Der scharlachrote Buchstabe
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Der scharlachrote Buchstabe

Nathaniel Hawthorne

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  1. 246 pages
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Der scharlachrote Buchstabe

Nathaniel Hawthorne

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"The Scarlet Letter", deutsch "Der scharlachrote Buchstabe", ist ein Roman von Nathaniel Hawthorne, erschienen 1850. Er gilt als eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur.

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Informations

Éditeur
Books on Demand
Année
2015
ISBN
9783738628067
Édition
1

XII – Die Vigilie des Geistlichen

Gewissermaßen in Traumesschatten dahinschreitend und vielleicht auch wirklich unter dem EinflĂŒsse einer Art von Somnambulismus erreichte Dimmesdale die Stelle, wo vor jetzt so langer Zeit Esther Prynne ihre erste Stunde der öffentlichen Schmach durchlebt hatte. Unter dem Balkon des Versammlungshauses stand noch dasselbe GerĂŒst, schmerzlich und von dem Sturm und Sonnenschein sieben langer Jahre gefĂ€rbt und von den Schritten der vielen SĂŒnder, welche seitdem hinaufgestiegen waren, ausgetreten. Der Geistliche erstieg die Stufen.
Es war eine dunkle Nacht zu Anfang des Monats Mai. Der ganze Himmel war vom Zenit bis zum Horizont von einer ununterbrochenen Wolkendecke verhĂŒllt. Wenn jetzt dieselbe Volksmenge, welche Augenzeuge der Strafe Esther Prynnes gewesen war, hĂ€tte herbeigerufen werden können, so wĂŒrde sie auf dem GerĂŒste kein Gesicht, ja in dem dunklen Grau der Mitternacht kaum die Umrisse einer menschlichen Gestalt wahrgenommen haben. In der Stadt schlief jedoch alles, es war keine Gefahr der Entdeckung. Der Geistliche konnte, wenn es ihm beliebte, dort stehen bleiben, bis der Morgen sich im Osten rötete, ohne weitere Gefahr zu laufen, als daß die feuchte, kalte Nachtluft in seinen Körper drang und seine Glieder mit rheumatischer Steifheit erfĂŒllte und seine Kehle durch Katarrh und Husten heiser machte und dadurch die erwartungsvolle Gemeinde um das Gebet am nĂ€chsten Morgen und die Predigt brachte. Kein Auge konnte ihn erblicken, außer dem stets wachenden, welches ihn in seinem Gemach die blutige Geißel hatte schwingen sehen. Warum war er aber dann hierhergekommen? War es bloß die Parodie eines Bußaktes? Allerdings eine Parodie, bei der seine Seele ihrer selbst spottete, eine Parodie, ĂŒber welche Engel erröteten und weinten, wĂ€hrend Teufel mit höhnischem GelĂ€chter jubelten. Er war von der Macht der Reue, die ihn ĂŒberall verfolgte und deren Schwester und engverbundene GefĂ€hrtin die Feigheit war, welche ihn stets mit ihrer zitternden Hand zurĂŒckzog, wenn ihn der andere Impuls bis zur Grenze eines GestĂ€ndnisses gedrĂ€ngt hatte, hierher getrieben worden. Der unglĂŒckliche Mann! Welches Recht hatte eine SchwĂ€che, wie die seine, sich mit einem Verbrechen zu belasten? Das Verbrechen ist fĂŒr mit eisernen Nerven Begabte, welche die Wahl haben, es entweder zu tragen oder, wenn es zu schwer lasten sollte, ihre wilde, wĂŒtige Kraft zu einem guten Zwecke anzuwenden und es mit einem Male von sich zu werfen! Dieser schwache und von seinen GefĂŒhlen beherrschte Geist konnte keines von beiden tun, und doch tat er bestĂ€ndig eines oder das andere, was die Qual dem Himmel trotzender SĂŒnde und vergebliche Reue zu dem gleichen unauflöslichen Knoten verschlang.
