1 Marktveränderungen erkennen und die grundsätzliche Einstellung verändern
Selbstverständlich war auch in der Vergangenheit das Thema Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterentwicklung immer ein wichtiger Bereich in den meisten Unternehmen, jedoch scheint sich speziell in den letzten Jahren einiges schleichend geändert zu haben. Was genau sind die Ursachen für diese Veränderungen, die sich auch bei den Unternehmen der fünf Freunde zeigen?
Hier nur einige Beispiele: Engpässe bei der Suche nach Auszubildenden, veränderte Erwartungshaltungen in Bezug auf Job und Karriere, höhere Wechselbereitschaft, regionale und branchenspezifische Engpässe bei der Verfügbarkeit von Mitarbeitern, Arbeitgeber-Bewertungsportale, Unmengen an Stellenbörsen und noch mehr Stellengesuche, Elternzeit und unbezahlte, längere Auszeiten, Mitspracherecht in Bezug auf Inhalte und Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten, eine stärkere Wahrnehmung und aktive Bewertung von Führung und vieles mehr.
Auf der Arbeitgeberseite werden Themen wie Nachhaltigkeit und Messbarkeit von Weiterbildungsmaßnahmen öfter hinterfragt. Auch werden interne Bereiche, die früher weniger Aufmerksamkeit bekommen haben, genauer betrachtet und diese bekommen einen neuen Stellenwert. Dies hat in den vergangenen Jahren erst die Finanzabteilung und dann auch den Bereich IT stark in ein anderes und neues Licht gebracht. Nun ist der Bereich Mitarbeiter bzw. die Personalabteilung stärker in den Fokus gerückt. Die Ursachen sind, wie oben beispielhaft aufgelistet, zahlreiche und offensichtlich.
Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, alle Bereiche im letzten Detail zu beleuchten, sondern vielmehr einen Überblick zu schaffen und praxisorientierte und erprobte Wege aufzuzeigen, wie man mit den noch kommenden Veränderungen, unter Einsatz vorhandener Ressourcen an Zeit und Mitteln, das Bestmöglichste für das eigene Unternehmen erreichen kann. Es ist für Praktiker und Anwender geschrieben und ich verzichte bewusst auf den Einsatz von Fachsprache, soweit dies möglich ist. Des Weiteren verweise ich nur selten auf wissenschaftliche Theorien oder Managementlehren, sondern schreibe über konkrete Beispiele und eigene Erfahrungen, die über die letzten 25 Jahre meine Tätigkeit geprägt haben.
Ich will Ihnen aufzeigen, dass es auch für mittelständische Unternehmen viele Möglichkeiten gibt, den Herausforderungen erfolgreich zu begegnen und ich möchte Ihnen belegen, dass es oftmals Kleinigkeiten und außergewöhnliche Ideen sind, die Ihren Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen.
1.1 Marketing für Endkunden – ein kurzer Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Bevor wir uns wieder den fünf Freunden zuwenden, sollten wir einen kleinen Ausflug in die Vergangenheit und zu einem anderen Thema unternehmen. Ich habe diesen Rückblick und die daraus folgenden Auswirkungen schon in vielen Vorträgen und Workshops beleuchtet. Dabei habe ich immer wieder festgestellt, dass viele Unternehmer und Personalverantwortliche die Veränderungen der letzten Jahre noch nicht verinnerlicht bzw. vollständig realisiert haben.
Was hat Marketing für Endkunden mit Mitarbeiter-Marketing zu tun? Dies möchte ich Ihnen anhand von sehr klaren und deutlichen Beispielen aufzeigen und Sie dazu anregen, Ihre bestehende Sichtweise zumindest zu hinterfragen.
Marketing wird heute definiert als ganzheitliche Unternehmensführung, die alle Bereiche des Unternehmens einschließt. Das heißt Marketing ist letztlich alles, was das Unternehmen betrifft, eine umfassende Konzeption allen Handelns im Unternehmen, ausgerichtet auf die Erfordernisse des Marktes, so beschreibt es die klassische Marketing-Literatur (vgl. zum Beispiel Kotler/Keller/Bliemel 2007, Weis 2015).
Dies beginnt zunächst bei der Zielsetzung des Unternehmens mit dem Management-Fokus des Unternehmers bzw. des Unternehmens, geht über die darauf aufbauende Geschäftsdefinition bis hin zum bestehenden und/oder zukünftigen Geschäftsportfolio, also die Produkte und Dienstleistungen, die das Unternehmen anbietet, nicht mehr anbieten will oder neu in das Portfolio aufnehmen will. Dann ist letztendlich festzustellen, welche Produkte und Dienstleistungen in welcher Phase der Marktentwicklung und im Vergleich zum Wettbewerb stehen. Wenn das Unternehmen diese Analyse durchlaufen hat, kann es sinnvolle strategische Entscheidungen und nachgelagerte Aktivitäten unternehmen.
