Die Herstellung und die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Verstehens stellt eine der wichtigsten kommunikativen Aufgaben dar, mit denen Interaktionspartner1 in einem Gespräch konfrontiert sind. Ein maßgeblicher Beitrag zur Verstehenssicherung (vgl. Deppermann/Schmitt 2008) wird dabei dadurch geleistet, dass Sprecher entweder ein bereits vorliegendes, vom Rezipienten thematisiertes interaktionales Problem rückwirkend bearbeiten oder dieses rechtzeitig erkennen und ihm aus eigener Initiative vorbeugen können. Diese beiden interaktionalen Strategien lassen sich mit dem Konzept der Reparaturen von Schegloff et al. (1977) und Schegloff (1979) fassen, wobei es sich im ersten Fall um fremdinitiierte und im zweiten um selbstinitiierte Reparaturen handelt. Ursprünglich als „spezifisch gesprochensprachliches Phänomen“ (Pfeiffer 2015: 6) geltende Reparaturen können jedoch nicht nur in der mündlichen Kommunikation, sondern auch in der interaktionalen informellen Schriftlichkeit zur Verstehenssicherung eingesetzt werden (vgl. Schönfeldt/Golato 2003; Jacobs/Garcia 2013; Meredith/Stokoe 2013; Mostovaia 2018, 2021).
Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, – in Anlehnung an die bestehende Reparaturforschung in der mündlichen Kommunikation einerseits sowie unter Berücksichtigung der medialen und interaktionalen Besonderheiten der schriftbasierten computervermittelten Kommunikation andererseits – Reparaturmechanismen in deutscher und russischer Kurznachrichtenkommunikation mit konversationsanalytischen und interaktionslinguistischen Methoden zu untersuchen. Dabei wird der Terminus Kurznachrichten als Oberbegriff für textbasierte Nachrichten verwendet, die entweder per SMS oder über internetbasierte Messenger-Dienste WhatsApp, iMessage und Viber verschickt werden.
Der Fokus dieser empirisch basierten Studie liegt auf selbstinitiierten sowie fremdinitiierten Selbstreparaturen in der Kurznachrichtenkommunikation und schließt folgende Aspekte mit ein: die sequenziellen Positionen von Selbstreparaturen, die grundlegenden sequenziellen Bestandteile einer Reparatursequenz (die Problemquelle, die Reparaturinitiierung und die Reparaturdurchführung), die interaktionalen Funktionen von Selbstreparaturen sowie die Reaktionen der Rezipienten auf Selbstreparaturen. Die Entscheidung, den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf die Untersuchung von Selbstreparaturen zu legen, ist in erster Linie durch die quantitativ unausgewogene Verteilung der vier Reparaturtypen auf die analysierten Daten motiviert: Sowohl das deutsche als auch das russische Korpus weisen kaum Belege für selbstinitiierte Fremdreparaturen und eine relativ geringe Anzahl an fremdinitiierten Fremdreparaturen auf, die für eine systematische Analyse nicht ausreichen würden. Im Fokus der empirischen Analyse stehen daher ausschließlich selbstinitiierte und fremdinitiierte Selbstreparaturen, während selbstinitiierte und fremdinitiierte Fremdreparaturen im Laufe der Arbeit lediglich vereinzelt aufgegriffen werden, um einen allgemeinen Überblick über den Reparaturmechanismus der jeweiligen Sprache zu geben oder diese gelegentlich mit Selbstreparaturen zu kontrastieren. Ein weiteres Argument, das die oben skizzierte Wahl des Untersuchungsgegenstandes zwar nicht entscheidend beeinflusst, aber in einer gewissen Weise begünstigt hat, betrifft den Forschungsstand zu einzelnen Reparaturtypen. Dadurch, dass die Analyse von Reparaturen in der interaktionalen Schriftlichkeit noch in Kinderschuhen steckt (vgl. Kap. 3), wurde beim Verfassen der vorliegenden Arbeit weitgehend auf Konzepte aus der Reparaturforschung in der gesprochenen Sprache zurückgegriffen, die hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die Analyse schriftsprachlicher interaktionaler Daten überprüft und bei Bedarf angepasst wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass Selbstreparaturen in der mündlichen Kommunikation zwar noch nicht erschöpfend untersucht sind, die bereits zu diesem Thema vorliegende Forschungsliteratur bietet aber eine vergleichsmäßig solide theoretische Grundlage für die Erarbeitung entsprechender Kategorien und Konzepte für Selbstreparaturen in der interaktionalen Schriftlichkeit. Dabei befasst sich eine ganze Reihe dieser Studien mit Selbstreparaturen in Gesprächen, die sowohl aus formellen als auch aus informellen Kontexten stammen und überwiegend von L1-Sprechern geführt wurden. Darunter finden sich u.a. auch Studien für Daten aus den beiden für diese Arbeit relevanten Sprachen – für das Deutsche und Russische. Fremdreparaturen hingegen werden oft in institutionellen Gesprächen, und zwar insbesondere in denjenigen aus dem Unterrichtskontext (u.a. auch aus dem Fremdsprachenunterricht) thematisiert, in dem spezifische Kommunikationsbedingungen und v.a. soziale Beziehungen zwischen Akteuren gelten, sodass man die Gültigkeit der in solchen Studien gewonnenen Analyseergebnisse für die informelle Interaktion kritisch hinterfragen muss.
