A Grundelemente des Kultes
I Kult
I 1. Der Kult in der germanischen Überlieferung
Der Kult ist die Gesamtheit der Rituale, der Tempel, aller Tätigkeiten der Priester und Priesterinnen, der Feste, der Symbole und vieler Dinge mehr.
Daher finden sich viele Einzelaspekte in anderen Kapiteln beschrieben: Bestattungen, Hügelgräber, Tempel, Statuen, Priester, Priesterinnen, Kult-Kleidung, (magische) Ringe, das Jul-Fest, die Auffassungen über die Jahreszeiten und die Himmelsrichtungen usw. Letztlich sind so gut wie alle Kapitel in dieser Buchreihe über die Religion der Germanen Aspekte des Kultes.
Es gibt jedoch einige speziellere oder auch ganz allgemeine Texte über den Kult, die zu keinem der oben genannte Aspekte des Kultes gehören. Sie werden hier in diesem Kapitel betrachtet.
I 2. Wortschatz
I 2. a) Wortschatz
Das altnordische Wort, daß dem deutschen Begriff „Kult“ am nächsten kommt, bezeichnete das „richtige Verhalten zur richtigen Zeit“:
sidr | - Brauch, Sitte, Verhalten, richtige Lebensweise, Religion, Glaube (das deutsche Wort „Sitte“ ist mit dem altnordischen „sidr“ verwandt) |
sannr | - Reinheit, Wahrheit, Richtigkeit, Echtheit, Fairness, Angemessenheit, das Passende (englisch: „sane“ für „gesund, vernünftig“ und deutsch „Konsens“ für „Übereinstimmung“) |
Das wichtigste oder zumindestens das auffälligste Element des Kultes ist das Opfer:
blot | - Opfer |
blot-madr | - Opferer, Heide, Nicht-Christ |
blot-skapr | - heidnischer Kult |
blot-domr | - „Opfer-tum“ = Götzenverehrung |
blot-drykkja | - „Opfer-Trank“ = Opfer-Fest |
blot-skapr | - Dinge, die zum heidnischen Kult gehören |
blota til ars | - für eine gute Ernte opfern |
blota til langlifs | - für ein langes Leben opfern |
blota til fridar | - für den Frieden opfern |
blota til sigrs | - für den Sieg opfern |
blota til byrjar | - für guten Wind opfern |
Die Verehrung der Götter und der heiligen, geweihten Dinge ist auch bei den Germanen ein wichtiger Bestandteil des Kultes gewesen:
tigna | - „kennzeichnen, aussondern, auswählen“ = verehren |
göfga | - verehren, anbeten, schmücken |
faga | - reinigen, schmücken, verehren, bereichern, hegen |
blota | - opfern, verehren |
göfgari | - Verehrer |
faganar-nadr | - Verehrer |
fagandi | - Verehrer |
fagan | - Verehrung |
astar-hygli | - „Liebes-Gedanken“ = Verehrung |
göfgan | - verehrend |
blota heidit god | - verehrte heidnische Gottheit |
blota alfa | - verehrter/heiliger Alfe (Ahn) |
blota heidnar vättir | - verehrtes heidnisches Wesen (Gottheit o.ä.) |
blota lifandi menn | - verehrte/heilige lebende Menschen |
blota hof | - verehrter/heiliger Tempel |
blota lund | - verehrter/heiliger Hain/Wald |
blota fors | - verehrter/heiliger Wasserfall |
tigna-sess | - „gekennzeichneter Sitz“ = Ehrenplatz |
tigna-stol | - „gekennzeichneter Stuhl“ = „Ehren-Stuhl“ = Thron |
ve-skop | - heilige Rituale |
Das Gespräch mit einer Gottheit, also das Gebet, wird die ursprünglichste Form des Kultes gewesen sein:
böna | - verlangen, bitten, beten |
böna-görd | - Gebete sprechen |
böna-hald | - Gebete sprechen |
bönahalds-madr | - Beter, frommer Mann |
böna-fullting | - Unterstützung durch Gebete |
Durch das Weihen wird aus einem „normalen Gegenstand“ ein „heiliger Gegenstand“, der den Gottheiten gehört und somit Teil des Kultes geworden ist und mit den Gottheiten verbunden ist:
vigja | - weihen |
helga | - heiligen, weihen, legitimieren |
signa | - „(kenn-)zeichnen“ = weihen (z.B. mit dem Zeichen des Thor-Hammers) |
signa | - „(kenn-)zeichnen“ = gesegnet, segnen (mit dem Kreuz-Zeichen), heilig |
Das Segnen ist eine Sonderform des Weihens. Der Unterschied zwischen beidem besteht vor allem darin, daß sich „weihen“ eher auf Gegenstände und „segnen“ eher auf Lebewesen und insbesondere auf Menschen bezieht – diese Trennung ist jedoch recht unscharf.
