»Wer da hat, dem wird gegeben«, dieses Wort aus dem Buche der Weisheit darf jeder Schriftsteller getrost in dem Sinne bekrĂ€ftigen: »Wer viel erzĂ€hlt hat, dem wird erzĂ€hlt.« Nichts IrrtĂŒmlicheres als die allzu umgĂ€ngliche Vorstellung, in dem Dichter arbeite ununterbrochen die Phantasie, er erfinde aus einem unerschöpflichen Vorrat pausenlos Begebnisse und Geschichten. In Wahrheit braucht er nur, statt zu erfinden, sich von Gestalten und Geschehnissen finden zu lassen, die ihn, sofern er sich die gesteigerte FĂ€higkeit des Schauens und Lauschens bewahrt hat, unausgesetzt als ihren WiedererzĂ€hler suchen; wer oftmals Schicksale zu deuten versuchte, dem berichten viele ihr Schicksal.
Auch dieses Begebnis ist mir beinahe zur GĂ€nze in der hier wiedergegebenen Form anvertraut worden und zwar auf völlig unvermutete Art. Das letzte Mal in Wien suchte ich abends, von allerhand Besorgungen abgemĂŒdet, ein vorstĂ€dtisches Restaurant auf, von dem ich vermutete, es sei lĂ€ngst aus der Mode geraten und wenig frequentiert. Doch kaum eingetreten, wurde ich meines Irrtums Ă€rgerlich gewahr. Gleich von dem ersten Tisch stand mit allen Zeichen ehrlicher, von mir freilich nicht ebenso stĂŒrmisch erwiderter Freude ein Bekannter auf und lud mich ein, bei ihm Platz zu nehmen. Es wĂ€re unwahrhaftig, zu behaupten, daĂ jener beflissene Herr an sich ein unebener oder unangenehmer Mensch gewesen wĂ€re; er gehörte nur zu jener Sorte zwanghaft geselliger Naturen, die in ebenso emsiger Weise, wie Kinder Briefmarken, Bekanntschaften sammeln und deshalb auf jedes Exemplar ihrer Kollektion in besonderer Weise stolz sind. FĂŒr diesen gutmĂŒtigen Sonderling â im Nebenberuf ein vielwissender und tĂŒchtiger Archivar â beschrĂ€nkte sich der ganze Lebenssinn auf die bescheidene Genugtuung, bei jedem Namen, der ab und zu in einer Zeitung zu lesen war, mit eitler SelbstverstĂ€ndlichkeit hinzufĂŒgen zu können: »Ein guter Freund von mir« oder »Ach, den habe ich erst gestern getroffen« oder »Mein Freund A hat mir gesagt und mein Freund B hat gemeint«, und so unentwegt das ganze Alphabet entlang. VerlĂ€Ălich klatschte er bei den Premieren seiner Freunde, telephonierte jede Schauspielerin am nĂ€chsten Morgen glĂŒckwĂŒnschend an, er vergaĂ keinen Geburtstag, verschwieg unerfreuliche Zeitungsnotizen und schickte einem die lobenden aus herzlicher Anteilnahme zu. Kein unebener Mensch also, weil ehrlich beflissen und schon beglĂŒckt, wenn man ihn einmal um eine kleine GefĂ€lligkeit ersuchte oder gar das RaritĂ€tenkabinett seiner Bekanntschaften um ein neues Objekt vermehrte.