Und wĂ€hrend Dimmesdale in dieser eitlen NachĂ€fferei der SĂŒhne auf dem GerĂŒste stand, bemĂ€chtigte sich seiner ein tiefer Schrecken des Geistes, als blicke die ganze Welt auf ein scharlachrotes Zeichen auf seiner nackten Brust gerade ĂŒber dem Herzen. An dieser Stelle befand sich in der Tat und schon lange der nagende, giftige Zahn körperlichen Schmerzes. Ohne eine Anstrengung seines Willens, ohne Kraft, sich zurĂŒckzuhalten, schrie er laut auf, daß es durch die Nacht hallte und von einem Hause gegen das andere geworfen wurde und von dem HĂŒgel im Hintergrund antwortete, als ob eine Gesellschaft von Teufeln so großes Elend und Entsetzen in dem Laute entdeckt habe und ihn zu ihrem Spielwerk gemacht hĂ€tte und scherzend hin und her schleudere.
»Es ist vollbracht«, flĂŒsterte der Geistliche und bedeckte sein Gesicht mit den HĂ€nden. »Die ganze Stadt wird erwachen und herbeieilen und mich hier finden!«
Aber dem war nicht so. Der Schrei war vielleicht mit weit grĂ¶ĂŸerer Kraft, als er wirklich besaß, in seinen eigenen erschreckten Ohren erklungen. Die Stadt erwachte nicht, oder wenn sie es tat, so hielten die mĂŒden SchlĂ€fer den Schrei entweder fĂŒr einen furchtbaren Traum oder fĂŒr den LĂ€rm der Hexen, deren Stimmen man zu damaliger Zeit oft ĂŒber die Niederlassungen und einsamen HĂŒtten hinziehen hörte, wenn sie mit Satan durch die Luft ritten. Da der Geistliche kein Zeichen einer Störung seiner Einsamkeit wahrnahm, entfernte er die Hand, womit er sein Gesicht bedeckt hatte, von den Augen und blickte um sich. An einem von den Kammerfenstern des Herrschaftshauses des Gouverneurs Bellingham, welches in einiger Entfernung in der Linie einer andern Straße stand, bemerkte er die Gestalt des alten Magistratsherrn selbst mit einer Lampe in der Hand, einer weißen NachtmĂŒtze auf dem Kopfe und einem langen, weißen Nachtgewande, das seine Figur einhĂŒllte. Er sah aus wie ein zur unrechten Zeit aus dem Grabe heraufbeschworener Geist. Der Schrei hatte ihn offenbar aufgeschreckt. An einem andern Fenster desselben Hauses zeigte sich ĂŒberdies die alte Hibbins, die Schwester des Gouverneurs, ebenfalls mit einer Lampe, die selbst in so weiter Ferne den Ausdruck ihres versĂ€uerten, unzufriedenen Gesichtes erkennen ließ. Sie streckte ihren Kopf aus dem Fenster und blickte aufmerksam in die Höhe. Ohne allen Zweifel hatte die ehrwĂŒrdige Hexendame Dimmesdales Schrei gehört und ihn mit seinen zahlreichen Widerhallen und Echos fĂŒr den LĂ€rm der DĂ€monen und Nachtgespenster gehalten, mit welchen sie bekanntlich AusflĂŒge in den Wald machte.
Als die alte Dame den Schimmer der Lampe des Gouverneurs Bellingham bemerkte, löschte sie schnell ihr Licht aus und verschwand. Vielleicht fuhr sie hinauf in die Wolken. Der Prediger sah von ihren Bewegungen weiter nichts. Der Gouverneur zog sich nach einigen in die Dunkelheit hinausgeworfenen Blicken, die ihn jedoch nicht tiefer in diese dringen ließen wie in einen MĂŒhlstein, vom Fenster zurĂŒck.
Der Geistliche wurde etwas ruhiger. Seine Augen bemerkten jedoch bald ein kleines schimmerndes Licht, welches anfĂ€nglich eine weite Strecke entfernt die Straße entlang herankam. Es warf einen Strahl des Erkennens hier auf einen Pfosten, dort auf einen Gartenzaun, da wieder auf eine Fensterscheibe und dann auf einen Brunnen mit seinem vollen Wassertroge und hier endlich auf eine gewölbte, eichene TĂŒr mit einem eisernen Klopfer und einem behauenen Klotze statt der Schwelle. Dimmesdale bemerkte alle diese kleinen Einzelheiten, selbst wĂ€hrend er fest ĂŒberzeugt war, daß