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Kaspar Hauser. Beobachtet und dargestellt in der letzten Zeit seines Lebens von seinem Religionslehrer und Beichtvater
Kaspar Hausers Verwundung, Krankheit und Leichenöffnung
Heinrich Fuhrmann, Dr. Friedrich Wilhelm Heidenreich
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Kaspar Hauser. Beobachtet und dargestellt in der letzten Zeit seines Lebens von seinem Religionslehrer und Beichtvater
Kaspar Hausers Verwundung, Krankheit und Leichenöffnung
Heinrich Fuhrmann, Dr. Friedrich Wilhelm Heidenreich
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Zwei wertvolle Augenzeugenberichte aus der letzten Lebenszeit des mysteriösen Findlings Kaspar Hauser: Pfarrer Heinrich Fuhrmann begleitete Kaspar Hauser durch seine religiöse Erziehung; Dr. Heidenreich leistete Kaspar Hauser nach dem Attentat im Ansbacher Hofgarten erste Àrztliche Hilfe und war kurze Zeit spÀter Zeuge der Obduktion des Leichnams.
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Informations
Dr. Friedrich Wilhelm Heidenreich
KaĆżpar HauĆżers Verwundung, Krankheit und
Leichenöffnung.
Ein rĂ€tselhaftes Wesen hat den Schauplatz des Lebens verlassen. Dunkel ruht auf seinem Eintritt in die Welt, Dunkel umhĂŒllt sein Scheiden. Nur der Himmel kennt des Schicksals Wege!
Ob FĂŒrstensohn oder Betteljunge, ob schuldloser Gegenstand der grausamsten MiĂhandlung oder verĂ€chtlicher BetrĂŒger, ob schmĂ€hlicher Selbstmörder oder der ruchlosesten Bosheit blutiges Opfer â keines Menschen Zunge hat es ausgesprochen, keines Geistes Tiefe hat es ergrĂŒndet, ein dichter Schleier birgt dieses Menschen VerhĂ€ngnis.
MerkwĂŒrdig ist dieser Mensch geworden, und wenn auch unbedeutend in seiner Persönlichkeit, so lĂ€Ăt doch das Seltsame seines Erscheinens und Verschwindens im Leben furchtbare Verbrechen an Leib und Seele ahnen, und reiĂt unwillkĂŒrlich zur Teilnahme an einem Individuum hin, welches den schauderhaftesten Ereignissen zum Spiel geworden ist.
Fern aber von allen Vermutungen, ĂŒber die man in Mund und Schrift der Worte genug gemacht, lerne von der Meinung des Publikums, das wie der Wechselwind bald dieser bald jener Richtung folgt, unbekĂŒmmert um die Ansichten ausgezeichneter MĂ€nner, die fĂŒr diese oder jene Meinung stritten, und unbekannt endlich mit den Resultaten der ausgedehntesten Kriminaluntersuchungen, weise ich alles Ungewisse und Zweifelhafte von der Hand, nur an das mich haltend, was als Tatsache zu verbĂŒrgen ist.
Sonnabends den 14. Dezember 1833, nachmittags gegen 4 Uhr wurde ich von dem auf der StraĂe an mir vorĂŒbereilenden Lehrer Meyer gebeten, den Kaspar Hauser zu besuchen, der soeben im hiesigen Hofgarten in die Brust verwundet worden sei.
Ich begab mich unverzĂŒglich in dessen Wohnung, und fand daselbst in seinem Zimmer den Kaspar Hauser auf einem Sofa ausgestreckt, in halb liegender halb sitzender Stellung, die FĂŒĂe gegen den Boden herabhĂ€ngend, mit dem Leib auf der rechten Seite liegend.
Er war noch nicht ausgekleidet, hatte noch seinen Rock an, unter diesen die Weste, ein flanellenes Kittelchen und ein feines Hemd. Die Kleider und das Hemd waren vorn auseinandergezogen, die Brust entblöĂt, mit Blut befleckt. Das Hemd war ebenfalls blutig, von nicht sehr vielem aber hellrotem Blut gerötet.
Das Gesicht war blaĂ, entstellt, etwas verzerrt, kĂŒhl, die HĂ€nde kalt, der Puls klein, schwach, selten, unterdrĂŒckt, der Herzschlag selten und sehr schwach. Sprache war nur mit MĂŒhe möglich, er brachte nur einzelne Worte hervor, es tue ihm wehe, er könne nicht schnaufen usw. Tiefes Einatmen war vollkommen unmöglich, Husten und Blutauswurf waren nicht vorhanden.