bleza | - segnen (englisch: „to bless“) |
blezanar-ord | - Segens-Worte |
blezan | - Segen, Segnung (ursprünglich: „mächtiger Ausspruch“) |
blezanar-andi | - „Segen-Atem“ = Geist der Segnung |
blezadar-full | - „Segens-voll“, Segens-reich |
Die Huldigung an den Kriegsherrn ist eine spezielle Form der Weihung bzw. Segnung:
vapna-tak | - „Waffen-Berührung“ = Huldigung, bei der die Männer mit ihren Speeren den aufrecht gehaltenen Speer ihres Herrn berühren |
Der altnordische Begriff für „heilig“ leitet sich von dem germanischen Adjektiv „haila“ für „heil, gesund, Glück-voll, echt, sicher u.ä.“ her. „Heilig“ im altnordischen Sinne“ ist also der „ursprüngliche, gute Zustand“, der insbesondere durch die Götter verkörpert wird.
helgi | - Heiligkeit („Helgi“ ist auch ein Beiname des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr als Erhalter der „rechten Ordnung“) |
Das Verhalten, das einen Menschen selber in den Zustand der „Heiligkeit“, also in den „guten, heilen Zustand“ versetzt, ist der Kontakt und der Einklang mit den Göttern:
avadr godunum | - Götter-gefällig |
avadr gudi | - Gott-gefällig |
Feste waren „heilige Tage“ (englisch: „holiday“ = „holy day“):
helgr | - heilige Zeit, Festtag |
An diesen Fest-Tagen durfte nicht gekämpft werden, da der Frieden ein Bestandteil des „guten richtigen Zustandes“ war:
helgar-fridr | - „heiliger Frieden“ = Festzeit-Frieden (vor allem am Julfest) |
helgi | - heil, heilig, sicher (Asyl im Tempel) |
Die Menschen, die an die germanischen Götter glaubten, wurden „Heiden“ genannt, da ihre Hügelgräber, die in ihrem Kult einen zentrale Rolle spielten, meistens in der „Heide“, d.h. in der Wildnis außerhalb der Äcker und Weiden standen und die Germanen ihre Ahnen dort beim Utiseta-Ritual um Rat und Hilfe baten.
heidr | - Hochebene, Heide, Moor, Hochmoor |
heidingligr | - Heide |
heidnir menn | - Heiden |
heidinn | - heidnisch |
heidit land | - Heiden-Land, heidnisches Land |
heidin-domr | - Heidentum |
heidni | - Heidentum, Zeitalter des Heidentums |
forneskja | - „Alte Zeiten“, Zeit der germanischen Religion |
heidingi | - Heide; Heidebewohner = Wolf |
I 2. b) Die Richtigkeit
Die Aufgabe des Kultes
Das Wort „sidr“ für „Brauch, Sitte, Verhalten, richtige Lebensweise, Religion, Glaube“ ist bei den Germanen vermutlich einst ein wesentlicher Begriff gewesen, da die Qualität der „Richtigkeit“ das zentrale Element in allen mythologisch-magischen Weltbildern ist. Die Wirkung des Befolgens des „sidr“ ist der Zustand des „helgi“, also die „Heiligkeit“, „Richtigkeit“ und das „Heilsein“.
Dieser Begriff ist eng mit dem Wort „sannr“ für „Reinheit, Wahrheit, Richtigkeit, Echtheit, Fairness, Angemessenheit, Passendes“ verwandt. „Sidr“ ist sozusagen die Grundlage, auf der „sannr“ entsteht.
Die Mythologie beschriebt zum einen die richtige Ordnung und zum anderen die Folgen, die ein Abweichen von dieser Ordnung hat. Bei dieser Richtigkeit geht es um ganz konkrete Dinge – einfach um die Frage, wie etwas funktioniert und effektiv ist. Dies beginnt damit, daß eine Töpferscheibe rund und gut ausgewogen sein muß, damit man mit ihr gut arbeiten kann; weiterhin bezieht sich die Richtigkeit z.B. auch auf die Folge der Jahreszeiten und den richtigen Aussaattermin im Laufe des Jahres; und schlie...