Bei der Auseinandersetzung mit Selbstreparaturen in den analysierten Daten wird nicht nur der Versuch unternommen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Reparaturen in der interaktionalen Schriftlichkeit und Mündlichkeit aufzuzeigen, sondern es wird auch ein besonderer Wert darauf gelegt, soweit das die Datengrundlage erlaubt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Reparaturmechanismen des Deutschen und des Russischen herauszuarbeiten. Die zwei im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehenden Sprachen sind bereits in zahlreichen Studien in Bezug auf eine ganze Reihe verschiedener Aspekte und Phänomene aus den Bereichen der Phonetik und Phonologie, der Flexionsmorphologie, der Wortbildung, der Syntax und der Semantik miteinander kontrastiert worden. Im Bereich der Pragmatik im weiten Sinne des Wortes liegt bis jetzt eine relativ überschaubare Anzahl an sprachkontrastiven empirischen Studien vor (zu Entschuldigungen vgl. Rathmayr 1996; zu Gesprächseröffnungen vgl. Yakovleva 2004; zu Komplimenten und Komplimenterwiderungen vgl. Mironovschi 2009). Diese Studien fokussieren jedoch ausschließlich die gesprochene Sprache, während systematische sprachkontrastive empirische Studien im Bereich der interaktionalen Schriftlichkeit m.W. noch ausstehen. Die vorliegende Arbeit knüpft einerseits an diese Forschungslücke sowie andererseits an das von Couper-Kuhlen/Selting (2018: 208–209) und Collister (2011) formulierte Forschungsdesiderat im Bereich sprachkontrastiver Untersuchungen zu Reparaturen an und ergänzt somit die Reihe von empirischen Untersuchungen durch einen Beitrag zur Erforschung des Sprachenpaares Deutsch-Russisch im Bereich der interaktionalen schriftbasierten Kommunikation. In diesem Zusammenhang wird im Rahmen dieser Arbeit u.a. gezeigt, inwiefern die Tatsache, dass sich das Deutsche und das Russische unterschiedlicher alphabetischer Schriftsysteme bedienen, bestimmte Auswirkungen auf die Kommunikationsbedingungen und schließlich auf den Reparaturmechanismus in der jeweiligen Sprache hat (vgl. u.a. Kap. 4.1 und Kap. 6.1.1).
Das skizzierte Forschungsvorhaben schlägt sich im Aufbau der Arbeit nieder: Der theoretische Teil setzt sich aus drei Kapiteln zusammen. Während in den Kapiteln 2 und 3 der Forschungsstand sowie theoretische Grundlagen der Reparaturforschung v.a. in Hinblick auf Selbstreparaturen in der gesprochenen Sprache und in der computervermittelten Kommunikation dargestellt werden, widmet sich das vierte Kapitel den technischen Bedingungen sowie interaktionalen Besonderheiten der für die vorliegende Untersuchung relevanten Kommunikationsformen – der SMS-Kommunikation sowie der Kommunikation via WhatsApp, iMessage und Viber . In einem nächsten Schritt wird in Kapitel 5 die empirische Basis dieser Studie – die Mobile Communication Database (https://mocoda.spracheinteraktion.de/ und https://mocoda.spracheinteraktion.de/rus/) – beschrieben. Darüber hinaus werden im gleichen Kapitel die angewendeten Methoden der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik erörtert. Den Hauptteil der Arbeit bildet eine empirische Analyse von selbstinitiierten (Kap. 6.1) und fremdinitiierten Selbstreparaturen (Kap. 6.2), die in den untersuchten Kurznachrichtendaten vorkommen. Im letzten Schritt werden die wichtigsten Analyseergebnisse zusammengefasst und zusammen mit den sich daraus ergebenden Forschungsdesiderata im Fazit präsentiert.