C. Bauordnungsrecht
I. Allgemeines
Das Bauordnungsrecht ist Landesrecht. Somit ist fĂŒr den Planer jeweils die Landesbauordnung des Bundeslandes relevant, in dem das Bauvorhaben realisiert werden soll. FĂŒr Baden-WĂŒrttemberg ist dies die Landesbauordnung (LBO) aus dem Jahr 1995 in der Fassung von 2010 mit der letzten Ănderung vom Juli 2019. Die §§-Angaben zur LBO in diesem Kapitel beziehen sich auf die Regelungen des Landes Baden-WĂŒrttemberg.
Bauordnungsrecht dient in erster Linie der Gefahrenabwehr. Deutlich wird dies in der Regelung des § 3 LBO, die als âGeneralklauselâ zu verstehen ist. Danach dĂŒrfen mit dem Bau keine Situationen herbeigefĂŒhrt werden, die die âöffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natĂŒrlichen Lebensgrundlagenâ, bedrohen oder eine Nutzung der baulichen Anlage verhindern. Dieses Gebot gilt fĂŒr das Bauen wie auch fĂŒr den Abriss.
Beispielsweise mĂŒssen Bauten so errichtet werden, dass sie nicht zusammenfallen (angesprochen ist damit u. a. das Thema der Statik). Die Verhinderung einer vollstĂ€ndigen Verschattung eines NachbargebĂ€udes (hier lautet das Thema Einhaltung von AbstandsflĂ€chen) ist hier ebenso zu nennen wie die Einhaltung der Vorschriften des Brandschutzes (u. a. der Einbau von Brandrauchmeldern in Schlafbereichen und Zuwegungen).
Regelungen zur Abwendung von Gefahren, die man heute dem Bauordnungsrecht zurechnet, gab es schon im Mittelalter. Beispielsweise enthielt der âSachsenspiegelâ (eine Sammlung von Rechtsvorschriften aus dem 12. Jahrhundert) Abstandsregelungen zu SchweinestĂ€llen (Geruchsproblematik). Vorgaben betreffend AbstĂ€nde zu Backöfen (Brandschutz) sind ein weiteres Beispiel.
Neben der Gefahrenabwehr hat das Bauordnungsrecht auch noch zwei weitere wichtige Aufgaben: Die Beachtung Ă€sthetischer (vgl. z. B. § 11 LBO) und sozialpflegerischer Belange (âhumanes Wohnenâ, vgl. z. B. § 3 Abs. 4 LBO).
Abb. 38: Gefahrenstelle durch Bauruine? Verunstaltung des StraĂenbildes?
1. Anwendung
Bei jedem Bauvorhaben sind neben dem Bauplanungsrecht Fragen des Bauordnungsrechts zu prĂŒfen. Das Bauordnungsrecht ist im Wesentlichen in der Landesbauordnung geregelt. ErgĂ€nzend gibt es diverse Verwaltungsvorschriften oder technische Baubestimmungen zum Bauen (z. B. DIN-Normen), vgl. § 3 Abs. 3 LBO. Der Bund hat keine Gesetzgebungskompetenz, da sich das Bauordnungsrecht aus dem Polizeirecht (Gefahrenabwehr) entwickelt hat und Regelungen dieser Materie den BundeslĂ€ndern obliegen.
Die Landesbauordnung Baden-WĂŒrttemberg enthĂ€lt in den ersten drei Paragrafen zentrale Aussagen, die stets beachtet werden mĂŒssen. Sie stehen quasi âvor der Klammerâ und bilden den Einstieg fĂŒr die bauordnungsrechtliche Betrachtung des konkreten Vorgangs.
Dies sind:
â die Frage, ob die Landesbauordnung Anwendung findet (§ 1 LBO) oder ob es andere Spezialvorschriften gibt (§ 1 Abs. 2 LBO) â z. B. aus dem Wassergesetz,
â die Begriffsdefinitionen in § 2 LBO und
â die Generalklausel des § 3 LBO.
Neben den âEinstiegsvorschriftenâ der drei ersten Paragrafen der LBO sind in materieller, also inhaltlicher Hinsicht, die Regelungen in den §§ 4 bis 48 LBO entscheidend. Die §§ 49 bis 79 LBO regeln vor allem Verfahrensfragen (also z. B. die Genehmigungsverfahren).
Abb. 39: Genehmigungsverfahren: Beispiel aus einem Bauantrag, zeichnerischer Teil.
Einen Vordruck fĂŒr Genehmigungsverfahren gibt es z. B. bei den Baugenehmigungsbehörden (oftmals auf den Homepages der Stadt- und Landkreise).
