Kritische Fremdsprachendidaktik
eBook - ePub

Kritische Fremdsprachendidaktik

Grundlagen, Ziele, Beispiele

  1. 236 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Kritische Fremdsprachendidaktik

Grundlagen, Ziele, Beispiele

Über dieses Buch

Das Ziel dieses Sammelbands besteht darin, den Fremdsprachenunterricht durch kritische Ansätze wie Critical Literacy oder Critical Pedagogy anzureichern, um das bildungstheoretische Potential beim Lernen und Lehren von Fremdsprachen zu erhöhen. Anhand von unterschiedlichen Unterrichtsgegenständen und -beispielen wird der Frage nachgegangen, wie Fremdsprachenlernen stärker pädagogisch, sozial und werteorientiert geprägt werden kann.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Kritische Fremdsprachendidaktik von David Gerlach im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Literaturkritik Geschichte & Theorie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik

David Gerlach
If ever there was a time to reconsider the nature and purposes of education and schooling in society – it is now. – Allan Luke (2017)

1. Einleitung

Ungerechtigkeit reproduziert sich selbst. In keinem anderen entwickelten Land ist der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern derart abhängig von sozioökonomischen Faktoren wie in Deutschland (vgl. OECD 2016). Zu viele Kinder und Jugendliche in diesem Land gelten als benachteiligt und können so ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen. Dies setzt sich fort: Wie sollen diese jungen Erwachsenen dann aufgrund mangelhafter Schulbildung – auch mangels eines Bewusstseins ihres Status – eine individuelle Veränderung in ihrem Leben bewirken? Wie ist es möglich, dass in einem derart hochentwickelten Land wie Deutschland 6,8 Millionen erwachsene Menschen trotz Schulpflicht nur gering literalisiert sind (vgl. Grotlüschen et al. 2019), vor einigen Jahren gar noch als „funktionale Analphabeten“ bezeichnet wurden (vgl. Grotlüschen/Riekmann 2012), damit basal-schriftsprachliche Fertigkeiten in ihrem Alltagsleben nicht erfüllen und damit nicht an einer durch Lesen und Schreiben dominierten Gesellschaft teilhaben können?
Was wäre, wenn Schule und Bildung grundsätzlich auf den Abbau dieser Ungerechtigkeiten fokussieren würden? Was wäre, wenn die Fächer basal-schriftsprachliche Schwerpunkte stärker berücksichtigen und damit diese Teilhabe wieder ermöglichen? Und was wäre, wenn der Fremdsprachenunterricht mit seinem ihm genuinen Gegenstand – der Fremdheit von Sprache – Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein darüber vermittelt, dass Sprache Macht ist und Sprache machtvoll machen kann, dass Sprache Ungleichheit konstruieren, diese aber auch relativieren kann, dass Sprache diskriminieren kann, aber auch davon erlösen kann?
Es scheint gleichsam, als entdecke die internationale Fremdsprachenforschung Grundansichten der Pädagogik, insbesondere der Kritischen Pädagogik, wieder. Man mag diese Wende an zwei Entwicklungen festmachen: Zum einen am social turn in der Angewandten Sprachwissenschaft z.B. auch mit den Arbeiten von Bonny Norton (2000) und – damit eng verbunden – der veränderten Positionierung von Lernenden als Identitäten, die ein investment im Sprachenlernen für sich nutzen (vgl. auch Norton 2011, Bonnet 2018). Die Hinwendung zu einer stärker pädagogisch orientierten Fremdsprachenunterrichtspraxis geht zudem im Besonderen zurück auf die 1999 erschienene Schwerpunktausgabe des TESOL Journal, in dem u.a. Alastair Pennycook (1999) sich für die Berücksichtigung kritischer Ansätze und transformatorischer Bildung im Englisch-als-Zweitsprache-Unterricht ausgesprochen hat. In der Folge ist in den vergangenen zwanzig Jahren tatsächlich eine Vielzahl fremdsprachendidaktischer Publikationen erschienen – international primär zu Englisch als Fremd- oder Zweitsprache –, die sich gerade für die Stärkung dieses kritischen Elements einsetzen (z.B. Kumaravadivelu 1999/2006, Abednia 2012, Jeyaraj/Harland 2016, Banegas/Villacañas de Castro 2016). Besonders die ohnehin einem eher kritischen Diskurs verpflichteten Ramin Akbari (2008) sowie Graham Crookes (2009/2010/2013) haben in den vergangenen Jahren die Bedeutung der Kritischen Pädagogik und postmoderner Theorien für unterschiedliche, fremdsprachenunterrichtliche Kontexte herausgearbeitet. Während sie aufzeigen, dass die Begründungslinien für den Einsatz von Konstrukten wie der Kritischen Pädagogik (s.u.) in der Vergangenheit primär für erwachsene Fremdsprachenlernende bzw. Migranten und Migrantinnen in anderssprachigen (teils postkolonialen) Kontexten galt und diese ohne eine kritische Perspektive immer auch Subjekte von Benachteiligung waren, betont Crookes (2009) beispielsweise die Notwendigkeit der Disziplin, ein kritisches Bewusstsein im Fremdsprachenunterricht zu fördern. Und zuletzt hat – wieder Pennycook (2018) – unter einer posthumanistischen Brille die Angewandte Linguistik danach befragt, „what it means to be human“ (ebd.: 445).
Nun sollen ihre Überlegungen zu den dahinterliegenden theoretischen Konstrukten und ihre praktischen Implikationen in diesem Beitrag und Sammelband für den deutschsprachigen Kontext ebenso kritisch beleuchtet werden. Es ist die Frage danach, wie Fremdsprachenunterricht ein kritisches, pädagogisches Element dynamisch in seine Didaktik integrieren und methodisch umsetzen kann. Es geht – unter anderem – um das Thematisieren und Erkennen von machttheoretischen Zusammenhängen, den Abbau von Vorurteilen, Bildung für soziale Gerechtigkeit und Demokratieerziehung.
Ziel dieses einleitenden Beitrags soll es daher sein, die folgenden Fragen zu beantworten:
  1. Welche theoretischen Konzepte und Annahmen können hinter einer Kritischen Fremdsprachendidaktik stehen?
  2. Welches Potenzial haben aktuell dominierende kritische Konzeptionen und Theorien für die Fremdsprachendidaktik?
  3. Welche methodisch-didaktischen Implikationen haben diese Konzepte und Annahmen für den Fremdsprachenunterricht, seine Gegenstände, Materialien und Durchführung?
Laurenz Volkmann (2010) hinterfragt bereits, ob die Kritische Pädagogik als weitere Baustelle nicht eher den Hochschulbereich angehe, den schulischen Fremdsprachenunterricht jedoch überfrachten könnte neben allen anderen Forderungen von der Förderung der funktional-kommunikativen Kompetenzen bis hin zum inter- und transkulturellen Lernen: „Wie ‚dekonstruktivistisch‘ im ursprünglichen Wortsinn, also wie ‚auseinandernehmend‘ oder gar alte Wahrheiten destruierend darf der Fremdsprachenunterricht sein?“ (ebd.: 15) Meine eigene Argumentation soll bereits in dieser Einleitung beginnen mit einem Mutmachen: „Heute umso mehr!“ Durch soziale und politische Verschiebungen dies- und jenseits des Atlantiks, globale und lokale Herausforderungen, die vielbeschriene Politikverdrossenheit, die sich zudem in Wahlen von Extremen äußern, darf die Förderung und Emanzipierung kritischer Bürgerinnen und Bürger – und hier vor allem auch system- und institutionenkritischer Heranwachsender – nicht nur Aufgabe von Hochschulen während des Studiums sein. Die Grundlagen dafür müssen bereits im schulischen Unterricht über das Herstellen einer kritischen Diskursfähigkeit angelegt werden, gerade vor dem Hintergrund einer offenbar wachsenden politisch-sozialen Bewusstheit junger Menschen und ihrem gestiegenen Interesse, sich gesellschaftlich zu engagieren (Stichwort: Fridays for Future).
Jeder Diskurs oder allein die Auseinandersetzung mit ihm kann dabei – manchmal auf kaum vorhersehbare Weise – für einzelne Lernende sozial relevant sein und eine politische und machtbezogene Dimension erhalten. Eine der zentralen Aufgaben der Schule besteht nun darin, Lernende an Diskurse und Praktiken heranzuführen und ihnen hierdurch die Teilhabe an ihnen – das heißt auch: die Teilhabe an der Gesellschaft – zu ermöglichen. (Fäcke et al. 2017: 5)
Der Fremdsprachenunterricht mit seinen Ansätzen und Unterrichtsgegenständen, den Zielen und Kompetenzen kann hier bedeutende Impulse liefern, die möglicherweise zunächst insbesondere über lehrer*innenbildende Institutionen in die Schulen hineingetragen werden könnten (vgl. z.B. Abednia 2012 und Gerlach/Fasching-Varner in diesem Band).

