INTIME NOTIZEN AUS DER STILLE
Stockem, 1. Februar 2017
Die Diabetes-Werte sind seit Tagen nicht gut, nachts blitzartiges Aufwachen, AngstschweiĂ, Schlaflosigkeit.
Die neuesten Fotos aus dem Weltall verunsichern, wo sind wir in dieser schrecklichen Unendlichkeit? Beruhigend, es ist die Frage der Fragen aller Menschen aller Zeiten, ihr dramatisches Leben kann kein Sandkorn sein. Die einzige Chance: Gottvertrauen. »Du bist das Bildnis des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15).
Gnade ist immer Ăberfluss, doch stĂ€ndig lockt der Feind sie zu verspielen.
Stockem, MariÀ Lichtmess 2017
Die Messe zum 49. Todestag von Papa in vertrĂ€umter Schreibarbeit vergessen. Doch bleibt er nahe. Die Worte an seine Schwester 1967 im BaviĂšre-Hospital: »Ich habe heute die Kommunion empfangen und werde jetzt noch ein Vaterunser beten«, sie gelten fĂŒr immer.
Fast 10.000 AnschlĂ€ge ĂŒber das musikalische Kulturzentrum in den WĂ€ldern von SylvanĂšs, ein PortrĂ€t von AndrĂ© Gouzes im Deutschlandfunk hat mich bei der Recherche inspiriert. Freie Fahrt fĂŒr alle persönlichen Beobachtungen: das Zittern seiner HĂ€nde, am Morgen der Geruch des Kaminfeuers, die kleinen BrĂŒste der Kellnerin.
Stockem, 6. Februar 2017
Teresa wird Mutter. Wir sind in groĂer Freude. Vieles fĂ€llt von mir ab. Da ist noch eine unerwartete Art von Epiphanie: der treue Gott, seine Beruhigung in allen Irrungen.
Besuch bei Ritter Bourseaux, er schenkt mir ein Buch, das seiner Mutter gehörte: Eugen Gottlob Winkler, Gestalten und Probleme, Leipzig, 1937, u. a. ĂŒber George, JĂŒnger, Hölderlin, Claudel und Bloy. Alles Namen, die ich liebe.
Stockem, 7. Februar 2017
Rapha schreibt aus Paris ĂŒber die depressive Gefahr zwischen Inspiration und Leere, zwischen Arbeit und Flucht. Sie schreibt Gedichte auf hohem Drahtseil. Ich halte sie fĂŒr gefĂ€hrdet. Durch wen oder was ist mir nicht klar.
Stockem, 8. Februar 2017
Plan, die letzte Februarwoche in Paris zu verbringen. Terminzusage von Eric Morin im CollĂšge des Bernardins. Im MĂ€rz neun Tage mit Mona in die Provence. In der Karwoche Einkehrtage »Le Christ vulnĂ©rable« bei Jean Vanier in der Picardie. Alles gute Termine fĂŒr das Magazin meiner Freunde in Rom.
Stockem, 9. Februar 2017
Guigo der KartĂ€user ĂŒber die gereinigte Seele: »Er macht sie nĂŒchtern, indem er sie berauscht.«
Stockem, 10. Februar 2017
Zufluchtsuche, wo sie nicht zu finden ist. Ich verharmlose meine Heiligen. Sie dagegen schweigen.
Stockem, 13. Februar 2017
Muschelessen mit Willy Heuschen im »Refuge«. Ein treuer, etwas jĂŒngerer Freund, ich höre ihm gerne zu. Er liest viel, es sind seltene GlaubensgesprĂ€che, die man hier mit niemandem fĂŒhren kann. Die anderen verbreiten in der Gottvergessenheit ihre dĂŒnnen Klugheiten.
Stockem, 14. Februar 2017
Weiter in der ErkĂ€ltung, MĂŒdigkeit, Vergesslichkeit, Ăberdruss. Guido Horst mailt aus Rom den Redetext von Benedikt XVI. vor den französischen KĂŒnstlern und Intellektuellen. Ich werde ihn in meine Paris-Reportage einarbeiten.
Stockem, 15. Februar 2017
VorfrĂŒhling, erstmals wieder zum Wiesenkreuz. Mailantwort an Pater Meyers: »Ich bin etwas mĂŒde vom Leben und suche einen Beichtvater.« Er antwortet mit einer intellektuellen Absage an die Beichte. Unbrauchbar.
Stockem, 17. Februar 2017
Ăberlegung am Morgen, den Kampf immer wieder aufnehmen, den unersĂ€ttlichen Wölfen nicht lĂ€nger ausgeliefert. Es geht um die Hoheit ĂŒber das Herz.
Bernd vertraut mir seine Liebesgeschichten an, ĂŒberall komplizierte Bettdecken. Die »himmlischen Lustexplosionen« seiner Angebeteten kontrastieren mit ihrer freundschaftlich formulierten Abkehr.
Ich wusste nicht, mit 70 in diese schmerzliche Situation zu geraten: sich noch einmal ein Verliebtsein wĂŒnschen und es zugleich vehement verweigern.
Nach schlechten Wochen: Tranquillus Deus, tranquillans omnia.
Stockem, 18. Februar 2017
Ich möchte tief bei uns im Garten wohnen. Zwischen einem BĂŒcherhaufen und einem Blatt Papier.
Seit meinen Paris-PlÀnen hat Rapha nicht mehr geantwortet. Ich werde es auch nicht mehr tun. Sie ist ein Phantom, die Gestalt eines Romans, den man abbricht.
