VISIONEN
Wir hatten einen Traum
VON
GERHARD DOGL
Ja, was war mein Traum â meine Motivation â , gemeinsam mit Heini Staudinger und Karl Immervoll die Waldviertler RegionalwĂ€hrung ins Leben zu rufen? In erster Linie haben mich die Idee der Negativzinsen und das historische Beispiel von Wörgl fasziniert. Nach dem Grundsatz von Silvio Gesell, wonach Geld, das wie Ware gehandelt wird, bei lĂ€ngerer Lagerung auch wie Ware an Wert verlieren soll und dies dazu beitrĂ€gt, dass Geld viel schneller zirkuliert und dadurch rasch die LebensumstĂ€nde der Menschen in dieser Gemeinschaft verbessert.
Was geschah, als das Experiment in Wörgl internationale Beachtung fand und sich gezeigt hat, dass es bestens funktioniert? â Es wurde verboten. â Warum durfte es nicht sein, dass ein System, dass in der damaligen Not allen beteiligten Menschen ein wenig mehr Wohlstand brachte, weitergefĂŒhrt wird? Wollten die FinanzmĂ€chtigen, die meistens auch die Politik bestimmen, verhindern, dass dieses System Schule macht und ihr Geldsystem, dass nur einer kleinen Minderheit an der vermögenden Spitze dient, in Frage stellt?
Ausgehend von diesen Ăberlegungen hatte es fĂŒr mich etwas RevolutionĂ€res â im Sinne von mehr Gerechtigkeit â mit der EinfĂŒhrung einer RegionalwĂ€hrung dieses System der Negativzinsen in bescheidenem Rahmen wieder aufleben zu lassen. Ziel war es natĂŒrlich nicht, den Euro zu ersetzen, sondern ein zusĂ€tzliches regionales Zahlungsmittel auf Gutscheinbasis einzufĂŒhren, um die regionale Wirtschaft zu fördern und damit ArbeitsplĂ€tze zu erhalten oder auch neue zu schaffen. Mein Credo war, dass mit der Zeit in unserer Region ein besseres Leben fĂŒr alle möglich ist, wenn zumindest 10 Prozent der Menschen zur Teilnahme bewegt werden können und diese einen Teil ihrer Ausgaben mit der RegionalwĂ€hrung begleichen. Anfangs konnten wir groĂes Interesse wecken und viele Menschen motivieren, aber der Organisations- und Betreuungsaufwand war hoch, da sich die Idee nicht in dem MaĂe wie gehofft von selbst weiterverbreitet hat.
Da kamen neue Mitstreiter, die auch eine groĂzĂŒgige Förderung in Aussicht stellten, wie gerufen. Mit den finanziellen Mitteln kamen aber auch die Bestrebungen, den meiner Meinung nach wichtigsten Teil unseres Systems, den Negativzins, abzuschaffen, diesen monatlichen minimalen Wertverlust der Gutscheine, die nicht ausgegeben wurden. Ăbrig geblieben wĂ€re nur mehr ein Gutscheinsystem wie viele andere auch. Deshalb fassten wir den Entschluss, auf die Förderungen zu verzichten und unser System in kleinerem Rahmen weiterzufĂŒhren. Wie schon seinerzeit in Wörgl wurde klar, dass solche Versuche, die das vorherrschende Zinssystem in Frage stellen, nicht erwĂŒnscht sind. In der Zwischenzeit zeigt sich immer mehr, dass unser Geldsystem nur fĂŒr eine sehr kleine Minderheit unserer Gesellschaft von Vorteil ist. Durch den Finanzcrash 2008, der ĂŒbrigens schon drei Jahre davor im Zuge unseres RegionalwĂ€hrungskongresses von den teilnehmenden Experten vorhergesagt wurde, hat sich gezeigt, wie fragil und ungerecht dieses System ist. Die aktuellen Analysen zum zehnten Jahrestag der Krise bestĂ€tigen, dass mit riesigen Summen nur die Banken und die Vermögenden vor finanziellem Verlust gerettet wurden und diese seither noch mehr profitiert haben.
Eine zentrale Aufgabe unserer Initiative bestand darin, ĂŒber unser Geldsystem und die Entstehung des Geldes zu informieren. Transparenz und Information sind der SchlĂŒssel fĂŒr positive VerĂ€nderungen. Wir brauchen hier nach wie vor eine intensive Phase der AufklĂ€rung. Mit groĂem Interesse habe ich die Schweizer Vollgeld-Initiative verfolgt, wo im Juni 2018 ĂŒber die Abschaffung des Buchgeldes abgestimmt wurde. Das System des Buchgeldes ermöglicht es, dass private GeschĂ€ftsbanken Geld selbst in die Welt setzen. Dies sollten aber nur die Zentralbanken dĂŒrfen. Trotz groĂer Gegenkampagne stimmten immerhin 24,3 % fĂŒr die Vollgeld-Initiative.