Als nächster Schritt geht es im klassischen Marketing um die strategischen Entscheidungen, wie zum Beispiel welche Positionierung das Unternehmen im Markt anstrebt, ob es sich eher eine marktführende Rolle oder eine Rolle als Nachahmer vornimmt, und natürlich welche Marktsegmente, also welche Kundengruppen, es für sich gewinnen will. Und schließlich auch darum, welche Wege es strategisch einschlägt, um dann diese Kundengruppen zu erreichen.
All diese Themen haben Sie sicherlich in Ihrem Unternehmen genau oder mindestens annähernd definiert und längst in Ihre tägliche Praxis umgesetzt.
Wenn sich nun ein Unternehmen in einem Marktsegment befindet, in dem die Nachfrage nach seinen Produkten und Dienstleistung größer ist als das Angebot, das von allen Unternehmen im gleichen Marktsegment offeriert wird, spricht man von einem Verkäufer-Markt. Dies heißt in der Praxis, dass die Anbieter die Spielregeln bestimmen können und der Käufer eher in einer Art „Bittsteller“-Rolle ist.
Diese Verkäufer-Markt-Situation war in vielen Branchen nach dem 2. Weltkrieg über Jahre und Jahrzehnte die tägliche Realität. Kunden, die die angebotenen Produkte und Dienstleistungen erwerben wollten, waren im Überfluss da und die Unternehmen verhielten sich oftmals nicht sehr kundenorientiert, sondern gaben den Kunden eher das Gefühl, dass sie doch froh sein konnten, überhaupt ein Produkt zu bekommen. Es war in diesem Marktumfeld auch nicht im Übermaß notwendig, Werbemaßnahmen und aktives Verkaufen zu forcieren.
Dies war für viele Unternehmen eine angenehme und fast unbeschwerte Zeit, jedenfalls in Bezug auf die Kundengewinnung. Das Thema Kundenbindung wurde nicht näher beachtet, da der Aufwand einen Neukunden zu bekommen ungefähr den gleichen Aufwand bedeutete, wie der einen bestehenden Kunden mit verschiedenen Maßnahmen zum erneuten Kauf zu motivieren.
1.2 Der Wechsel vom Verkäufer- zum Käufermarkt in vielen Bereichen des Endkundenmarktes
Was passierte jedoch, als sich die Anzahl der Anbieter massiv erhöhte, also neue Anbieter aus dem In- und Ausland hinzutraten und der Markt kippte, also der Verkäufer-Markt sich sukzessive in einen Käufer-Markt verwandelte. Unternehmen stellten oftmals über Nacht fest, dass die Nachfrage nach ihren Produkten enorm abnahm und die Umsätze wegbrachen. Eine Heerschar von Beratern und Spezialisten machte sich auf den Weg und erdachte neue Methoden, um die Kunden wieder zum Kauf der eigenen Produkte zu bewegen. Werbung in allen Medien nahm zu, Sonderaktionen wurden angeboten und das Thema Kunde wurde zur Chefsache.
Dies alles kennen Sie sicherlich aus Ihrer eigenen Branche und Ihrem Unternehmen, da es heute, auf Grund der hohen Markttransparenz und der Vielzahl von Anbietern aus allen Herren Länder kaum noch Märkte gibt, die sich in einer Verkäufer-Markt-Situation befinden.
Selbst so alte Märkte wie der Weinanbau und -handel, so sagte mir mein gut informierter und interessierter Weinhändler, haben sich nach über 2000 Jahren um die letzte Jahrtausendwende von einem Verkäufer- zu einem Käufer-Markt gewandelt. Er begründete dies mit dem enormen Zuwachs an Wein-Anbauflächen in Regionen wie Südamerika, Südafrika, Kalifornien und Australien, um nur die Wesentlichsten zu nennen.
1.3 Was sind die Auswirkungen auf das Endkundenverhalten durch diese Veränderung
Was genau passiert denn eigentlich mit dem Verhalten des Käufers, wenn dieser sich für Produkte interessiert und feststellt, dass er ein wirklich großes Angebot hat und sich daher in einem sogenannten Käufer-Markt befindet. Folgende typischen Charakteristika kann man einem solchen Käufer zuschreiben:
- Er will Angebote vergleichen.
- Er will den bestmöglichsten Preis erzielen.
- Er will die maximalen Serviceleistungen bekommen.
- Er will kostenfreie Zusatzleistungen.
- Er will das individuelle Produkt für sich haben.
- Er will informiert und gut betreut werden.
- Er will König sein.
- Er will jederzeit sein Produkt kaufen können.
- Er will maximale Bequemlichkeit.
- Er will eine Kundenkarte oder einen Kundenclub mit vielen Vorteilen.
- Er will volle Transparenz.
- Er will seinen Liefertermin und zwar sofort.
- Er will sofortige und qualifizierte Serviceleistungen, wenn etwas mit dem Produkt nicht funktioniert.