Aber es tut nicht not, Freund »Adabei« â unter diesem heiteren Spottwort faĂt man in Wien jene Spielart gutmĂŒtiger Parasiten innerhalb der buntscheckigen Gruppe der Snobs fĂŒr gewöhnlich zusammen â nĂ€her zu beschreiben, denn jeder kennt sie und weiĂ, daĂ man sich ihrer rĂŒhrenden UnschĂ€dlichkeit ohne Roheit nicht erwehren kann. So setzte ich mich resigniert zu ihm, und eine Viertelstunde lief schwatzhaft dahin, als ein Herr in das Lokal eintrat, hochgewachsen und auffĂ€llig durch sein frischfarbiges, jugendliches Gesicht mit einem pikanten Grau an den SchlĂ€fen; eine gewisse Aufrechtheit im Gang verriet ihn sofort als ehemaligen MilitĂ€r. Eifrig zuckte mein Nachbar mit der fĂŒr ihn typischen Beflissenheit grĂŒĂend auf, welchen Impetus jedoch jener Herr eher gleichgĂŒltig als höflich erwiderte, und noch hatte der neue Gast nicht recht bei dem eilig zudrĂ€ngenden Kellner bestellt, als mein Freund Adabei bereits an mich heranrĂŒckte und mir leise zuflĂŒsterte: »Wissen Sie, wer das ist?« Da ich seinen Sammelstolz, jedes halbwegs interessante Exemplar seiner Kollektion rĂŒhmend zur Schau zu stellen, lĂ€ngst kannte und ĂŒberlange Explikationen fĂŒrchtete, Ă€uĂerte ich bloĂ ein recht uninteressiertes »Nein« und zerlegte weiter meine Sachertorte. Diese meine Indolenz aber machte den Namenskuppler nur noch aufgeregter, und die Hand vorsichtig vorhaltend, hauchte er mir leise zu: »Das ist doch der Hofmiller von der Generalintendanz â Sie wissen doch â der im Krieg den Maria Theresienorden bekommen hat.« Weil nun dieses Faktum mich nicht in der erhofften Weise zu erschĂŒttern schien, begann er mit der Begeisterung eines patriotischen Lesebuchs auszupacken, was dieser Rittmeister Hofmiller im Krieg GroĂartiges geleistet hĂ€tte, zuerst bei der Kavallerie, dann bei jenem Erkundungsflug ĂŒber die Piave, wo er allein drei Flugzeuge abgeschossen hĂ€tte, schlieĂlich bei der Maschinengewehrkompagnie, wo er drei Tage einen Frontabschnitt besetzt und gehalten hĂ€tte â all das mit vielen Einzelheiten (die ich hier ĂŒberschlage) und immer dazwischen sein maĂloses Erstaunen bekundend, daĂ ich von diesem Prachtmenschen nie gehört hatte, den doch Kaiser Karl in Person mit der seltensten Dekoration der österreichischen Armee ausgezeichnet habe.
UnwillkĂŒrlich lieĂ ich mich verleiten, zum andern Tisch hinĂŒberzuschauen, um einmal einen historisch abgestempelten Helden aus Zweimeterdistanz zu sehen. Aber da stieĂ ich auf einen harten, verĂ€rgerten Blick, der etwa sagen wollte: Hat der Kerl dir etwas von mir vorgeflunkert? An mir gibtâs nichts anzugaffen! Gleichzeitig rĂŒckte jener Herr mit einer unverkennbar unfreundlichen Bewegung den Sessel zur Seite und schob uns energisch den RĂŒcken zu. Etwas beschĂ€mt nahm ich meinen Blick zurĂŒck und vermied von nun an, auch nur die Decke jenes Tischs neugierig anzustreifen. Bald darauf verabschiedete ich mich von meinem braven SchwĂ€tzer, beim Hinausgehen jedoch schon bemerkend, daĂ er sich sofort zu seinem Helden hinĂŒbertransferierte, wahrscheinlich um einen ebenso eifrigen Bericht ĂŒber mich zu erstatten wie zu mir ĂŒber jenen.
Das war alles. Ein Blick hin und her, und ich hĂ€tte gewiĂ diese flĂŒchtige Begegnung vergessen, doch der Zufall wollte, daĂ ich bereits am nĂ€chsten Tage, in einer kleinen Gesellschaft mich neuerdings diesem ablehnenden Herrn gegenĂŒbersah, der ĂŒbrigens im abendlichen Smoking noch auffallender und eleganter wirkte als gestern in dem mehr sportlichen Homespun. Wir hatten beide MĂŒhe, ein kleines LĂ€cheln zu verbergen, jenes ominöse LĂ€cheln zwischen zwei Menschen, die inmitten einer gröĂeren Gruppe ein wohlgehĂŒtetes Geheimnis gemeinsam haben. Er erkannte mich genau wie ich ihn, und wahrscheinlich erregten oder amĂŒsierten wir uns auch in gleicher Weise ĂŒber den erfolglosen Kuppler von gestern. ZunĂ€chst vermieden wir, miteinander zu sprechen, was sich schon deswegen als aussichtslos erwiesen hĂ€tte, weil rings um uns eine aufgeregte Diskussion im Gange war.
