Psychologisch-philosophische Untersuchungen
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Psychologisch-philosophische Untersuchungen

FĂŒr ein liebevolles VerstĂ€ndnis unseres menschlichen Daseins

Hans-Peter Kolb

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  1. 176 pages
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Psychologisch-philosophische Untersuchungen

FĂŒr ein liebevolles VerstĂ€ndnis unseres menschlichen Daseins

Hans-Peter Kolb

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Die folgende Sammlung kleiner Schriften entstand teilweise dadurch, dass ich mir eigene Gedanken bei der Fachliteratur zu entsprechenden Themen machte, zum Großteil aber wurde ich in den psychotherapeutischen GesprĂ€chen mit meinen Klienten dazu angeregt, ĂŒber bestimmte Themen und Probleme nachzudenken und mich darĂŒber mit ihnen auszutauschen. Insofern verdankt dieses Buch seine Entstehung vor allem meinen Klienten, denen ich an dieser Stelle danken möchte, und den Möglichkeiten, die mir meine TĂ€tigkeit als psychologischer Psychotherapeut bietet. Im 11. und 12. Kapitel beschĂ€ftige ich mich mit Hannah Arendts Buch "Vom Leben des Geistes", weil das politische Handeln bei ihr sich ohne Weiteres auf das psychotherapeutische ĂŒbertragen lĂ€sst.

