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Geschichte der Pest in OstpreuĂen
Wilhelm Sahm
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Geschichte der Pest in OstpreuĂen
Wilhelm Sahm
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Unbeschreibliches Elend durchlitten die Bewohner OstpreuĂens in den Zeiten der "Pestilenz", die das Land in mehreren PestlĂ€ufen durchzog. Ganze Dörfer wurden verödet, StĂ€dte verwĂŒstet, Familien und Existenzen zerstört. Wilhelm Sahms "Geschichte der Pest in OstpreuĂen" enthĂ€lt die gewissenhaft recherchierten chronologischen AblĂ€ufe des Geschehens, unterlegt mit unzĂ€hligen eindringlichen Berichten von Einzelschicksalen und Tragödien.
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Informations
Vorwort.
DIE Idee einer Darstellung der groĂen altpreuĂischen Volkskrankheiten, welche bis ins 18. Jahrhundert als âPestkrankheitenâ bezeichnet zu werden pflegen, ist nicht neu. Schon Hagen hat im Jahre 1821 einen dahingehenden Versuch gemacht und in den âBeitrĂ€gen zur Kunde PreuĂensâ die groĂe Pest der Jahre 1709/11 eingehend dargestellt.1 Die zuverlĂ€ssige, auf Grund aktenmĂ€Ăigen Materials sorgfĂ€ltig aufgebaute Monographie, welche sich in der Hauptsache Königsberg zuwendet, ist als bedeutendster Beitrag zur ostpreuĂischen Seuchengeschichte rĂŒhmlichst bekannt und bedarf daher an dieser Stelle keiner besonderen WĂŒrdigung.
Ăber der Abfassung jener Arbeit sind seither 84 Jahre vergangen. Die leichtere ZugĂ€nglichkeit der Archive und die dadurch begĂŒnstigte rastlos fortschreitende historische Forschung, deren Ergebnisse in mannigfachen Publikationen niedergelegt wurden, ergaben immer neue, wertvolle BeitrĂ€ge und AufschlĂŒsse zu den groĂen preuĂischen Volksepidemien und lieĂen den Gedanken einer umfassenden Untersuchung der Seuchen-Geschichte OstpreuĂens nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen. Freilich, auf VollstĂ€ndigkeit darf dieselbe trotzdem keinen Anspruch erheben; denn wer dĂŒrfte wohl dafĂŒr einstehen, daĂ nicht unterschiedliche Stadt- und Kirchenarchive, welche dem Verfasser unerreichbar geblieben und wo schriftliche Anfragen nicht immer den gewĂŒnschten Erfolg hatten, doch noch einschlĂ€giges Material bergen, das die Arbeit da ergĂ€nzen wĂŒrde, wo jetzt der Quellenmangel ein tieferes Eingehen nicht gestattete.
Das Hauptmaterial boten dem Verfasser die Königlichen Staatsarchive zu Königsberg und Berlin, das hiesige Stadtarchiv, sowie zahlreiche Stadt- und Kirchenregistraturen der Provinz. Um in erster Reihe der Lokalforschung zu dienen, muĂte es darauf ankommen, auch die unscheinbarste Notiz zu verwerten, obschon hierdurch die Darstellung erhebliche BeeintrĂ€chtigung erfuhr und bei der Sprödigkeit des Stoffes die Gefahr nahe lag, in einzelnen Partien die Allgemeinheit zu ermĂŒden. Bei dem im Grunde doch immerhin gleichartigen Stoff lieĂ sich die Wiederholung mancher Einzelheiten nicht vermeiden, um so mehr, als auch mit einer teilweisen LektĂŒre der Arbeit gerechnet werden muĂte.
Vom 18. Jahrhundert ab lieĂ die FĂŒlle des Materials, mehr noch die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, eine Teilung in der Darstellung ratsam erscheinen. Dabei hielt sich der Verfasser an die noch heute ĂŒblichen Namen der altpreuĂischen Gaueinteilung, wenn schon die schwankenden Gaugrenzen nicht immer peinlich eingehalten wurden, namentlich, wenn es die Abrundung eines Stoffganzen erheischte.
Das Ermland muĂte leider mangels einschlĂ€gigen Aktenmaterials unberĂŒcksichtigt bleiben. Es sei daher hier auf einen Aufsatz âDie Pest im Ermlandâ von Dr. Matern hingewiesen, welcher die Archive zu Braunsberg und Frauenburg sorgfĂ€ltig benutzt hat.
Die Schreibweise der Ortsnamen entspricht den heutigen VerhĂ€ltnissen. Ăber das statistische Material bringt eine demselben vorangehende Einleitung die nötige AufklĂ€rung.