Ich schloĂ aus den soeben geschilderten Erscheinungen auf eine ernstliche Verletzung und unternahm zuerst die Ă€uĂere Besichtigung der Wunde. Die verletzte Stelle befand sich dreieinhalb Zoll10 unter der linken Brustwarze, drei Zoll von der Medianlinie des Körpers, nach meiner Vermutung zwischen der sechsten und siebenten Rippe: denn genau konnten die Rippen wegen Fettigkeit des Körpers nicht gezĂ€hlt werden.
Die Wunde selbst an der bezeichneten Stelle war scharf geschnitten, mit zwei vollkommen scharfen Enden, sie war schrĂ€g von oben und hinten nach unten und vorn verlaufend, von einem Winkel zum anderen dreiviertel Zoll lang, die RĂ€nder kaum eine Linie11 klaffend, so daĂ sie nur von einem bis weit nach oben scharf zweischneidigen Instrumente veranlaĂt worden sein konnte.
Rock, Weste, Hemd, waren ebenso scharf durchschnitten, und bestĂ€tigten die Vermutung, ĂŒber die Gestalt des verletzenden Instrumentes, so wie sie die groĂe Gewalt, mit welcher der Stich gefĂŒhrt sein muĂte, beurkundeten.
Es zeigte sich in der Umgebung der verletzten Stelle kein Emphysem, auch drang aus der Wunde weder Blut noch Luft.
Ich entkleidete nun den Verletzten und unternahm eine innere Untersuchung der WundeÍŸ dazu brachte ich den Kranken zuerst in eine sitzende und dann halbstehende Situation, mit nach vorne gebeugten Körper und Kopf, welchen letzteren ich an meiner Brust zu stĂŒtzen suchte.
In dieser Stellung brachte ich den kleinen Finger der rechten Hand in die Wunde, der allerdings unter der Zellhaut nicht sogleich die wahre Richtung des Wundkanals entdecken konnte, auch stieĂ ich auf eine Rippe, die meinen Forschungen ein Ziel zu setzen schien.
Da ich aber wohl sah, daĂ die oben angegebenen ZufĂ€lle von einer nur die Ă€uĂeren Bedeckungen treffenden, oder auch bis auf die Rippe durchdringenden Verletzung nicht veranlaĂt, werden konnten, auch die Gestalt und das Ă€uĂere Ansehen der, wie es hieĂ, gestochenen Wunde mit der bis jetzt gefĂŒhlten Seichtigkeit derselben unvertrĂ€glich war, so suchte ich weiter und bald fand ich unmittelbar von der Rippe selbst ausgehend in der Richtung von oben nach unten und vorn nach hinten den Wundkanal.
Mit geringer MĂŒhe gelangte der kleine Finger durch die Muskelwunde, stieĂ an der einen Seite auf ein paar Fleischfasern und fĂŒhlte es ganz deutlich, als er auch durch eine mit den Muskeln nicht zusammenhĂ€ngende Membran, deren Ăffnung etwas enger schien, als die der Fleischwunde, in den freien Raum der Brusthöhle drang.
Der Finger konnte sich nun frei in der Brusthöhle bewegen, und nachdem er etwas leeren Raum in derselben durchdrungen hatte, stieĂ er in eine Tiefe von fĂŒnfviertel oder anderthalb Zoll von der Ă€uĂeren Wunde an gerechnet, auf einen in der Brusthöhle befindlichen, glatten, schlĂŒpfrigen, aber nicht ganz ebenen Körper, der beinahe etwas wie eine Furche mit zwei seitlichen Erhabenheiten fĂŒhlen lieĂ.
Ich hielt anfangs diesen Körper fĂŒr das gleichfalls durch die Verletzung getroffene Herz und glaubte in den gefĂŒhlten Unebenheiten, in der Furche eine Wunde der Substanz desselben, und in den seitlichen Erhabenheiten deren RĂ€nder zu erkennen.
Da ich aber vor der inneren Untersuchung mich vom Vorhandensein des Herz- und Pulsschlages ĂŒberzeugt hatte, und nun in der verhĂ€ltnismĂ€Ăigen Zeit gar keine Bewegung, gar keine Zuckung des berĂŒhrten Körpers fĂŒhlte, so glaubte ich die linke Lunge berĂŒhrt zu haben.
Da der Verletzte sehr ĂŒber Schmerzen klagte, so konnte und wollte ich die Untersuchung nicht lĂ€nger fortsetzen, zumal, da mein therapeutischer Zweck, zu ermitteln, ob die Wunde penetrierend und eine innere Blutung zu besorgen sei, bereits erreicht war.
Blutdurchgang oder Blutung aus der Wunde war bei der Untersuchung nicht erfolgt, auch hÀtte die Schiefheit der Wunde nach unten dem Blut kaum den Austritt gestattet.