2. Überlegungen zum aktuellen Stand der Fremdsprachendidaktik

Herbeizurufen, dass die Fremdsprachendidaktik in einer Krise stecke, ist sicherlich übertrieben. Allerdings wird die Hauptfrage, der sie bis ans Ende des 20. Jahrhunderts nachgegangen war, nämlich der, wie Fremdsprachen möglichst effizient gelehrt und gelernt werden können, zunehmend durch andere Konzepte abgelöst. In einem postmethodischen Zeitalter, in dem die funktional-sprachliche Methodenfrage durch die Lehrkräfte eher eklektisch denn durch eine Großmethode beantwortet wird (vgl. Bell 2007, Kumaravadivelu 2006), stehen besonders Aspekte interkulturellen (vgl. z.B. Byram 1997, Volkmann 2010) und transkulturellen Lernens (vgl. z.B. Hallet 2002, Fäcke 2006) im Vordergrund (vgl. zur Kritik am Konstrukt der interkulturellen Kompetenz: Plikat 2017). Das Erreichen der near-nativeness wurde aufgegeben zugunsten des Ziels, einen intercultural speaker aufzubauen, der mittels einer „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ (Hallet 2008) bzw. „fremdsprachlichen Diskursbewusstheit“ (Plikat 2017) gesellschaftliche Teilhabe ausüben kann (vgl. Norton 2000/2011). Zudem scheinen verstärkt auch allgemein-gesellschaftliche bzw. allgemein-pädagogische Fragestellungen wie Inklusion und Digitalisierung in ihrer Fachlichkeit ausdekliniert zu werden, was sich in Publikationen und Konzeptentwicklungen niederschlägt. Gleichzeitig kritisiert Pennycook (1990) schon vor dreißig Jahren die zunehmend funktionalistisch ausgerichtete Fremdsprachendidaktik mit einer „trivialization of content and an overemphasis on communicative competence“ (ebd.: 13).
Es überrascht daher nicht, dass zunehmend in internationalen Diskussionen weniger von „language teaching and learning“ sondern stärker von „language pedagogy“ gesprochen wird (vgl. z.B. Burns/Richards 2012). Dabei gerät verstärkt die ursprüngliche Bedeutung des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes Pädagogik in den Blick: ein Kind anleiten (pais = Kind, ago = leiten, führen). Damit wird zunehmend die Abkehr von einem transmissionsorientierten bzw. sprachlich-funktional ausgerichteten Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht betont. Vielmehr geht es um die erzieherische sowie transformatorische Rolle, fremdsprachliche Bildungsprozesse anzustoßen und mittelfristig soziale Ungleichheit abzubauen. Der Fokus im Fremdsprachenunterricht müsste damit verschoben werden auf eine „language in social contexts that goes beyond mere correlations between language and society and instead raises more critical questions to do with access, power, disparity, desire, difference, and resistance“ (Pennycook 2001: 5).
Dabei überrascht für den deutschen Kontext, dass das Konstrukt „Bildung“ in einschlägigen Einführungswerken zur Fremdsprachendidaktik kaum eine Rolle zu spielen scheint (vgl. Sauer 2008). Höchstens im Zusammenhang mit der Förderung einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz wird es thematisch (teils nur implizit) verhandelt. Die damit angestrebte Reflexionsfähigkeit, das „Fremdverstehen“ (vgl. Bredella/Christ 1995), der nötige Perspektivwechsel und die individuell-identitär wirksame Positionierung vor dem Hintergrund kultureller (auch literaturdidaktischer) Gegenstände mögen allesamt einem fremdsprachendidaktischen Bildungsziel entsprechen. Ihre Wirksamkeit muss jedoch hinterfragt werden, wenn bspw. für den englischdidaktischen Literaturunterricht attestiert werden muss, dass das Potenzial literarischer Texte nicht selten vernachlässigt wird, wenn Schülerinnen und Schüler Literatur nur als (unkritische) Rezipienten und Rezipientinnen erfahren (vgl. Gardemann in Vorbereitung).
Sehr wohl wohnt den im fremdsprachen-, literatur- und kulturdidaktischen Diskurs besprochenen Konstrukten und Prozessen ein Potenzial inne, „Bildung als Transformation grundlegender Figuren des Selbst- und Weltverständnisses“ (Koller 2018: 15) zu konstruieren (vgl. auch Plikat 2017). Allerdings geht es im bildungstheoretischen Diskurs mittlerweile stärker um die Wahrnehmung von Bildung als „negativ-reflexiven Prozess der […] Aufhebung von Selbst- und Welterfahrungsschemata zugunsten neuer und v.a. komplexerer, selbstreflexiver Perspektiven“ (Zirfas/Jörissen 2007: 65). Diese selbstreflexive Perspektive müsste in ihrer Komplexität – neben anderen Aspekten – in meinen Augen ebenso eine Förderung der (fachlich geprägten) Kritikfähigkeit an institutionalisierten Denkweisen und sozial gewachsenen, gesellschaftlichen Strukturen vorsehen. Damit wird sie auch zu einem Gegenstand der (kritischen) Fremdsprachendidaktik.