Zur Frage, wer ich bin, die Verse von GĂ©rard de Nerval 1964 im Unterricht bei Georges Schmits: »Je suis le veuf, le tĂ©nĂ©breux, lâinconsolĂ©.« Mit 17 habe ich solche Worte in der französischen Literatur wie ein SpĂŒrhund gesucht. Ich wollte Baudelaire, Rimbaud und Verlaine sein. LĂ©on Bloys Roman »Le DĂ©sespĂ©ré« kaufte ich wegen der finsteren Titelseite.
HÀtte ich alles gewusst, wÀre ich in Aiguebelle geblieben. Lea wÀre die Schmach erspart geblieben, Mona kannte mich kaum. Mistral am Mittag verhinderte ein zweites GesprÀch mit PÚre Jean de la Croix, eine SeerÀubergestalt, die ich verehrte. Eine halbe Stunde Windstille, und das Leben hÀtte sich entscheidend verÀndert.
Stockem, 19. Februar 2017
Intime Details von Bernd ĂŒber seine (gescheiterte) Beziehung zu der schönen Kölnerin. Zuerst bei ihm im Bett, dann im Museum Ludwig Empörung ĂŒber einen Po-Klaps ⊠Ich rede mit ihm wie ein Beichtvater, Eheberater und Sexualtherapeut. Er wĂŒsste gerne, was wĂ€re, wenn ich mit ihr reden wĂŒrde. Es nĂ€hme kein gutes Ende.
Paris, 21. - 24. Februar 2017
In der Unruhe nach Paris, doch gleich wieder mein französisches HeimatgefĂŒhl. Lust, hier zu leben: Mein Zimmer auf Montmartre, unmittelbar zwischen SacrĂ©-Coeur und Place du Tertre.
Im »CollĂšge des Bernardins« gutes Interview mit Eric Morin und Nathalie Moyan. GlĂŒck, wenn die Dinge gelingen. Beim Bouquinisten Arthur am Seine-Ufer, er ElsĂ€sser, seine Mutter aus BrĂŒssel. Blick auf die Nobeladresse »Tour dâArgent«, auf dem Balkon hob Ernst JĂŒnger das Glas Champagner mit Erdbeeren, als die Jagdbomber ĂŒber Paris donnerten.
Beichte in Notre-Dame, sachlich, emotionslos. Kommunion wÀhrend einer Totenliturgie in St-Julien-le Pauvre. Schwester Marie-Sylvaine sucht am Abend das GesprÀch, es ist wertvoller als die Beichte.
Spaziergang auf Montmartre. Vor dem Haus, wo LĂ©on Bloy und Paul CĂ©zanne wohnten, die BĂŒste von Dalida, sehr Frau; die LĂ€den der Rue Lepic und Place Pigalle, wo ich 1964 erstmals Huren sah und erschrak.
Sonderbare Begegnung mit einer offenbar gestörten Farbigen in SacrĂ©-Coeur. Dann kam ein OrdnungshĂŒter und sagte, sie solle gehen.
Stockem, Karneval 2017
WĂ€hrend der Rosenmontagszug startet, Interviewfragen fĂŒr Sr. Sylvaine sowie Notizen ĂŒber LĂ©on Bloy und Max Jacob.
Traditionelles Abendessen mit Tina im »Grill de la Clouse«. Unser gutes Kind. Ihr ganzes GlĂŒck ist der Job im »BĂŒtgenbacher Hof« der Familie Maraite.
Notiert ĂŒber die Jahre mit Mona: Sie hĂ€lt mich nicht fest, sie hĂ€lt mich aus. Sie lĂ€sst mich nicht fallen, sie ertrĂ€gt mich und trĂ€gt mich immer wieder ins Licht. Wenn ich ausbreche, ist es kein Bruch. Wie schwer mag ich zu ertragen sein? Sie sagt, ohne mich kann sie sich ein Leben nicht vorstellen, wir sind zusammen gewachsen. Worte wie eine Befreiung.
Stockem, 1. April 2017
Als wÀre es schon Karsamstag.
Stockem, 2. April 2017
Vor acht Tagen in Val-Dieu wollte ich auf die Fred-Evers-Kolumne verzichten, dann meinte ich es den Lesern schuldig zu sein. Meine Erfahrung heute: Ich bin ihnen nichts schuldig, Freds Ansichten sollten mich nicht beschÀftigen, der öffentliche Streit bedeutet Stress, Verletzung der inneren Ruhe.
Stockem, 3. April 2017
TaizĂ©-Abend mit FrĂšre Jasper in der Bergkapelle. Bewegt in der letzten Bank, gerĂŒhrt von der AtmosphĂ€re, die Christus spĂŒrbar macht. Welche Leistung der CommunautĂ©, diesen Geist seit dem Kriegsende lebendig zu halten und hierher zu tragen. Es ist der Heilige Geist.
Stockem, 4. April 2017
Seit Wochen schwieriger Schlaf, quĂ€lende TrĂ€ume ĂŒber das Scheitern, tagsĂŒber Reizbarkeit. Sterbenswunsch in den Wogen der Lieder aus TaizĂ©. Nachdenken ĂŒber andere Heimatorte. Die Illusion einer griechischen Insel, vorzugsweise Amouliani, die Strafinsel gegenĂŒber dem Athos.
Stockem, 5. April 2017
Frage an den BĂŒrgermeister von Cortambert, ob es dort eine kleine einfache Bleibe gibt fĂŒr zwei, drei Monate jĂ€hrlich. Ein Ort im Schatt...