Die Macht des Definierens
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Die Macht des Definierens

Eine diskurslinguistische Typologie am Beispiel des Burnout-Phänomens

  1. 614 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Macht des Definierens

Eine diskurslinguistische Typologie am Beispiel des Burnout-Phänomens

Über dieses Buch

Wo verläuft die Grenze zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit, und wie wird diese im öffentlichen und fachlichen Diskurs ausgehandelt und definiert? Die vorliegende Arbeit untersucht am Beispiel des Burnout-Diskurses, mit welchen Sprachgebrauchsformen und kommunikativen Praktiken in Fach-, Medien- und Vermittlungstexten ein spezifikationsbedürftiges Phänomen des Bereichs psychischer Gesundheit und Krankheit definiert wird. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Macht diskursiver Praktiken des Definierens und die These, dass sich diese Praktiken nicht nur punktuell in bewussten Definitionshandlungen einzelner Textautor/-innen zeigen, sondern dass Definieren in einem Diskurs auch als teilweise unbewusster, überindividueller, transtextueller Prozess begriffen und analysiert werden muss. Die Exemplifizierung dieser These mündet in ein 11-Punkte-Modell der diskursiven Praxis des Definierens. Durch den diskurslinguistisch-praxeologischen Ansatz eröffnet die Arbeit neue Perspektiven für die linguistische Terminologie- und Definitionsforschung.