Es erĂŒbrigt noch, den Herren Beamten der benutzten Archive, insbesondere Herrn Archivdirektor, Geheimem Archivrat Dr. Joachim, den Herren Archivaren Dr. Karge und Dr. Eggers sowie Herrn SekretĂ€r Tobies fĂŒr freundlichst bewiesenes Entgegenkommen zu danken. Dankbar auch wird der Verfasser des wohlwollenden Interesses gedenken, das Herr UniversitĂ€tsprofessor Dr. Krauske, Herr Geheimrat Dr. Joachim sowie Herr UniversitĂ€tsprofessor Dr. Lohmeyer an der Entstehung und Vollendung vorstehender Arbeit genommen haben. SchlieĂlich sei des Vereins fĂŒr die Geschichte von Ost- und WestpreuĂen fĂŒr die Bereitwilligkeit dankbar gedacht, mit der er die Arbeit unter seine Publikationen aufgenommen hat.
Königsberg, im Juni 1905.
Der Verfasser.
Der Verfasser.
1 Hagen, die Pest in PreuĂen 1709/11, BeitrĂ€ge zur Kunde PreuĂens 1821. Bd. 4. S. 27â 49.
ErlÀuterung der hÀufigsten Zitate.
Act. Bor. = Acta-Borussica.
Bibl. d. Kbg. St. A. = Bibliothek des Königsberger Staats-Archivs.
Ordens B. A. = Ordensbriefarchiv.
Ordensfol. = Ordensfoliant.
Ostpr. Fol. = OstpreuĂischer Foliant.
E. M. = Etats - Ministerium (Abteilung des Königsberger Staatsarchivs)
N. Pr. Pr. = [Neue] PreuĂische ProvinzialblĂ€tter.
Kbg. St. A. = Königsberger Staats-Archiv.
Kbg. Stdt. A. = Königsberger Stadt-Archiv.
Erl. Pr. = ErlĂ€utertes PreuĂen.
Geh. St. A. Berlin = Geheimes Staats-Archiv Berlin.
DIE Pest ist eine jener epidemischen Krankheiten, welche erst die medizinische Wissenschaft unserer Tage recht erkannt hat. Dem Mittelalter und seiner Folgezeit war jede Seuche, die ein gröĂeres Sterben im Gefolge hatte, eine Pest2, wobei die Plötzlichkeit der Erscheinung und die Schnelligkeit des tödlichen Ausganges die Hauptsymptome bildeten.
So unbestimmt unseren Vorfahren der Krankheitsbegriff Pest war, so spĂ€rlich und unbestimmt sind auch bis zum 16. Jahrhundert die Quellen, welche von dieser frĂŒhen Periode ostpreuĂischer Seuchengeschichte Kunde geben könnten. Die Korrespondenz des deutschen Ordens erwĂ€hnt die furchtbare Volksplage Ă€uĂerst selten, und auch die wirtschaftlichen Aufzeichnungen jener Tage berichten wohl in geschĂ€ftsmĂ€Ăiger KĂŒrze ĂŒber Landverleihungen, VertrĂ€ge und Ă€hnliche Angelegenheiten, enthalten jedoch ĂŒber den Gegenstand unserer Betrachtung keine nennenswerten Angaben.
Freilich, in den Berichten der alten Landeschronisten finden sich hie und da vereinzelte Nachrichten ĂŒber die Verheerungen, welche die Pest unter den Bewohnern PreuĂens anrichtete. Der Umstand indessen, daĂ die erwĂ€hnten Autoren jenen Ereignissen zumeist zeitlich fern standen, sowie auch die Tatsache, daĂ der Gegenwart hĂ€ufig die Quellen der alten Geschichtschreiber unbekannt geblieben sind, lĂ€Ăt die GlaubwĂŒrdigkeit derselben nicht immer unbedingt erscheinen, und wo eine NachprĂŒfung möglich war, bestĂ€tigte sie vielfach diese Vermutung. So zeigt Lucas David3 an zahlreichen Stellen eine sinngetreue, oft wörtliche Ăbereinstimmung mit der Chronik des Tolkemiter Dominikanermönches Simon Grunau, die bereits Töppen einer vernichtenden Kritik unterzogen hat.4
Auch Kaspar SchĂŒtz5 meldet unter anderm aus dem Jahre 1313 von einer schrecklichen Pest. Indessen erscheinen die Einzelheiten seines Berichtes so ungeheuerlich, daĂ schon ein Historiker des 18. Jahrhunderts6 in die GlaubwĂŒrdigkeit derselben gelinde Zweifel setzt.7
Mehr dĂŒrfte den Tatsachen entsprechen, was Johannes von der Pusilie ĂŒber die von ihm selbst erlebten Pesten zu berichten weiĂ.8 Doch unterlaufen auch ihm, dem sonst als zuverlĂ€ssig geltenden Annalisten an mehreren Stellen offensichtliche IrrtĂŒmer, auf die bereits sein erster Herausgeber Voigt hingewiesen hat. Als um die Mitte des 14. Jahrhunderts der schwarze Tod seinen Vernichtungszug durch Europa hielt, ward auch das Ordensland davon betroffen. Auffallenderweise wissen die altpreuĂischen Geschichtschreiber darĂŒber nichts zu melden. Nur die Chronik von Oliva berichtet, daĂ die Seuche Polen und das benachbarte PreuĂen hart angegriffen hĂ€tte. Heftige Fieber- und DeliriumanfĂ€lle, verbunden mit blutigem Auswurf, seien die Kriterien der Seuche gewesen, bis am fĂŒnften Tage mit der Bildung von Karbunkeln der Tod eintrat.9
