Hinter rotem Stacheldraht
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Hinter rotem Stacheldraht

Ein Kriegsgefangener erzÀhlt von seinem Schicksal

Klaus G. Förg

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  1. 272 pages
  2. German
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Hinter rotem Stacheldraht

Ein Kriegsgefangener erzÀhlt von seinem Schicksal

Klaus G. Förg

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Als einfacher Soldat wird Josef Sedlmeier in Tschechien von sowjetischen Truppen aufgegriffen und in ein Gefangenenlager verlegt. FĂŒr ihn beginnt eine lange Zeit der Ungewissheit, des Hungers und der körperlichen Arbeit. Lager folgt auf Lager, Arbeitskommando auf Arbeitskommando. Kameradschaft, Einfallsreichtum und Humor helfen dem jungen Mann durch die schwere Zeit und lassen ihn die Hoffnung auf Heimkehr nicht aufgeben.

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Informations

Éditeur
Edition Förg
Année
2020
ISBN
9783966000109
1. Mai 1947
An diesem 1. Mai ist bei uns im Lager Volksfest und abends Zirkus. Ein paar Buden sind aufgebaut, bei denen man BĂ€lle auf BĂŒchsen werfen, angeln oder Lose kaufen kann. Es kostet jeweils einen Rubel. Bald stellt sich heraus, dass die wenigsten Geld haben oder es fĂŒr das StĂŒck Brot, das zu gewinnen ist, nicht opfern wollen. Wir stellen also den Betrieb um, und es werden Wettspiele gemacht wie SackhĂŒpfen, Eierlaufen, Schubkarrenrennen, wobei immer einer den Karren machen muss und die Ersten dann den Preis bekommen.
Auch ein Boxring ist aufgebaut, in dem so ein aufgeblasenes Antifa-Mitglied steht und immer schreit: »Wer will ein StĂŒck Brot verdienen und mit mir boxen?«
Wir alle können den Kerl nicht leiden, weil er nur auf Betrug aus ist und viele schon hereingelegt hat, die ihm etwas geborgt haben. Aber in den Ring trauen wir uns auch nicht, er wĂŒrde uns schön heimleuchten. Fast zum Schluss kommt dann doch noch einer, steigt in den Ring und zerschlĂ€gt dem Schreier die Fresse. Wie die Kinder freuen wir uns und bei jedem Schlag, der ihn trifft, schreien wir und klatschen Beifall.
Abends beim Zirkus verbiegt der »Eiserne August« Eisenstangen, macht Hufeisen gerade und legt sich einen Felsblock auf die Brust, den dann zwei Mann mit VorschlaghĂ€mmern kleinschlagen. Anschließend kommen noch ein paar Auguste mit dem ĂŒblichen Blödsinn, und doch können wir von Herzen wieder einmal lachen. Alles in allem ist der Tag ein schönes Erlebnis in unserem grauen Dasein und wir haben wieder GesprĂ€chsstoff fĂŒr Tage. Das Brot, das als Preis verteilt wird, wird teilweise eingespart, teilweise den Kameraden, die ihr Brot fĂŒr Tabak verkaufen, abgezogen, indem sie acht Tage immer eine Portion weniger bekommen.
Jetzt geht wieder die alte Leier weiter. Aufstehen, Essen fassen, arbeiten, schimpfen und abends hungrig in die Klappe. Oft trÀumt man bei Nacht vom Essen und stets dann, wenn man damit anfangen will, wird man wach. Zwei Jahre sind wir nun in Gefangenschaft, und immer noch ist kein Ende abzusehen. Kein Licht am Ende des Tunnels, nur ein wenig Hoffnung.
Der »Eiserne August« ist weggekommen, und wir haben einen neuen Kommandanten. Neu fĂŒr viele, doch fĂŒr mich ein alter Bekannter: Walter H. Ich traue meinen Augen nicht, als er ankommt. Aber er ist es und er erkennt mich auch. Bin neugierig, wie er sich auffĂŒhrt. Bis jetzt ist er sehr leutselig und kameradschaftlich. Wenn es so weitergeht, können wir zufrieden sein.