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Information

Jahr
2021
ISBN drucken
9783110727562
eBook-ISBN:
9783110727876

1 Einführung

1.1 Problemaufriss

Über die Verborgenheit der Gesundheit
Es gilt, über Dinge nachzudenken, die nicht nur den Arzt in seiner Berufsbildung und in seinen Berufsinteressen angehen, sondern die jeden mitbetreffen. Wer kennt nicht die ersten bestürzenden Erfahrungen im erwachenden Kindesalter? Da wird man plötzlich für krank erklärt, unter der Autorität der Eltern, und darf am Morgen nicht aufstehen. Im späteren Leben häufen sich erst recht solche Erfahrungen, die deutlicher machen, daß das eigentlich Sonderbare nicht so sehr in der Krankheit liegt, als im Wunder der Gesundheit.
Hans-Georg Gadamer ([1991] 2010: 133)
Burnout-Kids, Vorwort
»Ich kann nicht mehr!«, sagt Bea, 14 Jahre alt. Sie kommt mit ihren Eltern in meine ­Sprechstunde und berichtet mit erstaunlich nüchternen Worten, dass sie seit einem Jahr zunehmend müde ist. Sie fühlt sich bei der kleinsten Kleinigkeit angestrengt, erschöpft, ist danach niedergeschlagen und oft grundlos traurig. Seit Monaten hat sie keinen Appetit mehr, an Durchschlafen ist nicht zu denken. In der Schule kann sie nicht mehr aufpassen, von ihren Freundinnen hat sie sich zurückgezogen. Ihre Eltern sind hochgradig besorgt und ratlos.
Michael Schulte-Markwort (2015: 11, im Quellenverzeichnis (QV) unter 8.1.5)
Die beiden Eingangszitate werden einander zu Beginn dieser Arbeit gegenübergestellt, da sie den weiten Bezugsrahmen aufzeigen, in dem wir uns bewegen, wenn wir uns über Gesundheit und Krankheit verständigen. In beiden Beispielen geht es darum, dass es einem Kind sichtlich nicht gut geht. Hans-Georg Gadamer beschreibt an späterer Stelle seines Aufsatzes „Über die Verborgenheit der Gesundheit“, dass die Krankheit das sei, „was sich aufdrängt, als das Störende, das Gefährliche, mit dem es fertig zu werden gilt“ (Gadamer [1991] 2010: 135). Die Gesundheit hingegen „bietet sich nicht selbst an“ (ebd.: 138), sie werde meist von ihrem Gegenteil aus in den Blick genommen und stehe „immer in einem Horizont von Störung und Gefährdung“ (ebd.: 142).
Auch im Beispiel der vierzehnjährigen Bea drängen sich Zustände auf, die stören und für das Kind nicht ‘normal’ sind. Der Text von Michael Schulte-Markwort enthält in einer erstaunlichen Dichte Sprachgebrauchsformen, die diese ›Anormalität‹ explizit und implizit anzeigen, dadurch, dass sie Vorstellungen und Erwartungen von ihm selbst und seinen Leserinnen und Lesern1 zum Gesundheitszustand einer Vierzehnjährigen konterkarieren oder anzeigen, dass die geschilderten Zustände in Opposition zu einem früheren Erlebenszustand der jungen Patientin stehen: Ich kann nicht mehr; berichtet mit erstaunlich nüchternen Worten, dass sie seit einem Jahr müde ist; bei der kleinsten Kleinigkeit angestrengt; oft grundlos traurig; keinen Appetit mehr; hochgradig besorgt, ratlos.
Diese Beispiele führen in medias res zu einer These, die hinter den noch auszuführenden Erkenntnisinteressen dieser Arbeit steht und überspitzt, mit Bezug auf Gadamer, lauten könnte: Kollektives Wissen über Gesundheit (und Krankheit) ist semiotisch in der Sprache ‚verborgen‘.2
Mit anderen Worten geht es um die umfassende Frage, an welche sprachlichen Zeichen Vorstellungen über Gesundheit und Krankheiten im heutigen Sprachgebrauch rückgebunden sind und in welcher Weise die Sprachgebrauchsformen wiederum die Vorstellungen prägen. Des Weiteren geht es um die Frage, wie Fach- und Diskursgemeinschaften ihrer Ratlosigkeit zum Beispiel in Bezug auf den spezifischen Fall der vierzehnjährigen Bea begegnen bzw. im Allgemeinen auf den Umstand reagieren, dass Wissen zu einem beobachteten Phänomen im Erleben und Verhalten der eigenen Person oder anderer Personen ­„spezifikationsbedürftig“ ist.3 Hierbei gibt es grundsätzlich und insbesondere bei Themen rund um Gesundheit und Krankheit die Reaktionsmöglichkeiten von widerstreitenden Positionen und Einigung in Bezug auf die Frage, wie das Leiden der jeweiligen Person einzuordnen und zu bestimmen ist und wie man von fachlicher, gesellschaftlicher und privater Seite aus darauf reagieren kann und soll. Neben der Überzeugung, dass Wissen insbesondere „in massenmedial operierenden knowledgeable societies“ (Warnke 2009: 113 f.) immer machtgebunden ist und agonal ausgehandelt wird (vgl. Felder 2015; Mattfeldt 2018), wird in dieser Arbeit die Auffassung vertreten, dass es in jeder Gesellschaft oder Gruppe auch ein Bedürfnis nach Koorientierung (vgl. Feilke 1996: 35) und damit nach stabilen, gemeinsamen Wissensinhalten und einer Verständigung über diese gibt. Das bedeutet, dass es erstens neben den agonalen (sprachlichen) Praktiken auch konsensuale, unifizierende (sprachliche) Praktiken geben muss,4 die eine Reduzierung konfligierender Standpunkte und „geteilte Akzeptanz von Erkenntnis“ (Warnke 2009: 113) konstituieren, und zweitens, dass es aus Gründen der gegenseitigen Versteh- und Argumentierbarkeit eine Art sprachliches wiefach- und alltagsweltliches Basiswissen5 geben muss, auf dessen Grundlage die ­Perspektivierungs- und Argumentationsspiele stattfinden können. Dieses Basiswissen, welches nicht (vollständig) bewusst sein muss, kann zwischen den Zeilen bzw. Worten hindurchscheinen und damit Spuren an der Sprach- bzw. Diskurs­oberfläche hinterlassen.6