Um sich mit den Regelungsinhalten der LBO vertraut zu machen, hilft zunĂ€chst ein Blick in die InhaltsĂŒbersicht. Mit den Ăberschriften wird bereits auf die jeweils zentralen Regelungen hingewiesen, sodass ein Auffinden der zu beachtenden Vorschriften erleichtert wird.
InhaltsĂŒbersicht der LBO Baden-WĂŒrttemberg:
â Erster Teil | Allgemeine Vorschriften (§§ 1 bis 3) |
â Zweiter Teil | Das GrundstĂŒck und seine Bebauung (§§ 4 bis 10) |
â Dritter Teil | Allgemeine Anforderungen an die BauausfĂŒhrung (§§ 11 bis 16a) |
â Vierter Teil | Bauprodukte und Bauarten (§§ 16b bis 25) |
â FĂŒnfter Teil | Der Bau und seine Teile (§§ 26 bis 33) |
â Sechster Teil | Einzelne RĂ€ume, Wohnungen und besondere Anlagen (§§ 34 bis 40) |
â Siebenter Teil | Am Bau Beteiligte, Baurechtsbehörden (§§ 41 bis 48) |
â Achter Teil | Verwaltungsverfahren, Baulasten (§§ 49 bis 72) |
â Neunter Teil | Rechtsvorschriften, Ordnungswidrigkeiten, Ăbergangs- und Schlussvorschriften (§§ 73 bis 79) |
Die LBO betont heute stĂ€rker als frĂŒher die Verantwortlichkeit der am Bau beteiligten Personen. Die Behörden sollen von der ĂberprĂŒfung der Bauunterlagen entlastet und die Eigenverantwortung des Einzelnen soll gestĂ€rkt werden. Ziel sind weniger BĂŒrokratie und die schnellere Realisierung von Bauvorhaben. Ăkologische Ziele gibt es in der Landesbauordnung ebenfalls. Zwar kann sie keine Spezialgesetze (z. B. bezĂŒglich des Artenschutzes) ersetzen, aber dennoch gibt es Vorgaben, etwa dergestalt, dass nicht ĂŒberbaute FlĂ€chen eines GrundstĂŒcks grundsĂ€tzlich als GrĂŒnflĂ€che anzulegen sind, vgl. § 9 Abs. 1 LBO. Immer stĂ€rker spielt auch das Thema regenerativer Energien eine Rolle. Dazu hat das Land Baden-WĂŒrttemberg z. B. eine Verfahrensfreiheit fĂŒr Solaranlagen auf oder an GebĂ€uden eingefĂŒhrt, vgl. Anhang zu § 50 Abs. 1 LBO Nr. 3c).
2. Begriffe
Die Begriffsdefinitionen in § 2 LBO (bzw. entsprechende Vorschriften in der jeweiligen Landesbauordnung eines jeden Bundeslandes) stellen fĂŒr die Planer ganz zentrale Vorgaben dar. Sie bilden die Grundlage fĂŒr die Beurteilung von BauvorgĂ€ngen nach der Landesbauordnung.
Die Begriffe haben unmittelbar Auswirkungen auf
â das inhaltliche (materielle) Recht: Die LBO gilt fĂŒr alle baulichen Anlagen, vgl. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 LBO.
â das Verfahrensrecht (formelles Recht): Eine Herstellung oder Beseitigung baulicher Anlagen bedarf grundsĂ€tzlich einer Genehmigung, vgl. § 49 LBO. Es ist also ein Verfahren durchzufĂŒhren.
Die Definitionsliste in § 2 LBO beginnt mit dem Begriff der âbaulichen Anlage.â
Dieser Begriff wird im Sinne des Bauordnungsrechts definiert und ist nicht identisch mit dem Begriff des Bauplanungsrechts, der in § 29 BauGB benutzt wird. Dieser hat zunĂ€chst einen stĂ€dtebaulichen Bezug. AuĂerdem kann das Landesrecht keine Begriffsdefinition fĂŒr Bundesrecht geben (Grund: Gesetzgebungskompetenz). Andererseits ist aber anerkannt, dass die Beschreibung des Wortes âbauliche Anlageâ in den Landesbauordnungen weitgehend vergleichbar ist mit der Relevanz im Bauplanungsrecht, sodass die Definition (der LBO) âgedanklichâ auf das Bauplanungsrecht ĂŒbertragen werden kann.
Folgende Voraussetzungen ergeben sich aus dem Gesetzestext fĂŒr eine bauliche Anlage i. S. v. § 2 Abs. 1 LBO:
â Unmittelbare Verbindung mit dem Erdboden,
â der Einsatz von Bauprodukten und
â Herstellung aus Bauprodukten.
Die bauliche Anlage muss mit dem Erdboden ...