Das Lager hat seine eigene Gerichtsbarkeit. Der Kommandant als Vorsitzender, einige von der Antifa als Beisitzer und noch ein paar Schöffen, zu denen auch ich gehöre. Ein Kamerad hat in der KĂŒche zweimal Essen gefasst, ist dabei erwischt worden und nun sitzen wir darĂŒber Gericht, wie er zu bestrafen ist. Der Vorsitzende spricht von Kameradendiebstahl, von Disziplinlosigkeit und wenn das jeder machen wĂŒrde, wo kĂ€me man da hin. Er sei fĂŒr fĂŒnfzig Hiebe mit dem Koppelriemen auf den nackten Arsch. FĂŒnfzig Hiebe fĂŒr einen Topf voll dĂŒnner, fettfreier Suppe. Ich denke an die dreizehn Fleischpflanzerl, die mal einer gegessen hat und dabei nichts gesagt worden ist. Vorerst reden noch die Beisitzer, dann kommen wir Schöffen dran. Der arme Kerl sitzt dabei, schaut mit Ă€ngstlichen Augen von einem zum anderen und wartet abwechselnd zwischen Bangen und Hoffen auf sein Urteil. Mir tut er leid, und ich bin dafĂŒr, dass wir ihm die Suppe einmal abziehen und ihn mit einer Verwarnung davonkommen lassen. Ich stehe mit meiner Meinung nicht allein da, aber auch der Kommandant hat einige auf seiner Seite und bei der Abstimmung haben sie ein paar Stimmen mehr. Damit sind die fĂŒnfzig Hiebe fĂŒr den Kameraden fĂ€llig. Es dreht sich nur noch darum, wer die PrĂŒgel verteilen soll. Hier liegt nochmal eine Chance, und ich schlage vor, dass derjenige die SchlĂ€ge verabreichen soll, der noch nie in der Gefangenschaft Unrecht getan, der nie geklaut, der noch nie zu mogeln versucht hat, also ein Muster-»Plenni« ist. Keiner traut sich, den Riemen zu nehmen, denn jeder hat eine schwarze Seele. Nach einer abermaligen Debatte fallen die SchlĂ€ge ganz weg, und es wird mein vorheriger Antrag angenommen. Der arme Teufel atmet sichtlich auf , und auch mir selbst wird leichter ums Herz.
Nicht immer geht es so glimpflich ab. Ein anderer, von Beruf Medizinstudent, hat bei Nacht immer in sein Kochgeschirr gepisst, weil er zu faul zum Aufstehen gewesen ist, und in der FrĂŒhe hat er daraus seine Suppe gegessen. Er wird zu zwanzig Hieben auf den Arsch verurteilt und schreit beim Strafvollzug, als ob es um sein Leben ginge. Wer klaut, kommt unter fĂŒnfzig SchlĂ€gen nie davon, und das finde ich richtig. Gemeint ist natĂŒrlich nur Kameradendiebstahl, denn wer einen bestiehlt, der selber nur das Allernotwendigste zum Leben hat, verdient nicht mehr.
Manche Kameraden sind schon ganz durchgedreht, und man zweifelt manchmal an ihrer ZurechnungsfĂ€higkeit. Waschen können wir uns nur in unseren Kochgeschirren und ich schaue einmal einem zu, der sich zuerst die FĂŒĂŸe wĂ€scht, dann den Oberkörper und mit dem Rest des Wassers das Gesicht. Von Beruf ist er Direktor einer Fabrik. Ein anderer – er kann weder lesen noch schreiben, die Kameraden mĂŒssen ihm seine Karten schreiben und seine Post vorlesen – macht ĂŒberall Reklame fĂŒr seine selbstgemachten Fleischpflanzerl, die er aus Kartoffelschalen, Fischköpfen und -schwĂ€nzen fabriziert hat und die fast so gut seien wie zu Hause, wie er sagt. Die meisten lehnen ab. Freilich haben wir immer Hunger, aber was einmal auf dem Abfallhaufen liegt und von KrĂ€hen und Ratten angeknabbert ist, soll man liegen lassen.
Übrigens, einige versuchen, mit Schlingen KrĂ€hen zu fangen, aber es glĂŒckt ihnen nie. Der stellvertretende russische Lagerkommandant hat einen kleinen Hund, von dem man eines Tages nur mehr das Fell findet. Wochenlang suchen sie nach dem TĂ€ter, aber es ist vergeblich. Auch die zwei Lagerkatzen sterben einen nĂŒtzlichen, wenn auch unnatĂŒrlichen Tod.
Einmal komme ich in die Wohnung des Kommandanten und werde von seiner Frau sehr freundlich empfangen. Sie gibt mir ein StĂŒck Brot und Marmelade und sagt bedauernd, mehr Brot habe sie leider nicht. Ich weiß sowieso, dass es auch bei den Russen knapp ist, wir sehen sie nĂ€mlich oft in langen Reihen am Brotmagazin auf Brot wartend stehen. Manchmal bekommen dann die Letzten nichts mehr und gehen schimpfend nach Hause. Ich esse so viel Marmelade, dass mir ganz schlecht ist und habe ein paar Tage ordentlichen Durchfall.