das Strafgericht seiner Existenz in den Schritten, die er jetzt hörte, heranschleiche, und daß in wenigen Augenblicken der Strahl der Laterne auf ihn fallen und sein lange verborgen gehaltenes Geheimnis enthĂŒllen wĂŒrde. Als das Licht nĂ€her kam, erblickte er in dem erhellten Kreise seinen Kollegen oder genauer gesagt, seinen geistlichen Vater und hochgeschĂ€tzten Freund, den ehrwĂŒrdigen Herrn Wilson, der, wie Pfarrer Dimmesdale jetzt vermutete, am Bette eines Sterbenden gebetet hatte. So war es auch. Der gute alte Pfarrer kam direkt aus dem Sterbezimmer des Gouverneurs Winthrop, der in eben jener Stunde die Erde mit dem Himmel vertauscht hatte, und nun begab sich, wie die Heiligen des Altertums mit einer Strahlenglorie umgeben, die ihn mitten in dieser dĂŒsteren Nacht der SĂŒnde erhellte, als ob ihm der dahingeschiedene Gouverneur seine Herrlichkeit zum Erbteil zurĂŒckgelassen, als ob auf ihn selbst der ferne Glanz des himmlischen Jerusalems gefallen sei, wĂ€hrend er emporblickte, um den triumphierenden Pilger in dessen Tore eingehen zu sehen – jetzt begab sich der gute Vater Wilson nach Hause, indem er seine Schritte nach dem Scheine einer Laterne lenkte. Deren Licht gab dem Dimmesdale diese Gedanken ein und er lĂ€chelte, ja er lachte sogar fast ĂŒber sie und fragte sich dann selbst, ob er nicht wahnsinnig werde.
Als der ehrwĂŒrdige Pastor Wilson unter dem GerĂŒst vorĂŒber ging und sein Genfer MĂ€ntelchen mit der einen Hand dicht um sich schlang, wĂ€hrend er mit der andern die Laterne vor seine Brust hielt, konnte der junge Geistliche sich kaum des Sprechens enthalten.
»Guten Abend, ehrwĂŒrdiger Vater Wilson. Ich bitte Euch, kommt herauf und bringt mit mir ein angenehmes StĂŒndchen zu.«
Lieber Himmel! Hatte Dimmesdale wirklich gesprochen? Einen Augenblick glaubte er, daß diese Worte ĂŒber seine Lippen gegangen seien, sie waren aber nur in seiner Phantasie ausgesprochen worden. Der ehrwĂŒrdige Vater Wilson schritt ruhig weiter, blickte vorsichtig auf den schmutzigen Weg zu seinen FĂŒĂŸen und wendete den Kopf nicht ein einziges Mal der SchandbĂŒhne zu. Als das Licht der Laterne gĂ€nzlich verschwunden war, bemerkte der Prediger an der SchwĂ€che, die sich seiner bemĂ€chtigte, daß die letzten Augenblicke eine Krisis furchtbarer Angst gewesen waren, wiewohl sein Geist eine unwillkĂŒrliche Anstrengung gemacht hatte, sich durch eine Art von gewitterschwĂŒler Scherzhaftigkeit zu erleichtern.
Bald nachher schlich sich das gleiche grauenhafte GefĂŒhl fĂŒr das Komische wieder unter die ernsten Phantome seiner Gedanken ein. Er fĂŒhlte, wie seine Glieder von der ungewohnten KĂ€lte der Nacht steif wurden, und bezweifelte, daß er imstande sein wĂŒrde, wieder die Stufen des Prangers hinabzusteigen. Der Morgen mußte bald anbrechen und ihn dort finden. Die Nachbarschaft wĂŒrde anfangen sich zu ermuntern. Der am zeitigsten Aufstehende wĂŒrde aus dem trĂŒben Zwielicht auftauchen und eine undeutliche Gestalt hoch auf dem Schandplatz stehen sehen, halb irre zwischen Angst und Neugier von TĂŒr zu TĂŒr eilen und klopfen und alle Bewohner herausrufen, damit sie das Gespenst – denn dafĂŒr mußte er ihn halten – eines verstorbenen SĂŒnders anschauen könnten. Ein trĂŒber Tumult wĂŒrde seine Schwinge von einem Hause zum andern schwingen, dann wĂŒrden mit dem stĂ€rker werdenden Morgenlichte alte Patriarchen hastig in ihren Flanellröcken und Matronen, ohne sich zum Ablegen ihrer NachtgewĂ€nder Zeit zu nehmen, herauseilen. Alle jene anstĂ€ndigen