1. Vorwort und Dank
Dieses Buch entstand aus der Erkenntnis heraus, dass die meisten Menschen ein starkes Interesse an und ein groĂes BedĂŒrfnis nach FĂŒhrung haben.
Wir alle mĂŒssen, sollen oder wollen in bestimmten Lebensabschnitten FĂŒhrung ĂŒbernehmen: im Unternehmen, in der Projekt- oder Arbeitsgruppe, in Gesellschaft, Ehrenamt, Verein oder Familie. Wir fĂŒhren oder werden gefĂŒhrt â meist beides zugleich. Und nicht immer fĂŒhren wir gut, geschweige denn exzellent, oder werden gut gefĂŒhrt. Kein Wunder: Wir lernen an der Schule Lesen, Schreiben und Rechnen â nicht FĂŒhrung.
FĂŒhrung wird in vielen Unternehmen in Form von FĂŒhrungskrĂ€fteseminaren gelehrt. Diese finden aber in vielen Unternehmen nur einmalig und nicht nachhaltig statt. Zudem wird meist implizit erwartet, dass eine FĂŒhrungskraft nach einem dreitĂ€gigen FĂŒhrungskrĂ€fteseminar Experte in Sachen FĂŒhrung geworden ist. Meiner Erfahrung nach herrscht daher bei vielen FĂŒhrungskrĂ€ften eine starke latente Verunsicherung, was genau von ihnen als FĂŒhrungskraft erwartet wird und wie gute FĂŒhrung in der globalisierten, digitalen VUKA-Welt aussieht. Daneben kommen weitere Trends auf, wie zum Beispiel der zur Selbstorganisation, die FĂŒhrungskrĂ€fte weiter in ihrer Rolle verunsichern. Aus diesem Grund wollte ich als Autorin untersuchen, aus welchen Elementen gute FĂŒhrung besteht und was gute FĂŒhrung ausmacht.
Dabei ging und geht es nicht um die reine Lehre, um eine akademische Untersuchung dieser Frage, sondern im Gegenteil um einen Praxisbericht von Menschen, die als herausragende FĂŒhrungskrĂ€fte mit eigenem Beispiel tĂ€glich vorangehen und als Vorbild dienen. Es geht darum, von den Besten zu lernen und daraus SchlĂŒsse fĂŒr die Managementpraxis zu ziehen.
Insbesondere interessierten mich die Grenzbereiche der FĂŒhrung. Das sind Grenzbereiche, in denen es zum Teil ums Ăberleben geht, zumindest aber um höchst kritische Sicherheitslagen. Denn eine FĂŒhrung, die sich in Extremsituationen bewĂ€hrt und auszeichnet, ist sicher auch relevant fĂŒr FĂŒhrung im Unternehmensalltag.
Da Grenzsituationen hĂ€ufig das Verhalten, die Werte und Prinzipien des eigenen Handelns herauskristallisieren, die in alltĂ€glichen Situationen so nicht oder nur bedingt sichtbar werden, war schnell klar, dass es galt, genau diese Situationen aufzuspĂŒren. Auch weiĂ man aus der Forschung, dass Personen immer dann am besten lernen, wenn das Lernen jenseits der eigenen Komfortzone stattfindet. FĂŒr mich als Top Management Beraterin sind damit die in diesem Buch beschriebenen Grenzbereiche jenseits der eigenen Komfortzone angesiedelt und damit höchst aufschlussreich fĂŒr die Ableitung von Erkenntnissen zum Thema FĂŒhrung.
So sind in diesem Buch besonders die Persönlichkeiten zu Wort gekommen, die in genau diesen Grenzbereichen fĂŒhren â sei es im Ehrenamt, im Krankenhaus auf Intensiv- und Notfallstationen, im Cockpit von Linienmaschinen, bei den SicherheitskrĂ€ften von Bundespolizei und Bundeswehr, in Krisenlagen wie dem Dieselskandal bei Volkwagen oder auch in der Wissenschaft.
Daneben haben wir auch weibliche FĂŒhrungspersönlichkeiten zu ihren FĂŒhrungsprinzipien befragt, da sich in einer immer noch mĂ€nnerdominierten Wirtschaftswelt die Frage danach stellt, wie und womit sich weibliche FĂŒhrungstugenden von mĂ€nnlichem FĂŒhrungsverhalten unterscheiden. Auch Frauen bewegen sich manchmal in rein mĂ€nnlichen Umfeldern in so etwas wie einem Grenzbereich â so fĂŒhlt es sich jedenfalls fĂŒr viele Frauen an.