In Ăsterreich bietet die Genossenschaft fĂŒr Gemeinwohl eine Plattform fĂŒr Geldwirtschaft, die sich am Gemeinwohl ausrichtet. Leider ist die GrĂŒndung einer Bank, die dieses Gemeinwohl zum Ziel hatte, trotz langjĂ€hriger intensiver Vorbereitung letztendlich aus formalen GrĂŒnden von der FMA abgelehnt worden. Das zeigt wieder einmal, dass die WiderstĂ€nde im Bereich der Geldwirtschaft sehr hoch sind, auch wenn es um kleine VerĂ€nderungen geht. Durch Information und Diskussion kann aber jeder zur Bewusstseinsbildung beitragen und dadurch den Boden fĂŒr Initiativen in diesem Bereich aufbereiten.
Auch wenn unsere RegionalwĂ€hrung nach elf Jahren eingestellt wurde, kann unser inhaltliches und organisatorisches Wissen von Vorteil sein, wenn es in Krisensituationen notwendig sein sollte, unsere RegionalwĂ€hrung wiederzubeleben. Denn auch das war ein Ziel unserer Initiative: bei Krisen ein zusĂ€tzliches Zahlungsmittel zur VerfĂŒgung zu haben. Global gesehen brauchen wir fĂŒr eine gute Zukunft ein Geldsystem, das möglichst vielen Menschen ein gutes Leben ermöglicht, nicht nur der sehr kleinen vermögenden Minderheit an der Spitze dieses Systems. Der Traum, mit Initiativen wie der RegionalwĂ€hrung einen kleinen Beitrag auf dem Weg zu einem guten Leben fĂŒr uns alle zu leisten, besteht weiter.
VISIONEN
Die Waldviertler RegionalwĂ€hrung â eine Zumutung!
VON
MANFRED STATTLER
FĂŒr die meisten war und blieb der Waldviertler eine Zumutung. WĂ€hrend den einen die Kritik am Geld- und Finanzsystem nicht weit genug ging (âwas soll eine AlternativwĂ€hrung, wenn sie 1 : 1 mit dem Euro funktioniert?â), wollten andere einfach keine weiteren Scheine in der Geldtasche haben, wollten vor allem keine Scheine, die mit der Zeit an Wert verlieren, und schon gar nicht Wertsicherungsmarken kleben und damit unliebsame Assoziationen mit Notzeit, Nachkriegswirtschaft oder scheinbar ĂŒberkommenen Formen der Kundenbindung aus den siebziger Jahre aufkommen lassen.
âZumutenâ bedeutet im ĂŒblichen Sprachgebrauch, von jemanden oder sich etwas zu verlangen, das schwer ertrĂ€glich, anstrengend und âeigentlich unzumutbar, zu schwer, zu anstrengendâ (Duden) ist. Neben dieser heute gebrĂ€uchlichen Bedeutung gibt es eine weitere, seltener vorkommende, die dem âZumutenâ ebenfalls innewohnt (Duden). Sie erschlieĂt sich ĂŒber das Stammwort âMutâ und meint, dass jemand mutig, kĂŒhn, unerschrocken genug ist, sich einer Herausforderung zu stellen. Dieser Deutungszugang könnte die Haltung der Handels-, Dienstleistungs-, Gewerbe- und Produktionsbetriebe umschreiben, die als Partnerbetriebe der RegionalwĂ€hrung mehr als ein Jahrzehnt die Treue hielten. FĂŒr sie wĂ€re es vermutlich einfacher gewesen, ein Gutscheinsystem der Kaufmannschaft (zum Beispiel âHeidenreichsteiner Talerâ) zu verwenden, das ausschlieĂlich der eigenen GeschĂ€ftstĂ€tigkeit und nicht â wie der Waldviertler â in erster Linie dem Gemeinwohl dienen sollte. Mut zu einer ungewöhnlichen Initiative war auch seitens der regionalen Volksbank festzustellen, die einige Jahre hindurch den nicht unaufwendigen Wechselbetrieb fĂŒr die RegionalwĂ€hrung gewĂ€hrleistete.
