1 Wem verehr ich das hübsche neue Büchlein (Cui dono lepidum novum
libellum)
Wem verehr ich das hübsche neue Büchlein,
da es eben vom trocknen Bimsstein glatt ist?
Dir, Cornelius, denn du hieltest immer
große Stücke auf meine Spielereien;
damals schon, als du wagtest, die Geschichte
als der einzige Römer in drei schweren
Bänden – Jupiter! – lehrreich darzulegen.
Deshalb nimm es, das Büchlein, wie es vorliegt,
schlecht und recht. – Mache du es, Jungfrau Muse,
dauerhafter noch als ein Menschenalter!
2 Vöglein, Liebling und Freude meines Mädchens (Passer, deliciae rtieae
puellae)
Vöglein, Liebling und Freude meines Mädchens,
mit dir spielt sie und hält dich fest am Busen.
Wenn du schnäbelst, dann reicht sie dir den Daumen,
reizt dich, scharf und begierig zuzubeißen,
immer wenn sie begehrlich wartet, meine
Angebetete, auf Liebkosung, ihren
Liebeskummer ein wenig zu zerstreuen.
Dann beruhigt sich, glaub ich, ihre Hitze.
Könnte ich wie die Herrin mit dir spielen
und vom quälenden Trübsinn mich befreien!
2a Das gefällt mir wie einst dem flinken Mädchen (Tarn gratum est mihi,
quam ferunt puellae)
Das gefällt mir wie einst dem flinken Mädchen
in der Sage der schöne goldne Apfel,
der den lange verschnürten Gürtel löste …
3 Liebesgöttinnen, Liebesgötter, trauert (Lugete, o Veneres Cupidinesque)
Liebesgöttinnen, Liebesgötter, trauert,
liebenswertere Leute, die ich kenne!
Denn gestorben ist meines Mädchens Vöglein,
meines Mädchens geliebtes, süßes Vöglein.
Und sie liebte es mehr als ihre Augen!
Wars doch süß wie der Honig, kannte seine Herrin
gut, wie ein Mädchen seine Mutter,
und entfernte sich nie aus ihrer Obhut,
sondern hüpfte um sie herum und piepte
nur zur Herrin hinauf, zu ihr nur immer.
Nunmehr geht es die dunkle Straße dorthin,
woher niemand, so sagt man, je zurückkehrt.
Sei verflucht, o du böser, finstrer Orkus,
alles Schöne verschlingst du! Und so hast du
auch das niedliche Vöglein mir genommen.
O wie schändlich du bist! – O armes Vöglein!
Deinetwegen muss jetzt mein Mädchen weinen,
werden rot und geschwollen ihre Äuglein.
4 Der Kahn dort, liebe Leute, den ihr liegen seht (Phasellus ille, quem
videtis, hospites)
Der Kahn dort, liebe Leute, den ihr liegen seht,
der will einmal das schnellste Schiff gewesen sein,
und nie vermochte je ein Kiel in voller Fahrt
es einzuholen, kam er nun mit Ruderkraft
dahergeflogen oder unter Segeltuch.
Er sagt, die steile Küstenwand der Adria
und die Kykladeninseln streiten das nicht ab,
das edle Rhodos nicht und Thrakiens Schrecken,
die
Propontis, noch der Pontos, dieses raue Meer:
Dort stand, woraus man später diesen Kahn
gebaut,
der Wald in seinem Laub, denn am Kytorosberg
hat er, aus seinen Blättern schwatzend, oft
gerauscht.
Amastris Pontica und auch Kytoros, reich
an Buchsbaum, kannten es und kennen es noch gut,
so sagt das Schiff; denn auf dem Bergesgipfel dort
sei letzten Endes doch sein Ursprung, wie es sagt,
es habe seine Ruder dort ins Meer getaucht
und seinen Herrn durch aufgepeitschte Meeresflut
von dort zurückgebracht, ob nun der Wind von
links
und rechts es angriff, oder Jupiter, die Fahrt
begünstigend, sich gleich in beide Segel warf;
den Göttern an der Küste habe es auch nie
Gebete widmen müssen, als es her vom Meer
erst jüngst in diesen klaren See gekommen ist.
Doch das ist nun vorbei: Jetzt liegt es hier, wird
alt
in Ruhe, wo es dir, dem Zwilling Kastor sich
und gleichfalls dir, dem Zwillingsbruder Kastors,
weiht.
5 Leben, Lesbia! wollen wir und lieben (Vivamus, mea Lesbia, atque amemus)
Leben, Lesbia! wollen wir und lieben,
und das ganze Geschwätz der Sittenpriester –
einen lumpigen Pfennig solls uns wert sein!
Sonnen können vergehn und wiederkommen –
uns bleibt nur, wenn das kurze Licht uns einmal
ausgeht, ewig die eine Nacht zu schlafen.
Gib mir Küsse, erst tausend, dann noch hundert
und dann tausend noch einmal, nochmals hundert,
nochmals tausend und wieder hundert Küsse!
Wenn wir Tausende uns gegeben haben,
sind wir ganz durcheinander, wissen nichts mehr;
auch wer neidisch ist, kann uns nichts mehr
schaden,
denn er weiß nicht, dass wir uns so oft küssten.
6 Wär sie nicht ordinär und zu geschmacklos (Flavi, delicias tuas Catullo)
Wär sie nicht ordinär und zu geschmacklos,
sicher, Flavius, würdest du nicht schweigen,
sondern sagen, mit wem du dich jetzt abgibst.
Doch du schämst dich wohl zuzugeben, dass du
eine hitzige Nutte liebst – was weiß ich!
Denn dass du keine Nacht alleine zubringst,
das bekundet, auch wenn du schweigst, dein Lager
mit dem syrischen Ölduft und den Kränzen
und den überall ganz zerwühlten Kissen;
und dein wackliges Bett, das knarrt und schaukelt
sehr geschwätzig! Es hat doch keinen Zweck mehr,
dein...