispielsweise sein: „Darf ich Ihnen die neue Schmuckkollektion zeigen, Herr Dr. Grünwald?“ (Hier bedient ein Juwelier einen Kunden, der vielleicht für seine Geliebte etwas kaufen möchte.) Oder mit extrem hoher Stimme: „Dieser Zaubertrank wird Ihnen Kräfte verleihen, mein König!“ Der Rahmen ist klar, die Szene kann Fahrt aufnehmen.
Es ist nicht notwendig, in einer Szene sofort etwas zu sagen, birgt dies doch die Gefahr, dass nur noch geredet wird und die Handlung dabei zu kurz kommt. Die Spieler sind stärker in der Gegenwart, wenn sie ihre Impulse aus konkreten Tätigkeiten oder Körperhaltungen heraus ableiten.
Tipps, um Ideen zu entwickeln:
- Routinen entwickeln: etwas Konkretes tun, zunächst ohne zu reden: Staub wischen, Geschirr spülen o. Ä. (manchmal auch nach Vorgabe). Aus der gemeinsamen Routinehandlung entstehen dann die Dialoge und Szenen.
- Gemeinsam in eine Richtung schauen, auf einen Punkt in der Ferne, auf den Boden: Was könnte da zu sehen sein? Was ist passiert?
- Aus der Körperhaltung heraus agieren: Wie fühle ich mich in dieser Haltung? Bedrückt, voller Power, ängstlich, aktiv? Was wäre jetzt naheliegend, was kann ich tun oder sagen?
1.4 Charaktere und Spielfiguren
Spannung und Witz in einer Szene entstehen dann, wenn unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Meist tendieren Anfänger dazu, sich selbst zu spielen, was Temperament, Ausdruck oder Sprache betrifft. Für den Einsatz von Improspielen im Seminar ist das auch völlig in Ordnung und ausreichend. Ich habe schon viele wundervolle Szenen in Seminaren und Trainings erlebt, bei dem der eigene Charakter deutlich zutage trat. Schließlich geht es hier nicht um Schauspielern, sondern um Erfahrungslernen. Und hierfür reicht manchmal schon ein bewusster Wechsel der Körperhaltung, der Sprachmuster oder ein für die Szene gewählter Status. Aha-Effekte stellen sich oft dann ein, wenn etwas Ungewohntes ausprobiert wird und es sich deutlich besser (oder schlechter) anfühlt als der „Normalzustand“.
Im Kapitel über State-Management und Emotionen werde ich die einzelnen Übungen noch detaillierter beschreiben. Hier soll zunächst ein Überblick genügen.
Figuren entwickeln
Unterschiedliche Typen kannst du wie folgt entwickeln:
- Über die Körpersprache / Körperhaltung: durch den Raum laufen und eine bestimmte Haltung bzw. eine kleine Bewegung immer stärker entwickeln
- Kleine Tics etablieren und sie verstärken: sich kratzen, im Gesicht zupfen, Hosenladen kontrollieren etc.
- Mit Rollenvorgaben durch den Raum gehen (als Queen, Papst, Betrunkener, Westernheld)
- Durch Veränderung der Stimme (hoch, tief, abgehackt) oder Variationen in der Öffnung des Mundes: ihn beim Sprechen ganz wenig / ganz breit öffnen, mit verzogenen Mundwinkeln oder vorgeschobenem Kinn reden etc.
- Einsatz von Dialekten und Akzenten
- Sprachfehler, Räuspern
- Hochstatus / Tiefstatus nutzen
2. Einstiegs- und Gruppenspiele
2.1 Lasst die Spiele beginnen! – Eisbrecher und Kennenlernspiele
Moleküle bilden
Fokus: Kennenlernen, Eisbrecher, Bewegung
Anzahl: 12–100 Teilnehmer
Auch nutzbar: zur Kleingruppenbildung
„Moleküle“ ist ein Eisbrecher und als humorvolles Kennenlernspiel (auch für große Gruppen) geeignet. Es ermöglicht den Teilnehmern, schnell auf fremde Personen zuzugehen. Auch schüchterne Mitglieder können so schnell neue Kontakte knüpfen. Das Spiel bringt Bewegung, leichtes Chaos und erstes Gelächter in die Runde.
Wie funktioniert das Spiel? Die Teilnehmer laufen kreuz und quer durch den Raum, bis die Spielleiterin eine Zahl ruft, z. B. „Stopp! Vier!“ Jetzt bilden sich Gruppen zu je vier Personen, haken sich mit den Armen unter und bilden auf diese Weise ein „Molekül“. In der so entstandenen Kleingruppe können sich die Teilnehmer mit Namen vorstellen. Nach wenigen Augenblicken laufen sie wieder (einzeln) durch den Raum, bis die Spielleiterin eine andere Zahl ruft und sich entsprechend große neue Moleküle bilden. Ist die Gesamtgruppe sehr groß, reicht es meist, in den Molekülgruppen den Namen und vielleicht den Wohnort zu nennen. Bei kleinere...