Der Gegenstand jener Diskussion ist im voraus verraten, wenn ich erwĂ€hne, daĂ sie im Jahre 1938 stattfand. SpĂ€tere Chronisten unserer Zeit werden einmal feststellen, daĂ im Jahre 1938 fast jedes GesprĂ€ch in jedem Lande unseres verstörten Europa von den MutmaĂungen ĂŒber Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit eines neuen Weltkrieges beherrscht war. Unvermeidlich faszinierte das Thema jedes Zusammensein, und man hatte manchmal das GefĂŒhl, es seien gar nicht die Menschen, die in Vermutungen und Hoffnungen ihre Angst abreagierten, sondern gleichsam die AtmosphĂ€re selbst, die erregte und mit geheimen Spannungen beladene Zeitluft, die sich ausschwingen wollte im Wort.
Der Hausherr fĂŒhrte das GesprĂ€ch an, Rechtsanwalt von Beruf und rechthaberisch dem Charakter nach; er bewies mit den ĂŒblichen Argumenten den ĂŒblichen Unsinn, die neue Generation wisse um den Krieg und wĂŒrde in einen neuen nicht mehr so unvorbereitet hineintappen wie in den letzten. Schon bei der Mobilisierung wĂŒrden die Gewehre nach rĂŒckwĂ€rts losgehen, und insbesondere die alten Frontsoldaten wie er hĂ€tten nicht vergessen, was sie erwarte. Die flunkernde Sicherheit, mit der er in einer Stunde, wo in zehntausenden und hunderttausenden Fabriken Sprengstoffe und Giftgase erzeugt wurden, die Möglichkeit eines Krieges ebenso lĂ€ssig wegstreifte wie mit einem leichten Klaps des Zeigefingers die Asche seiner Zigarette, Ă€rgerte mich. Man solle nicht immer glauben, was man wahrhaben wolle, antwortete ich recht entschieden. Die Ămter und MilitĂ€rorganisationen, die den Kriegsapparat dirigierten, hĂ€tten gleichfalls nicht geschlafen, und wĂ€hrend wir uns mit Utopien beduselten, die Friedenszeit reichlich benĂŒtzt, um die Massen schon im voraus durchzuorganisieren und gewissermaĂen schuĂfertig in die Hand zu bekommen. Bereits jetzt, mitten im Frieden, sei die allgemeine ServilitĂ€t dank der Vervollkommnung der Propaganda in unglaublichen Proportionen gewachsen, und man möge der Tatsache nur klar ins Auge sehen, daĂ von der Sekunde an, wo das Radio die Meldung der Mobilisierung in die Stuben werfen wĂŒrde, nirgends Widerstand zu erwarten sei. Das Staubkorn Mensch zĂ€hle heute als Wille ĂŒberhaupt nicht mehr mit.
NatĂŒrlich hatte ich alle gegen mich, denn in bewĂ€hrter Praxis sucht sich der SelbstbetĂ€ubungstrieb im Menschen innerlich bewuĂter Gefahren am liebsten dadurch zu entledigen, daĂ er sie als null und nichtig erklĂ€rt, und schon gar muĂte eine solche Warnung vor billigem Optimismus unwillkommen wirken angesichts eines im Nebenzimmer bereits splendid aufgedeckten Soupers.
Unerwarteterweise trat nun der Maria Theresienritter als Sekundant mir zur Seite, gerade er, in dem mein falscher Instinkt einen Gegner vermutet hatte. Ja, es sei blanker Unsinn, erklĂ€rte er heftig, das Wollen oder Nichtwollen des Menschenmaterials heutzutage noch einkalkulieren zu wollen, denn im nĂ€chsten Kriege sei die eigentliche Leistung den Maschinen zugeteilt und die Menschen nur mehr zu einer Art Bestandteil derselben degradiert. Schon im letzten Kriege sei er nicht vielen im Feld begegnet, die den Krieg klar bejaht oder klar verneint hĂ€tten. Die meisten seien hineingerollt wie eine Staubwolke mit dem Wind und hĂ€tten dann im groĂen Wirbel einfach dringesteckt, jeder einzelne willenlos herumgeschĂŒttelt wie eine Erbse im groĂen Sack. In summa seien vielleicht sogar mehr Menschen in den Krieg hineingeflĂŒchtet als aus ihm herausgeflĂŒchtet.
