1. Was ist Terrorismus?
Egal ob Frankreichs RevolutionĂ€re 1789, die texanischen AufstĂ€ndischen 1836, die jĂŒdischen PalĂ€stina-Insurgenten der 1940er Jahre, ebenso aber Mahatma Gandhi und Nelson Mandela â sie alle wurden von den von ihnen bekĂ€mpften Machthabern als Terroristen bezeichnet. BezĂŒglich letzterem schrieb auch Dick Polman, dass wenn Mandela ein Terrorist gewesen sei, dieselbe Aussage fĂŒr George Washington und alle anderen GrĂŒndervĂ€ter der Vereinigten Staaten von Amerika gilt (vgl. Polman 2013).
Daher kann man sagen, dass der Begriff âTerrorismusâ eine negative moralische Wertung fĂŒr eine Tat darstellt, die vor allem von Vertretern rĂŒcksichtsloser Realpolitik fĂŒr Akte wieder ihrer bestehenden Ordnung verwendet wird (vgl. Chaliand/Blin 2007a: 212). Terroristen selber wĂŒrden sich niemals als âTerroristenâ, sondern als Rebellen, Widerstands- oder âFreiheitskĂ€mpfer bezeichnen (vgl. ebd.).
So gesehen kann man sagen, dass legitime Staatsgewalt zum Terrorismus rein logisch betrachtet in einem Àhnlichen VerhÀltnis wie die Werbung zur Propaganda steht: Das, was Du selbst oder Teile Deiner Gruppe machen, kann niemals Propaganda / Terrorismus sein, da eigenes Handeln immer als prinzipiell legitim wahrgenommen wird. Daher kritisiert man am eigenen Werbe- / kriegerischem Verhalten die Ausschweifungen im Sinne von Exzessen, da diese Ausnahme des eigenen an sich richtigen Verhaltens ist. Da man aber sicher selber legitimiert und damit als gut ansieht, unterstellt man dem anderen automatisch, dass dieser nicht legitimiert und damit von schlechter Gesinnung ist. Daher muss folglich bei diesem der Exzess die Regel, Vernunft und Ordnung dagegen die Ausnahme1 sein (vgl. Asad 2007: 15f.; vgl. hierzu Bernays 22f.).
Der Begriff âTerrorismusâ ist aus dem lateinischen von âterrereâ abgeleitet und bedeutet âzittern lassenâ (vgl. Chaliand/Blin 2007b: vii). In diesem Sinne stellt Terrorismus also eine Waffe psychologischer KriegsfĂŒhrung dar, die den Zweck verfolgt, entweder die eigene Bevölkerung oder eine Fremdbevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, um Widerstand zu brechen (vgl. ebd.).
SpĂ€testens seit Albert Wohlstetters 1958 veröffentlichtem âbalance of terrorâ-Strategiepapier gilt Terrorismus als anerkanntes modernes Machtmittel (vgl. Chaliand/Blin 2007a: 209). Dieser sprach als erster von Variationen indirekter Konflikte, zu denen Guerrilla-Krieg und Terrorismus hinzu gezĂ€hlt werden (vgl. ebd.). In diesem Sinne schrieb auch der Schweizer Armeemajor Hans von Dach, dass diese fortdauernde Form von Kleinkrieg âeine der schĂ€rfsten und abschreckendsten Waffen des Kleinstaatesâ ist und es falsch wĂ€re, auf âdiese im grossen Rahmen gesehen so starke KrĂ€fte bindende Waffe aus Scheu, falschem Ehrbegriff oder ĂŒberholten Vorstellungen zu verzichtenâ (vgl. Dach 1985: 10). Das, was wir heutzutage unter âTerrorismusâ verstehen, kann daher als âWaffe der Schwachen gegenĂŒber den Starkenâ bezeichnet werden2, wobei die Frage, ob Terroristen âHelden oder Feiglingeâ sind, erstens eine Frage der Perspektive, zweitens von Interpunktion3 ist. Drittens hĂ€ngt diese davon ab, ob Terroristen sich letzten Endes durchsetzen oder nicht. Denn Sieger schreiben Geschichte.