Die vorliegende Arbeit fokussiert das eben genannte Bedürfnis nach Koorientierung und diskursiver Spezifizierung und interessiert sich vor diesem Hintergrund besonders für die folgenden Fragen:
  • Mit welchen Sprachgebrauchsformen und Praktiken wird in Fach-, Medien- und Vermittlungstexten ein spezifikationsbedürftiges Phänomen im Bereich psychischer Gesundheit oder Krankheit näher bestimmt bzw. definiert? In welcher Weise unterscheiden oder ähneln sich medizinische/psychologische und fachexterne Ansprüche an die Tätigkeit des Definierens und Mittel und Praktiken des Definierens?
  • Mit welchen routinierten Sprachgebrauchsformen und Praktiken wird das zu spezifizierende Phänomen zwischen den Polen ›gesund‹ und ›krank‹ verortet?
  • In welcher Weise geben Formen an der Sprachoberfläche Aufschluss über die „kulturellen, sozialen und familiären Normen und Werte[n]“ (Wittchen/Falkai/Stangier et al. 22018: 19), die bei der begrifflichen Fassung bzw. Definition von Auffälligkeiten im körperlichen oder psychischen Erleben und Verhalten eine Rolle spielen? Inwiefern könnten diese Erkenntnisse für die psychologisch-psychiatrische Diagnostik interessant sein?
Der letzte Punkt schließt an Beobachtungen an, die die Herausgeber/innen der aktuellen deutschen Fassung des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V)“ beschreiben. Sie geben in der Einleitung zu diesem Klassifizierungshandbuch zu bedenken, dass die soziokulturellen Einbettungsbedingungen bei fachlichen Definitionen von psychischen Störungen stets reflektiert werden sollten:
Psychische Störungen werden in enger Beziehung zu kulturellen, sozialen und familiären Normen und Werten definiert. Kulturelle Aspekte bieten einen Interpretationsrahmen, der das Erleben und die Ausprägung von Symptomen, Beschwerden und Verhaltensweisen formt, die wir als Kriterien für Diagnosen verwenden. Kulturelle Aspekte werden innerhalb von Familien, aber auch innerhalb anderer sozialer Systeme und Institutionen weitergegeben, verändert oder erschaffen. Eine diagnostische Beurteilung muss daher immer berücksichtigen, ob sich das Erleben, die Symptome und die Verhaltensweisen Betroffener von den jeweiligen soziokulturellen Normen unterscheiden und zu Schwierigkeiten führen, sich an die herrschende Kultur anzupassen oder in einem spezifischen sozialen und familiären Kontext zurechtzukommen. Kulturelle Schlüsselaspekte wurden, sofern sie für die diagnostische Klassifikation und Beurteilung relevant sind, im Entwicklungsprozess des DSM-5 berücksichtigt.7 […]
Die Grenze zwischen Normalität und Pathologie variiert für bestimmte Verhaltensweisen von Kultur zu Kultur. Es gibt ferner unterschiedliche Schwellen für die Akzeptanz bzw. Toleranz spezifischer Symptome und Verhaltensweisen, die ebenfalls je nach Kultur, sozialer Bezugsgruppe oder familiärem Hintergrund variieren.
(Wittchen/Falkai/Stangier et al. 22018: 19, Unterstreichungen T.S.)
Die Herausgeber/innen des Manuals weisen in diesem Zitat darauf hin, dass „kulturelle Aspekte […] innerhalb von Familien, aber auch innerhalb anderer sozialer Systeme und Institutionen weitergegeben, verändert oder erschaffen“ (ebd.) werden, wobei der Sprache als Kommunikations- und Perspektivierungsmedium (vgl. Köller 2004) eine wichtige Rolle zukommt. Die hier wiedergegebene Passage verdeutlicht zudem, dass Definitionen psychischer Störungen immer im „Spannungsfeld von fachwissenschaftlicher Spezialisierung und menschlichen Alltagserf...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Abkürzungsverzeichnis
  5. 1 Einführung
  6. 2 Erkenntnistheoretischer und sprachtheoretischer Rahmen
  7. 3 Medizinisch-psychologisches Wissen zwischen Realität und (Sprach-)Zeichen
  8. 4 Untersuchungsmethode: Diskurs(macht) – Wissen – Definition
  9. 5 Korpora und Charakterisierung der Erscheinungsformen der Texte des Burnout-Diskurses
  10. 6 Untersuchung: Die Macht des Definierens im Bereich psychischer Gesundheit und Krankheit am Beispiel des Burnout-Diskurses
  11. 7 Zusammenfassung der Ergebnisse: Analysemodell und Typologie der diskursiven Praxis des Definierens am Beispiel des Burnout-Phänomens
  12. 8 Literatur und Korpora
  13. Anhang
  14. Sachregister