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Informations

Éditeur
Books on Demand
Année
2020
ISBN
9783751925778

1. Psychische Belastungsstörungen

Da Belastungen immer auch mit Schmerzen verbunden sind, und weil sowohl körperlicher als auch seelischer Schmerz in denselben Gehirnregionen verarbeitet werden, gibt es bei psychischen Belastungen immer auch körperliche Anteile. In gewisser Weise sind wir dann unser Körper, obwohl wir meistens denken, dass wir einen Körper haben. Gerade unter Belastungen körperlicher wie seelischer Art erfahren wir unsere Leiblichkeit, nĂ€mlich alle Regungen unseres Körpers, und unsere Lebendigkeit. Wenn wir derart von unseren Regungen ergriffen werden, sind wir in einem Äquivalenz-Modus des Erlebens, unser Körper ist gleichwertig, nĂ€mlich Ă€quivalent, mit uns selbst, sodass wir mit Wittgenstein sagen können, dass der „menschliche Körper [...] das beste Bild der menschlichen Seele“ (Wittgenstein, 2001, S. 1002, PU 496) sei. Daher sollten wir bei psychischen Belastungen immer auch unseren Körper und seine Regungen im Blick behalten und auch fĂŒr körperliche Entlastung sorgen.
Wenn wir sagen, dass wir einen Körper haben, dann sind wir im Als-ob-Modus, wir beziehen uns dann auf bestimmte Möglichkeiten, was wir mithilfe unseres Körpers alles machen können, als ob er ganz zu unserer VerfĂŒgung steht, als ob wir frei ĂŒber unseren Körper bestimmen könnten. Wenn wir dann etwas getan haben und bemerken, was dadurch geschehen ist, sind wir im RealitĂ€tsmodus. Wir sind dann mit der Wirklichkeit konfrontiert, inwieweit unsere Vorstellungen erfĂŒllt wurden oder nicht. Im Äquivalenz-Modus mit unseren Regungen sind wir von etwas ergriffen, im Als-ob-Modus reflektieren wir unsere Möglichkeiten und entscheiden uns, eine bestimmte Handlung auszufĂŒhren oder zu unterlassen, und im RealitĂ€tsmodus sind wir mit einem Ergebnis konfrontiert, aufgrund dessen wir sowohl unsere Ergriffenheit als auch unsere Entscheidung hinterfragen können. Mit den entsprechenden Antworten auf derartige Fragen können wir uns dann verantwortungsvoll weiterentwickeln.
Rein sprachlich können wir die beiden Aspekte unserer Physis Leib und Körper nennen und sagen, wir sind unser Leib und haben einen Körper. Der Unterschied zwischen Körper und Leib ist der, dass unser Körper nur die naturwissenschaftlich-medizinisch und in diesem Sinn objektiv messbaren Prozesse unseres Körpers, insbesondere die physischen Wachstums- und Zerfallsprozesse meint, die von anderen erfasst werden können, wĂ€hrend der Leib alle Selbstprozesse meint, von denen wir durch unsere Regungen und insofern subjektiv etwas direkt bzw. unmittelbar spĂŒren, wovon andere direkt nichts mitbekommen können. Die DualitĂ€t von Körper und Leib Ă€hnelt der in der Quantenphysik, wo alles die Charakteristik sowohl eines Teilchens als auch einer Welle hat. Medizinisch-naturwissenschaftlich besteht der Körper aus verschiedenen „Teilen“, deren Zusammenspiel untersucht wird, unsere leiblichen Regungen dagegen haben einen Wellencharakter, da sie eine gewisse Rhythmik besitzen.
Unsere leiblichen Regungen bei Schmerz, sei er körperlich oder seelisch, haben den Sinn und Zweck, den Schmerz zu lindern und weiteren Schmerz zu verhindern. Entsprechend spannen wir bei der Gefahr eines (u.U. weiteren) Schmerzerlebens unsere Muskeln an und entsprechende Hormonmengen werden unwillkĂŒrlich gesteuert, damit wir jederzeit kĂ€mpfen, fliehen oder uns sonst auf irgendeine Weise schĂŒtzen können. Ist die Gefahr vorbei, will unser Leib sich wieder entspannen und auch hormonell wieder ins Gleichgewicht kommen. Das geht aber nur, wenn wir in den Äquivalenz-Modus kommen und uns ganz unseren Regungen hingeben. Meistens aber bleiben wir im Als-ob-Modus hĂ€ngen, wir spĂŒren nach und versuchen erst einmal auf einer mentalen Ebene unter dem Aspekt des Geistig-Idealen alles zu verarbeiten. Das ist auch in Ordnung so, kritisch wird es nur, wenn