3. Mögliche Bezugsquellen einer Kritischen Fremdsprachendidaktik

Ganz bewusst wird im Folgenden die Kritische Theorie in der Tradition der Frankfurter Schule als Grundlage für die weiteren theoretischen Bezüge kurz umrissen. Dabei sollte allerdings anschließend auffallen, dass ich Kritische Erziehungswissenschaft und Kritische Pädagogik voneinander trenne: Unter ersterem Begriff skizziere ich das deutsche Verständnis einer Disziplin, die sich natürlicherweise stark anlehnt an die Vertreter der Frankfurter Schule, allerdings weitgehend die Diskussionen und Einflüsse auf einer internationalen Ebene, die der Kritischen Pädagogik im Anschluss an Paulo Freire, gleichsam zu ignorieren scheint. Daher bespreche ich beide Bereiche zunächst getrennt voneinander und versuche sie erst später wieder aufeinander zu beziehen, wenn es um die konkret fremdsprachendidaktisch gedachten Konzepte gehen soll.
Darüber hinaus seien die folgenden Bezugsquellen in zunehmend praxisorientierter Reihenfolge genannt: Von der Kritischen Theorie über die Kritische Pädagogik sowie Critical Literacy, die international weitestgehend im Anschluss an die Kritische Pädagogik diskutiert wird, werde ich in Grundzügen die Annahmen hinter dem (unscharfen) Konstrukt des kritischen Denkens vorstellen. Letzteres ist auch dem Umstand geschuldet, eine gewisse Abgrenzung der anderen Konstrukte zu diesem latent inflationär verwendeten Konzept zu ziehen, es gleichzeitig aber auch hinsichtlich seiner Produktivität im Hinblick auf fremdsprachendidaktische Fragestellungen zu hinterfragen.
Diese Bandbreite soll es sein, die didaktisch-methodischen Implikationen für eine Kritische Fremdsprachendidaktik in Ansätzen anschließend skizzierbar zu machen.