Vor unseren Baracken ist ein freier Platz, der mit Gras bewachsen ist, das nun so lang geworden ist, dass es geschnitten werden soll. Unser Hauptmann Walter H. sagt uns, der Russe wolle, dass die Wiese gemĂ€ht werde. Mit was, sei ihm egal. Das ganze Lager geht nun auf die Wiese und mĂ€ht mit dem Taschenmesser das Gras ab. Immer ein BĂŒschel nach dem anderen wird gefasst und abgeschnitten. Das wĂŒrde es beim »Eisernen August« nicht geben. Da wĂŒrde man uns eine Sense oder mindestens eine Sichel geben. Der Hauptmann tut aber nicht immer das, was die Russen wollen.
Ich erinnere mich, wie der wachhabende »Iwan«, er hat den höchsten russischen Orden und ist ein sogenannter »Held der Sowjetunion«, abends um zehn Uhr zur ZĂ€hlung antreten lĂ€sst, was noch nie der Fall gewesen ist. Anschließend sollen wir ihm ein Lied vorsingen. Da geht der August hoch und sagt, wenn er schon zĂ€hlen wolle, dann solle er schnell machen, die Leute mĂŒssten den ganzen Tag arbeiten und brĂ€uchten ihren Schlaf. Gesungen wird jedenfalls nicht. Der Russe sagt wiederum, die Leute bleiben so lange stehen, bis sie gesungen haben. Da macht der August kurzen Prozess und lĂ€sst uns wegtreten. Zum Posten sagt er, wenn er es haben wolle, singe er ihm allein etwas vor. Der Posten ist dann aber offensichtlich nicht fĂŒr einen Sologesang.
Seit Stunden stehen wir schon am Lagertor und warten auf die Lastwagen. Kurz nach Mitternacht sind wir geweckt worden und es hat geheißen, alles antreten mit Löffel und Kochgeschirr. Die Optimisten unter uns glauben schon, es gebe eine »Futterei« außer der Reihe, bis sich dann herausstellt, dass ein Heuschreckenschwarm gemeldet ist, den wir mit dem Klappern unserer Kochgeschirre vertreiben sollen. Endlich kommen die Autos und bringen uns zu der befallenen Stelle. Viel ist nicht mehr zu machen. Die Maisfelder sind bis auf die StĂ€ngel kahlgefressen, und die Heuschrecken fliegen einem ums Gesicht. Ein Sausen und Brausen liegt in der Luft, und wir klappern mit Löffeln und Kochgeschirr, mehr zu unserem Nutzen und Schutz als fĂŒr die Pflanzen. Die halbreifen Maiskolben, die die Heuschrecken nicht mögen, nehmen wir mit. Selten ein Schaden, wo kein Nutzen dabei ist. Den ganzen Tag treiben wir uns auf dem Feld herum, jagen die Insekten durcheinander und leben von den Maiskolben, weil kein Essen kommt.
Einige Zeit nach dieser Episode gibt es Hochwasser. In der FrĂŒh, als wir aufstehen und aus der Baracke sehen, ist unser erster Gedanke, heute brauchen wir nicht zu arbeiten. Das ganze Lager ist ĂŒberschwemmt, und das schmutzige Wasser rauscht und gurgelt von den Bergen kommend vorbei. Zum Essenfassen mĂŒssen wir die Hosen hochkrempeln, die Köche stehen in der KĂŒche teilweise im Wasser. Doch auch hier gibt es eine gute Seite: Zur Latrine gehen und die Latrine reinigen fĂ€llt flach.
Ich bin jetzt wieder bei einem anderen Kommando, das sich Autostation nennt. Wir sind siebzehn Mann, Schlosser, Mechaniker, Schreiner und Schmiede, dazu ich als Polsterer. Wir sind in einer OmnibusreparaturwerkstĂ€tte beschĂ€ftigt, das beste Kommando des ganzen Lagers. Nie haben wir einen Posten dabei. In der FrĂŒh holt uns ein Russe mit dem Auto ab und abends fahren wir mit dem Zug zurĂŒck. Eigentlich mĂŒssten wir auch nach Feierabend wieder mit dem Wagen zurĂŒckgebracht werden, aber der Zivilist ist meistens zu faul, um noch einmal zu fahren. Nur einmal kommen wir mit einem Omnibus ins Lager zurĂŒck. Als wir am Tor halten, meinen die drinnen, es werde eine Abordnung erwartet, die das Lager besichtigen will, und alles tritt an. Der Kommandant Walter H. kommt auf den Wagen zu und möchte Meldung machen. Wir alle schauen zum Fenster hinaus und lachen uns in den Bart.