wir zu lange in diesem Modus verweilen und uns gegen den Äquivalenz-Modus wehren. Hier kommt nun der psychisch-motivationale Aspekt unseres Daseins ins Spiel, eine Dynamik bestimmter Motive, die uns im Als-ob-Modus hĂ€lt und den Äquivalenz-Modus vermeidet, zumindest wenn es um die Verarbeitung des betreffenden Schmerzes bzw. der betreffenden Belastung geht. Insofern steckt hinter jeder Belastung, die wir nicht richtig verarbeiten, immer ein psychisches Problem, eine psychische Belastungsstörung, die sich mit der Zeit immer mehr körperlich auswirkt. Auf die Dauer fĂŒhrt Schmerzvermeidung immer zu psychischen Störungen bzw. Belastungsstörungen. Schon Kafka sagte in einem Aphorismus: „Du kannst dich zurĂŒckhalten von den Leiden der Welt, das ist dir freigestellt und entspricht deiner Natur, aber vielleicht ist gerade dieses ZurĂŒckhalten das einzige Leid, das du vermeiden könntest.“ (Kafka, Die ZĂŒrauer Aphorismen, entstanden 1917-1918)
In unserer Kultur geht es oft darum, keine SchwĂ€che zu zeigen („Ein Indianer kennt keinen Schmerz“), sodass diese Motivation uns im Als-ob-Modus hĂ€lt und wir so tun, als ob uns Belastungen nichts ausmachen. Nicht nur auf diese mentale Weise unterdrĂŒcken wir Schmerzen, sondern auch mit Medikamenten, was ebenfalls zu psychischen Belastungsstörungen fĂŒhren kann. Ein extremes Beispiel, an welchem man aber noch anderes zeigen kann, ist der Phantomschmerz. Als es noch keine Narkosemittel gab und Gliedmaßen ohne BetĂ€ubung amputiert werden mussten, bekam niemand Phantomschmerzen. Mit dieser Feststellung will ich nicht dafĂŒr plĂ€dieren, die Narkose bei Amputation abzuschaffen, es zeigt aber, dass ein Schmerzerleben blitzartig zurĂŒckkehren kann, wenn wir das Bewusstsein mit einer Narkose ausschalten (örtliche BetĂ€ubung bei Amputationen wĂŒrde keinen Phantomschmerz erzeugen). Ohne Narkose ist der Schmerz am amputierten Glied abgelöst worden vom Schmerz an der Stelle der Amputation, und nachdem diese geheilt ist und der Schmerz dort aufhört, kommt kein Erinnerungsschmerz mehr wieder. Der Phantomschmerz ist ja ein Erinnerungsschmerz, der umso heftiger ist, je schlimmer der Schmerz vor der Amputation an dem betreffenden Glied gewesen ist.
Beim Phantomschmerz besteht vor allem ein psychisches Problem. Wenn wir vom Seelischen her, von wo aus wir erst spĂ€ter den Als-ob-Modus und die zukĂŒnftigen Möglichkeiten entdecken, noch nicht verstehen, dass wir nicht mehr die Möglichkeiten haben, in dem amputierten Bein etwas zu spĂŒren, dann empfinden wir ab und zu Phantomschmerzen, da wir psychisch auf die schmerzhafte Vergangenheit ausgerichtet sind, als das Bein wegen Schmerzen und Krankheit amputiert werden musste. Wir sind im Äquivalenz-Modus, und die Gegenwart mit dem Phantomschmerz scheint Ă€quivalent mit der Vergangenheit mit dem realen Schmerz zu sein. Nach einer Amputation mĂŒssen wir vom Psychisch-Motivationalen her begreifen, dass wir nicht mehr ein Leib mit einem schmerzenden Bein sind. Vom Geistig-Idealen her begreifen wir noch nicht den Äquivalenz-Modus und vergangene Bedingungen, als wir ein Leib mit einem schmerzenden Bein waren. WĂŒrden wir jetzt aufstehen und versuchen, mit zwei Beinen zu laufen, dann wĂŒrden wir hinfallen und durch diese TĂ€uschung und EnttĂ€uschung vom Geist her ziemlich schnell verstehen, dass wir ĂŒber die Möglichkeit dieses Seinkönnens nicht mehr verfĂŒgen und nur noch ein Bein haben. Auch wenn wir nur hinschauen, sehen wir, dass ein Bein fehlt. Ganz allgemein verstehen wir etwas am besten durch positive Fakten, die wir wahrnehmen, greifen und begreifen können. Eine TĂ€uschung ist wahrnehmbar und daher so ein positives Faktum. Aber kein Leib mehr mit einem schmerzenden Bein zu sein trotz frĂŒherer Ă€ußerst schmerzhafter Erfahrungen und Empfindungen mit einem derartigen Leib, ist ein negatives Faktum, sodass es von unserer Psyche her wesentlich schwieriger ist, dieses Faktum eines Nicht-Schmerzes zu begreifen. Insofern ist der Phantomschmerz ein psychisches Problem.