Insgesamt erhebt dieses Buch weder Anspruch auf VollstĂ€ndigkeit noch auf âden Stein der Weisenâ zum Thema FĂŒhrung. Die einzelnen Interviews sind höchstpersönliche Berichte aus verschiedenen Grenzbereichen, die selbstverstĂ€ndlich so nicht komplett auf jede einzelne FĂŒhrungskraft und jeden Wirtschaftskontext ĂŒbertragbar sind.
So sind die SpezialkrĂ€fte der Bundespolizei â die GSG 9 â und das KSK (Kommando SpezialkrĂ€fte) der Bundeswehr â relativ kleine, in sich homogene, auf der normalverteilten Kurve der LeistungsfĂ€higkeit rechtsschiefe, weil extrem leistungsstarke Spezialeinheiten, die auch altersbedingt nur einen kleinen Ausschnitt der bundesdeutschen Alterspyramide abdecken. Insofern sind nicht alle hier angewendeten Erfahrungen auf eine normalverteilte Belegschaft eines typischen deutschen Konzerns ĂŒbertragbar, in welcher High- und Low-Performer aller Altersstufen zu finden sind.
Allerdings eint alle Erfahrungsberichte das Vorkommen ausgezeichneter FĂŒhrungsprinzipien und -stile sowie erprobter Methoden zum Aufbau eines Teamgeistes und eines besseren GemeinschaftsverstĂ€ndnisses, die sehr wohl in den Unternehmensalltag ĂŒbertragen werden können.
Dieses Buch will mit den anschaulichen Erfahrungsberichten unterhalten und en passant Ideen und AnsĂ€tze vermitteln, wie gute FĂŒhrung und Sinnstiftung (neudeutsch: Purpose) in Unternehmen gelingen. Die Interviews stehen dabei fĂŒr sich selbst, selbst wenn in einigen wenigen Kapiteln Ă€hnliche FĂŒhrungsprinzipien genannt werden. Der geneigte Leser wird diese Stellen identifizieren â dennoch haben die Interviews genauso eine groĂe Strahlkraft, so dass ich sie nicht verkĂŒrzen wollte.
Mein groĂer Dank gilt all den charismatischen GesprĂ€chspartnern, die dieses Buch mit ihrer Teilnahme, ihren vielen plakativen Beispielen und ihrer BegeisterungsfĂ€higkeit zu einem lebendigen Zeugnis dafĂŒr gemacht haben, wie und wodurch gute FĂŒhrung sich auszeichnet und wozu sie fĂŒhrt: zu durchweg begeisterten Mitarbeitern und sinnstiftender Arbeit. Ich danke Ihnen allen sehr herzlich fĂŒr Ihre groĂe UnterstĂŒtzung bei diesem Projekt!
Dieses Buch ist all jenen Menschen gewidmet, die als Piloten, Ărzte, Pfleger, Krankenschwestern, Soldaten oder Bundespolizisten nicht nur unser Leben schĂŒtzen und unsere Lebensweise sichern, sondern teilweise auch unter Einsatz ihres eigenen Lebens auĂergewöhnliche Leistungen erbringen.
Man kann ohne Pathos sagen: Sie sind bereit, das höchste Gut, das eigene Leben, einzusetzen. Sie dienen damit einem höheren Ziel, dem Gemeinwohl, unserer Gemeinschaft.
Ein bisschen weniger Egoismus und Selbstprofilierung bei uns allen und stattdessen ein wenig mehr von diesem gezeigten Geist des Dienens, der Demut und Bescheidenheit, den ich bei vielen Interviewpartnern vorgefunden habe, ein Geist des sich fĂŒr andere Einsetzens und Engagierens, tĂ€te uns sicher allen gut â selbst dann, wenn wir im sicheren BĂŒro ânurâ vor den alltĂ€glichen Managementaufgaben stehen und diese bestmöglich bewĂ€ltigen wollen.
In diesem Sinn wĂŒnsche ich Ihnen viel Lesefreude und schöne Aha-Momente!
2. Interviews aus den
Grenzbereichen Kommando SpezialkrĂ€fte â der Wille
entscheidet!
Meine Interviewpartner
AnlĂ€sslich des Interviews fĂŒr dieses Buch wurde ich nach Calw in die Graf-Zeppelin-Kaserne zum Kommando SpezialkrĂ€fte (KSK) eingeladen. Mit dem EinverstĂ€ndnis von Brigadegeneral Markus Kreitmayr, dem Kommandeur des KSK, und unter Leitung der Pressestelle konnte ich einen ganzen Tag lang Einblick in die AktivitĂ€ten dieses Hochleistungsverbands nehmen und mich mit zahlreichen Soldaten nĂ€her austauschen.