2. Ist religiöser Terrorismus ein neuzeitliches PhÀnomen?
Religiöser Terrorismus ist ebenso neu wie Religionen neu sind. In dem Augenblick als Menschen begannen, an unterschiedliche Dinge zu glauben, begannen sie auch damit, AndersglĂ€ubige deswegen auf den Kopf zu schlagen. Nicht ohne Grund lautet das erste Gebot der Bibel âIch bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.â
Und ebenso wie bei einem Regierungswechsel oftmals aus Helden der Vergangenheit die Schurken der Gegenwart wurden, so wurden auch die Götter der Vergangenheit zu den Teufeln der Gegenwart erklĂ€rt4, wenn man bedenkt, dass Satans viele Namen alles Götternamen von durch das Juden- oder Christentum unterworfener Kulturen sind (vgl. La Vey 1999: 40-47). Daher ist auch âheiliger Terrorâ im Namen der Religion ein geschichtlich immer wiederkehrendes PhĂ€nomen, das sich von den jĂŒdischen Zeloten ĂŒber persische Assassinen und böhmische Taboriten bis zum heutigen Islamistischen Terror nachzeichnen lĂ€sst (vgl. Chaliand/Blin 2007c: 2f.). Die KreuzzĂŒge erwĂ€hne ich erst gar nicht...
3. Ist religiöser Terrorismus als typisch islamisch zu bezeichnen?
Hierzu stelle ich die Gegenfrage: Was sagt Dein gesunder Menschenverstand dazu?
4. Wie der aktuelle Siegeszug von Selbstmordattentaten in der Neuzeit begonnen hat: Der Protestsuizid
Die Amerikaner sagen âMit Terroristen verhandeln wir nichtâ. Der Sinn dahinter ist Folgeattentate Ă€hnlichen Musters zu verhindern. 1963 galt diese Devise anscheinend noch nicht, denn ansonsten hĂ€tten SelbstmordanschlĂ€ge nicht ihren Siegeszug um die Welt gehalten. Denn bis dahin waren deren VorlĂ€ufer â sogenannte âProtestsuizideâ - ein vereinzelt auftretendes lokales PhĂ€nomen, das vor allem in SĂŒdostasien beobachtet werden konnte.
1963 inszenierte der vietnamesische Buddhistenmönch Thich Quang Duc seine Selbstverbrennung medial, um damit gegen die von den USA unterstĂŒtzte sĂŒdvietnamesische Regierung zu protestieren (vgl. Graitl 2011: 40). Associated Press-Fotograf Malcolm Browne schoss davon ein Foto, das wie ein Lauffeuer um den Globus ging und weltweit Proteste gegen die USA und SĂŒdvietnam auslöste. PrĂ€sident Kennedy wollte, dass die Bilder des brennenden Mönchs unter allen UmstĂ€nden aufhören und entsagte der mit Amerika verbĂŒndeten sĂŒdvietnamesischen Regierung jegliche UnterstĂŒtzung, woraufhin das Diem-Regime geschlossen zurĂŒcktreten musste (vgl. ebd. 41).
Durch PrĂ€sident Kennedys menschlich verstĂ€ndliches, doch politisch falsches Entscheiden sahen Nachahmer weltweit, dass sich Protestsuizide lohnen können, wodurch die BĂŒchse der Pandora geöffnet wurde und seitdem nicht mehr geschlossen ist.
5. Die Arten von Selbstmord
Die Wissenschaft unterscheidet in zwei Arten von Selbstmord, den egoistischen und den altruistischen Selbstmord. Egoistischer Selbstmord entsteht aufgrund innerer Konflikte und Probleme, die in Hoffnungslosigkeit mĂŒnden, sodass man seinem Leben kurzerhand ein Ende macht. Es stellt eine Art von verspĂ€tetem Hilfeschrei dar, der ausdrĂŒcken soll, dass der Selbstmörder Probleme hatte, zu deren Lösung er sich nicht mehr imstande sah (vgl. Graitl 2011: 27f.). Altruistischer Selbstmord dagegen verfolgt einen höheren Zweck. AltruistischeTĂ€ter schreien zwar ebenfalls um Hilfe, aus ihrer Sicht aber nicht aufgrund eigener sondern gesellschaftlicher Probleme, auf die sie durch ihre Tat aufmerksam machen wollen. Diese SelbstmordattentĂ€ter (mehr aber noch die sie fĂŒhrenden HintermĂ€nner) sehen sich selbst als von einer schweigenden Mehrheit delegiert, RĂ€cher ihrer unterdrĂŒckten Volksgruppe zu sein (vgl. Graitl 2011: 140f.).