Ich hörte ĂŒberrascht zu, interessiert vor allem durch die Heftigkeit, mit der er jetzt weitersprach. »Geben wir uns keiner TĂ€uschung hin. Wenn man heute in irgendeinem Land fĂŒr einen völlig exotischen Krieg, fĂŒr einen Krieg in Polynesien oder in einem Winkel Afrikas, die Werbetrommel aufstellte, wĂŒrden Tausende und Hunderttausende zulaufen, ohne recht zu wissen warum, vielleicht nur aus Lust an dem Weglaufen vor sich selbst oder aus unerfreulichen VerhĂ€ltnissen. Den faktischen Widerstand gegen einen Krieg kann ich aber kaum höher als null bewerten. Widerstand eines Einzelnen gegen eine Organisation erfordert immer einen viel höheren Mut als das bloĂe SichmitreiĂen-lassen, nĂ€mlich Individualmut, und diese Spezies stirbt in unseren Zeiten fortschreitender Organisation und Mechanisierung aus. Ich bin im Krieg fast ausschlieĂlich dem PhĂ€nomen des Massenmuts, des Muts innerhalb von Reih und Glied, begegnet, und wer diesen Begriff nĂ€her unter die Lupe nimmt, entdeckt ganz seltsame Komponenten: viel Eitelkeit, viel Leichtsinn und sogar Langeweile, vor allem aber viel Furcht â jawohl, Furcht vor dem ZurĂŒckbleiben, Furcht vor dem Verspottetwerden, Furcht vor dem Alleinhandeln und Furcht vor allem, sich in Opposition zu setzen zu dem Massenelan der andern; die meisten von jenen, die im Feld als die Tapfersten galten, habe ich persönlich und in Zivil dann als recht fragwĂŒrdige Helden gekannt. â Bitte«, sagte er, höflich zu dem Gastgeber gewandt, der ein schiefes Gesicht schnitt, »ich nehme mich selber keineswegs aus.«
Die Art, wie er sprach, gefiel mir, und ich hatte Lust, auf ihn zuzugehen, aber da rief die Hausdame schon zum Abendessen, und weit voneinander placiert, kamen wir nicht mehr ins GesprÀch. Erst bei dem allgemeinen Aufbruch gerieten wir bei der Garderobe zusammen.
»Ich glaube«, lÀchelte er mir zu, »unser gemeinsamer Protektor hat uns indirekt schon vorgestellt.«
Ich lĂ€chelte gleichfalls. »Und grĂŒndlich dazu.«
»Er hat wahrscheinlich dick aufgetragen, was fĂŒr ein Achilles ich bin, und sich meinen Orden ausgiebig ĂŒber die Weste gehĂ€ngt?«
»So ungefÀhr.«
»Ja, auf den ist er verflucht stolz â Ă€hnlich wie auf Ihre BĂŒcher.«
»Komischer Kauz! Aber es gibt ĂŒblere. Ăbrigens â wennâs Ihnen recht ist, könnten wir noch ein StĂŒck zusammen gehen.«
Wir gingen. Er wandte sich mit einem Mal zu mir zu:
»Glauben Sie mir, ich mache wirklich keine Phrasen, wenn ich sage, daĂ ich jahrelang unter nichts mehr gelitten habe als unter diesem fĂŒr meinen Geschmack allzu auffĂ€lligen Maria Theresienorden. Das heiĂt, um ehrlich zu sein â als ich ihn damals im Feld drauĂen umgehĂ€ngt kriegte, ging mirâs natĂŒrlich zunĂ€chst durch und durch. SchlieĂlich ist man zum Soldaten auferzogen worden und hat in der Kadettenschule von diesem Orden wie von einer Legende gehört, von diesem einen Orden, der vielleicht nur auf ein Dutzend in jedem Kriege fĂ€llt, also tatsĂ€chlich so wie ein Stern vom Himmel herunter. Ja, fĂŒr einen Burschen von achtundzwanzig Jahren bedeutet so etwas schon allerhand. Man steht mit einem Mal vor der ganzen Front, alles staunt auf, wie einem plötzlich etwas an der Brust blitzt wie eine kleine Sonne, und der Kaiser, die unnahbare MajestĂ€t, schĂŒttelt einem beglĂŒckwĂŒnschend die Hand. Aber sehen Sie: diese Auszeichnung hatte doch nur Sinn und GĂŒltigkeit in unserer militĂ€rischen Welt, und als der Krieg zu Ende war, schienâs mir lĂ€cherlich, noch ein ganzes Leben lang als abgestempelter Held herumzugehen, weil man einmal wirklich zwanzig Minuten couragiert gehandelt hat â wahrscheinlich nicht couragierter als zehntausend andere, denen man nur das GlĂŒck voraus hatte, bemerkt zu werden, und das vielleicht noch erstaunlichere, lebendig zurĂŒckzukommen. Schon nach einem Jahr, wenn ĂŒberall die Leute hinstarrten auf das kleine StĂŒckchen Metall und den Blick dann ehrfĂŒrchtig zu mir heraufklettern lieĂen, wurde es mir grĂŒndlich ĂŒber, als ambulantes Monument herumzustiefeln, und der Ărger ĂŒber diese ewige AuffĂ€lligkeit war auch einer der entscheidenden GrĂŒnde, weshalb ich nach Kriegsende so bald ins Zivil hinĂŒbergewechselt habe.«
Er ging etwas heftiger.