Alle diese Forderungen kennen Sie, vielleicht mehr oder weniger stark ausgeprägt, von Ihren Kunden. Und die erfolgreichen Unternehmen haben in den letzten Jahren Millionen investiert, um all diesen Forderungen Stück für Stück gerecht zu werden. Innovative Werbekampagnen wurden entwickelt, Abläufe optimiert, die Mitarbeiter zum Thema Kundenorientierung geschult, die Produkte und Serviceleistungen wurden immer individueller. Kundenclubs, Kundenkarten, Rabattsysteme und vieles mehr wurde aus dem Erdboden gestampft, um dem neuen Kundenverhalten Rechnung zu tragen und um die bestehenden Kunden langfristig zu binden.
Mittlerweile haben sich die meisten erfolgreichen Unternehmen an die Situation des Käufer-Marktes gewöhnt und wissen, wie sie damit bestmöglich umgehen können. Und diese Entwicklung und der daraus resultierende Druck auf die Unternehmen lassen durch die Globalisierung auch nicht nach, da ja jederzeit irgendwoher ein potenzieller Mitbewerber kommen könnte, der den Kunden ein besseres oder günstigeres Angebot präsentieren könnte.
1.4 Übertragung des veränderten Kundenverhaltens auf den internen Kunden (Mitarbeiter)
Wenn wir nun unseren Blick wieder in Richtung Arbeitsmarkt bzw. Ressource Mitarbeiter zuwenden und die Entwicklung der letzten Jahre näher beleuchten, kann man, ohne ein Arbeitsmarktexperte zu sein, feststellen, dass sich in vielen Branchen und Regionen der Arbeitsmarkt von einem Verkäufer-Markt zu einem Käufer-Markt entwickelt. In neuen Worten gesprochen von einem „Arbeitgeber-Markt“ in einen „Arbeitnehmer-Markt“ wandelt.
Diese Entwicklung ist eher schleichend und hat in ihrer Stärke immer etwas mit vielen verschiedenen Faktoren zu tun.
Diese Faktoren können zum Beispiel folgende sein:
- saisonale Schwankungen,
- regionale Besonderheiten,
- aktuelle Branchensituation,
- regionale Wettbewerbssituation,
- neue Berufsfelder, die teilweise noch nicht genügend ausgebildet werden,
- konjunkturelle Faktoren,
- wirtschaftliche und politische Gesamtsituation,
- demographische Entwicklungen,
- Überalterung der Bevölkerung,
- uninteressante und damit aus der Mode gekommene Berufsbilder,
- Digitalisierung
- und einige mehr …
Diese möglichen Faktoren haben und hatten eben einen unterschiedlichen Einfluss auf den Veränderungsprozess des Arbeitsmarktes und die Sichtbarkeit der Auswirkungen wird deshalb sehr unterschiedlich deutlich. Zusätzlich haben Sondereffekte wie die Finanzkrise beginnend in 2008 zu temporären Verschiebungen geführt und die Entwicklung teilweise noch intransparenter gemacht.
1.5 Wechsel vom Verkäufer- (Arbeitgeber-) zum Käufer- (Arbeitnehmer-)Markt
Falls Sie ein Unternehmen führen bzw. für die „Ressource Mitarbeiter“ in Ihrem Unternehmen zuständig sind, und sich dank der oben genannten Faktoren eher in einem Arbeitnehmer-Markt befinden, sollten Sie sich Folgendes genauer vor Augen führen. Das Mitarbeiterverhalten wird sich in diesem Marktumfeld dramatisch ändern. Vielleicht haben Sie verschiedene Veränderungen bereits selbst erfahren, jedoch muss ich Sie noch etwas beunruhigen, da dies wahrscheinlich eher die sogenannte Spitze des Eisberges war.
Alleine die demographische Entwicklung der kommenden Jahre wird diese Veränderungen nämlich weiter vorantreiben: Die Menschen in Deutschland werden immer älter und die Zahl der Kinder ist weiterhin unter dem bestandserhaltenden Niveau, das heißt es sterben mehr Menschen als Kinder geboren werden. Die Geburtenzahl, die im Jahr 1964 mit fast 1,2 Millionen Geburten ihren Höhepunkt erreicht hatte, ist bis heute auf rund 673000 im Jahr gesunken. Während die Geburtenrate in Deutschland abnimmt, steigt die Lebenserwartung dagegen beständig an. Die Lebenserwartung liegt heute bei 77 (bei Männern) bzw. 82 Jahren (bei Frauen). Bis ins Jahr 2050 wird ein Anstieg auf 83 Jahre bei Männern und auf 88 Jahre bei Frauen erwartet.
Diese beiden Entwicklungen führen gemeinsam zu einer Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird ohne Zuwanderung von heute 45 Millionen bis 2030 um gut 15 Prozent sinken – auf dann nur noch etwa 37,5 Millionen (Vgl. http://www.foerderland.de/ managen/personal/talent-management/demographischer-wandel/ die-entwicklung-in-deutschland/).
Betrachten wir doch einmal ganz nüchtern und pragmatisch, was passieren wird, indem wir...