Personagen, die sich bisher noch nie mit auch nur einem verkrĂŒmmten Haare ihres Hauptes hatten sehen lassen, wĂŒrden mit einer Verstörung wie vom AlpdrĂŒcken vor die Augen der Menge treten. Der alte Gouverneur Bellingham wĂŒrde finster und mit verkehrt umgebundener Krause herauskommen, und am Saume des Gewandes der Hibbins wĂŒrden noch einige Zweige des Waldes haften und jene selbst sauertöpfischer denn je aussehen, da sie nach ihrem nĂ€chtlichen Ritt kaum einen Augenblick hĂ€tte schlafen können. Auch der gute Vater Wilson wĂŒrde, nachdem er die halbe Nacht an einem Sterbebette gewesen, sich nicht gern so frĂŒh aus seinen TrĂ€umen von den Heiligen im Himmel stören lassen. Hierher wĂŒrden ferner die Ă€ltesten der Kirche Dimmesdales und die Jungfrauen kommen, die ihren Prediger so vergötterten und ihm AltĂ€re in ihren weißen Busen errichtet hatten, die sie sich jetzt in ihrer Eile und Verwirrung kaum Zeit gelassen haben wĂŒrden, mit ihrem BrusttĂŒchlein zu bedecken. Kurz, die ganze Stadt wĂŒrde aus den HĂ€usern stolpern und ihre erstaunten und entsetzten Gesichter zu dem Pranger erheben. Wen wĂŒrde man dort mit dem roten Morgenlicht auf seiner Stirn entdecken? Wen anders als Seine EhrwĂŒrden, den Arthur Dimmesdale, der halb erfroren, von Scham niedergedrĂŒckt dastand, wo einst Esther Prynne gestanden hatte.
Von dem grotesken Grausen dieses Bildes mit fortgerissen, brach der Prediger unwillkĂŒrlich und zu seinem eigenen unendlichen Schrecken in lautes GelĂ€chter aus. Diesem antwortete augenblicklich ein leichtes, lustiges, kindisches Lachen, in welchem er mit einem Beben des Herzens, von dem er nicht wußte, ob er es unendlicher Pein oder ebenso großer Freude zuschreiben sollte, die Stimme Perlchens erkannte.
»Perle, Perlchen!« rief er nach einer momentanen Pause, und dann mit gedÀmpfter Stimme: »Esther! Esther Prynne! Bist du da?«
»Ja, es ist Esther Prynne«, antwortete sie im Tone des Erstaunens, und der Geistliche hörte, wie sich ihre Schritte vondem BĂŒrgersteig her, auf welchem sie gegangen war, nĂ€herten. »Ich bin es mit meiner kleinen Perle.«
»Woher kommst du, Esther?« fragte der Prediger. »Was bringt dich hierher?«
»Ich habe an einem Sterbebette gewacht!« antwortete Esther Prynne, »an Gouverneur Winthrops Sterbebette und ihm das Maß zu einem Leichenkleid genommen, und gehe jetzt heim nach meiner Wohnung.«
»Komm herauf, Esther, du und Perlchen!« sagte Dimmesdale. »Ihr seid beide schon hier gewesen, aber ich war nicht bei euch. Kommt noch einmal herauf, und wir wollen alle drei beisammenstehen.«
Sie erstieg schweigend die Stufen und stellte sich, mit Perlchen an der Hand, auf die BĂŒhne. Der Geistliche faßte nach der andern Hand des Kindes und nahm sie. In dem Augenblicke, wo er dies tat, kam, wie es ihm schien, eine brausende Flut neuen Lebens, anderen Lebens als das seine, wie ein Bergstrom in sein Herz und jagte durch alle seine Adern, als ob Mutter und Kind seinem halb erstarrten Körper die LebenswĂ€rme mitteilten. Die drei bildeten eine elektrische Kette.
»Prediger«, flĂŒsterte Perlchen.
»Was willst du, Kind?« fragte Dimmesdale.
»Willst du morgen mittag mit der Mutter und mir hier stehen?« fragte Perle.
»Nicht so, mein Perlchen«, antwortete der Geistliche, denn mit der neuen Energie des Augenblicks war die ganze Furcht vor öffentlicher Schmach, die so lange die Qual seines Lebens gewesen war, zurĂŒckgekehrt, und er zitterte bereits ĂŒber die Lage, in welcher er sich, wenn auch mit einer seltsamen Freude, gegenwĂ€rtig befand.
