1. Motivation und Kultur - begriffliche Einordnung
Motivation und Kultur - beide Begriffe gehören zum alltĂ€glichen Wortschatz. Beide Begriffe werden mit unterschiedlichen Bedeutungen und in solch unterschiedlichen Kontexten verstanden und verwendet, dass es schwer ist, ihnen eine eindeutige Bedeutung zuzuweisen, die ĂŒber die Ebene der Phrase hinausgeht. Es scheint also angeraten, fĂŒr diese Arbeit einen definierten Rahmen fĂŒr beide Begriffe festzulegen.
Ist Motivation alles, was SpaĂ macht? Oder alles, was wichtig ist? Und wer ist dafĂŒr zustĂ€ndig, dass wir motiviert sind? Viele Mitarbeiter scheinen ihre eigene Motivation fĂŒr eine FĂŒhrungsaufgabe und damit den Job ihres Vorgesetzten zu halten, in Trainings zur Mitarbeitermotivation andererseits suchen denn auch viele FĂŒhrungskrĂ€fte nach guten Tipps und einfachen Checklisten, um das Team dazu zu bewegen, ihren Willen auszufĂŒhren. Motivation und Manipulation scheinen dann so weit nicht auseinanderzuliegen.
Der Begriff Motivation stammt aus dem Lateinischen: movere = bewegen und wird im Duden als die âGesamtheit der BeweggrĂŒnde, EinflĂŒsse, die eine Entscheidung, Handlung oder Ăhnliches beeinflussen, zu einer Handlungsweise anregenâ beschrieben.
Motivation bringt uns also dazu, etwas zu tun, entweder einfach,
weil es Freude macht und ErfĂŒllung bringt â intrinsische Motivation,
oder um eine Belohnung zu erhalten â Appetenz,
oder aber, um einer Bestrafung zu entgehen â Aversion.
Letztgenannte Antriebe zÀhlen zur extrinsischen Motivation, auf die wir uns im Rahmen dieses Buches konzentrieren werden.
Das, was Menschen zum Handeln treibt, beschĂ€ftigte bereits im 4. vorchristlichen Jahrhundert den SokratesschĂŒler und Philosophen Aristippos von Kyrene. Seine Theorie, dass jedes menschliche Verhalten und die dazu fĂŒhrenden BeweggrĂŒnde in der Natur des Menschen lĂ€gen mit dem Ziel, VergnĂŒgen oder Lust anzustreben und Unlust oder Schmerz zu vermeiden, wird als Hedonismus bezeichnet.
Wenngleich hedonistische Prinzipien in der Geschichte immer wieder beleuchtet wurden, entstanden viele Motivationstheorien erst, seit sich ab dem 19. Jhd. mit dem Zusammenfallen von industrieller Revolution und der Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie zahlreiche Forscher dem Thema widmeten.
Möglicherweise handelt es sich lediglich um eine zeitliche Koinzidenz, jedoch beschÀftigen sich zahlreiche Motivationstheorien mit dem Arbeitsumfeld von Menschen, das sich mit flÀchendeckend erfolgter Industrialisierung im 19. bis zur Mitte des 20. Jhd. drastisch Ànderte. Die Arbeitsteilung und der Umstand, dass viele Arbeiter das Ergebnis ihrer TÀtigkeit nicht mehr zu Gesicht bekamen, die Entlohnung nach Stunde statt nach Produkt - time is money, war eine wahrhaftige Revolution von Tagesablauf und Lebensverlauf vieler Menschen und löste eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema aus.
Der US-amerikanische Psychologe Henry Murray (1893-1988) war einer der Pioniere in der Erforschung der Leistungsmotivation. Beispielhaft seien hier ebenso genannt die Hierarchie menschlicher BedĂŒrfnisse, die Abraham Maslow (1908-1970) in seiner BedĂŒrfnis-Pyramide darstellte und die 2-Faktoren-Theorie Frederick Herzbergs (1923-2000).
Abb. 1: Time is money
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Eine besondere Stellung gehört David McClelland und seiner Theorie der âBig Threeâ, nach der die Beschreibung und Bewertung der drei groĂen Motive Macht, Zugehörigkeit und Leistung nicht aus rein psychologischen Gesichtspunkten erfolgt, sondern neurobiologisch untermauert ist. Eine Forschergruppe um McClelland konnte 1987 nachweisen, dass die Anregung einzelner Motive mit der AusschĂŒttung bestimmter Neurotransmitter verbunden ist. Bei Anregung des Machtmotivs sind es Epinephrin und Norepinephrin, bei Anregung des Zugehörigkeitsmotivs Dopamin und bei Anregung des Leistungsmotivs Vasopressin und Arginin.
Motivation ist also etwas, das mit dem einzelnen Menschen ebenso zu tun hat wie mit seinem Umfeld, das von innen und auĂen kommen kann. Neurobiologisch lĂ€uft in uns allen dieselbe Reaktion ab, wenn wir motiviert sind, stark unterschiedlich sind jedoch die Dinge, die uns motiviert sein lassen. Es gibt eine individuelle Motivation und die Motivation durch die Erwartungen unseres Umfelds, die in diesem Buch einen Schwerpunkt darstellen wird.
Wenden wir uns dem Kulturbegriff zu. Kulturelle Bildung, interkulturelle Veranstaltungen, kulturelles Interesse etc., der Begriff Kultur wird auf vielfĂ€ltige Weise genutzt. Kulturelle Bildung ist von der UNESCO als ein grundlegendes Menschenrecht beschrieben worden und die Auseinandersetzung mit dem âkulturellen Erbeâ wird allenthalben gefordert. Bei Diskussionen um den derzeit sehr populĂ€ren Begriff der deutschen Kultur beispielsweise, die durch die âFlĂŒchtlingswelleâ bedroht scheint und ohne Kompromiss und EinschrĂ€nkung zu erhalten sei, endet die Argumentation allerdings meist genau bei dieser Forderung. Auf Nachfrage kann fast keiner meiner Seminarteilnehmer die deutsche Kultur beschreiben.