Zum Programm zĂ€hlten unter anderem eine FĂŒhrung durch den FallschirmgerĂ€tezug, der die Fallschirme packt und wartet, das Erleben eines Trainings im SchieĂausbildungszentrum sowie eine FĂŒhrung durch die Multifunktionale Trainingshalle, in der die Soldaten in Fitness, Nahkampf und taktischen MaĂnahmen trainiert werden. Auch wurde mir die Verbandsgeschichte des KSK nĂ€her erlĂ€utert.
AnschlieĂend gab es einen ausfĂŒhrlichen Austausch mit drei Kommandosoldaten. Aus GeheimhaltungsgrĂŒnden können hier keine Namen verwendet werden â dennoch möchte ich allen, die diesen Tag vorbereitet und begleitet haben, meinen herzlichen Dank aussprechen.
FĂŒhrung beim KSK
Das Kommando SpezialkrĂ€fte (KSK) ist jene geheime Spezialeinheit der Bundeswehr, die vor allem fĂŒr die Rettung, Evakuierung und Befreiung deutscher Staatsangehöriger im Ausland, daneben fĂŒr die TerrorismusbekĂ€mpfung im Ausland und zur MilitĂ€rberatung eingesetzt wird, zum Beispiel in Afghanistan.
Das KSK kommt immer dann zum Zug, wenn deutsche StaatsbĂŒrger aus Krisengebieten oder Geiselnahmen im Ausland befreit und gerettet werden mĂŒssen, wenn es um AufklĂ€rung, das heiĂt die Gewinnung von SchlĂŒsselinformationen von strategischer Bedeutung fĂŒr die politische FĂŒhrung, geht oder um KampfeinsĂ€tze mit höchster politischer PrioritĂ€t, im Ausland. Die EinsĂ€tze des KSK bleiben in der Regel geheim. Allerdings war das KSK auch an der Suche nach Osama bin Laden, zusammen mit SpezialkrĂ€ften anderer Nationen, in den Bergen von Afghanistan beteiligt und setzte Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien fest, die an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ĂŒberstellt wurden.
Einer der Besten
Im September 2021 feiert das KSK sein 25jĂ€hriges Bestehen. Der im internationalen Vergleich junge Verband ist, nach Aussage befreundeter SpezialkrĂ€fte, heute fraglos eine der besten militĂ€rischen Spezialeinheiten der Welt. Das Aufgabenspektrum ist umfangreich, die damit verbundenen Anforderungen an die Soldaten sind vielfĂ€ltig. Angesichts der aktuellen Sicherheitsherausforderungen ist das KSK besonders geeignet, Risiken von Deutschland und seinen BĂŒrgern fernzuhalten. SpezialkrĂ€fte gelten insoweit als Risiko-Minimierer und sind in der Lage, auch mit einem kleinen KrĂ€fteansatz Effekte von strategischer Bedeutung zu erzielen.
Konventionelle KrĂ€fte in der Bundeswehr profitieren oft von den Erfahrungen, der innovativen Weiterentwicklung und der Fachexpertise der SpezialkrĂ€fte. Sie werden daher komplementĂ€r zu ihnen eingesetzt. Gerade in hybriden und asymmetrischen Bedrohungsszenarien sind zunehmend die unkonventionellen und hoch adaptiven FĂ€higkeiten militĂ€rischer SpezialkrĂ€fte gefordert. Informationsgewinnung durch Spezial- und ZielaufklĂ€rung, Identifizierung sowie Festsetzung von gegnerischem FĂŒhrungspersonal sowie die Ausbildung und Qualifizierung ausgewĂ€hlter Partner zur Stabilisierung von Krisenregionen sind klassische Aufgaben von SpezialkrĂ€ften.
Das alles macht das KSK interessant fĂŒr unsere zentralen Fragen:
Wie funktioniert FĂŒhrung im absoluten Grenzbereich?
Und was können wir von jenen FĂŒhrungskrĂ€ften lernen, die unter höchstem Einsatz von Leib und Leben fĂŒhren und ihren Auftrag erfolgreich ausfĂŒhren?
Alles, was im Gefecht und im Kampf gegen einen militĂ€rischen Gegner funktioniert und unsere Leben und die Sicherheit der Nation schĂŒtzt, mĂŒsste intensive Einsichten und Erkenntnisse liefern, die sich auch in den Unternehmensalltag ĂŒbertragen lassen, um auch dort herausragende Ergebnisse zu liefern â oder? Finden wir es heraus.