Kritische Theorie

Obwohl die Kritische Theorie, und hier für Deutschland besonders bedeutsam die Frankfurter Schule, immer eine eher marxistisch-sozialkritische Perspektive einnahm, die die selbstbestimmte Autonomie der Bürgerinnen und Bürger betonte und gleichzeitig die nötige kritische Haltung gegenüber (totalitären) Autoritäten, lassen sich aus ihr auch erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse ziehen (vgl. Lehmann 2015). Spätestens mit Adornos Erziehung nach Ausschwitz (1971a) wird die Bedeutung einer soziologisch-kritischen Perspektive auf Bildung und Erziehung im Nachkriegs-Deutschland zentral gestellt, in der Hoffnung, totalitäre und faschistische Regime in Zukunft verhindern zu können. In seiner Vorlesung „Tabus über dem Lehrberuf“ (1971b) stellt Adorno zudem heraus, dass Bildung ohnehin ständig ideologisch gefährdet sei und gerade Schülerinnen und Schüler zu eigenständig denkenden, demokratischen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden müssten.
Anhängerinnen und Anhänger der Kritischen Theorie zeichnet eine grundsätzliche Skepsis aus: Sie betrachten soziale Phänomene aus sich heraus und setzen sich mit ihnen in ihrer Eigenständigkeit hermeneutisch auseinander (immanente Kritik). Dadurch erhalten diese Zugänge einen Neutralitätsanspruch, der wiederum nur durch den Gegenstand selbst begründet und damit ahistorisch ist und dekontextualisiert wird. Diese Einschränkung, die die Mitglieder der Frankfurter Schule natürlich nicht als solche bezeichnen würden, kann kritisiert werden: So vernachlässigt sie (potenziell) das Einbeziehen zahlreicher sozialer oder kultureller Faktoren, möchte nicht explizit Ursache-Wirkungs-Ketten aufstellen, sondern phänomenologisch aus sich heraus beschreiben, interpretieren und kritisieren, „was Sache ist“. Selten entstehen daher konkrete Handlungsempfehlungen aus hermeneutisch-kritischen Bearbeitungen bestimmter Phänomene: Die ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik
  6. Die Beiträge in diesem Sammelband
  7. Ausgewählte Materialien für einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht: Jugendliteratur mit Transgender-Thematik
  8. Taking a stance: The role of critical literacies in learning with literature in a world at risk
  9. Towards a concept of Critical Digitalisation in the foreign language classroom
  10. Gaming as a critical language learning practice
  11. Queere Interventionen in die Kritische Fremdsprachendidaktik: Theoretische Überlegungen und praxisorientierte Implementationen
  12. On beauty ideals and body norms. Schönheits- und Körpernormen als Thema in einer Kritischen Fremdsprachendidaktik
  13. Resonanz als Konzept Kritischer Fremdsprachendidaktik
  14. Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken – oder: Was ein Staatsanwalt mit Englischunterricht zu tun hat
  15. Gestaltungsprinzipien einer Kritischen Fremdsprachendidaktik am Beispiel eines universitären Programms im Bereich Deutsch als Fremdsprache
  16. Kritisch-reflexive Professionalisierung von Fremdsprachenlehrenden: Ein dramapädagogisch-hochschuldidaktischer Ansatz
  17. Grundüberlegungen zu einer kritischen Fremdsprachenlehrer*innenbildung
  18. Verzeichnis der Autor*innen
  19. Fußnoten