Je mehr wir vom Geistigen her den Äquivalenzmodus und daher das Psychisch-Motivationale verstehen und damit im Als-ob-Modus eine Inszenierung kreieren können, in der wir uns leiblich mit schmerzfreien Beinen empfinden, was z.B. mit der Spiegelmethode gelingen kann2, desto mehr begreifen wir uns dann vom seelischen Aspekt her als Leib, der vom Phantomschmerz befreit ist, und vom Geistigen und vom Psychischen her verstehen wir dasselbe.
Letztlich kann man alle psychischen Probleme darauf zurĂŒckfĂŒhren, dass es eine vergangene unverarbeitete und schmerzhafte Erfahrung gibt, die wie ein Phantom immer wieder in der Gegenwart auftaucht, weil sie nicht verarbeitet wurde, und die die Dynamik unserer Motive derart beeinflusst, dass wir frĂŒher oder spĂ€ter mit unlösbaren Problemen konfrontiert sind, wenn wir diese Beeinflussung nicht beenden können. Ein psychisches Problem haben wir immer dann, wenn wir vom psychisch-motivationalen Aspekt her etwas vermeiden oder erreichen wollen, wir aber aufgrund vergangener unverarbeiteter und schmerzhafter Erfahrungen affektiv unangenehm berĂŒhrt, empfindungsmĂ€ĂŸig negativ eingestellt und gefĂŒhlsmĂ€ĂŸig gestimmt befĂŒrchten, dass wir nicht oder nicht ohne Nachteile tun oder erreichen können, was wir wollen. Beim Phantomschmerz ist es die vergangene Erfahrung, den Schmerz nicht in den Griff zu bekommen außer durch eine Narkose mit anschließender Amputation. Dann aber fehlt die Erfahrung, dass der Schmerz durch etwas anderes abgelöst worden ist (wir waren ja bewusstlos). Erst wenn dies gelingt und die ursprĂŒngliche Schmerzerfahrung durch immer mehr andere Erfahrungen immer bedeutungsloser geworden ist, ist das psychische Problem gelöst und der Schmerz und die damit verbundene Belastung verarbeitet. Beim Phantomschmerz kann dies mit der oben beschriebenen Spiegelmethode gelingen, indem dabei immer wieder der Eindruck vermittelt wird, dass das amputierte Bein nicht mehr weh tut, sondern ein anderer taktiler Reiz als real erfahren wird. Bei anderen psychischen Problemen kann es helfen, bestimmte SchlĂŒsselszenen, die die entsprechende Erfahrung vermittelt haben, in einer Art Psychodrama oder Trance-Phantasie neu zu inszenieren, oder man kann gleich Teile des Selbstprozesses, in denen das Problem auftaucht, durchspielen und so verarbeiten, denn beim Durcharbeiten von psychischen Problemen geht es immer um diesen Selbstprozess, der durch die Spiegelung anderer beeinflusst wird, den wir aber auch durch unser eigenes Reflektieren (Als-ob-Modus), Identifizieren (Äquivalenz-Modus) und Erleben (RealitĂ€tsmodus) verĂ€ndern können.
FĂŒr derartige VerĂ€nderungen muss das Identifizieren im Äquivalenz-Modus stattfinden, da es sich um psychische Probleme handelt, und das Erleben im RealitĂ€tsmodus. Unter dem psychischmotivationalen Aspekt betrachtet sind wir ja unser Leib, sodass alle VerĂ€nderungen leiblich erlebt werden mĂŒssen. Bei der Spiegelmethode zur Auflösung des Phantomschmerzes erfĂ€hrt die betreffende Person ja auch leiblich durch die BerĂŒhrung derselben Stelle, wo er oder sie den Schmerz am amputierten Bein zu spĂŒren meint, am vorhandenen Bein, dass an dessen Spiegelung, welche sie mit dem amputierten Bein identifiziert, nichts mehr weh tut.
Insgesamt sind also drei Dinge wichtig und entscheidend zur Lösung psychischer Probleme bzw. psychischer Belastungsstörungen: (1) das eigene geistige Reflektieren des psychischen Problems im Als-ob-Modus, um ein Vehikel fĂŒr das Erleben zu schaffen, (2) das leibliche Identifizieren im Äquivalenz-Modus und (3) das leibliche Erleben im RealitĂ€tsmodus. SchlĂŒsselszenen zu bearbeiten, in denen ĂŒblicherweise wichtige Bezugspersonen eine Rolle spielen, bedeutet normalerweise, den Wunsch und seine Vermeidung zu bearbeiten, von ihnen anders behandelt zu werden, z.B. mehr gesehen zu werden oder anders gesehen zu werden. Wie beim