»Nicht so, mein Kind, wir werden in der Tat noch eines Tages beisammenstehen, aber nicht morgen.«
Perle lachte und versuchte, ihre Hand hinwegzuziehen; der Geistliche hielt diese aber fest. »Einen Augenblick noch, mein Kind!« sagte er.
»Willst du mir versprechen«, sagte Perle, »morgen mittag meine und meiner Mutter Hand zu nehmen?«
»Morgen nicht, Perle«, sagte der Geistliche, »aber ein anderes Mal«.
»Welch anderes Mal?« fragte das Kind von neuem.
»Am großen Tage des Gerichtes!« flĂŒsterte der Geistliche. Und seltsam genug trieb ihn das Bewußtsein, daß sein Amt das eines Lehrers der göttlichen Wahrheit sei, an, dem Kinde so zu antworten. »Dann mĂŒssen vor dem großen Richterthrone deine Mutter und du und ich beisammen stehen! Aber das Tageslicht dieser Welt soll unsere Vereinigung nicht bescheinen.«
Perle lachte von neuem.
Ehe aber Dimmesdale noch zu Ende gesprochen hatte, strahlte weit und breit ein Licht ĂŒber den ganzen bewölkten Himmel hinweg. Ohne Zweifel kam es von einem jener Meteore, welche der die Nacht Durchwachende so oft in den leeren Regionen der AtmosphĂ€re verglĂŒhen sieht. So mĂ€chtig war sein Strahlenglanz, daß er die dichten Wolken zwischen dem Himmel und der Erde völlig erleuchtete. Das große Gewölbe hellte sich auf wie die Glocke einer ungeheueren Lampe; es zeigte die bekannten GegenstĂ€nde der Straße mit der Deutlichkeit des Mittags, aber auch mit der Schauerlichkeit, welche bekannten GegenstĂ€nden stets durch ein ungewohntes Licht erteilt wird. Die hölzernen HĂ€user mit ihren hervorspringenden Stockwerken und wunderlichen Giebelspitzen, die TĂŒrstufen und Schwellen, um welche das FrĂŒhlingsgras aufsproßte, die Gartenbeete, auf welchen schwarz die frisch umgestĂŒrzte Erde lag, das wenig benutzte Wagengleise, zu dessen beiden Seiten selbst auf dem Marktplatze grĂŒne RĂ€nder zu sehen waren. Alles dies war sichtbar, aber mit einer EigentĂŒmlichkeit, welche den Dingen dieser Welt eine andere moralische Bedeutung zu verleihen schien, als sie je vorher besessen hatten. Und da stand der Geistliche mit der Hand auf dem Herzen und Esther Prynne mit dem auf ihrem Busen schimmernden und gestickten Buchstaben und Perlchen, selbst ein Symbol und das Verbindungsglied zwischen jenen beiden. Sie standen in der Mittagshelle jenes seltsamen feierlichen Glanzes da, als ob er das Licht wĂ€re, welches alle Geheimnisse offenbaren, und der Morgen, welcher alle, die zueinander gehören, vereinigen soll.
In den Augen Perlchens lag ein zauberhafter Ausdruck, und ihr Gesicht ließ, als sie zu dem Geistlichen hinaufblickte, das schelmische LĂ€cheln wahrnehmen, welches seinen Ausdruck oftmals so elfenartig gemacht hatte. Sie zog ihre Hand aus der Dimmesdales und deutete ĂŒber die Straße hin. Aber er faltete beide HĂ€nde auf seiner Brust und richtete seine Augen zu dem Zenit empor.
Es gab in jener Zeit nichts Gewöhnlicheres, als daß man alle meteorischen Erscheinungen und andere NaturphĂ€nomene, die sich mit weniger RegelmĂ€ĂŸigkeit als das Aufgehen der Sonne und des Mondes ereigneten, als Offenbarungen einer ĂŒbernatĂŒrlichen Macht auslegte. So verkĂŒndete ein glĂŒhender Speer, ein Flammenschwert, ein Bogen oder ein BĂŒndel Pfeile, welches man am mitternĂ€chtlichen Himmel sah, Krieg mit den Indianern. Man wußte, daß eine Pest durch einen Regen von Purpurlicht im voraus angezeigt worden war. Wir zweifeln, ob in Neu-England von der ersten Kolonisation an bis zu...

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