Auch die Kunden, die wenigstens einen Teil Ihrer EinkÀufe auf Basis des Tauschens ihrer Gutscheine abwickeln wollten, zeigten eine gewisse unerschrockene Entschlossenheit, eine Standfestigkeit im Sinne dieses Zumutens.
Regionalmarkt 2008 (Franz Dangl, NĂN)
Vor allem aber muteten sich die Initiatoren des groĂen Gesellschaftsspiels zum Wert des Geldes, allen voran Karl Immervoll und sein Team, den groĂen Aufwand zu, die Vision eines neuen, solidarischeren Wirtschaftens in die Tat umzusetzen.
Mir fehlt dieses unbequeme Instrument Waldviertler, mir fehlt das Sichtbarmachen dieses Mutes zur VerÀnderung unserer Gesellschaft.
VISIONEN
Es war ein besonderer Moment
VON
ELISABETH ECKHART
Es gibt sie, diese besonderen Momente, wo einfach alles zusammenpasst, plötzlich ganz viele Menschen zusammenkommen und sagen: âja, genau, das ist es, das machen wir jetzt.â
Das ging schnell â als ob viele schon die lĂ€ngste Zeit darauf gewartet hĂ€tten, endlich aktiv werden zu können.
Ein solcher Moment war das 2005, was genau ihn ausgemacht oder ausgelöst hat, abgesehen von den Menschen, die von der Idee beseelt waren und sich darum kĂŒmmerten, lĂ€sst sich im Nachhinein fĂŒr mich gar nicht mehr so genau rekonstruieren.
Noch war gar nicht die Rede von einer globalen Finanzkrise, von einem finanziell am Boden liegenden Griechenland, noch war keine Rede von der Menschlichkeitskrise, die flĂŒchtende Menschen in Europa auslösten, samt aller Begleiterscheinungen politischer Demagogie, an denen wir heute laborieren.
Und trotzdem meine ich, rĂŒckblickend, dass wir von all dem etwas ahnten, den Zusammenhang spĂŒrten, dass wir es nicht wollten und dass diese Idee einer RegionalwĂ€hrung unter dem Titel: âdas gute Leben ist möglich!â wegfĂŒhren sollte von einer Welt der Krisen, hin zu einer, die gestaltbar ist, wo der neoliberale Konkurrenzgedanke (schneller, billiger, mehr) ad absurdum gefĂŒhrt werden sollte, und zwar grĂŒndlich und lustvoll.
Diese Idee, der gnadenlosen Geldwirtschaft etwas Neues, Provokantes entgegenzusetzen, setzte Hoffnungen frei:
- die Hoffnung, damit gegen den Klimawandel zu handeln, zum Beispiel den stinkenden und ĂŒberbordenden LKW-Transit im Waldviertel zu minimieren,
- die Hoffnung, dass regional erzeugte Produkte und heimische kleine und mittlere Betriebe wieder mehr an Wert (und WertschÀtzung) erfahren,
- die Hoffnung, dass dem asozialen Horten und Spekulieren ein zirkulierendes Geld entgegengesetzt werden könnte, frei nach dem Motto: âGeld unter die Leute bringenâ, und damit Kaufkraft, Nachfrage und gesellschaftlicher Wohlstand in der Region nachhaltig gesteigert wĂŒrde,
- die Hoffnung, dass ĂŒber ein solidarisches Aushandeln von Wirtschaft(en), an dem sich unterschiedlichste Menschen beteiligen, der soziale Zusammenhalt gestĂ€rkt werden wĂŒrde,
- die Hoffnung, dass aus einer schwachgeredeten Region ein Vorzeigemodell fĂŒr die Welt wĂŒrde â ja, fĂŒr die Welt, so utopisch dachten wir wirklich.
Auch wenn es scheint, als ob die gegenwĂ€rtige Situation all unsere BefĂŒrchtungen mehr als ĂŒbertroffen hat â ein gnadenloser Sparkurs als Maxime fĂŒr arme LĂ€nder wie Griechenland, Klimakatastrophen in der ganzen Welt, immer mehr zubetonierte FlĂ€chen fĂŒr mehr StraĂen und Einkaufszentren, stetige Zunahme von LKW-Transporten und nicht zuletzt ein sich zuspitzendes Auseinanderdriften von Arm und Reich und einer damit verbundenen Entsolidarisierung der Gesellschaft, die die unmenschlichen Begleiterscheinungen der Massenmigration weitgehend hinnimmt â auch wenn uns das alles bedrĂŒckt: Es hat ihn doch gegeben, diesen Moment, von dem wir alle wussten, es ist der richtige. Wir wachsen im SpannungsverhĂ€l...