Phantomschmerz kann es helfen, das psychische Problem zu lösen, wenn man seinen Selbstprozess spiegelt (beim In-Szene-Setzen) und nach einer leiblich spĂŒrbaren Identifizierung mit der kritischen Stelle den Finger auf diese legt, sodass man greifen und begreifen kann, dass es kein Problem mehr gibt. Der Selbstprozess ist ja (1) dialogisch (Modus des Genus3) im gewissermaßen rhythmischen Wechselspiel verschiedener Positionen (und diesen Dialog kann man immer wieder neu durchspielen), (2) abstrahierend (Modus des Individuums) im zeitlich wachsenden SelbstverstĂ€ndnis (durch das erneute Durchspielen) und (3) handelnd (Modus der Spezies) im rĂ€umlich sich einlassenden Umgang mit der Welt (weil man sich nach dem verĂ€nderten Durchspielen neu einlassen kann).
In der psychotherapeutischen Situation4 ĂŒbertrĂ€gt ein Patient oft unbewusst eine bestimmte Rolle auf den Therapeuten und kreiert so im Als-ob-Modus ein Vehikel fĂŒr sein Erleben. Indem er sich dann im Äquivalenzmodus mit der entsprechenden KomplementĂ€rrolle identifiziert, hat er die Möglichkeit, sein psychisches Problem im RealitĂ€tsmodus zu bearbeiten, wenn der Therapeut ihm ein alternatives Erleben ermöglicht durch ein anderes Wiederspiegeln. Um das Ganze zu festigen, können sich beide diesen Prozess anschließend bewusstmachen.
Speziell bei lang anhaltenden oder mehrfachen Belastungen, die dadurch zu chronischen Belastungsstörungen gefĂŒhrt haben, kommt es in der Regel zu der Komplikation, dass physisch und psychisch derartige SchĂ€den entstanden sind, dass die oben dargestellte Vorgehensweise nicht durchfĂŒhrbar oder nicht erfolgreich ist, weil es dabei zu Retraumatisierungen bzw. stĂ€rkeren Belastungen kommt, die ein Durcharbeiten verhindern. Dann kann es sein, dass man erst einmal auf der leiblichen Ebene ansetzen muss und die dort vorhandenen Entspannungs- und Heilungsprozesse aktiviert, z.B. durch bestimmte Bioenergetik-Übungen (Bercelli, 2018) oder andere körpertherapeutische Maßnahmen, z.B. auch EntspannungsĂŒbungen.
Das Beispiel des Phantomschmerzes, welches sich auf alle psychischen Probleme ĂŒbertragen lĂ€sst, zeigt die Grenzen des psychisch-motivationalen Aspekts unseres Daseins auf, wenn wir jedoch unseren Leib in körperliche Einzelheiten aufbrechen und ihn als Körper betrachten, den wir haben, dann zeigen sich dabei die Grenzen einer rein geistig-idealen Herangehensweise, die den Blick auf das Ganze trĂŒbt. Wie bei einem zerbrochenen Spiegel sehen wir nur noch ein Zerrbild, der Körper als aufgebrochener Leib stellt ein Hindernis dar, Psychisches und Geistiges zu erkennen, insbesondere unsere Befindlichkeit. Ohne leibliches Erleben und das Aktivieren unserer leiblichen SelbstheilungskrĂ€fte können wir bei psychischen Belastungsstörungen nichts erreichen, und dazu mĂŒssen sich psychische und geistige Herangehensweisen an unsere Leiblichkeit ergĂ€nzen.
Was man am Beispiel psychischer Belastungsstörungen nun erkennen kann, oder daran, wie man in solchen FĂ€llen Leid mindern kann, ist die Bedeutung und Wichtigkeit davon, dass psychische und geistige Herangehensweisen möglichst harmonisch zusammenwirken sollten. Dazu ist möglichst viel und genaues Wissen ĂŒber die Wirklichkeit wichtig, also darĂŒber, welche Handlungen und Handlungsweisen wie wirken. Es geht um ein möglichst echtes und unmittelbares VerstĂ€ndnis darum, um was es im menschlichen Dasein jeweils geht, denn nur dadurch können wir unnötiges Leid verhindern. Diese Art des Verstehens habe ich vollkommene Liebe genannt (Kolb, 2017a), und dies beinhaltet sowohl Fremd- als auch Selbstliebe und ist verankert in der LiebesfĂ€higkeit, die jeder Mensch von Anfang an schon mitbringt. Die Entwicklung der LiebesfĂ€higkeit bei uns und anderen – dies ergibt sich auch aus den Betrachtungen psychischer Belastungsstörungen – muss das ĂŒbergeordnete Ziel sein, wenn wir Leid mindern wollen. Umgekehrt ist Leidminderung das Maß unserer LiebesfĂ€higkeit.