Die geheimste Einheit der Bundeswehr
Das KSK ist mit (soweit bekannt) rund tausend Einsatz-, UnterstĂŒtzungs- und FĂŒhrungskrĂ€ften ein GroĂverband auf Brigadeebene, der in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw stationiert ist â und viel mehr weiĂ die Welt auch nicht vom KSK.
Denn aus GrĂŒnden der ungeminderten Schlagkraft im Einsatz und dem Schutz seiner Angehörigen unterliegt das KSK strengster Geheimhaltung. Die offiziellen Stellen der Bundeswehr beantworten im Regelfall keinerlei Anfragen zum Thema, insbesondere nicht zu den EinsĂ€tzen und der Organisation des Verbandes. Das ist nicht etwa Hinhaltetaktik, sondern ein Gebot und eine Grundvoraussetzung fĂŒr geheime Taktiken, Ausbildung, Einsatzvorbereitung und den erfolgreichen Einsatz von SpezialkrĂ€ften. Eine regelmĂ€Ăige Information erfolgt allerdings immer an den Verteidigungsausschuss, so dass sichergestellt ist, dass das KSK innerhalb der parlamentarischen Kontrolle operiert.
Dennoch bemĂŒht sich das KSK um Transparenz, wo immer es möglich ist (und eben um eine erhöhte Geheimhaltung, wo nötig). Mein genehmigter Besuch vor Ort mit den zahlreichen Einblicken und GesprĂ€chspartnern kann dafĂŒr als positives Zeichen gewertet werden.
Im Einsatz
Kommt es zum, meist streng geheimen, Einsatz, lĂ€uft das im Allgemeinen wie folgt ab: Ein Einsatzverband aus Spezialisten des KSK und spezialisierten KrĂ€ften der Luftwaffe, des Heeres, des SanitĂ€tsdienstes und des Kommandos Cyberund Informationsraum wird zusammengestellt. Die KrĂ€fte der direkten, taktischen oder sonstigen UnterstĂŒtzung werden stets auf die jeweilige Lage hin angepasst.
Kern des Einsatzverbandes sind jedoch die Task Units der KommandokrĂ€fte des KSK. Diese Task Units bestehen dem Auftrag angepasst aus einem oder mehreren Kommandotrupps. Dieses Team besteht aus einem KommandotruppfĂŒhrer und drei weiteren Mitgliedern, die vier besondere Spezialisierungen abbilden: SanitĂ€ter, Sprengstoff-Experte, Waffenexperte und Fernmelder. Um uneingeschrĂ€nkt handlungsfĂ€hig zu sein, hat jeder Kommandosoldat zwei verschiedene unterschiedlich hoch ausgeprĂ€gte Spezialisierungen. So gibt es fĂŒr jede Spezialisierung immer eine gewisse Redundanz und der hohe Grad der Autarkie im Einsatz kann sichergestellt werden.
Was und wie diese KommandotruppfĂŒhrer ihr Kommando als taktisches Element fĂŒhren, wird in der Vorbesprechung/Befehlsausgabe klar und eindeutig in einen Rahmen gesetzt, der vorgibt, was die KommandofĂŒhrer wĂ€hrend des laufenden Einsatzes selbststĂ€ndig entscheiden dĂŒrfen und was nicht.
Jedwede EventualitĂ€t, soweit vorausdenkbar, auch âContingencyâ genannt, wird bereits vor dem Einsatz im Rahmen der Einsatzplanung nach einem âWas wĂ€re, wennâ-Schema durchgespielt und Optionen fĂŒr denkbare Szenare vorgeplant.
Neben den taktischen PlĂ€nen sind die Rules of Engagements (RoEs) zum einen fĂŒr das gesamte Mandat (durch das Parlament abgesegnet) und fĂŒr den einzelnen Einsatz im Besonderen bindend fĂŒr den Einsatz. Denn ein Kompetenzgerangel oder Zweifel bezĂŒglich der Reichweite und Grenzen der eigenen Kompetenz wĂ€hrend eines Einsatzes kann Menschenleben kosten â und nicht nur jene des eingesetzten Kommandotrupps.
BezĂŒglich dieses FĂŒhrungsdetails bemerkte ein hochrangiger Manager eines DAX-Konzerns einmal: âBei uns kostet das Kompetenzgerangel zwischen Projektteam, Lenkungsausschuss und einzelnen BereichsfĂŒrsten kein...