Daneben gibt es noch eine Mischgruppe, also SelbstmordattentĂ€ter, fĂŒr die das altruistische nur als Deckmantel fĂŒr persönliche GrĂŒnde dient (vgl. Graitl 2011: 111). Diese sind besonders perfide, da egoistischer Selbstmord in vielen Kulturen â darunter auch unserer christlichen â als Kainsmal und Schande gilt, wĂ€hrend altruistisch âsich aufopfernâ nicht nur gesellschaftlich anerkannt sondern heldenhaft mystifiziert wird (vgl. ebd. 29f.). Der âgescheiterte David gegen Goliathâ (Mohammeds Enkel al-Husseins Tod in der sinnlosen Schlacht von Kerbela im Jahre 680 nach Christus)5 und der âgescheiterte David gegen Goliadâ (Davy Crocketts und William Travis Tod in der sinnlosen Schlacht von Alamo 1836)6 gelten als Beispiel dafĂŒr.
Die altruistisch suizidale Motivationsforschung stĂŒtzt sich stark auf Emile Durkheims These des altruistischen Selbstmord. Durkheim definiert diesen Selbstmordtypus als âSuizid fĂŒr ein höheres politisches oder religiöses Zielâ und erklĂ€rt dieses Verhalten mit einer âcharakteristisch fĂŒr primitive Völker typischen [âŠ] archaischen Kollektivpersönlichkeit" (vgl. Graitl 2011: 16). Demnach sollte aber mit steigender Individualisierung und technischem Fortschritt auch das zugrunde liegende PhĂ€nomen der Kollektivpersönlichkeit zurĂŒckgehen. Dass aber genau das nicht eingetreten ist, wird mit dem Aufkommen der Massenmedien erklĂ€rt (vgl. ebd. 40f.; siehe auch ebd. 80f.). Diese lassen die groĂe Welt zu einem medialen Dorf werden, weshalb der Sinnzweck altruistischen Suizidbombings auf kollektiver Ebene als modernes Kommunikationsmittel zu bezeichnen ist, um durch Selbstopferung den Wahrheitsgehalt der vom Suizidisten vertretenen ethnischen, sozialen, nationalen oder religiösen Weltanschauung zu bekrĂ€ftigen.
6. Selbstmordattentate
In Wolfgang Petersens Hollywood-Blockbuster âIn the Line of Fireâ sagt der von John Malkovich gespielte AttentĂ€ter zu seinem durch Clint Eastwood verkörperten Konterpart in Bezug auf einen geplanten Anschlag: âI have a rendezvous with death, and so does the President. [...] I am willing to trade my life for his. I am smart, and I am willing, and that is all it takesâ (vgl. Petersen 1993).
In diesem Sinne schrieb auch der dieses PhÀnomen untersuchende Mediziner Carl August Diez, dass
âSich in die Luft sprengen [...] eine grossartige und heroische Todesart [ist], welche nur bei einer seltenen Vereinigung verschiedener UmstĂ€nde möglich wird, und bei welcher der Selbstmörder fast immer auch noch eine groĂe Anzahl anderer Individuen mit in den Tod stĂŒrzt. [...] Es sind gewöhnlich Parthey [sic!] â und eigentliche politische KĂ€mpfe, in welchen wir solche Aufopferungen finden; und wir können einem solchen Tode gewöhnlich selbst in jenen FĂ€llen unsere Bewunderung nicht versagen, wo wir auch die Sache selbst nicht billigen, um derentwillen er erlitten worden istâ (Diez 1838: 412 f.).
Die Psychologen Efraim Benmelech und Claude Berrebi untersuchten â Diez' und Petersens Gedanken folgend - die Frage nach der Effizienz von Suizidattentaten. Dabei stellten sie fĂŒr den Zeitraum September 2000 bis August 2005 fest, dass 151 palĂ€stinensische SelbstmordanschlĂ€ge auf israelische Ziele durchgefĂŒhrt wurden. Hierbei wurden 515 Israelis getötet. TatsĂ€chlich fanden in diesem Zeitraum aber insgesamt mehr als 25.000 palĂ€stinensische Attacken auf Israel statt, wobei insgesamt mehr als 1.000 Israelis getötet wurden. Das bedeutet, dass 0,6 Prozent der Gesamtattentate fĂŒr mehr als 50 Prozent der Todesopfer verantwortlich waren (vgl. Benmelech/Berrebi 2007: 225f.). Ist also jemand bereit, sein eigenes Leben als Waffe einzusetzen, muss das als ernsthafte Bedrohung angesehen werden, allerdings nur dann, wenn der Suizidbomber auch die zweite im Film genannte Bedingung, die Smartness, besitzt. Benmelech und Berrebi stellten diesbezĂŒglich fest, dass von den von ihnen untersuchten palĂ€stinensischen Suizidbombern 18 Prozent einen höheren Bildungsabschluss besitzen, wĂ€hrend der palĂ€stinensische Bevölkerungsanteil in Bezug auf höhere BildungsabschlĂŒsse gerade mal bei 8 Prozent l...