2 Das vorhandene Bein spiegelt sich, sieht im Spiegel aus, als ob es das amputierte wĂ€re, und wird mit diesem leiblich identifiziert (Äquivalenz), sodass eine BerĂŒhrung des vorhandenen Beins an der Stelle des Phantomschmerzes des anderen Beins den Eindruck am nur als Spiegelbild vorhandenen Bein vermittelt, dass dort real nichts mehr weh tut. In der Medizin wird heute nachtrĂ€glich der Stumpf örtlich betĂ€ubt, wodurch auch der Phantomschmerz betĂ€ubt wird, und nach einigen derartigen Behandlungen verschwindet dieser dann auch. Diese Methode ist zuverlĂ€ssiger, weil die leibliche Identifikation im Äquivalenz-Modus nicht immer gelingt.
3 Zu den ModalitÀten Genus, Individuum und Spezies unseres Daseins: Genus meint unser Dasein als gemeinschaftliche Wesen und unsere Gemeinsamkeiten, wodurch wir Gemeinschaften bilden können, Individuum meint das Dasein als einzelne Wesen und Spezies als handelnde Wesen in bestimmten Rollen und Positionen im Beziehungsgeflecht der jeweiligen Gemeinschaft. Alle drei ModalitÀten befinden sich in einem absolut dialektischen VerhÀltnis, d.h. zwei von ihnen vermitteln das dritte und dieses zwischen den beiden anderen.
4 Eine Situation ist ein raumzeitlich bezĂŒglich eines Zieles bzw. eines Worumwillens begriffener Zusammenhang, in dem ein Lebewesen innerhalb bestimmter rĂ€umlicher und zeitlicher Grenzen bzw. Horizonte materielle GegensĂ€tze unterscheiden bzw. wahrnehmen, Aussichten beurteilen (was auf es zukommen kann) und praktische ZusammenhĂ€nge sowohl induktiv als auch deduktiv, als auch conduktiv schlussfolgernd sich erschließen kann, wo etwas im Allgemeinen herkommt, wo etwas im Speziellen hinfĂŒhren und womit man im Einzelnen zusammengefĂŒhrt werden kann.

2. Leidminderung

Ich denke, wir können davon ausgehen, dass alle Lebewesen und insbesondere alle SÀuglinge schon von Geburt an danach streben, eigenes Leid zu mindern. Im Verlauf ihrer Entwicklung lernen Kinder immer mehr, wie sie das erreichen. Folgt man dem Entwicklungsmodell von Fonagy et al. (Fonagy, Gergely, Jurist, & Target, 2008), dann begreifen sie zuerst, dass alle AktivitÀten Folgen haben, wenn sie sich als physischer Akteur (ebenda) erfahr...

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