Ich fahre viel lieber mit dem Zug, man kann sich eine halbe Stunde am Bahnhof rumdrĂŒcken, und es gibt immer etwas zu sehen. Manchmal fĂ€hrt der »Blaue Express« durch. Es ist eine Art Diplomatenzug und der Stolz der »Iwans«. An einem heißen Junitag stehen wir am Bahnhof und warten auf den Zug, da kommt ein Russe mit einem lachsfarbenen Schlafanzug daher und grĂŒnen AufschlĂ€gen und Knöpfen. Stolz und eingebildet in seinem Sommeranzug geht er auf dem Bahnsteig auf und ab. Nicht genug damit, nach einigen Tagen sehen wir ihn wieder, diesmal mit einem cremefarbenen Anzug und rotem Aufputz. Je mehr wir ihn anschauen, desto stolzer wird er.
Die ZĂŒge sind meistens ĂŒberfĂŒllt, und um die PlĂ€tze wird oft heftig gekĂ€mpft. Ein russischer Offizier geht mit seiner Dame am Bahnsteig auf und ab und tut sehr vornehm. Die Dame lacht immerzu und hĂ€ngt sich bei ihm ein. Die Leute werden immer mehr und mehr, und endlich kommt der Zug. Der Offizier vergisst seine Dame, rĂŒcksichtslos drĂ€ngt er sich mit dem Ellenbogen arbeitend zum Zug durch und ergattert einen Stehplatz am Fenster. Seine »Holde« steht hilflos in der Menge und weiß sich nicht zu helfen. Der Zug fĂ€hrt ab, und noch einmal winkt der Russe seiner Begleiterin vom Fenster aus zu. Einmal rennen sie einen Kriegsversehrten ĂŒber den Haufen. Seine KrĂŒcken liegen unter dem Zug, und wir »Plenni« helfen ihm wieder auf die Beine. Einem alten MĂŒtterchen mit zwei großen Taschen geht es auch nicht besser. Sie ist im Zug, die Taschen liegen draußen.
Es ist eine Krankheit der Russen, möglichst viel GepĂ€ck mitzunehmen. Oft ist mehr davon im Zug als Leute, und wenn man einsteigt oder in die Mitte geht, muss man immer wieder ĂŒber GepĂ€ckstĂŒcke steigen, die zahlreich ĂŒberall herumliegen. Oft werden wir angesprochen, und man kann sich des Öfteren ausgezeichnet unterhalten. Die Russen sind freundlich und nett zu uns, und es kommt sogar vor, dass uns einer dreißig Rubel schenkt, die dann geteilt werden. Manchmal bekommen wir auch Esswaren, diese aber meistens von Frauen. Jeden Tag fahren mit uns einige MĂ€dels, die in die höhere Schule gehen, und auf dem Bahnsteig stehen wir oft beisammen und plaudern. Sie mĂŒssen in der Schule Deutsch lernen und wollen bei uns ihr Wissen loswerden. Auch von Soldaten werden wir oft angesprochen, meistens von solchen, die in Deutschland als Besatzungstruppen waren. Sie wollen dann wissen, wo man zu Hause ist. Es ist ganz egal, was man darauf antwortet, fast immer behaupten sie, auch dort gewesen zu sein. Sie haben keine Ahnung, wo die Zonengrenzen sind. Wenn ich also sage, ich bin von Rosenheim, bekomme ich sicher zur Antwort: »Rosengeim dopre, ja dosche!« »Rosenheim schön, ich war auch dort.«
Die Russen kennen den Buchstaben »H« nicht und sprechen dafĂŒr ein »G«.
Wenn der Zug ĂŒberfĂŒllt ist, warten wir auf den nĂ€chsten, der eine Stunde spĂ€ter fĂ€hrt. Wir sitzen dann vor dem Bahnhof und schauen den VerkĂ€ufern von Eis oder Sonnenblumenkernen zu. Die Russen haben davon immer welche in der Tasche und mit einer staunenswerten Geschicklichkeit verstehen sie es, die Kerne aufzubeißen und die leeren Schalen in der Gegend herumzuspucken. Manchmal kriegen wir auch welche geschenkt, aber davon bekommt man immer Hunger, weil man mit dem Essen nicht fertig wird. Aus den Kernen wird in den ÖlmĂŒhlen das Fett ausgepresst und der Rest als Futtermittel verkauft. Es ist dieser Ölkuchen, den die Russen »Makucha« nennen. Dieser »Makucha« ist uns lieber, wenn man sich auch