»Einer der GrĂŒnde, sagte ich, aber der Hauptgrund war ein privater, der Ihnen vielleicht noch verstĂ€ndlicher sein wird. Der Hauptgrund war, daĂ ich selbst meine Berechtigung und jedenfalls mein Heldentum grĂŒndlich anzweifelte; ich wuĂte doch besser als die fremden Gaffer, daĂ hinter diesem Orden jemand steckte, der nichts weniger als ein Held und sogar ein entschiedener Nichtheld war â einer von denen, die in den Krieg nur deshalb so wild hineingerannt sind, weil sie sich aus einer verzweifelten Situation retten wollten. Deserteure eher vor der eigenen Verantwortung als Helden ihres PflichtgefĂŒhls. Ich weiĂ nicht, wie das bei euch ist â mir wenigstens erscheint das Leben mit Nimbus und Heiligenschein unnatĂŒrlich und unertrĂ€glich, und ich fĂŒhlte mich redlich erleichtert, meine Heldenbiographie nicht mehr auf der Uniform spazierenfĂŒhren zu mĂŒssen. Noch jetzt Ă€rgertâs mich, wenn jemand meine alte Glorie ausgrĂ€bt, und warum soll ichâs Ihnen nicht gestehen, daĂ ich gestern knapp auf dem Sprung war, an Ihren Tisch hinĂŒberzugehen und den SchwĂ€tzer anzufahren, er solle mit jemand anderem protzen als gerade mit mir. Den ganzen Abend hat mich Ihr respektvoller Blick noch gewurmt, und am liebsten hĂ€tte ich, um diesen SchwĂ€tzer zu dementieren, Sie genötigt, anzuhören, auf welchen krummen Wegen ich eigentlich zu meiner ganzen Heldenhaftigkeit gekommen bin â es war schon eine recht sonderbare Geschichte, und immerhin könnte sie dartun, daĂ Mut oft nichts anderes ist als eine umgedrehte SchwĂ€che. Ăbrigens â ich hĂ€tte kein Bedenken, sie Ihnen noch jetzt kerzengrad zu erzĂ€hlen. Was ein Vierteljahrhundert in einem Menschen zurĂŒckliegt, geht nicht mehr ihn an, sondern lĂ€ngst einen andern. HĂ€tten Sie Zeit? Und langweilt Sieâs nicht?«
SelbstverstĂ€ndlich hatte ich Zeit; wir gingen noch lange auf und nieder in den schon verlassenen StraĂen und waren noch in den folgenden Tagen ausgiebig zusammen. In seinem Bericht habe ich nur weniges verĂ€ndert, vielleicht Ulanen gesagt statt Husaren, die Garnisonen, um sie unkenntlich zu machen, ein wenig auf der Landkarte herumgeschoben und vorsorglich alle richtigen Namen wegschraffiert. Aber nirgends habe ich Wesentliches hinzuerfunden, und nicht ich, sondern der ErzĂ€hler beginnt jetzt zu erzĂ€hlen.
»Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmĂŒtige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden UnglĂŒck, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zĂ€hlt â das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiĂ, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch ĂŒber dies Letzte hinaus.«
Die ganze Sache begann mit einer Ungeschicklichkeit, einer völlig unverschuldeten Tölpelei, einer »gaffe«, wie die Franzosen sagen. Dann kam der Versuch, meine Dummheit wieder ein...