Jeremias â Eine dramatische Dichtung in neun Bildern (1917) Die Gestalten des Gedichts
ZEDEKIA, der König
PASHUR, der Hohepriester
NACHUM, der Verwalter
IMRE, der Ălteste der BĂŒrger
ABIMELECH, der Oberste der Kriegsknechte
HANANJA, der Profet des Volkes SchwerttrÀger, Krieger, Knechte
JEREMIAS
SEINE MUTTER
JOCHEBED, eine Anverwandte
ACHAB, der Diener
BARUCH, ein JĂŒngling
SEBULON, sein Vater
Das Volk von Jerusalem Die Gesandten Nabukadnezars ChaldĂ€ische und Ăgyptische Krieger
Der Schauplatz des Gedichts ist Jerusalem zur Zeit seines Untergangs.
Die Bilder des Gedichts
Die Gestalten des Gedichts
Die Bilder des Gedichts
I. Die Erweckung des Profeten
II. Die Warnung
III. Das GerĂŒcht
IV. Die Wachen auf dem Walle
V. Die PrĂŒfung des Profeten
VI. Stimmen um Mitternacht
VII. Die letzte Not
VIII. Die Umkehr
IX. Der ewige Weg
I. Die Erweckung des Profeten
»Rufe mir, so will ich dir antworten und dir anzeigen groĂe und gewaltige Dinge, die du nicht weiĂt.«
Jer. XXX, 3.
Das flache Dach auf dem Hause des Jeremias, weiĂgequadert und blinkend im matten Mond. In der Tiefe mit TĂŒrmen und Zinnen, mit Schlaf und Stille Jerusalem. Alles ist reglos ringsum, nur der Wind der ersten FrĂŒhe fĂ€hrt manchmal tönend durch das Schweigen.
Plötzlich Schritte, polternd und hastig, die Treppe empor. Jeremias im losen Kleid, die Brust offen, wie ein GewĂŒrgter keuchend, stĂŒrmt herauf.
JEREMIAS: Die Tore rammelt zu⊠die Riegel vor⊠zum Wall⊠zum Walle!⊠Oh WĂ€chter, schlimme WĂ€chter⊠sie kommen⊠sie sind da⊠Brand ĂŒber uns⊠im Tempel Brand⊠Hilfe⊠zu Hilfe!⊠Die Mauer fĂ€llt, die MauerâŠ
JEREMIAS (ist bis zum Rande des Daches vorgestĂŒrmt und hĂ€lt plötzlich inne. Sein Schrei prallt gell gegen die weiĂe Stille. Er schrickt zusammen, ein Erwachen kommt ĂŒber ihn. Sein Blick tastet wie der eines Trunkenen ĂŒber die Stadt hin, seine Arme, die schreckhaft gespreizten, brechen langsam nieder, mĂŒde streift die Hand ĂŒber die offenen Lider): Wahn! Wieder Trug und Traum, der fĂŒrchterliche! Oh TrĂ€ume, TrĂ€ume, TrĂ€ume, wie voll ist ihrer das Haus!
(Er beugt sich ĂŒber den Rand der Mauer und blickt hinab:)
Friedlich die Stadt, friedlich das Land, in mir nur dieser Brand, nur meine Brust ein Feuer! Oh, wie sie selig ruht in Gottes Arm, von Schlaf bebrĂŒtet, ĂŒberdacht von Frieden, ein Tau von Mond auf jedem Haus und Schlummer, sachter Schlummer auf jedes Hauses Stirn. Nur ich, ich brenne Nacht um Nacht, stĂŒrz hin mit allen TĂŒrmen, fliehe Flucht, vergeh in Flammen, nur ich, nur ich, zerwĂŒhlt die Eingeweide, fahr taumelnd hoch vom heiĂen Bett zum Mond, daĂ er mich kĂŒhle! Nur mir sprengt Traum den Schlaf, nur mir friĂt feurig Graun das Schwarze von den Lidern! Oh Marter dieses Bilds, oh Irrwitz von Gesichten, die trĂŒgerisch im Blut sich ballen und matt schmelzen dann im wachen Mond!
Und immer gleich der Traum, gleich dieser Wahn, Nacht, Nacht und Nacht, der gleiche Schrecken sich im Fleische bĂ€umend, der gleiche Traum zu gleicher Qual entbrennend! Wer tat dies in mein Blut, dies Gift der TrĂ€ume, wer, wer jagt mich so mit Schrecknis? Wer hungert meines Schlafs, daĂ er ihn wegfriĂt mir vom Leibe, wer quĂ€lt, wer quĂ€let mich? Mond, Nacht, Gestirn, ihr kalten Zeugen, wer, wer plaget mich, und wem, wem wache ich? Oh Antwort, Antwort! Wer bist du, Unsichtbares, das vom Dunkel zielt auf mich mit Pfeilen des Entsetzens, wer bist du, Schrecknis, die mich nachts beschlĂ€ft, daĂ ich dein schwanger ward und mich hinkrĂŒmme in den Wehen? Warum dies Grauen mir, nur mir in dieser Stadt voll Schlummer und Entsinkens!