Aus handschriftlicher Quelle wĂ€re noch einer Pestepidemie aus dem Jahre 1416 zu gedenken, welche der Polenkönig Jagello in einem Schreiben erwĂ€hnt. Er spricht dort von einem âPest haucheâ, der mit Zulassung Gottes in dieser Zeit in PreuĂen, namentlich in Danzig wĂŒte und bittet, daĂ niemand, der mit dieser Krankheit behaftet sei, in die Gesandtschaft aufgenommen werden möge, welche unter FĂŒhrung des Komturs von Danzig nach Litauen gehe, âdamit nicht diese Pestkrankheit, welche ansteckend ist, auch bei uns krĂ€ftig werde.â10
Ăbereinstimmend hiermit berichtet der Hochmeister Michael KĂŒchmeister in demselben Jahre an den Erzbischof von Riga von âSweren lowffenâ, die ihn verhinderten, das Geld aufzubringen, welches der Aufenthalt des Bischofs in Konstanz erfordere. âSo hat leiderâ, heiĂt es dort an einer Stelle, âlange ziet die pesti lencia die arme landt swerlichen obirgangen vnd hutistages noch weret.11
Mit diesen sporadischen Mitteilungen, die sich wohl kaum jemals zu einem eingehenden Berichte ergĂ€nzen lassen dĂŒrften, schlieĂen die Nachrichten ĂŒber die groĂen Volkskrankheiten OstpreuĂens zu den Zeiten der Ordensherrschaft ab.
Der englische SchweiĂ.
In den letzten Maitagen des Jahres 1529 war in London eine gefĂ€hrliche Seuche ausgebrochen, welche schon frĂŒher zu wiederholten Malen das englische Volk vom Thron bis zur HĂŒtte heimgesucht hatte. Es war die gefĂŒrchtete englische SchweiĂkrankheit. Ende Juli 1529 erschien sie plötzlich in Hamburg und verbreitete sich mit erschreckender Schnelligkeit ĂŒber fast ganz Deutschland und Nordeuropa. Bereits anfangs September 1529 zeigte sie sich im Herzogtum PreuĂen. Zwar sind die örtlichen zeitgenössischen Angaben ĂŒber die Natur der Seuche nur spĂ€rlich; immerhin ermöglichen sie doch in Verbindung mit gleichzeitigen Ăberlieferungen aus anderen Gebieten ein annĂ€hernd richtiges Bild der neuen Krankheit zu geben.12
Die Seuche trat, abgesehen von einer mit Herzklopfen verbundenen Beklommenheit, ohne jede Vorboten auf. Sie setzte mit kurzem SchĂŒttelfrost ein, der sich in besonders bösartigen FĂ€llen bis zu krampfhaften Zuckungen der Glieder steigerte. Oft auch ĂŒberfiel der SchweiĂ seine Opfer unter anfangs mĂ€Ăiger, fort und fort zunehmender Hitze im Rausche oder im Schlafe, so daĂ dieselben beim Erwachen oft schon dem Tode nahe waren. Dumpfes Kopfweh fand sich bei allen Kranken ein und verursachte eine unwiderstehliche Schlafsucht, die den sicheren Tod durch SchlagfluĂ herbeifĂŒhrte, wenn sie nicht ĂŒberwunden werden konnte. Die Atmung erfolgte unter groĂen Beschwerden, und nach kurzem Zögern, oft auch schon im Beginn der Krankheit, brach ein ĂŒbelriechender SchweiĂ aus, der entweder zur Genesung oder zum Tode fĂŒhrte. Der Chronist Hasentödter13 beschreibt den akuten
Verlauf des SchweiĂfiebers in folgendem Reime:
âEin Kranckheit gnant der Enlisch schweiss,
Schickt Gott auff diesen Erdenkreiss
Von wegen unsrer groĂen SĂŒnd,
Damit wir seinen zorn entzĂŒnd.
Der Schweiss nam manchen Menschen hin
Eh man sich wust zu schicken drin.
Erlebtens vier und zwentzig stund,
So wurdens gmeinlich wieder gsund.
Bin selbst gelegen an dem Schweiss,
Darum davon zu sagen weiss.â
Panischer Schrecken hatte sich in PreuĂen der GemĂŒter beim Herannahen der âschwitzenden Seucheâ bemĂ€chtigt. Der in Königsberg versammelt gewesene Landtag stob aus Furcht vor der âerschrecklichen Plageâ auseinander und sollte spĂ€ter in Friedland abgehalten werden, w...