Ich brachte nun den entkleideten Kranken zu BettÍŸ Puls und Gesicht waren wie oben angegeben, der Herzschlag selten, langsam, schwach, dem Ohr fast plĂ€tschernd vernehmbar, als ob das Herz in einer FlĂŒssigkeit sich bewege. Ich machte kalte ĂberschlĂ€ge ĂŒber die Wunde, wollte kĂŒhles GetrĂ€nk reichen, was aber der Kranke anzunehmen sich weigerte, und war soeben im Begriff einen AderlaĂ vorzunehmen, als der Stadtgerichtsarzt, der alsbald gerufen war, eintrat.
Kurze Zeit hierauf kam auch der hiesige Landgerichtsarzt, welchen man als frĂŒheren und bisherigen Arzt des Verletzten von dem Vorfall benachrichtigt hatte. Desgleichen traf auch bald eine Kommission des hiesigen Stadtgerichtes ein, der die Sache auf meine ErklĂ€rung, daĂ die Wunde sehr gefĂ€hrlich sei, unverzĂŒglich war angezeigt worden.
Seinem frĂŒheren Arzt klagte der Verwundete ĂŒber Schmerzen am Hals und der linken Schulter â Erscheinungen, die man bereits als konsekutive NervenzufĂ€lle, höchst wahrscheinlich als Folgen der Verletzung des Zwerchfells oder Zwerchfellnerven betrachten muĂte.
Der Stadtgerichtsarzt ĂŒbernahm nun die Behandlung des Kranken von Amts wegen, ich trat also zurĂŒck, und hatte auf das Ă€rztliche Verfahren durchaus keinen EinfluĂ mehr.
Dieser Arzt erklĂ€rte sich sogleich ĂŒber den Zustand der Wunde folgendermaĂen:
âBei sogleich vorgenommener Untersuchung fand man an der linken Seite der Brust zwei Zoll unter der Brustwarze und vier Zoll von der Mitte des Brustbeins entfernt, eine von hinten nach vorne schief abwĂ€rts laufende, dreiviertel Zoll lange Wunde. Beim Auseinanderziehen der Wundlefzen zeigte sich etwas Fett.
Mittelst einer Sonde konnte man nur durch die fleischigen Bedeckungen, aber nicht in die Brusthöhle gelangen.
Ăbrige Erscheinungen und Befinden: Blasses eingefallenes Aussehen, verminderte HautwĂ€rme, langsamer, schwacher Puls, kurzer beengter AtemÍŸ mittelst Auskultation war bei der Pulsation des Herzens ein abnormes GerĂ€usch wahrzunehmen.â
Um 7 Uhr abends hatte sich am Befinden des Kranken nichts verÀndert. Es wurde ohne besondere Beschwerde das Hemd gewechselt.
Abends halb 9 Uhr besuchte ich den Kranken wieder. Das Befinden war im Ganzen dasselbe, doch eher etwas gebessert als verschlimmert.
Der Herzschlag war derselbe geblieben, der Puls hatte sich etwas gehoben, war etwas frequenter und voller. Die Temperatur der Haut hatte sich etwas erhöht, der Schweià war warm. Es hatte sich aber auch etwas Delirium eingestellt.
Nachdem ich mich nunmehr ĂŒberzeugt hatte, daĂ der Gerichtsarzt die Behandlung des Kranken wirklich ĂŒbernommen und das ihm nötig scheinende Verfahren bereits eingeleitet habe, konnte ich, ohne zudringlich zu sein, den mir allerdings höchst interessanten Patienten nicht ferner beobachten, und habe daher vom Sonnabend Abend bis zum Dienstag Abend, also dreimal 24 Stunden, den Kranken nicht gesehen.
Die Beobachtungen des behandelnden Gerichtsarztes waren aber folgende:
âSonntag den 15. Dezember morgens 8 Uhr. WĂ€hrend der Nacht war etwas Schlaf eingetreten. Aussehen, Atem, Puls wie gestern. Ăbelkeit, Neigung zum Erbrechen, welches auch einmal erfolgt ist. Schmerzhaftes DrĂŒcken in der Magengegend gegen die Brust aufwĂ€rts. Schmerzen an beiden Seiten des Halses, besonders beim Schlingen. Durst bei feuchter Zunge.
Mittags 12 Uhr. Sehr eingefallenes blasses Gesicht, groĂe SchwĂ€che, kaum fĂŒhlbarer Puls, mehr Schmerz und groĂe Beengung.
Nachmittags 3 Uhr. Etwas lebhafteres Aussehen, krÀftigerer Puls, schmerzhaftes Atmen, angeblich blutige Sputa, Durst, Ekel vor Nahrung.