die ZĂ€hne daran ausbeißen kann, aber er fĂŒllt den Magen. Sogar von den Russen wird er gegessen, denn auch bei ihnen ist das Brot knapp. FrĂŒher, wenn man irgendwo gesessen ist, hat man immer gerne den jungen MĂ€dchen nachgeschaut, das ist alles vorbei. Wenn ein hĂŒbsches Kind kommt und daneben ein altes Weib mit einem StĂŒck Brot oder einem Sack Kartoffeln, dann schauen wir alle bestimmt dem alten Weib nach. Einmal fahren wir mit der Straßenbahn zum Lager, und die Schaffnerin will Geld von uns. Als sie dann aber merkt, wer wir sind, gibt sie sich auch so zufrieden.
Bei der Arbeit geht es mir nicht schlecht. Vormittags muss ich in der Schmiede fĂŒr das Kommando kochen und nachmittags arbeiten. Die Lebensmittel bekommen wir vom Lager mit, aber wie immer sind es zu wenige. Ich gehe also Gartenmelde und Brennnesseln holen, um sie ein wenig dicker zu machen. In der Nachbarschaft wachsen keine mehr, sie sind schon alle aufgegessen. Wenn die Luft ganz rein und unser Direktor weggefahren ist, dann gehe ich auf den Bazar und schnorre Zwiebeln oder Knoblauch. Ich gehe deshalb besonders gerne, weil fĂŒr mich persönlich immer etwas ĂŒbrigbleibt. Von allem, was hier verkauft wird, kann man Kostproben nehmen, sofern es zum Essen oder RĂ€uchern ist. Es ist anscheinend eine alte Sitte, aber nicht die schlechteste. Besonders beim TabakhĂ€ndler. Der Tabak, es ist sowieso nur »Machovka«, ist in einem Sack und wird staganweise verkauft. Ein »Stagan« ist ein Trinkglas. Ich gehe hin und tue interessiert, dann sagt der Russe bestimmt, »dawei proba«, ich solle eine Probe nehmen. Ich drehe mir also mit dem bereitliegenden Papier einen kleinen Balken, mache ein paar ZĂŒge und sage dann, er sei mir zu schwach oder zu stark und gehe wieder zu einem anderen. Wenn ich das zwei- oder dreimal gemacht habe, reicht es wieder fĂŒr einige Tage. Verkauft wird auf dem Bazar alles, was man sich denken kann. Alte Schuhe und Kleider, sogar noch deutsche UniformstĂŒcke. Auch Gras und Brennholz. Dieses aber nicht ster-, sondern stĂŒckweise. Die Scheite werden beim Verkauf gezĂ€hlt. Das Gras wird korbweise gehandelt. Wenn man Geld hĂ€tte, könnte man ganz gut leben.
Unserem BrigadefĂŒhrer kann ich einmal in die Brieftasche sehen, die er sonst nie zeigt. Ich glaube, es sind mehrere hundert Rubel darin. Er ist zugleich unser Schmied und macht fĂŒr die Autos die Federn. Jetzt weiß ich auch, wo er das Geld herhat. Von Zeit zu Zeit macht er einige Federn schwarz, die dann verkauft werden. Abnehmer sind genĂŒgend da. Was sind wir da fĂŒr arme Schlucker dagegen.
Alle Tage sehe ich eine Henne bei uns im Hof herumlaufen, sie gehört dem Nachbarn nebenan und ist mir ein Dorn im Auge, denn eine Henne gehört nicht in den Hof, sondern in den Kochtopf. Lange ĂŒberlege ich, nachts trĂ€ume ich sogar davon. Aber dann passiert es. Zusammen mit einem Kameraden treibe ich sie in meine Werkstatt, wo sie gleich geschlachtet wird. In der Toilettenanlage wird sie gerupft und ausgenommen, danach wird alles gleich weggerĂ€umt. Die Suppe mittags schmeckt wunderbar, aber so ganz ruhig kann ich doch nicht sein. Wenn es aufkommt, bin ich geliefert. Am Abend sehe ich ein paarmal die Nachbarin an der Mauer auftauchen und sich suchend im Hof umherblicken. Ich kann sie gar nicht mehr anschauen und bin froh, als es Feierabend ist.
Die Russen haben anscheinend alle Omnibusse von Deutschland mitgenommen. Jeden zweiten, dritten Tag kommt ein anderer angefahren, der dann hergerichtet wird. Ich lese immer die StĂ€dtenamen, die draufstehen und bekomme leises Heimweh dabei. Die BezĂŒge und die Polsterung der Sitze sind fast dur...

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