PĂŒnktlichkeit ist der Begriff, der vielen zuerst einfĂ€llt und vielleicht noch durch Sauberkeit und Sicherheit ergĂ€nzt wird. Sollte unsere Kultur etwa hauptsĂ€chlich aus PĂŒnktlichkeit bestehen? Und wenn ja, warum ist ausgerechnet dieses Merkmal so wichtig? Und warum wĂ€re es bedrohlich, wenn uns die PĂŒnktlichkeit abhandenkĂ€me? Ein bisschen Entspannung diesbezĂŒglich wĂ€re ja vielleicht auch ganz gut in Zeiten, in denen die Zahl stressbedingter Erkrankungen kontinuierlich steigt.
Abb. 2: Zeitzonen
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Was genau ist also unsere Kultur? Ist ein gemeinsames Abendessen schon eine interkulturelle Veranstaltung, weil die tĂŒrkische Freundin mit am Tisch sitzt? Oder ist Kultur doch das, was im Museum hĂ€ngt?
Der Kulturbegriff stammt ebenfalls aus dem Lateinischen, colere bedeutet pflegen oder urbar machen und grenzt somit vom Menschen Geschaffenes von Naturbelassenem ab. Der Begriff ist multidimensional und hat viele Definitionen, die durchaus im Widerspruch zueinanderstehen können.
Im Duden wird Kultur als die âGesamtheit der geistigen, kĂŒnstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft, als Ausdruck menschlicher Höherentwicklungâ und als âGesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet wĂ€hrend einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, kĂŒnstlerischen, gestaltenden Leistungenâ beschrieben.
Das Cambridge English Dictionary hingegen schreibt, Kultur sei: âthe way of life, especially the general customs and beliefs, of a particular group of people at a particular time. â Schon hier gibt es fundamentale Deutungsunterschiede.
Ersteres betont die Leistungen und Errungenschaften, letzteres die Lebenseinstellung, und dies sind nur zwei der möglichen Definition von Kultur. Der US-amerikanische Anthropologe und Kulturrelativist Alfred Kroeber und der US-amerikanische Ethnologe und Soziologe Clyde Kluckhohn haben sogar eine Liste mit nicht weniger als 200 verschiedenen Definitionen zusammengetragen.
Im Rahmen dieses Buches wird besonders eine Perspektive beleuchtet, nĂ€mlich die, die Kultur als gemeinsames Regelwerk fĂŒr eine Gruppe von Menschen beschreibt: Alles, was eine Gruppe von Menschen zu gemeinsamem Handeln bewegt und dadurch diese Gruppe von Menschen von anderen Gruppen von Menschen unterscheidet, ist Kultur.
Nun können wir uns der Fragestellung widmen, ob Motivation und Kultur etwas miteinander zu tun haben, und wenn ja, wo das besonders sichtbar wird.
Abb. 3: Brain made of human hands
2. Motivation aus neurowissenschaftlicher Sicht
Motivation bedeutet Bewegung. Bewegung hin zu etwas oder weg von etwas, aber immer Bewegung und nicht Stillstand. Dieser Bewegungsdrang ist das Ergebnis komplexer zerebraler Prozesse, um die es im Folgenden gehen wird. Die Bewegung hin zu etwas wird AnnÀherungsmotivation oder Appetenz genannt, die Bewegung weg von etwas Vermeidungsmotivation oder Aversion.
Im Falle der AnnĂ€herungsmotivation sind wir motiviert eine Handlung auszufĂŒhren, um einen angenehmen Reiz oder eine Belohnung zu erhalten. Im Falle der Vermeidungsmotivation sind wir motiviert zu handeln, um einem unangenehmen Reiz oder einer Bestrafung zu entgehen. WĂ€hrend diese Prozesse fĂŒr alle Menschen gleich sind, kann die Wahrnehmung von Belohnung respektive Bestrafung individuell sehr unterschiedlich sein und sich zudem mit Alter und Erfahrung Ă€ndern. Das bedeutet, dass auch die antreibenden Faktoren oder Motive einzelner Menschen sich stark unterscheiden können.
Damit Motivation entstehen kann, mĂŒssen wir also wissen, was gut und schlecht ist, was erstrebenswert ist und was wir vermeiden sollten. Das können wir entweder bewusst wissen und aus diesem Wissen heraus eine Handlung planen und ausfĂŒhren, oder aber wir fĂŒhlen es. Meist im Bauch, als sogenanntes BauchgefĂŒhl, oder im Herzen, wenn wir spĂŒren, dass sich unser Herzschlag Ă€ndert vor Freude oder aus Angst.
Auch wenn wir durch diese Wahrnehmungen vielleicht glauben, unseren GefĂŒhlen sozusagen einen Wohnort in unserem Körper zuweisen zu können, handelt es sich dabei nicht um den Entstehungsort des GefĂŒhls, allenfalls um seine WirkungsstĂ€tte. Entstanden ist das GefĂŒhl bereits vorher, im limbischen System unseres Gehirns, das im folgenden Kapitel genauer beschrieben wird. ZunĂ€chst jedoch noch einige begriffliche ErlĂ€uterungen.
2.1 Motive
Als Motiv bezeichnet man unbewusste, intuitive oder auch bewusste BeweggrĂŒnde fĂŒr alle Bewegungen und Handlungen, die nicht automatisiert ablaufen, wenn wir ...