Abends 7 Uhr. Minderung der Brustbeschwerden und des DurstesÍŸ ruhigerer Zustand.
Montag den 16. Dezember morgens 8 Uhr. Es war eine unruhige Nacht. Gelbe Hautfarbe, ikterischer Urin, Schmerzen in der Magen- und Lebergegend, das Gesicht noch mehr eingefallen, sehr schwacher schneller Puls, kurzer Atem, feuchte blasse Zunge, Durst. Die Wunde ist mit einem Blutschorf bedeckt.
Mittags hatte der Kranke etwas Schleim genossen, alle ĂŒbrige UmstĂ€nde waren wie morgens.
Abends 5 Uhr. Patient fĂŒhlt sich etwas besser. Allgemeiner gelinder SchweiĂ, weniger Durst, aus der Wunde schwitzt etwas Blut und dĂŒnnes Eiter.
Dienstag den 17. Dezember morgens. Es waren um 3 Uhr und 7 Uhr breiartige braune Stuhlausleerungen erfolgt, worauf sich etwas Schlaf, der die ganze Nacht gefehlt hatte, einfand. Ăbrigens sehr gelbe Hautfarbe, sehr kleiner schneller Puls, Magen- und Lebergegend sehr schmerzhaft, groĂer Durst, feuchte Haut.
Mittags 12 Uhr. Patient wurde seit zwei Stunden verhört, sprach ziemlich leicht, der Puls etwas lebhafter.
Nachmittags 2 Uhr. Patient ist sehr matt, atmet sehr kurz, Puls kaum fĂŒhlbar.
Abends halb 7 Uhr. Kaltes eingefallenes Gesicht, kalte ExtremitĂ€ten mit kaltem SchweiĂ bedeckt, sehr kurzer Atem, an den HĂ€nden kein Puls. Alle Zeichen des herannahenden Todes.â
An diesem Abend gegen 7 Uhr wurde ich wieder eiligst gerufen, nachdem der behandelnde Arzt nicht sehr lange erst den Kranken verlassen hatte.
Der Patient hatte wegen einer Ausleerung aus dem Bett verlangt, war da noch kÀlter geworden, es hatte sich ein Stickanfall eingestellt, der das Leben zu enden drohte, weshalb ich, als der zunÀchst wohnende Arzt schleunigst zur möglichsten Hilfe herbeigeholt wurde.
Ich fand den Kranken mit entstelltem Gesicht, ohne BewuĂtsein, auf dem Deckbett liegend, die Augen nach oben verdrehend, Gesicht kalt, HĂ€nde kalt, kalter SchweiĂ ihn ĂŒberziehend, das Atmen sehr kurz und beengt, der Herzschlag schwach, der Puls kaum mehr zu fĂŒhlen, unter dem Finger verschwindend.
Er erkannte die Umstehenden nur in einzelnen Momenten, mich erkannte er nicht, begriff es auch nicht, als ich ihm sagte warum ich da sei. Er Ă€uĂerte einzelne Worte: daĂ er nicht zu Hause sei, daĂ man ihn heimbringen solle, sagte, daĂ er sterben mĂŒsse, fragte, wo er sich befinde, usw.
Beruhigendes Zusprechen, Auftröpfeln und Bestreichen mit Salmiakgeist, die Anwendung eines Senfteiges, Bedeckung und Ă€uĂere ErwĂ€rmung und alle in solchen FĂ€llen erforderliche Mittel wurden in Anwendung gebracht, konnten aber natĂŒrlich dem Sterbenden nichts nĂŒtzen.
Er kam spĂ€ter noch etwas mehr zu BewuĂtsein, betete, gab Antworten auf einige ĂŒber sein Befinden gestellte Fragen, und so erfolgte abends 10 Uhr, 78 Stunden nach der Verletzung ein sanfter und stiller Tod.
Dem Leser meiner Abhandlung wird sich die ganz natĂŒrliche und verzeihliche Neubegierde aufdrĂ€ngen, wie sich denn diese Verwundung zugetragen habe?
Um dieser einigermaĂen zu entsprechen, und weil es gewissermaĂen auch zur Sache gehört, möge eine kurze Schilderung des Vorfalles gestattet werden.
Voraussetzen muĂ ich aber, daĂ der Leser mit Kaspar Hausers Namen und Schicksal, seinem ersten Erscheinen in NĂŒrnberg am 26. Mai 1828, und den darauf gefolgten VorfĂ€llen nicht ganz unbekannt, und aus des Staatsrats v. Feuerbach oder einer anderen Schrift, wenigstens von dem allgemeinsten, was Hauser betrifft, unterrichtet sei.
Auch muĂ ich noch anfĂŒhren, daĂ, wĂ€hrend ich dieses sc...