(Er horcht in die Stille hinein. Immer fiebriger.)
Oh Schweigen, Schweigen, immer Schweigen und innen Aufruhr noch und aufgewĂŒhlte Nacht. Mit heiĂen FĂ€ngen krallt sichs ein in mich und kann sie doch nicht fassen, mit Bildern geiĂelts mich und weiĂ nicht, wer mich treibet, in leere Luft hinfallen meine Schreie! Wohin, wohin entfliehn? Oh wirr Geheimnis dieser Jagd, der ich erliege, und weiĂ nicht, wessen Ziel und wem zur Beute! Tu auf dich, Netz und Wirrnis, den Sinn sag dieser Qual, du Unsichtbarer, oder laĂ von mir, ich kann, ich kann nicht mehr. LaĂ ab, du JĂ€ger, oder fasse mich, in Wachen ruf mich, nicht im Traum, in Worten sprich und nicht in Bildern brenne, â tu auf dich, der du mich verschlieĂest, den Sinn sag dieser Qual, den Sinn, den Sinn!
EINE STIMME (leise rufend vom Dunkel her. Sie scheint aus Tiefen oder Höhen zu kommen, geheimnisvoll in ihrer Ferne): Jeremias!
JEREMIAS (taumelnd, wie von Steinwurf getroffen): Wer?⊠mein Name⊠war dies mein Name nicht⊠rief es von Sternen, riefs aus meinem Traum?⊠(Er horcht hinaus. Alles ist wieder stumm.)
JEREMIAS: Bist du es, Unsichtbarer, der mich jagt und plaget⊠bin ich es selbst, tönt mein hinstĂŒrmend Blut⊠noch einmal sprich, daĂ ich dich kenne, Stimme⊠noch einmal ruf mich an⊠noch einmal, einmal sprichâŠ
DIE STIMME (nÀher tastend): Jeremias!
JEREMIAS (zerschmettert in die Knie stĂŒrzend): Hier bin ich, Herr! Es hört dein Knecht! (Er lauscht atemlos. Nichts regt sich ringsum.)
JEREMIAS (erbebend vor Leidenschaft): Sprich, Herr, zu deinem Knecht! Du riefest meinen Namen, so gib die Botschaft auch, auf daĂ mein Sinn sie fasse. Wach bin ich deinem Wort und offen deiner Rede! (Er lauscht wieder angespannt. Tiefes Schweigen.)
JEREMIAS: Ist es vermessen, daĂ ich dein begehre? Ein Unbelehrter bin ich und geringer Knecht, ein Staubkorn deiner Erde, doch dein ist alle Wahl! Der du Könige kiesest aus den Hirten und oft entsiegelst eines Knaben Mund, daĂ er dann glĂŒhet deiner Rede, â du wĂ€hlst nach andern Zeichen. Wen du berĂŒhrest, Herr, der ist erwĂ€hlet, wen du erwĂ€hlest, Herr, der ist berufen. War schon dein Ruf dies, der an mich ergangen, oh sieh, ich habe ihn vernommen; bist du es, Herr, der mich gejagt, so sieh, ich flieh dir nicht. FaĂ deine Beute, Herr, greife dein Wild oder jag weiter mich zum Ziele! Nur mach mich wissend, daĂ ich dich nicht fehle, tu auf die Himmel deines Wortes, daĂ ich dich erschau, dein Knecht!
DIE STIMME (nÀher, eindringlicher): Jeremias!
JEREMIAS (entbrennend): Ich höre, Herr, ich höre! Mit meiner ganzen Seele horche ich dir zu! Aufgetan sind die Quellen meines Bluts und strömen, ausgereckt jede Faser meines Leibs, dich zu fassen, offen bin ich, unwĂŒrdig GefĂ€Ă, deiner VerkĂŒndung. Rede mir deine Rede, befiehl deine Befehle, dein bin ich mit dem Fleisch und dem Inwendigen meiner Seele! Ich will werden in deinem Willen und vergehen in deinem GeheiĂ. Ich will verlassen, die ich liebte, um deinetwillen und abseits werden meinen Freuden, ich will lassen die ...